Die Gebäude des insgesamt 37 ha großen Versuchsfeldes sind etwas in die Jahre gekommen. An der Wand hängt ein Schwarz-Weiß-Porträt vom Gründer des landwirtschaftlichen Versuchswesens, Dr. Julius Kühn, der 1910 starb und seit 2008 der Namensgeber des heutigen Bundesforschungsinstitutes für Kulturpflanzen (JKI) mit Sitz in Quedlinburg ist.
Vordenker Kühn hatte das Gelände, das damals noch weit draußen vor der Stadt lag, erworben, um seinen Agrarstudenten ganz im Sinne der Humboldtschen Universallehre Theorie und Praxis zugleich näherzubringen: Theorie in der Vorlesung, praktische Betrachtung und Experimente an lebenden Pflanzen auf den Versuchsparzellen.
So wanderten seine Studenten, die aus allen Teilen Europas nach Halle kamen, zwischen Uni-Gebäude und Versuchsfeldern hin und her. Das war in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Agrarwissenschaft absolutes Neuland. Ob Julius Kühn damals, im Jahr 1878, bei der Anlage eines 6.000 m2 großen, mehrparzelligen Roggenfeldes schon die Absicht hegte, dass dieses Versuchsfeld auch noch im 21. Jahrhundert weitergeführt werden würde, sei dahingestellt. Fakt ist, dass diese Roggen-Parzellen den 1. Weltkrieg, die Nazizeit, den 2. Weltkrieg und auch die Wiedervereinigung überdauert haben.
So wächst auf dem Versuchsacker seit unglaublichen 142 Jahren ununterbrochen Roggen am gleichen Standort. Deshalb hat er in agrarwissenschaftlichen Zirkeln auch den Namen „Ewiger Roggenanbau“ erhalten.
Dauerversuch über 142 Jahre
Stationsleiter Dr. Helmut Eißner geht über einen schmalen Weg, den wahrscheinlich auch schon sein berühmter Vorgänger, Dr. Julius Kühn Mitte des 18. Jahrhunderts nutzte, entlang. Am Rande der Flur, nur ein paar hundert Meter weiter, ist der große Güterbahnhof von Halle zu sehen. Nach ein paar Minuten Fußweg vom Verwaltungsgebäude entfernt, steht er vor dem zweitältesten pflanzlichen Dauerversuch auf der Welt überhaupt. Nur in Großbritannien, am Forschungsinstitut Rothamstead Research nördlich von London gibt es noch ältere Dauerversuche. „Wir haben hier fünf verschiedene Varianten organischer und mineralischer Düngung und eine ungedüngte Fläche“, erklärt er. Obwohl es erst Anfang März ist und der Winterroggen noch wenig bestockt ist, sind die Unterschiede von Parzelle zu Parzelle ziemlich gut zu erkennen.
Die Ergebnisse aus dem „Ewigen Roggenanbau“ zeigen, dass wir unsere Böden langfristig nachhaltig produktiv nutzen können. Das funktioniert.
Dr. Helmut Eißner
Das Dauerversuchs-Kontinuum von Halle ist bemerkenswert. Allein die langjährigen Messdaten wie beispielsweise Erntemengen und Bodenproben von jeweiligen Dauerdüngerversuchen haben einen großen Erklärungswert für ökologische Veränderungsprozesse. Wenn die Erntemengen dann noch mit klimatischen Daten verglichen werden, gibt dieser Dauerversuch wertvollen Aufschlüsse über die Wechselbeziehung zwischen Boden, Pflanze und Atmosphäre. Auch die Korrelation zwischen Pflanzeninhaltstoffen und dem Angebot an Nährstoffen im Boden war an diesem Standort lange Zeit unter wissenschaftlicher Beobachtung. Heute allerdings nicht mehr, wie Eißner, der seit 2001 für die Versuchsstation verantwortlich ist, bedauert.
