Gute Nach­bar­schaft braucht Vertrauen

Arbeits- versus Lebens­raum: Das Land ist oft Schau­platz von Nutzungs­kon­flikten. Ein Problem, das es verdient, von den Land­wirten direkt ange­gangen zu werden.

Wer kennt sie nicht, diese Geschichten? Gebäude werden geplant und bean­tragt, aber letzt­lich nie gebaut, weil die Anwohner dagegen geklagt haben. Oder eine Maschi­nen­halle, die bereits in Betrieb ist, muss aufgrund vermeint­li­cher Lärm­be­läs­ti­gung wieder geschlossen werden. Oder ein Land­wirt sieht sich mit dem Wert­ver­lust seines Landes konfron­tiert. Wach­sende Nutzungs­kon­flikte sorgen dafür, dass das Zusam­men­leben auf dem Land zum Teil hitzige Diskus­sionen auslöst.

Die Stadt­flucht ist eine der bekannten Ursa­chen. Ein neueres Phänomen ist dagegen ein Wandel der Einstel­lung zur Land­wirt­schaft und der ihr seitens der Gesell­schaft entge­gen­ge­brachten Erwar­tungen. Dies betrifft auch die altein­ge­ses­sene Land­be­völ­ke­rung. Rund um diese Thematik gibt es Lösungen, die bereits im Vorfeld die Voraus­set­zungen für ein harmo­ni­scheres Zusam­men­leben schaffen können. Die „Flur und Furche“-Redakteure stellen Ihnen hier entspre­chende Initia­tiven aus mehreren euro­päi­schen Ländern vor:

Lesen Sie den Bericht über einen deut­schen Betrieb, der seinen Nach­barn die geplanten Akti­vi­täten ankün­digt, um Span­nungen entge­gen­zu­wirken, die zu bestimmten Zeiten auftreten können. Ein fran­zö­si­scher Land­wirt infor­miert über seine Anbau­kul­turen und wirbt so in der Öffent­lich­keit um Verständnis. Andere Beispiele zeigen die Bedeu­tung des sozialen Zusam­men­halts und des Dialogs für das Zusam­men­leben in den Gemeinden. Und es gibt weitere Ansätze zur Verbes­se­rung des Zusam­men­le­bens: die Zusam­men­ar­beit zwischen Land­wirten, Wohn­an­lie­gern und Kommunen bei Heraus­for­de­rungen in den Berei­chen Energie und Ernäh­rung, sowie natür­lich die Anpas­sung der land­wirt­schaft­li­chen Praxis.

Kommu­ni­zieren

Für Jung­land­wirt Knud Grell ist klar:  eine verbes­serte Kommu­ni­ka­tion zahlt sich aus.

Heut­zu­tage haben die Menschen in den Dörfern häufig nur noch eine vage Vorstel­lung von den Abläufen in der Land­wirt­schaft. Diese Akti­vi­täten im Vorfeld bekannt zu machen, nimmt nicht unbe­dingt viel Zeit in Anspruch. Es kann aber dazu beitragen, Span­nungen zu vermeiden, wie das Beispiel des Grell-Hofs im schleswig-holstei­ni­schen Duvensee zeigt. Der Betrieb mit 500 Milch­kühen befindet sich im Dorf­zen­trum und hatte sich in den vergan­genen Jahren mehr­fach mit Beschwerden ausein­an­der­zu­setzen.

Im Rahmen des Projekts „Starke Bauern“, initi­iert durch das Fach­ma­gazin „top agrar“ und mit Unter­stüt­zung der Marke­ting-Agentur „Die Jäger“, konnte die Familie Grell jedoch Maßnahmen umsetzen, mit denen sie sowohl das Image ihres Betriebes als auch das Verhältnis zu den Nach­barn deut­lich verbes­serten. Mit der Reno­vie­rung der zur Straße liegenden Hofseite, der Einrich­tung einer Website und einer Face­book-Präsenz, sowie der Veröf­fent­li­chung eines YouTube-Clips unter­nahmen die Grells einige Anstren­gungen.

„Aber die wirk­samste Maßnahme war zugleich auch die einfachste“, berichtet Jung­land­wirt Knud Grell. „Wir haben damit begonnen, unsere Nach­barn anzu­schreiben, um sie so über unsere bevor­ste­henden Akti­vi­täten zu infor­mieren: Heuernte, Mais­trans­port usw. So ein Brief ist schnell geschrieben und auch viel persön­li­cher als eine E-Mail. Die geht viel­leicht unter – ein Brief wird viel eher auch wirk­lich gelesen.“ 


Infor­mieren

In Frank­reich haben die Umstände Bastien Henne­quez dazu veran­lasst, ein ebenso einfa­ches wie wirk­sames pädago­gi­sches Konzept zu entwi­ckeln, mit dem er sich an seine Nach­bar­schaft wendet. In der Gemeinde Arnières-sur-Iton bewirt­schaftet er eine Fläche von 155 ha, davon 35 ha Weide­land. Sein Land wird von einem Wanderweg durch­quert und grenzt an Wohn­grund­stücke.

