Land­wirte als Vermarktungs­experten

Neue Mark­teil­nehmer und Einfluss­fak­toren sowie zuneh­mende Trans­pa­renz sorgen dafür, dass die Getrei­de­preise deut­lich stärker schwanken als früher. Für den Land­wirt kommt es bei der Vermark­tung daher vor allem auf ein gutes Risi­ko­ma­nage­ment an.

Olaf Stammer erin­nert sich noch recht gut an die Zeit, als man stolz darauf war, einen um 15 Cent höheren Verkaufs­preis erzielt zu haben als der Nachbar. Das liegt jetzt etwa 10 Jahre zurück. „Nach der Ernte­kam­pagne 2007-2008 und den einset­zenden starken Preis­schwan­kungen brauchte ich eine gewisse Zeit, um mich an die Situa­tion anzu­passen“, gibt der Land­wirt aus Bad Schwartau frei­mütig zu. „Auch heute lerne ich immer noch dazu.“ Um den Einkauf von Betriebs­mit­teln und die Vermark­tung der Erzeug­nisse zu verein­fa­chen, hat sich der Fami­li­en­be­trieb mit drei benach­barten Getrei­de­bauern zu einer Komman­dit­ge­sell­schaft zusam­men­ge­schlossen. Diese bewirt­schaftet insge­samt 720 ha und verfügt über eine Lager­ka­pa­zität von 5.000 t Getreide, für deren Verkauf Herr Stammer zuständig ist.

412 Mio. t

Gesamt­vo­lumen des globalen Getrei­de­han­dels für 2018/19 (Voraus­sage der FAO, April 2019)

Anpas­sung an Ausnah­me­jahre

Heute verfolgt er eine auf Absi­che­rung abzie­lende Stra­tegie, bewahrt sich aber auch Möglich­keiten zur Opti­mie­rung. „Als ich mit der Vermark­tung begann, habe ich sehr große Teil­ver­käufe gemacht. Dann ging ich dazu über, die Ware in möglichst viele Teil­mengen zu zerlegen. Jetzt kommt es vor, dass ich den Weizen in 10 oder 12 Schritten verkaufe. Dadurch fühle ich mich sicherer und kann besser dem Markt folgen. Wenn ich hingegen in Vier­teln verkaufe und der Markt jedes Mal direkt nach dem Verkauf anzieht, riskiere ich, rück­bli­ckend relativ schlecht vermarktet zu haben.“

Olaf Stammer

Olaf Stammer arbeitet mit mehreren Agrar­händ­lern vor Ort. Die Kontrakte werden bereits im Früh­jahr abge­schlossen, doch der Groß­teil des Getreides wird zum Fest­preis zwischen Dezember und der nächsten Ernte verkauft. „Die Schwie­rig­keit besteht darin, dass es immer wieder neue Situa­tionen und Ausnah­me­jahre gibt. Deshalb ist es wichtig, reagieren zu können und sich anzu­passen.“ Herr Stammer betont auch, dass die Getrei­de­ver­mark­tung für die Land­wirte deut­lich komplexer wurde, beispiels­weise durch die Notwen­dig­keit, sich mit Termin­märkten ausein­an­der­zu­setzen. Während sich der Erzeuger noch vor nicht allzu langer Zeit nur „um seine Felder oder seine Tiere kümmerte“, erfor­dere der Beruf heute, dass man das Welt­ge­schehen weit über den eigenen Berufs­ho­ri­zont hinaus­ge­hend beob­achtet.

Es gibt immer wieder neue Situa­tionen und Ausnah­me­jahre.

Olaf Stammer

Laut Olaf Stammer sollte sich ein Land­wirt nicht nur über die welt­weiten Lager­be­stände, den Zustand der Kulturen, Wech­sel­kurse und Betriebs­mit­tel­preise infor­mieren, sondern auch „ein Auge auf die poli­ti­schen Entwick­lungen halten“, da protek­tio­nis­ti­sche Bestre­bungen am anderen Ende der Welt sich kurz­fristig positiv oder negativ auf die Waren­ter­min­börse Matif in Paris auswirken können.

