Bereits früh war klar, dass Landwirtschaft im Leben von Jørgen Audenaert eine wichtige Rolle spielen wird. Er wuchs in einem Ackerbaubetrieb im Südwesten der Niederlande auf, in dem hauptsächlich Weizen, Zuckerrüben und Kartoffeln angebaut wurden. Nachdem einem Studium der Agrartechnik an der Universität Wageningen begann er seine Karriere in der Produktentwicklung beim Feldspritzenhersteller Douven in Horst. Es dauerte nicht lange, bis er Produktmanager wurde. „Ich war von Anfang an in die Entwicklung von Feldspritzen involviert“, erzählt Audenaert. Nach der Übernahme von Douven durch John Deere war er für die Entwicklung einer neuen Feldspritzenserie und ihrer Einführung auf dem europäischen Markt zuständig – die Serie 800.
Einige Jahre später übernahm er eine Position am europäischen Firmensitz von John Deere in Mannheim. Seine Laufbahn beschreibt er so: „Ich war zunächst für das Kundensegment Ackerbau und Lohnunternehmer tätig und kümmere mich nach einer Reorganisation nun um das Produktionssystem Getreide.“ Die Position änderte sich von Zeit zu Zeit, aber die Feldspritzentechnologie gehörte immer zu seinen Kernkompetenzen. „Unter diesem Gesichtspunkt darf ich einen ganz besonderen Job ausüben, der mich rund um die Welt führt. Ich pendle zwischen den Niederlanden und Mannheim, fahre aber auch nach Kaiserslautern oder Zweibrücken. Außerdem besuche ich häufig die Werke von John Deere in den USA.“
Andere Länder – Andere Trends
Als Audenaert Anfang der 90er-Jahre ins Berufsleben einstieg, war die Feldspritzentechnologie noch eine völlig andere. Er erklärt: „Damals lag das Hauptziel in der Kapazitätssteigerung.“ Die Landwirte hatten gerade damit begonnen von Anbau- auf Anhängespritzen umzusteigen. Natürlich ist eine hohe Schlagkraft auch heute noch wichtig, aber interessanterweise gibt es deutliche Unterschiede in den Trends zwischen verschiedenen Ländern.
„In den Niederlanden beispielsweise sind sehr breite Spritzgestänge beliebt, während sich in Deutschland eher sehr große Spritzentanks etabliert haben. In Frankreich wird gerne mit hoher Geschwindigkeit und in Großbritannien häufig mit geringer Aufwandmenge gespritzt. Eins ist aber in allen Ländern gleich: Alle sind an automatisierten Abläufen, wie das Befüllen oder Reinigen der Feldspritzen oder die Verbesserung der Spritzpräzision und damit verbundenen geringeren Auswirkungen auf die Umwelt, interessiert.“
„GPS war vielleicht der größte Durchbruch“
In nur wenigen Jahren hat Jørgen Audenaert eine Vielzahl von neuen Automatisierungsschüben miterlebt: automatisierte Lenksysteme, automatische Teilbreitensteuerung, Systeme zur präzisen Befüllung, automatische Reinigungs- und Spülsysteme, automatische Gestänge-Höheneinstellung und Stabilitätskontrollsysteme. Die meisten dieser Merkmale zählen heute zu den Standardspezifikationen von Feldspritzen.
