Europäische Milchproduzenten standen in den letzten Jahren angesichts anhaltend niedriger Erzeugerpreise unter enormem Druck. Viele verfolgten deshalb den Ansatz, mehr aus ihren Weiden herauszuholen, um damit ihre Produktionskosten zu senken. Gleichzeitig stieg die allgemeine Nachfrage nach natürlicheren, gesünderen Lebensmitteln, und in einigen Ländern zahlen verarbeitende Betriebe inzwischen sogar eine Prämie für Fleisch- und Milchprodukte von Tieren aus Weidehaltung. Die über Jahrzehnte in vielen Regionen Europas erfolgte Abkehr von der Weidewirtschaft ging allerdings auch mit einem Verlust an Kenntnissen einher. Landwirte müssen deswegen erst wieder lernen, wie sie ihr Weideland optimieren.
In den Niederlanden ist die Nachfrage nach Weidemilchprodukten inzwischen derart gestiegen, dass spezielle Weideberater Landwirten bei der Umstellung auf Weidewirtschaft helfen. Auch In Großbritannien – obwohl die Weidewirtschaft dort traditionell stärker verbreitet ist – gelingen den Viehhaltern immer noch Verbesserungen, wie das Beispiel eines Landwirts aus Dartmoor zeigt, der seine Weide mäht, bevor die Tiere dort grasen. Auf der anderen Seite des Kanals, in Frankreich, zeigen die Brüder Jean-François und Michel Conan, dass zum einen die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft die Grünlandproduktivität verbessert und die Widerstandsfähigkeit der Grünflächen bei Trockenperioden erhöht. In Deutschland – wo Weidelandwirtschaft inzwischen eher zur Ausnahme geworden ist – hilft inzwischen ein Forschungszentrum konventionellen Landwirten dabei, in dieser Hinsicht von der ökologischen Landwirtschaft zu lernen. Unabhängig davon, was diese Entwicklung antreibt, kann Weideland, wenn es richtig bewirtschaftet wird, hohe Erträge in hoher Qualität liefern.
Großbritannien: Optimierung durch Mähen
Am äußeren Rand des südenglischen Dartmoor findet man die Brinsabach Farm, die seit 1559 im Besitz der Familie Batten ist. Das Weidemanagement, wie Bill und sein Sohn John es betreiben, ist allerdings kein bisschen althergebracht. Auf ihrem in Devon gelegenen Betrieb halten sie 60 Milchkühe und arbeiten intensiv daran, ihr Weideland ständig zu optimieren. „Ich wollte die Qualität und den Ertrag einer saftigen Frühlingsweide über das ganze Jahr erreichen und dachte mir, dass regelmäßiges Mähen helfen könnte“, erzählt Bill. Seit acht Jahren mäht er die Weide regelmäßig, bevor er die Kühe dort grasen lässt und ist von den Ergebnissen begeistert. „Vorher fraßen unsere Kühe beim Grasen normalerweise um die 17 kg täglich, durch das Mähen der Weide vor dem Grasen fressen sie nun 23 kg. Das Ergebnis ist, dass unsere Spitzenerträge aus dem Futter um 40% auf 35 l pro Tag gestiegen sind.“

Seit sechs Jahren bekommen Bill Battens Kühe frisch gemähtes Gras auf der Weide. Dadurch hat die tägliche Milchleistung der Tiere um 27 % zugenommen.
John mäht die Weide einmal täglich und wechselt die Weidefläche, indem er die elektrischen Weidezäune viermal am Tag versetzt. „Wir möchten unsere Kühe motivieren, aufzustehen und nochmals zu fressen, ähnlich wie bei einem Nachtisch zum Hauptgang.“ Bevor die Familie damit begann die Weiden zu mähen, verfütterten sie pro Kuh 1 t Kraftfutter pro Jahr, heute nur noch 200 kg, womit sie 200 € pro Kuh sparen. Die jährlichen Weideerträge belaufen sich inzwischen auf 13.9 t TM/ha. Der Proteingehalt liegt dabei zwischen 11,4 und 22,4 % und die umsetzbare Energie zwischen 11,3-11,5 MJ.
Niederlande: Unterstützung durch eine Stiftung
In den Niederlanden unterstützt auch die Regierung den Trend zur Weidewirtschaft und half bis 2018 mehr als 800 Milchviehhaltern bei der Einführung der Weidehaltung. Nach einer kleinen Delle stiegt die Zahl der Weidebauern im Jahr 2018 wieder auf 14.000 und damit auf das Niveau von 2012. So unterstützt die „Stichting Weidegang“ Landwirte, die wieder Weidewirtschaft betreiben wollen, mit spezialisierten Weideberatern. „Viel Wissen ging verloren, sowohl bei den Landwirten als auch bei den Kühen“, sagt Kees-Jaap Hin, Sekretär der Stiftung, „Es ist nicht damit getan, das Tor des Stalls aufzumachen: Landwirte müssen wieder lernen, ihre Weiden zu bewirtschaften und Kühe müssen wieder lernen zu grasen.“

Zurück zur Weidewirtschaft. In Holland unterstützt die Stiftung Weidegang Milchbauern bei der Umstellung auf Weidemilch-Produktion.