Vermark­tung braucht auch Courage

200 km weiter östlich vermarktet Roland Marsch die Produk­tion seiner beiden Söhne. Der eine baut bei Jarmen in Meck­len­burg- Vorpom­mern auf 1.450 ha Getreide, Raps und Zucker­rüben an, der andere bewirt­schaftet in Lett­land einen 1.400 ha großen Acker­bau­be­trieb. „Es ist immer schwierig, bezüg­lich der Markt­ent­wick­lung Prognosen anzu­stellen“, bemerkt der Land­wirt, der sechs Jahre lang im Getrei­de­handel tätig war. „Meine Devise lautet: Sind die Preise im Vergleich zu den Vorjahren relativ gut, muss man verkaufen, und dann in kleinen Mengen. Für 100 % eines Produkts den Höchst­preis erzielen zu wollen, wäre hoch­spe­ku­lativ.“

Roland Marsch

Als Beispiel nennt er die Kampagne 2015-16, während der die erwar­tete Kurs­stei­ge­rung ausblieb und er einen Groß­teil der Ernte im fallenden Markt unter Nutzung kurz­fris­tiger Kurs­an­stiege verkaufen musste. Durch diese Stra­tegie gelang es ihm, in einem global rück­läu­figen Markt, aus einer ungüns­tigen Situa­tion noch den besten Nutzen zu ziehen. „Eine gute Vermark­tung ist auch eine Frage der Courage: Mut, zu handeln, selbst wenn der Preis auf den ersten Blick nicht gefällt.“

Für 100 % eines Produkts den Höchst­preis erzielen zu wollen, wäre hoch­spe­ku­lativ.

Roland Marsch

Ferner betont Roland Marsch, dass jede Stra­tegie die interne Orga­ni­sa­tion des Betriebs berück­sich­tigen muss, um rentabel zu sein. „Wir haben viele Kontrakte, bemühen uns aller­dings, pro Frucht nur einen Abnehmer zu haben, um die Kosten für die Ausla­ge­rung möglichst effi­zient zu gestalten. Es ist notwendig und Teil der Vermark­tung, seine perso­nellen und mate­ri­ellen Ressourcen optimal zu nutzen. Bei größeren Paketen pro Abnehmer ist man zudem flexi­bler in der Abwick­lung, wenn es darum geht, Über- oder Unter­werte mit den fest­ge­legten Quali­täts­pa­ra­me­tern in einem bestimmten Rahmen mitein­ander zu verrechnen.“

Klare Ziele und Stra­tegie für die Vermark­tung

„Jeder Land­wirt muss seinen eigenen Ansatz finden“, bemerkt Patrick Bodié, der bei der Land­wirt­schafts­kammer im fran­zö­si­schen Dépar­te­ment Aube den Service „Mes Marchés“ (Meine Märkte) leitet. Wenn dem Land­wirt beispiels­weise bewusst ist, dass er sich mit Verkaufs­ent­schei­dungen schwertut, sind direkte Abnah­me­ver­ein­ba­rungen mit seiner Genos­sen­schaft den Termin­ver­käufen vorzu­ziehen. „In diesem Fall kann er ebenso gut seinen Land­handel mit der Vermark­tung betrauen.“ Herr Bodié betont auch, dass man die Zeit für das Sammeln von Infor­ma­tionen Zeit beschränken sollte, um den Über­blick zu bewahren. „Zu viele, sich ständig ändernde Daten können die Hand­lungs­fä­hig­keit blockieren.“

128 €/t

Preis­schwan­kungen beim Weizen­handel im fran­zö­si­schen Seehafen Rouen zwischen 2013 und 2017

Erklä­rend fährt Patrick Bodié fort: „Entgegen einer weit verbrei­teten Annahme setzt eine gute Vermark­tung kein Fach­wissen voraus. Kennt­nisse des Marktes und der Vermark­tungs­in­stru­mente sind zwar nötig, doch geht es vor allem darum, eine Stra­tegie und Ziele fest­zu­legen.“ Uner­läss­lich ist eine tabel­la­ri­sche Über­sicht, in der die auf den Fest­kosten und dem erhofften Einkommen beru­hende Vermark­tungs­schwelle sowie die histo­ri­schen Verkaufs- und Einkaufs­preise des Betriebs aufge­führt sind. Entspre­chend der Ziele (bspw. Absi­che­rung oder Opti­mie­rung) legt dann die Stra­tegie Etappen für die nächsten Kampa­gnen fest. „Man muss voraus­schauen und Preise auf zwei Jahre planen können.“