Bastien Henne­quez aus dem Dépar­te­ment Eure hat seine Acker­ränder zum Lehr­pfad gemacht.

„Seit dem Bau der Wohn­sied­lung 2015 hatte ich immer wieder Probleme: Kinder, die mit meinen Insek­ten­fallen gespielt haben, Pferde, die auf dem Brach­land grasten, Motor­räder, Quads und Abfälle auf den Feldern usw.“, erzählt der Land­wirt. „Aber das war ja noch harmlos.“ Bis zum Früh­jahr 2017: Auf einer Weide machten sich Eindring­linge in Feier­laune mitten in der Nacht einen Spaß daraus, die Tiere aufzu­scheu­chen und Selfies mit einer gerade kalbenden Kuh zu machen. Das Kalb über­lebte diese Stress­si­tua­tion nicht. Nachdem er vergeb­lich den direkten Dialog gesucht hatte, entschloss sich der Land­wirt, Infor­ma­ti­ons­schilder an den Feldern aufzu­stellen.

„Die Probleme entstehen zum Teil aus dem mangelnden Verständnis der Städter für die länd­liche Umge­bung, in der sie nun wohnen.“ Henne­quez hat drei Schil­der­se­rien konzi­piert: Eine davon wendet sich an Kinder und zeigt Pflanzen und deren wirt­schaft­liche Bedeu­tung, eine andere erläu­tert die jahres­zeit­li­chen Abläufe der Anbau­kul­turen und eine weitere schließ­lich erin­nert daran, dass man sich auf Privat­be­sitz befindet und beispiels­weise die darauf gehal­tenen Tiere keine Spiel­zeuge sind.


Türen öffnen

Mitein­ander reden und gemeinsam Zeit verbringen bildet oft schon ein stabiles Funda­ment für eine gute Nach­bar­schaft. Genau diesem Ziel dient der beliebte „Tag der offenen Tür“. Abi Reader, Land­wirtin aus Glamorgan in Groß­bri­tan­nien, konnte beispiels­weise seit 2014 bereits rund 3.000 Besu­che­rinnen und Besu­cher zu ihren „Open Farm Sundays“ begrüßen. Die Land­wirte aus der Nach­bar­schaft sind immer dabei, um den inter­es­sierten Gästen Schaf­schur-Vorfüh­rungen zu bieten oder Zucht­me­thoden vorzu­stellen: „Ich bin immer wieder über­rascht, wie viele bereit sind, dabei zu helfen. Diese Veran­stal­tungen tragen ganz maßgeb­lich dazu bei, das Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl im Dorf zu stärken.“ Vieh­züchter George Brown lädt alljähr­lich das ganze Dorf zu einem großen Fest ein. „Bei der Gele­gen­heit öffnen wir auch unsere Türen für die Besu­cher“, erzählt Brown, für den die Veran­stal­tung auch eine Bildungs­funk­tion hat. „Wenn man offen zeigt, wie man wirt­schaftet, hilft es, poten­zi­elle Konflikte zu vermeiden. Es ist immer besser, die Menschen auf seiner Seite zu wissen, zum Beispiel wenn es um die Bean­tra­gung einer Bauge­neh­mi­gung geht.“ 

Wenn man offen zeigt, wie man wirt­schaftet, hilft es, poten­zi­elle Konflikte zu vermeiden.

George Brown

In Frank­reich veran­staltet das Dépar­te­ment Orne für die Bevöl­ke­rung soge­nannte „Rando-Fermes“, bei denen auf einer Wander­tour mehrere Betriebe vorge­stellt werden. „Wir möchten Einblicke in den land­wirt­schaft­li­chen Alltag geben, über den Umgang mit Tieren infor­mieren und wie wir versu­chen, Dünge- und Pflan­zen­schutz­mittel zu redu­zieren – eben alle diese Themen, die die Gemüter beschäf­tigen“, führt Violaine Lasseur von der Land­wirt­schafts­kammer aus. Die teil­neh­menden Land­wirte werden in „posi­tiver Kommu­ni­ka­tion“ geschult. Sie beschäf­tigen sich mit den Argu­menten dafür und dagegen, üben Diskus­sionen mit Rollen­spielen und bemühen sich dabei, die Themen aus dem Blick­winkel der Öffent­lich­keit zu sehen.

