Warum wird die professionelle Getreidevermarktung für den Landwirt immer wichtiger?
Für die Landwirte wird es immer wichtiger, das Getreide zum richtigen Zeitpunkt zu verkaufen. Nur so kann er die in einem Wirtschaftsjahr höchstmöglichen Erlöse erzielen. Die Informationen über das Wetter und andere Einflussfaktoren und damit über das Angebot bestimmen das Preisniveau. Statistische Zahlen über die Lagerbestände und das Nachfrageverhalten wichtiger Käuferländer sowie Reaktionen der Spekulanten darauf, haben einen erheblichen Einfluss auf die Preise.
Gelten diese Faktoren für alle EU-Länder gleich oder gibt es Unterschiede?
Grundsätzlich sind die Mechanismen der Preisfindung in ganz Europa gleich. Die Getreidebauern blicken zur Warenterminbörse Euronext (Matif) nach Paris. Dies ist die wichtigste Börse in Europa, an der sich die Erzeugerpreise in jedem Land Europas orientieren. Vor allem Weizen und Mais zählen zu den am häufigsten gehandelten Agrarprodukten an der Matif.
Was sind die drei wichtigsten Dinge, die ein Landwirt für eine erfolgreiche Vermarktung beachten muss?
Zum einen ist es für einen Landwirt wichtig zu erkennen, was ein Terminmarkt ist. So gibt es beispielsweise heute einen Weizenpreis für eine sofortige Lieferung, einen Preis für die Lieferung – neue Ernte – im August, es gibt einen Preis für die Lieferung im November und es gibt einen Preis für die Lieferung im Februar 2018. Beim Beobachten dieser Preise sollte der Landwirt immer zum jeweils höchsten Stand eine Teilmenge verkaufen.
Die Matif in Paris ist die wichtigste Börse, an der sich die Erzeugerpreise in jedem Land Europas orientieren.
Zum Zweiten muss der Landwirt in Stimmungen hinein verkaufen. Wenn beispielsweise der Exportmarkt anspringt, wenn Algerien und Ägypten große Mengen an Getreide kaufen, und der Handel fragt Ware nach, dann sollte der Landwirt möglichst in diese Nachfrage-Stimmung hinein Ware verkaufen. Als Drittes muss der Landwirt immer beobachten, wie hoch die Prämien, also die Differenz zwischen Börsennotierung und Geldkurs im Seehafen, sind. Wenn im Seehafen mehr bezahlt wird als die Matif-Börse notiert, dann ist es immer ein Zeichen für ihn, zu verkaufen.
Grundvoraussetzung für eine möglichst profitable Getreidevermarktung ist aber die Möglichkeit, zu lagern?
Richtig. Lagert der Landwirt selbst ein, kann er die Preise verschiedener Handelspartner vergleichen und das beste Angebot nutzen. Dies gibt ihm einen größeren Handlungsspielraum bei der Vermarktung. Lagert er dagegen beim Handel ein, dann ist er letztlich mehr oder weniger gezwungen, die Ware auch an diesen Handelspartner zu verkaufen. Das Lagern beim Handel ist in der Regel aber günstiger als eigenen Lagerraum zu schaffen.
Wie sehr beeinflusst die Betriebsgröße die Vermarktungsstrategie, und ab wann lohnt sich eine externe Beratung?
Die Größe eines Betriebes bzw. die Angebotsmenge, die ein Betrieb dem Markt zur Verfügung stellt, hat keinen Einfluss auf den zu erzielenden Preis. Das heißt, ein 100 ha-Betrieb erzielt keine schlechteren Preise als ein 4.000 oder 5.000 ha-Hof. Externe Unterstützung kann gerade kleineren und mittleren Betrieben bei der Entscheidungsfindung helfen, um zum bestmöglichen Zeitpunkt zu verkaufen.
Welche Rolle spielt das Bauchgefühl bei einer Verkaufsentscheidung?
Alle Akteure, die an den Agrarmärkten aktiv sind, brauchen Preisprognosen für eine systematische Entscheidungsfindung. Nur so lässt sich ein optimaler Verkaufszeitpunkt innerhalb der Saison finden. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, drei bis vier Mal im Jahr eine Teilmenge an Getreide und Ölsaaten auf Termin zu vermarkten. Dann erreicht man in der Regel immer das höchstmögliche Preisniveau. Eine gehörige Portion Bauchgefühl ist für diese Entscheidungsfindung aber auch wichtig. Wichtig für das Bauchgefühl ist aber die Stimmung am Markt, wenn die Nachfrage da ist.