Jeder achte Mensch weltweit geht täglich hungrig ins Bett. Nach Schätzung der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO), die zu den Vereinten Nationen (UN) gehört, sind dies immerhin 821 Mio. Menschen. Die meisten der Hungernden sind in Afrika beheimatet. Etwa Dreiviertel lebt auf dem Land – dort wo Nahrung angebaut wird. Theoretisch wären genug Nahrungsmittel vorhanden, wenn die Verteilung gerecht und sie die einzige Ursache für Hunger wäre. Bis zum Jahr 2050 müsste die Nahrungsmittelproduktion laut FAO um mindestens 60 % steigen, wenn die voraussichtlich dann etwa 9 Mrd. lebenden Menschen satt werden sollen.
Was ist Hunger?
Nach der FAO-Definition leidet ein Mensch an Hunger, wenn seine tägliche Energiezufuhr über einen längeren Zeitraum unter dem Bedarf liegt, der für einen gesunden Körper benötigt wird. Als ungefähren Schwellenwert gibt die UN-Organisation 1.800 Kilokalorien pro Tag an. Doch Hunger drückt sich nicht nur in Kalorien,aus. Nach Auskunft der deutschen Welthungerhilfe in Bonn unterscheidet man drei Typen:
- Chronischer Hunger
Konstante oder regelmäßige saisonale Unterernährung, die sich sowohl auf die Menge als auch die Qualität bezieht. - Akuter Hunger
Schwere Unterernährung für einen begrenzten Zeitraum, zum Beispiel durch Naturkatastrophen. - Unterernährung
Mangelernährung, die durch das Fehlen oder eine unzureichende Menge an Nährstoffen und/oder Vitaminen entsteht.
Mikronährstoffen auf der Spur
Schon seit einiger Zeit haben Wissenschaftler, allen voran Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim, darauf hingewiesen, dass gerade Mangelernährung, die auch als versteckter oder stiller Hunger bezeichnet wird, ein großes Problem darstellt. So decken die drei Grundnahrungsmittel Reis, Mais und Weizen zwar bei einem Drittel der Weltbevölkerung rund 80 % des täglichen Kalorienbedarfs, doch es fehlen Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, essentielle Fettsäuren und Aminosäuren, die unter dem Begriff Mikronährstoffe zusammengefasst werden.
80 %
des täglichen Kalorienbedarfs decken bei einem Drittel der Weltbevölkerung die drei Grundnahrungsmittel Reis, Mais und Weizen ab.
Daher warnt der Mediziner Biesalski davor, Welthunger nur als ein reines Mengenproblem anzusehen. Beginnt Mangelernährung schon im Mutterleib, wirkt sich dies negativ auf die körperliche und geistige Entwicklung eines Kindes aus. Mit zunehmender Armut verbreitet sich der versteckte Hunger ebenfalls in hochentwickelten Ländern wie den USA oder Europa. Wer wenig Geld hat, greift öfter auf energiereiche bzw. fette Lebensmittel zurück. Die Folge kann Übergewicht sein – so paradox dies im Zusammenhang mit Hunger auf den ersten Blick scheinen mag.
Zink: Mangel im Getreide
Den Kampf gegen versteckten Hunger durch eine bessere Versorgung der Menschen mit Mikronährstoffen, zu denen auch Spurenelemente gehören, hat sich Prof. Dr. Ismail Cakmak von der Sabanci Universität in Istanbul auf die Fahnen geschrieben. Als der Agrarwissenschaftler vor über 20 Jahren in Anatolien herausfand, dass Zinkmangel die Ursache für Wachstumsstörungen im Getreide samt sinkenden Erträgen war, stellte dies eine kleine Sensation dar. Bis dahin war der Zusammenhang zwischen den zinkarmen Böden Anatoliens, den Krankheiten bei Pflanzen und bei Menschen noch ungeklärt.
Obwohl sich Cakmak seit 2008 im internationalen Harvest Zinc Fertilizer-Project engagiert, gibt es noch viel zu tun. Fast die Hälfte der weltweiten Getreidepflanzen leidet unter Zinkmangel. Dies wiederum führt zu einer geringeren Ernte mit einer niedrigeren Zinkkonzentration im Korn und folglich auch in getreidehaltigen Lebensmitteln. Mit der Entwicklung besserer Düngemethoden sowie der Züchtung neuer Getreidesorten, die mehr Zink aus dem Boden aufnehmen und im Korn speichern können, hofft Cakmak die Situation in der Türkei und in Entwicklungs- sowie Schwellenländern weiter verbessern zu können.