Der Andrang ist immer groß, wenn in Groß­bri­tan­nien beim „Open Farm Sunday“ zahl­reiche Betriebe ihre Tore öffnen.

Vor Ort werden anschau­liche Darstel­lungen, insbe­son­dere in Form kleiner Spiel­szenen, zur Anre­gung des Dialogs verwendet. „Ein Land­wirt und ein ‚Wanderer‘ sollen eine Diskus­sion zu einem bestimmten Thema impro­vi­sieren, zum Beispiel Bioanbau contra konven­tio­nelle Land­wirt­schaft. Durch den spie­le­ri­schen Ansatz können sensible Themen in lockerer Form ange­spro­chen werden, ohne den Rahmen eines echten Dialogs zu verlassen, in dem der Komple­xität der Fragen Rech­nung getragen wird“, sagt Lasseur  

Eine ähnliche Initia­tive findet sich in den Nieder­landen: die „Hutspot“-Radfahrt, benannt nach einem sehr beliebten nieder­län­di­schen Eintopf­ge­richt. Das Thema ist hier die Rück­ver­folg­bar­keit der Nahrungs­mittel. Während der Radfahrt suchen die Teil­nehmer nach­ein­ander mehrere land­wirt­schaft­liche Betriebe auf, um dort die Zutaten für einen nahr­haften „Hutspot“ zu sammeln. Die Veran­stal­tung zieht Hunderte von Radfah­rern an und bietet die Gele­gen­heit zum Austausch mit dem inter­es­sierten Endver­brau­cher, der gern mehr über das erfahren möchte, was am Ende auf seinem Teller landet.

„Die Menschen auf dem Land haben nicht mehr unbe­dingt eine Verbin­dung zur Land­wirt­schaft“, weiß Cato Gaai­kema, der seine Kartof­feln zum „Hutspot“ beisteuert. „Ein besseres Verständnis seitens der Verbrau­cher erleich­tert uns die Ausübung unseres Berufs.“


Zusammen arbeiten

In Spanien ist es seit jeher üblich, das ganze Dorf bei der Ernte einzu­be­ziehen. Diese uralte Praxis wird auch bei der Kartof­fel­ernte in Gali­cien gepflegt: Fami­li­en­mit­glieder, Freunde und Nach­barn stellen ihre Arbeits­kraft zur Verfü­gung. „Es ist hier einfach Tradi­tion, dass man auf dem Feld mit anpackt“, so der Land­wirt José Ramón González. Ein unge­schrie­benes und von alters her über­lie­fertes „Gesetz guter Nach­bar­schaft“ ist nach seiner Auffas­sung unver­zichtbar für gute Bezie­hungen und das Zusam­men­leben auf dem Land.

In Spanien hilft oft das ganze Dorf bei der Wein­lese oder der Kartof­fel­ernte mit.

Dabei kann es sich um einfache Hand­rei­chungen im Rahmen der Nach­bar­schafts­hilfe bis hin zur gemein­samen Inves­ti­tion in eine Anlage zur Ener­gie­er­zeu­gung oder die Einrich­tung eines Hofla­dens handeln, wobei die gemeinsam geleis­tete Arbeit das länd­liche Zusam­men­leben stärkt. Gele­gent­lich ist der Hof selbst das Projekt, wie im Fall der nieder­län­di­schen Initia­tive „Heren­boeren“. Ein Beitrag von 2.000 € je Haus­halt sowie eine jähr­liche Kosten­be­tei­li­gung in Höhe von unge­fähr 500 € ermög­lichten dabei die Schaf­fung eines gemein­schaft­lich genutzten Hofes. Die 200 Anteils­eigner erhalten pro Person und Jahr 17 kg Fleisch, sowie eine bestimmte Menge Obst und Gemüse. Jede Woche finden zwei gemein­same Ernte­ein­sätze statt. In den beson­ders arbeits­in­ten­siven Jahres­zeiten helfen die Nach­barn bei der Pflan­zung und der Ernte. Dieses Konzept hat bereits im ganzen Land Nach­ahmer gefunden.

Es ist hier einfach Tradi­tion, dass man auf dem Feld mit anpackt

José Ramón González

Wenn Land­wirte und Dorf­be­wohner Hand in Hand arbeiten: gemein­schaft­lich bewirt­schaf­tete Flächen des Projekts „Heren­boeren“.