Dennoch findet er: „Die Einführung der GPS-Technologie war vielleicht eine der größten Durchbrüche, die ich miterlebt habe, da sie standortspezifisches Spritzen ermöglicht hat. Teilbreiten können automatisch an- und ausgeschaltet und selbst einzelne Düsen können während der Spritzarbeiten angesteuert werden.“ Doch das war noch nicht alles: „Wir befinden uns aktuell in einer Entwicklungsphase, in der Pflanzenschutz durch selektivere und zielgerichtetere Steuerungen verbessert wird. Wir konzentrieren uns dabei auf eine Optimierung der Ausbringung, Dosierung und Verteilung, um die standortspezifischen Bedürfnisse der Kulturpflanzen erfüllen zu können.“
Innovation als Folge der Gesetzgebung
Herr Audenaert erkennt unterschiedliche Triebkräfte hinter diesen Innovationstrends: „Uns als Gesellschaft liegt Nachhaltigkeit immer mehr am Herzen und die rechtlichen Bestimmungen zur Verwendung von Pflanzenschutzmitteln nehmen zu. Auch die Landwirte möchten weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen, um ihre Kosten zu senken. Gleichzeitig kann das Ertragspotenzial durch weniger störende Eingriffe sowie eine präzisere und effektivere Steuerung des Pflanzenwachstums weiter gesteigert werden.“
Der technologische Schwerpunkt hat sich verschoben. Statt immer gößerer Leistungsfähigkeit stehen nun ausgewählte und standortspezifische Spritzverfahren im Vordergrund. Dennoch wünscht sich Audenaert von den gesetzgebenden Behörden mehr Augenmaß: „Die Interessen der Landwirte sollten nicht aus den Augen verloren werden, insbesondere bei der Driftminimierung, der optimalen Verteilung der Spritzbrühe sowie der Wirksamkeit des Pflanzenschutzes. Meiner Meinung nach werden diese Aspekte bisher nicht angemessen berücksichtigt.“
Jüngste Entwicklungen
Wie sieht es aktuell aus? Momentan sind Düsen mit Impulsbreitenmodulation der angesagteste Trend. Sie können sogar einzelne Pflanzen besprühen. Das ist an Präzision kaum zu übertreffen. Oder etwa doch? Herr Audenaert antwortet mit einem vielsagenden Lächeln: „Ich kann natürlich nicht alle Pläne von John Deere offenlegen, aber mit der Düsentechnologie ExactApply mit hochfrequenten Impulsen haben wir schon große Fortschritte gemacht.“ Zum ersten Mal, so verrät er uns, ist es möglich, die Dosierungsrate und Tröpfchengröße unabhängig voneinander zu steuern: „Bei verschiedenen Geschwindigkeiten lässt sich so dieselbe Menge ausbringen – ganz ohne Veränderung der Tröpfchengröße.“ Hierbei handelt es sich um nicht weniger als eine kleine Revolution in der Präzisionslandwirtschaft: „Die Dosierung kann über einen großen Einsatzbereich hinweg und je nach Anforderung im Feld präzise variiert werden.“
Wie sieht Audenaert die Zukunft der Feldspritzentechnologie? „Ich denke, die meisten Entwicklungen werden im Bereich der Datenerhebung und Sensortechnologie passieren. So können wir noch genauer ermitteln welche Behandlung jede einzelne Pflanze auf dem Feld bekommen sollte. Das Erkennen und die Unterscheidung von Unkräutern bietet viel Potenzial für die Einsparung von Pflanzenschutzmitteln. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es in Zukunft Technologien zur frühzeitigen Erkennung von Krankheiten geben wird. Da die Beobachtung und Vorhersage des Pflanzenwachstums immer genauer wird, werden sich uns noch viele weitere Möglichkeiten eröffnen.“
Algorithmen sind entscheidend
Laut Jørgen Audenaert hängt die Zukunft der Feldspritzentechnologie weitgehend von behördlichen Regulierungen ab – insbesondere bei unbemannten Maschinen, die von Algorithmen gesteuert werden. „Bis zu welchem Grad kann eine Maschine ohne Bediener sein? Muss jemand immer in oder bei der Maschine sein? All diese Fragen müssen vom Gesetzgeber beantwortet werden.“
Feldspritzen von John Deere
Anhängefeldspritzen und selbstfahrende FeldspritzenZu den Feldspritzen
Darüber hinaus gibt es noch weitere Anwendungsbereiche für Algorithmen – zum Beispiel bei der Klärung der Frage, wo und was gespritzt werden soll. „Auf jedem Fall bedarf es gut entwickelter Entscheidungsalgorithmen. Diese können beispielsweise aus einer Biomassekarte Daten entnehmen und daraus die richtige Dosierung eines Pflanzenschutzmittels berechnen“, erklärt Audenaert. Konnten sich Algorithmen erfolgreich bewähren, liegt es an den Zulassungsbehörden, weitere Pflanzenschutzmittel für die Nutzung mit der geeigneten Präzisionsspritztechnologie freizugeben. „Nehmen wir als Beispiel das Mittel Reglone: Zum Abtöten von Kartoffelkraut ist es nicht zugelassen. Spritzt man jedoch auf der Grundlage von Biomassenkarten, benötigt man nur 40-50 % der Aufwandmenge. Mit einer guten Begründung für den Einsatz des Produktes könnte es immer noch verfügbar sein.“
