Unser Kohl hat eine orien­ta­li­sche Note

Wissen­schaftler, die die Zusam­men­hänge zwischen verschie­denen Kohl­sorten unter­suchten, fanden heraus, dass unser Kohl in Nord­west­eu­ropa eine histo­ri­sche Verbin­dung zum Nahen Osten hat. Dies könnte die zukünf­tige Entwick­lung neuer klima­re­sis­tenter Kohl­sorten begüns­tigen.

Robuste Sorten wie Grün­kohl, Kopf­kohl und Rosen­kohl scheinen gut an das Klima in Nord­west­eu­ropa ange­passt zu sein. Aller­dings war die Entwick­lung vieler Kohl­arten von ihren wilden Vorfahren, die ursprüng­lich an der Nord­see­küste zu finden waren, zu den heutigen Formen recht lang­wierig.

Diese lange Entwick­lung wurde in einer umfas­senden Studie eines nieder­län­di­schen Forscher­teams beleuchtet. Die Analyse ergab, dass Kohl (Bras­sica oleracea) in mehreren Regionen unab­hängig vonein­ander domes­ti­ziert wurde, was zu einer breiten Palette von Nutz­pflanzen führte, darunter knol­len­bil­dende Sorten wie Kohl­rüben, blühende Sorten wie Blumen­kohl und Brok­koli und kompakte Kopf­kohl­sorten.

„Die Studie zeigt, dass Kohl relativ einfach domes­ti­ziert werden kann. Beson­ders deut­lich wird dies an seiner Fähig­keit, in verschie­denen Regionen unab­hängig vonein­ander essbare Blüten zu entwi­ckeln“, sagt Guusje Bonnema, Züch­tungs­for­scherin an der Univer­sität Wagen­ingen, die die Studie leitete.

Selek­tion und die Zinn­händler

Guusje Bonnema ist Züch­tungs­for­scherin an der Univer­sität Wagen­ingen. Foto: WUR

Zusammen mit ihrem Team verglich Guusje die DNA moderner Hybrid­kohl­sorten mit einer Viel­zahl von Land­rassen (eine Land­rasse wird im Allge­meinen als eine kulti­vierte, gene­tisch hete­ro­gene, loka­li­sierte Sorte defi­niert, die an die Boden- und Klima­be­din­gungen ihres Stand­orts und an tradi­tio­nelle Bewirt­schaf­tungs­me­thoden ange­passt ist), die aus Genbanken welt­weit bezogen wurden.

Durch die Analyse von DNA-Frag­menten oder „Finger­ab­drü­cken“ konnten sie die gene­ti­schen Bezie­hungen zwischen verschie­denen Kohl­pflanzen zurück­ver­folgen. Was haben sie also heraus­ge­funden? „Die frühe euro­päi­sche Selek­tion konzen­trierte sich auf wilde Sorten mit reich­lich und viel­fäl­tigen Blät­tern und legte damit den Grund­stein für den heutigen Grün­kohl und Palm­kohl“, erklärt Guusje. „Von dort gelangte die Züch­tung nach Asien, wo zusätz­liche Merk­male mit den west­eu­ro­päi­schen Grün­kohl­sorten kombi­niert wurden.“ Dies wirft eine faszi­nie­rende Frage auf: Wie gelangten diese Merk­male nach Asien?

Dabei soll der Zinn­handel eine bedeu­tende Rolle gespielt haben. Der Zinn­bergbau entlang der briti­schen und fran­zö­si­schen Küste und der Handel mit Zinn um 2500 v. Chr. erleich­terten wahr­schein­lich den Trans­port von Samen an Bord von Schiffen in den Nahen Osten. „Wir vermuten, dass aus diesen frühen Kohl­sorten Vorläufer von Kopf­kohl und Blumen­kohl entstanden sind“, erklärt Guusje. „Diese kulti­vierten Sorten wurden anschlie­ßend in Asien mit wilden Verwandten gekreuzt, bevor sie schließ­lich ihren Weg zurück nach West­eu­ropa fanden, wo sie weiter verfei­nert wurden.“

Klima­re­sis­tent

Die Forschung hat wert­volle Einblicke in die gene­ti­sche Viel­falt, die in den Genbanken vorhanden ist, gelie­fert. Züchter können nun das Ausmaß der Varia­tion zwischen Kohl­sorten und ihre gene­ti­schen Bezie­hungen besser verstehen. Die Züch­tung konzen­triert sich derzeit darauf, die Wider­stands­fä­hig­keit von Nutz­pflanzen gegen­über den Heraus­for­de­rungen durch den Klima­wandel zu verbes­sern.

„Fami­li­en­foto“: Kohl weist einen außer­ge­wöhn­li­chen gene­ti­schen Reichtum auf. Foto: WUR

„Die Fülle an Möglich­keiten, wider­stands­fä­hige Kohl­sorten zu züchten, unter­streicht die gene­ti­sche Viel­falt inner­halb der Kohl­fa­milie“, sagt Jorrit Lind, ein Kohl­züchter bei dem nieder­län­di­schen Unter­nehmen Bejo Zaden, der aktiv an diesem Unter­fangen betei­ligt ist. Land­wirte sind auf der Suche nach robusten Sorten, die über längere Zeit­räume unter extremen Bedin­gungen gedeihen können. Obwohl die neuen Erkennt­nisse keinen unmit­tel­baren Zugang zu den dürre­resis­tenten Eltern­pflanzen aus dem Nahen Osten bieten, sind die Forschungs­er­geb­nisse für unsere Züch­tungs­be­mü­hungen von entschei­dender Bedeu­tung.

„Die Sorten, die histo­risch in Ländern wie der Türkei, Syrien und dem Libanon ange­baut wurden, sind für moderne Anbau­me­thoden nicht mehr geeignet“, fährt Jorrit fort. „Daher besteht unsere Züch­tungs­ar­beit darin, rele­vante Merk­male aus dem gene­ti­schen Pool hiesiger nord­west­eu­ro­päi­scher Sorten und ihrer Verwandten aus dem nahen Osten auszu­wählen.“

Eine komplexe Eigen­schaft

Jorrit glaubt, dass es bei der Vorzüch­tung, einem grund­le­genden Arbeits­schritt in der Pflan­zen­züch­tung, noch Verbes­se­rungs­mög­lich­keiten gibt, beispiels­weise durch die Inte­gra­tion von Eigen­schaften wilder Verwandter oder den Austausch von Merk­malen zwischen eng verwandten Kohl­sorten.

„Es ist jedoch wichtig, nicht voreilig zu sein“, fügt er hinzu. „Selbst mit Hilfe inno­va­tiver Tech­niken wie dem Gen-Editing – sofern deren Verwen­dung gestattet ist – ist die Verän­de­rung der Klima­re­si­lienz nicht so einfach wie das An- oder Ausschalten einiger Gene. Klima­re­sis­tenz ist eine komplexe Eigen­schaft, die von vielen Genen beein­flusst wird. Doch mit einem tieferen Verständnis der gene­ti­schen Zusam­men­hänge ist mein Opti­mismus für zukünf­tige Fort­schritte nur noch gewachsen.“