Dabei wird auch einem Nicht-Wissenschaftler relativ schnell klar, welche Tragweite dieser historische Boden in Halle für die Pflanzenforschung hat. Es ist ein einzigartiges Archiv der Kulturgeschichte, das seit 2007 vom Land Sachsen-Anhalt als Denkmal „Ewiger Roggenanbau“ besonderen Schutz erfährt. Doch fehlt es an finanziellen Mitteln, um weiterhin gute Forschungsarbeit leisten zu können. Dafür müssen Politik und Forschungslandschaft begeistert werden, was in der Vergangenheit jedoch nicht immer gelungen sei, wie Eißner einräumt.
Dennoch gehe es weiter, freut sich Eißner am Ende seines langen Berufslebens, das mit einen Landwirtschafts-Studium in Halle begann und mit der Betreuung des Versuchsfeldes der Universität Halle endet. In den Achtziger Jahren promovierte er am Leipziger Tropeninstitut zum Sojaanbau. Er arbeitete in Santa Clara auf Kuba an Dauerfeldversuchen und war nach 1990 in Nicaragua, wo er an der Nationaluniversität für Landwirtschaft am Rande der Hauptstadt Managua ebenso im Versuchswesen aktiv war.
Verantwortung im Umgang mit dem Boden
„Alles was wir als Landwirte mit dem Boden anstellen, spiegelt sich auch in den Ernten wider“, sagt der Doktor der Agrarwissenschaft zum vergleichenden Düngungsversuch. Die seit dem Beginn ungedüngte Fläche liefert nach fast 150 Jahren Monokultur noch einen Ertrag von hochgerechnet 1,5 – 1,7 t/ha. „Ob wir nun organisch oder mineralisch düngen, ist für den Boden relativ bedeutungslos“, konstatiert Eißner, „jedoch waren die Erträge mit Stallmistdüngung in trockenen Jahren höher, weil mit mehr Organik auch die Wasserhaltefähigkeit der Böden steigt.“ Besonders beeindruckend beim Ewigen Roggenanbau ist für ihn der Vergleich zwischen der ungedüngten Parzelle und einer Parzelle, die zwar von 1893 bis 1953 mit Stallmist beschickt wurde, aber seither nicht mehr. Obwohl also seit nunmehr fast 70 Jahren keine organische Düngung mehr erfolgte, ist immer noch eine Wirkung festzustellen.
„Der Ertrag liegt seit Jahren konstant bei 0,5 t/ha über der ungedüngten Fläche“, berichtet Eißner. „Der Boden hat wahrlich ein langes Gedächtnis“, fügt er mit kritischem Blick in die Zukunft hinzu. Die Generationen nach uns werden sich mit den Folgen gegenwärtiger Bodennutzung auseinandersetzen müssen. „Welche Verantwortung im Umgang mit dem Boden steckt, das habe ich letztlich hier auf den Feldern der Dauerversuche gelernt“, sagt der 65-Jährige. Sind denn schlecht behandelte Böden überhaupt reparabel? Eißner weicht etwas aus. „Wir haben ja keine Wahl, keine Alternative. Wenn wir an der flächendeckenden Landwirtschaft in Deutschland festhalten wollen, dann muss ein Wiedergutmachen auch möglich sein. Der Boden ist reparabel, aber es muss ja nicht dazu kommen, dass er überhaupt Schaden nimmt.“
Orientierung für die Zukunft
Diese Aussage teilen sicherlich alle Landwirte. Und von daher wäre es nicht nur wünschenswert, sondern regelrecht notwendig, dass der „Ewige Roggenanbau“ als Orientierungshilfe für die Landwirtschaft nicht nur weitergeführt wird, sondern vielleicht sogar erweitert wird. Bieten doch die historischen Daten zum Ewigen Roggenbau hinsichtlich aller zukünftigen Fragen zum Klimawandel und dessen Wirkung auf landwirtschaftliche Produktion wichtigen wissenschaftlichen Input für kommende Diskussionen.