Derar­tige Koope­ra­tionen haben auch das Ziel, eine gemein­same Basis zu finden, die tech­ni­sche und wirt­schaft­liche Reali­täten auf der einen und Erwar­tungen der Gesell­schaft auf der anderen Seite vereint. In Frank­reich ist die 17.000-Einwohner-Stadt Lons-le-Saunier nach einigen Fällen von Umwelt­ver­schmut­zung in den neun­ziger Jahren dazu über­ge­gangen, in ihrem Einzugs­ge­biet die Umstel­lung von Höfen auf biolo­gi­sche Land­wirt­schaft zu fördern und Absatz­mög­lich­keiten für ihre Produkte in den städ­ti­schen Kantinen zu eröffnen. „Dort wo Land­wirt­schaft und Wohn­viertel direkt anein­ander grenzen, gibt es oft gesund­heit­liche Bedenken und die Anlieger sind sehr sensi­bi­li­siert, was die Auswir­kungen konven­tio­neller Anbau­me­thoden betrifft“, sagt Romain Mouillot, der seinen Hof im Jahr 2015 auf Bio umge­stellt hat. „Aber wenn man bestimmte Anbau­sys­teme haben möchte, muss man den Land­wirten auch wirt­schaft­lich rentable Perspek­tiven bieten.“


Anpassen

Wer von Dialog spricht, darf das Thema Kompro­miss­be­reit­schaft nicht außen vor lassen. Viele Land­wirte haben ihre Prak­tiken bereits ange­passt, einige enga­gieren sich in größerem Umfang und gehen damit auch an die Öffent­lich­keit. In Deutsch­land haben sich die Lohn­un­ter­nehmer dem Konflikt gestellt, der mit den Verän­de­rungen in ihrem Berufs­bild einher­geht. „Die Bevöl­ke­rung ist heut­zu­tage nicht mehr ohne Weiteres bereit, der Land­wirt­schaft eine Sonder­rolle zuzu­ge­stehen“, stellt Julia Guttulsröd vom Bundes­ver­band Lohn­un­ter­nehmen (BLU) fest. Der Verband hat daher einen Zehn-Punkte-Plan für seine Mitglieder und deren Kunden vorge­legt. Die darin beschrie­benen Maßnahmen zielen in erster Linie auf die Art und Weise ab, wie Trans­port­ar­beiten durch­ge­führt werden: Beschrän­kung der Fahr­ge­schwin­dig­keit in den Dörfern, Auswahl von Routen, die für weniger Störungen sorgen usw. Lärm­re­du­zie­rung bei Arbeiten, die nachts oder am Wochen­ende statt­finden, ist ein weiterer Aspekt.

Viele Land­wirte verän­dern die Art und Weise, wie Trans­port­ar­beiten durch­ge­führt werden.

„Auch wenn diese Weiter­ent­wick­lung der Arbeits­prak­tiken auf den ersten Blick keinen wirt­schaft­li­chen Vorteil bietet, sorgen ein posi­ti­veres Image und ein fried­li­ches Mitein­ander doch für eine deut­liche Verbes­se­rung der Arbeits­ef­fi­zienz. Die Mitar­beiter sind moti­vierter, iden­ti­fi­zieren sich stärker mit dem Unter­nehmen und arbeiten daher beson­ders sorg­fältig. Die Kunden und die Land­be­wohner reagieren eben­falls verständ­nis­voller und bieten bei außer­ge­wöhn­li­chen Umständen viel eher ihre Hilfe an.“ 

Abge­sehen davon sind es gerade auch die Initia­tiven von Einzel­per­sonen, die einiges bewirken können. So haben die Brüder Sjaak und Henri Huetink aus den Nieder­landen, die Lili­en­zwie­beln produ­zieren, ihre Anbau­prak­tiken ange­passt. Ihre Arbeiter sind gehalten, die Ausbrin­gung der Pflan­zen­schutz­mittel zu unter­bre­chen, wenn sich Spazier­gänger nähern. Es werden bevor­zugt Parzellen gepachtet, die weit von Wohn­grund­stü­cken entfernt liegen, und falls dies nicht möglich ist, werden deut­lich brei­tere Rand­streifen einge­richtet. Die Anrainer können sogar wählen, ob auf dem zehn Meter breiten Streifen Mais oder Blumen gepflanzt werden sollen.

„Das Spritzen von Pflan­zen­schutz­mit­teln lässt sich eben nicht immer vermeiden“, erläu­tert Henri Huetink. „Aber wenn die Leute die Blumen und Insekten sehen, sagen sie zu uns: ‚Ach, dann kann das, was ihr da spritzt, ja gar nicht so gefähr­lich sein‘.“ Ange­sichts der Kritik mancher Kollegen, dass die Anrainer immer weitere Forde­rungen stellen könnten, sehen die Brüder ihre Heran­ge­hens­weise als prag­ma­tisch. „Man muss selbst etwas unter­nehmen, sonst führt das nur zu immer mehr gesetz­li­chen Auflagen. Nach unserer Erfah­rung sieht es inzwi­schen so aus, dass 90 % der Leute zu uns sagen: ‚Wir vertrauen euch‘.“