Landesweit stehen etwa 70 Weideberater zur Verfügung und Landwirte zahlen zwischen 375 und 1500 € für die Unterstützung während der Weidesaison. Zusätzlich besuchen die teilnehmenden Landwirte Betriebe, um von anderen Produzenten lernen zu können. „Jeder landwirtschaftliche Betrieb ist anders, also muss auch jede Strategie für die Beweidung anders sein,“ führt Weideberater Henk Antonissen aus. Ein weiterer Grund für den Trend zur Weidewirtschaft ist eine Prämie, die von einigen Molkereien für Milch von Kühen, die an 120 Tagen im Jahr mindestens sechs Stunden auf der Weide sind, gezahlt wird. Supermärkte verlangen oft ausdrücklich nach der Kennzeichnung „Weidezuivel“, da die Weidemilchprodukte auf dem besten Weg ins Standardsortiment sind.
Robotermelken
Wilbert Bertens kehrt mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb in der Nähe von Breda, wo er seine Kühe seit 2006, als er Melkroboter einführte, im Stall hielt, vor zwei Jahren zu einem Weidelandkonzept zurück. Zwar fanden seine 155 Holstein-Kühe nach der Umstellung problemlos zum Melkroboter, allerdings wurde die Futterwirtschaft schwieriger. „Sind die Kühe im Stall, weiß ich ganz genau, was sie fressen“, sagt der Landwirt. Anfangs fütterte Wilbert die Kühe noch jeden Morgen, ehe sie auf die Weide gelassen wurden. „Wenn Sie draußen waren, lagen sie aber nur und haben das Futter wiedergekäut“, erklärt er. Deswegen versuchte er, seine Kühe abends zu füttern. Trotzdem blieb es schwierig, eine Balance zu finden. „Ich kann einfach nicht kontrollieren, wie viel sie während des Tages fressen: Theoretisch sieht das ganz einfach aus, in der Praxis ist das jedoch eine ganz andere Sache“, sagt Wilbert.
Letztes Jahr beschloss er, seine Kühe wieder in den Stall zu bringen. „Wegen der Phosphatverordnung musste ich meinen Jungviehbestand loswerden. Deshalb entschied ich mich, mich nur auf die Milchproduktion zu konzentrieren. Kühe im Haus zu haben ist der einfachste Weg, das zu tun. Wenn sie draußen sind, weiß man einfach nicht, wie viel sie fessen und man kennt die Qualität des Grases nicht. Manchmal gibt es viel Gras, manchmal ist es trocken, manchmal ist es nass. Einmal, als es sehr trocken war, brachen die Kühe durch den Zaun, weil sie im Stall sein wollten. Für mich war das der Moment, in dem ich mich entschied, sie wieder in den Stall zu bringen. Kühe draußen zu halten ist schwieriger, als ich dachte.“
Für den Verbraucher und unser Image ist es besser, die Kühe draußen zu haben, aber für die Kuh selbst ist es aus meiner Sicht besser, wenn sie drinnen ist. Das gilt auch für meinen Ertrag.
Wilbert Bertens
Aber was ist mit seiner Idee des Weidelandkonzepts? „Für den Verbraucher und unser Image ist es besser, die Kühe draußen zu haben, aber für die Kuh selbst ist es aus meiner Sicht besser, wenn sie drinnen ist. Das gilt auch für meinen Ertrag. Die durchschnittliche Produktion liegt jetzt bei rund 10.500 Liter pro Kuh und Jahr statt bisher 9.300 Liter. Die Wiesenprämie der Milchfabrik kann das nicht ausgleichen.“
Deutschland: Forschung für die Weidehaltung
In Deutschland ist die Weidehaltung eher unüblich geworden. 2014 gaben jedoch 51,5% der Verbraucher an, dass sie Weidemilch bevorzugen. Aktuellere Umfragen gibt es nicht. Nachfrage und Angebot aber sind seitdem stark gestiegen. Zurzeit stammen 100 Millionen Liter pro Jahr aus der Weidemilchwirtschaft. Die Universität Kiel führt seit 1994 Forschungsprojekte im Bereich ökologische Landwirtschaft durch, deren Ergebnisse auch für konventionelle Produzenten relevant sind. Sie fand heraus, dass Grünlandbewirtschaftung die Produktionskosten für Milch senkt, die Biodiversität fördert und die CO2-Bilanz von Milchbetrieben verbessert.