„Nachhaltig produktiv sein“
Interview mit Dr. Helmut Eißner, Leiter der Lehr- und Versuchsstation der Universität Halle.
Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen: Wird es im Jahr 2050 noch den Dauerversuch „Ewiger Roggenbau“ geben?
Ich bin fest davon überzeugt, dass es den „Ewigen Roggenbau“ dann immer noch geben wird. Ob die anderen Dauerdüngungsversuche bis dahin noch weiterlaufen, ist fraglich. Wenn doch, dann wahrscheinlich eher als Direktsaatversuche, bei denen auf Bodenbearbeitung verzichtet wird, um die Bodenverschleppung zu vermeiden.
Welche Rückschlüsse werden Agrarforscher aus dem „Ewige Roggen“ hinsichtlich des zu erwartenden Klimawandels ziehen können?
Der Roggen ist als C3-Pflanze ein guter Indikator für steigende CO2-Werte in der Atmosphäre. Zum Vergleich haben wir ja auch den Mais im Versuch, der als C4-Pflanze ein guter Indikator für Temperatur- und Trockenresistenz darstellt. Dabei sind auf unserem absorptionsschwachen Standort (42 Bodenpunkte) vor allem die Wechselwirkungen von Boden und Pflanze aussagekräftig. Trotzdem müssen wir bescheiden bleiben, denn die Ergebnisse von Parzellen mit einer Fläche von 2.000 m2 können wir nicht einfach auf 2 Mio. ha Mais übertragen.
Falls die Durchschnittstemperatur am Versuchsstandort um 2 °C steigen würde und die Regenverteilung ähnlich bliebe wie heute, dann wirkt sich das positiv auf den Roggen aus?
Wenn sich die Klimaerwärmung so darstellt, dass die Sommer nur geringfügig wärmer, die Winter aber deutlich wärmer werden, dann wäre es noch okay. Allerdings deutet alles darauf hin, dass es im Winter nasser und im Sommer trockener wird. Deshalb arbeiten die Züchter auch an Sorten, die schon Mitte Juni reif sind.
Was wünschen Sie sich für das Forschungsumfeld des „Ewigen Roggenbau“?
Unsere Versuchsstation braucht rundum eine bauliche Erneuerung. Es bedarf einer neuen Infrastruktur und einem besseren Personalschlüssel. Wir brauchen mehr Mitarbeiter, um über die Tätigkeiten auf den Versuchsfeldern hinaus auch die wichtigen Laboranalysen bewerkstelligen zu können. Zudem braucht es eine wissenschaftliche Kraft, die langfristig und tiefgründig an der Thematik forscht. Inhaltlich wäre es sicherlich sinnvoll, die Langzeit-Dauerversuche in Bad Lauchstädt (seit 1902) und in Thyrow (seit 1933) enger miteinander zu verzahnen, ohne deren jeweilige Einzigartigkeit anzutasten.
Welche Forschungsinhalte wären für sie in Zukunft interessant?
Seit über 20 Jahren reden wir in Deutschland über Landwirtschaft fast nur noch im Kontext von Extensivierung und Umweltschutz. Dabei ist doch die Hauptfrage nach wie vor die Produktivität. Diese Frage stellt sich umso mehr, wenn man weiß, dass viele tropischen Böden nicht so produktiv und nachhaltig nutzbar sind wie die in unseren Breiten.
Welche Erkenntnisse bietet Ihnen dafür der „Ewige Roggenbau“?
Die Ergebnisse aus dem „Ewigen Roggenbau“ zeigen doch, dass wir unsere Böden langfristig nachhaltig produktiv nutzen können. Das funktioniert. Sowohl mit Mineraldünger als auch mit organischen Düngemitteln.
Für Sie passen also Nachhaltigkeit und Produktivität zusammen?
Es liegt doch an uns, ob es zusammenpasst. Sicherlich braucht es dafür kreislaufwirtschaftliches Denken und Handeln und das in generationsübergreifenden Zeiträumen.
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