Sicherer Umgang mit Zahlen

Für Éric Collot, der bei Prunay-Belle­ville im Dépar­te­ment Aube einen 112 ha großen Acker­bau­be­trieb leitet (Weizen, Sommer­gerste, Rüben, Luzerne, Raps, Heil­pflanzen) ist es ange­sichts der komplexen Markt­me­cha­nismen wichtig, an einer einfa­chen und effi­zi­enten Methode fest­zu­halten. „Das Schwie­rigste bei der Vermark­tung ist, den besten Zeit­punkt abzu­passen. Man darf sich nicht von den Preisen berau­schen lassen. Ich orien­tiere mich am Durch­schnitts­preis meiner Verkäufe der letzten drei Jahre und verkaufe alles, was darüber liegt.

Éric Collot

Dabei gehe ich davon aus, dass die Aufwen­dungen der letzten Jahre in einem relativ gleich­blei­benden Verhältnis zu meinen Struk­tur­kosten stehen, und kenne die mit diesen Preisen erzielte Renta­bi­lität.“ Herr Collot, der sehr stabile Weizen­er­träge erzielt und den Groß­teil seines Getreides selber lagert, handelt seit etwa 14 Jahren an Termin­märkten und kauft Termin­kon­trakte, um von stei­genden Preisen zu profi­tieren.

„Man darf sich nicht von den Preisen berau­schen lassen.“

Éric Collot

„2016 hatte ich vor der Ernte 60 % des Weizens vorver­kauft, da ungüns­tige wirt­schaft­liche Faktoren auf fallende Preise schließen ließen. Letzt­end­lich waren diese 60% aufgrund der sehr ungüns­tigen Witte­rung quasi die ganze Ernte.“ Seine Vorah­nung hat ihm ermög­licht, Gewinn aus dieser schwie­rigen Kampagne zu schlagen – mit einem durch­schnitt­li­chen Netto­preis von 170 €/t. Trotz der Einkom­mens­ein­bußen durch die nied­ri­geren Weizen­er­träge konnte sich der Betrieb dank des erzielten Preises und der Diver­si­fi­zie­rung der Produk­tion in der Saison 2016-2017 einen beschei­denen Gewinn sichern. „Folge der Wetter­phä­no­mene der letzten Jahre ist, dass wir die Mengen, den Prote­in­ge­halt, das spezi­fi­sche Gewicht und die Fall­zahl nach Hagberg weniger gut unter Kontrolle haben. Folg­lich gilt es, alle anderen rele­vanten Faktoren möglichst in den Griff zu bekommen, um unser Einkommen zu sichern: als Erstes den Preis und als Nächstes alle wirt­schaft­li­chen Posten durch ein straffes Kosten­ma­nage­ment.“

Risiken und Chancen

Die Märkte können trotz ihres unvor­her­seh­baren Charak­ters als Justier­schraube fungieren, betont Patrick Bodié. Die von ihm fest­ge­stellte „zuneh­mende Nach­frage nach Schu­lungen, die sich mit diesen Schwer­punkten befassen“, ist für ihn der Beweis, dass die Land­wirte dies bereits sehr gut begriffen haben. Laut einer zwischen 2010 und 2016 von der Land­wirt­schafts­kammer des Dépar­te­ments Aube durch­ge­führten Studie ist der Verkaufs­preis der erste Faktor, der auf die Gewinn­spanne Einfluss nimmt, gefolgt von der Opti­mie­rung der Kosten und der Opti­mie­rung der Erträge.