Derzeit ist das Team damit beschäftigt, zusammen mit irischen Kollegen ein Weidemanagementsystem für unterschiedliche Landschaftstypen Deutschlands zu entwickeln. Dieses soll ab 2021 sowohl als App als auch als Online-Programm zur Verfügung stehen. Orientiert an einer Anwendung aus Irland wird sie auf Grundlage von Daten zu Wetter, Region, Düngemittel, Boden usw. die täglichen Graswuchsraten eines Betriebs prognostizieren. Ziel ist es, dem Landwirt eine Entscheidungshilfe an die Hand zu geben, beispielsweise hinsichtlich des Zeitpunkts, wann die Tiere auf die Weide gebracht werden, wann nachgesät oder Silage gemäht werden muss.
Auf dem Lindhof, einem der Forschungsbetriebe der Universität, wird der wirtschaftliche und ökologische Nutzen der Beweidung von Grünland untersucht. Ein Ergebnis ist die Erkenntnis, dass die beste Futtermischung hochwertige Grassorten mit hohem Energiegehalt beinhaltet. Kleesorten liefern dabei das nötige Eiweiß. „Früher ließen die Landwirte das Gras bis auf Stiefelhöhe wachsen, heute mähen wir es bei einer Höhe von 10 cm“, erklärt Ralf Loges, der wissenschaftliche Leiter. Bei dieser Höhe können die Kühe das junge Gras mit einem einzigen Biss abgrasen. Dadurch bleibt zum einen weniger Gras ungenutzt, zum anderen arbeitet der Pansen effizienter. Das Projekt liefert schon jetzt viel Stoff zum Nachdenken. „Die Abschaffung der Quote und der niedrige Milchpreis haben die Leute zum Umdenken bewegt“, erläutert Ralf Loges. „Das sehen wir auch an der zunehmenden Zahl unserer Besucher, unter denen vor allem konventionelle Landwirte sind.“
Frankreich: Biomilchproduktion zieht an
Etwa 34% der französischen LNF besteht aus Dauergrünland, auch wenn der Anteil an Mais in der Futtermenge langsam zunimmt. Zugleich steigt die Nachfrage nach ökologischer (Weide-)Milch. Bis Ende 2019 wird eine Zunahme der Biomilchproduktion um 52 % erwartet, verglichen zu den Produktionszahlen aus 2017. Auf dem Bontul-Betrieb in der Bretagne haben Jean-François Conan und sein Bruder Michel die Produktion im Jahr 2009 auf ökologische Landwirtschaft umgestellt. Bei der konventionellen Bewirtschaftung war die Weide – die mit mehrjährigem Weidelgras und Weißklee angesät wurde – nur schlecht geeignet für die hohen Sommertemperaturen und den leichten Boden. „Das Weidelgras wuchs nur zwei Monate im Jahr“, erinnert sich Jean-François.

Milchproduzent Jean-François Conan mit einer gekreuzten Kuh (Holstein x Norwegisches Rotvieh).
Der erste Schritt war die Aussaat verschiedener Sorten mit der Fähigkeit, Nährstoffe und Wasser effizient aus dem Boden zu ziehen. Zu dem Weidelgras wurden Wiesenschwingel und Knäuelgras (Dactylis glomerata) sowie Lieschgras, Wiesenrispengras und Wegwarte beigemengt. Die Erträge belaufen sich jetzt auf durchschnittlich 6 bis 8 t TM/ha. Jean-François beweidet intensiv auf Rotationsbasis und lässt die Herde maximal 24 Stunden auf einer Fläche. Er hat zudem ein Zuchtprogramm eingeführt, bei dem er die Holstein-Rasse wegen ihrer Milchmenge und Jersey-Kühe aufgrund ihrer Milchqualität und ihres gefügigen Charakters einsetzt. Die geringe Größe der Jersey-Kühe wird durch die Rasse Montbéliarde ausgeglichen, und Norwegisches Rotvieh bringt eine robuste Gesundheit und gute Beweglichkeit mit ein.
Um die Frühjahrs-Weide voll ausnutzen zu können, müssen die Kühe innerhalb eines sechswöchigen Zeitfensters kalben. „Wichtig ist, dass nicht ausschließlich Zuchterfolg, sondern auch einzelne Merkmalsausprägungen berücksichtigt werden.“ Heute stehen für den Betrieb alle Zeichen auf Erfolg: Bei einer jährlichen Produktion von fast 4600 l/Kuh belaufen sich die Einnahmen aus der Milchproduktion in etwa auf 180.000 € und sind dank des Öko-Bonus damit ungefähr so hoch wie bei konventioneller Bewirtschaftung. Die Produktionskosten sind dagegen deutlich niedriger, mit Fütterungskosten von 35 €/1.000 l gegenüber dem regionalen Durchschnitt von 58 €/1.000 l Biomilch.