Sind denn Feldspritzen angesichts der vermehrten Beschränkungen von Chemikalien überhaupt noch das Mittel der Wahl? Eine Frage, die Herr Audenaert ganz klar bejahen kann. „Die Leute denken häufig, dass weniger Produkte auch weniger Einsatz bedeuten. Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall: Will man einen effektiven Pflanzenschutz mit weniger Mitteleinsatz erzielen, muss häufiger, dafür aber mit einer geringeren Aufwandmenge, gespritzt werden. Bei der aktuellen Gesetzeslage in Bezug auf die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln wird davon ausgegangen, dass ein gesamtes Feld mit derselben Menge behandelt wird. Dabei können die Technologien für eine punktgenaue Aufbringung genutzt werden. Bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln sollten auch die Ausbringungstechnologien in Betracht gezogen werden.“
Intelligenter spritzen mit Drohnen
Laut Audenaert stellt sich aber noch eine weitere Frage: Lassen sich auch durch andere Optionen Mehrwerte erzielen? „Aufklärungsflüge und Datenerhebungen können für Landwirte durchaus von Interesse sein. Der Einsatz von Drohnen zum Sptitzen würde Fahrgassen obsolet machen und es könnte unter allen Bodenbedingungen gespritzt werden. Aber wie bei allen Dingen gibt es auch hier Vor- und Nachteile: Unsere selbstfahrenden Maschinen schaffen aktuell mehr als 50 ha pro Stunde. Will man die gleiche Kapazität mit Drohnen erreichen, muss schon eine große Anzahl davon eingesetzt werden.“
Neue Technologien müssen erschwinglich bleiben
Für Audenaert ist das Ziel der Feldspritzentechnologie klar: Idealerweise sollte jede Pflanze kartiert sein, sodass sie genau den richtigen Schutz in perfekt berechneter Menge erhält. „Anfangs tritt einem häufig von allen Seiten Skepsis entgegen. Man bekommt zu hören, dass sich diese eine Technologie doch überhaupt nicht lohnt oder sie nie weiterentwickelt werden wird. Genauso war es bei dem automatischen Lenksystem oder bei der Steuerung einzelner Düsen. Und dann erlebt man doch den Durchbruch.“
Aber können sich Landwirte Feldspritzen, die präzise auf Einzelpflanzniveau spritzen, überhaupt leisten? Herr Audenaert denkt eine Weile darüber nach, bevor er antwortet: „Natürlich muss es immer ein Rückzahlungsmodell geben, ansonsten hat das keine Zukunft. Es kam bereits vor, dass einige Innovationen anfänglich nicht erfolgreich waren, doch in Kombination mit anderen Technologien oder neuen Maschinen für den Kunden elementar wurden. Hierbei spielen Lohnunternehmen eine wichtige Rolle, da sie in Maschinen und Technologien investieren und die Kosten auf eine breitere Kundengruppe verteilen können.“
Eine schnellere Annahme als gedacht
Die Präzisionsspritztechnologie wurde viel schneller als ursprünglich erwartet angenommen, so Audenaert. Kommunikation ist dabei der Schlüssel zum Erfolg: Werden dem Kunden alle Vorteile deutlich präsentiert, lässt der Durchbruch selten auf sich warten. Herr Audenaert erklärt das so: „Das standortspezifische Spritzen und Arbeiten mit Applikationskarten sind dem Landwirt nicht immer von Anfang an klar. Früher war es oft recht kompliziert die verschiedenen Systeme miteinander zu koppeln, aber im Laufe der Zeit wird dies immer weiter vereinfacht. Nun stellen Sie sich mal vor, was passiert, wenn Sensoren verfügbar werden, die Unkraut erkennen und gezielt spritzen. Dann wird diese Technologie erst so richtig populär werden.“
Das größte Hindernis dabei? Glaubt man dem Feldspritzenexperten, dann ist es eindeutig die Unsicherheit bezüglich der Pflanzenschutzgesetze. „Die Erzeuger können überhaupt nicht abschätzen in welche Richtung es sich entwickeln wird und können sich nicht zielgerichtet auf die Zukunft vorbereiten.“
Eine Herausforderung für John Deere
Was bedeutet das für John Deere? Jørgen Audenaert denkt, dass John Deere in den kommenden Jahren derselben großen Herausforderung gegenüberstehen muss wie die gesamte Agrarbranche. „Wir müssen immer nachhaltiger immer mehr Erzeugnisse auf nahezu derselben Fläche produzieren. Aus diesem Grund müssen immer höhere Erträge durch den effizienteren Einsatz von Düngemitteln, Pflanzenschutzmitteln und Wasser erzielt werden.“
Quelle: Geert Hekkert