270,5 Mio. t

Schät­zung für den welt­weiten Lager­be­stand an Weizen für 2018/19

In den letzten Jahren hat sich das Handels­um­feld stark zugunsten jener Land­wirte entwi­ckelt, die ihre Vermark­tung selber in die Hand nehmen. Gleich­zeitig kommen mehr und mehr Instru­mente für die Entschei­dungs­fin­dung auf den Markt. All diese Optionen helfen Land­wirten, in einem schwie­rigen Umfeld ihr Einkommen zu sichern und darüber hinaus zu inves­tieren oder zu sparen. „Auch den größeren Preis­schwan­kungen kann man Posi­tives abge­winnen“, betont Patrick Bodié. „Einer­seits werden sie als Risiko empfunden, ande­rer­seits können sie auch eine Gele­gen­heit darstellen.“


Nicht mehr nur das Wetter bestimmt den Preis

Globale Importe und Exporte von Weizen 2017/18 (in Mio. t.) | Grün: epor­tie­rende Länder/Regionen; Rot: impor­tie­rende Länder/Regionen

Wie stellt sich heute der inter­na­tio­nale Getrei­de­markt dar und welche Entwick­lungen sind mittel­fristig zu erwarten? „Russ­land, die Ukraine und die osteu­ro­päi­schen Länder domi­nieren zuneh­mend“, erläu­tert Jack Watts, Analyst bei der briti­schen Förder­or­ga­ni­sa­tion für Agrar­er­zeug­nisse AHDB. Gleich­zeitig drängt Latein­ame­rika auf die Märkte – beflü­gelt durch stei­gende Inves­ti­tionen und die Zulas­sung des Anbaus gentech­nisch verän­derter Sorten.

Die USA und Europa spielen weiterhin eine bedeu­tende Rolle, aller­dings in einem zuneh­mend umkämpften Markt. Inner­halb der EU sind es Polen, Rumä­nien und Bulga­rien, die Boden gutma­chen. Während sich die Welt noch immer bei einer Hand­voll großer Export­länder versorgt, sieht es bei den Einfuhr­län­dern deut­lich abwechs­lungs­rei­cher aus. „Die Schlüs­sel­märkte befinden sich in Nord­afrika. Der Mitt­lere Osten und Saudi-Arabien zählen zu den Schwel­len­märkten. Insbe­son­dere in Saudi-Arabien möchte man durch mehr Getrei­de­ein­fuhren die Wasser­res­sourcen schützen“, erläu­tert Jack Watts weiter.

Anzie­hende Weizen-Nach­frage in Asien

In Asien zieht die Nach­frage durch die wach­sende Mittel­schicht und die zuneh­mende Verbrei­tung west­li­cher Ernäh­rungs­ge­wohn­heiten an. Auch wenn offen­sicht­lich das Wetter den Getrei­de­handel unge­bro­chen stark beein­flusst, fallen zuneh­mend poli­ti­sche Entschei­dungen ins Gewicht. In den letzten Jahren ist die Nach­frage Chinas nach Futter­ge­treide rasant ange­stiegen. Aller­dings wurde die Fähig­keit der rest­li­chen Welt unter­schätzt, ihre Produk­tion zur Deckung dieser Nach­frage zu stei­gern. Die chine­si­sche Selbst­ver­sor­gungs­po­litik verzeich­nete übri­gens derart schnelle Erfolge, dass sie zurück­ge­fahren werden musste, um die enormen Mais-Lager­be­stände abzu­bauen.

„Es wird ange­nommen, dass der Anteil Chinas an den welt­weiten Weizen-Lager­be­ständen zwischen 40 und 50 % beträgt. Sicher ist sich jedoch niemand.“ Was die Produk­tion anbe­trifft, bleiben Russ­land und Brasi­lien weiter im Fokus. „Ihre Produk­ti­ons­ka­pa­zi­täten sind signi­fi­kant gestiegen. Aller­dings wurde für die Getrei­de­aus­fuhr nicht ausrei­chend in die Infra­struktur inves­tiert, was zu Engpässen und Trans­port­ver­zö­ge­rungen führt.“ Ange­sichts der relativ nied­rigen aktu­ellen Preise ist kaum anzu­nehmen, dass in abseh­barer Zeit Inves­ti­tionen zur Moder­ni­sie­rung dieser Infra­struk­turen ins Auge gefasst werden.