Selen: wichtig, aber unbekannt
Weniger bekannt als Zink ist das Spurenelement Selen, das beim Menschen in allen Geweben vorkommt und ein Baustein für etwa 20 Proteine ist. Zudem ist Selen mitverantwortlich für ein intaktes Immunsystem und es wird ihm eine vorbeugende Wirkung gegen Brust- und Prostatakrebs nachgesagt. Trotz seiner wichtigen Eigenschaften ist es in der Bevölkerung eher unbekannt, wie ein Beispiel aus England zeigt. Als das große Einzelhandelsunternehmen Marks und Spencer mit Selen angereichertes Gemüse anbot, reagierten die Verbraucher weniger kauffreudig als erhofft. Der Grund: Ihnen war nicht klar, welchen gesundheitlichen Vorteil sie hierdurch haben könnten.
Fruchtbarkeitsprobleme in der Herde
Auch Tiere können von Selenmangel betroffen sein. Dies ist besonders ein Problem in den Berggebieten Englands, wie die Erfahrungen von Tierärztin Harriet Fuller aus Herefordshire zeigen: „Weidetiere sollten eine Ergänzung bekommen, wenn die Böden zu wenig Selen haben. Daran halten sich die meisten Landwirte auch. Dennoch gibt es noch Betriebe, bei denen sich die Fruchtbarkeitsprobleme in der Herde auf Selenmangel zurückführen lassen.“
Mittlerweile haben Landwirte eine Reihe von Möglichkeiten, um den Selenspiegel ihrer Rinder und Schafe zu erhöhen. Neben Leckschalen wird auf die Verabreichung von Boli zurückgegriffen, eine im Pansen beim Rind abgelegte Kapsel, die regelmäßig Mineralstoffe an das Tier abgibt. „Ich bevorzuge Boli, weil sie bis zu sechs Monate wirken und somit für die Weidesaison ausreichen. Bei Leckschalen haben Studien gezeigt, dass die Aufnahme durch die Tiere unterschiedlich ist“, so die Tierärztin.
Eisen: notwendig für Mensch und Pflanze
Obwohl Eisen in der Natur prominent vertreten ist – das Element macht 28 % der Erdmasse und über 5 % der kontinentalen Erdkruste aus – leiden viele Menschen an durch Eisenmangel bedingter Blutarmut. In Europa sind das fünf bis zehn Prozent. Besonders gefährdet sind Kinder sowie schwangere Frauen, weil sie einen höheren Eisenbedarf für die Blutbildung haben. Eisen ist wichtig für die Synthese des roten Blutfarbstoffs. Eisenmangel kommt ebenfalls bei Pflanzen vor, selbst wenn das Spurenelement im Boden in großen Mengen vorhanden ist. Hier spielt der pH-Wert eine zentrale Rolle. Je basischer der Boden ist, desto weniger verfügbar ist das Eisen. So muss das im Boden in wasserunlöslicher Form vorkommende Eisen erst von den Pflanzen chemisch verändert werden, bevor es in die Zellen transportiert werden kann.
Obwohl Eisen in der Natur prominent vertreten ist, leiden viele Menschen an durch Eisenmangel bedingter Blutarmut. In Europa sind das fünf bis zehn Prozent.
Die am häufigsten genutzte Strategie dabei ist, über die Wurzeln Protonen in die Erde abzugeben, um diese im Bereich der Wurzel anzusäuern, damit sich das Eisen besser löst. Gräser wie Mais, Weizen und Reis können auch so genannte Phytosiderophore (Aminosäuren) ausscheiden, die mit dem Eisen einen neutralen Komplex bilden, der dann über ein spezifisches Transportsystem in die Wurzelzellen aufgenommen wird. Um Eisenmangel zu bekämpfen, stehen dem Landwirt vor allem drei Möglichkeiten zur Verfügung: Eisendüngung im Blätter- oder Wurzelbereich der Pflanze, Anbau von passenden Sorten oder Mischanbau. Nach Angaben der Universität im amerikanischen Minnesota soll Hafer als Mischkultur die Eisenversorgung des Sojas verbessern, indem dieser den Nitratüberschuss und eine zu hohe Bodenfeuchtigkeit verhindert.
Der ganzheitliche Ansatz zählt
Der Landwirt steht am Anfang der Nahrungskette. Damit trägt er eine hohe Verantwortung für die Ernährung der Bevölkerung. Baut er beispielsweise sein Getreide auf Böden an, die arm an Nährstoffen sind, kann selbst bei professionellem Anbau das Produkt kaum besser werden als der Ursprung. Damit dies nicht passiert, sind Beratung, Forschung und Industrie gefragt, den Landwirt zu unterstützen. Auch die Politik darf nicht untätig bleiben, denn Aufgabe einer Regierung ist es, dass allen Verbrauchern Lebensmittel in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung stehen. Zu guter Letzt sind auch die Verbraucher selbst in der Pflicht. Wenn Essgewohnheiten zu ernährungsbedingten Krankheiten führen, ist ein Umdenken angebracht.