Lange unternahmen die Europäer große Anstrengungen, um Moore urbar zu machen, also trockenzulegen. Die Bemühungen zeigen eine Bilanz, die Experten heute, mit Blick auf den Klimawandel, Sorgen bereitet: Rund die Hälfte der Moore auf dem europäischen Kontinent gelten wegen Torfabbau und Entwässerung durch Land- und Forstwirtschaft als geschädigt.
Mit der Klimakrise änderte sich der Blick auf die Moore. Denn entwässerte organische Böden geben Treibhausgase in die Atmosphäre ab – EU-weit etwa 220 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr. Damit sind sie für etwa fünf Prozent der Gesamtemissionen verantwortlich. Dagegen speichern intakte Moore Kohlenstoff. Dennoch ist der Moorschutz nur in knapp der Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten verankert. Förderprogramme zur Wiederherstellung der Moore bietet nur eine Handvoll der EU-Staaten an, unter anderem Deutschland mit der Nationalen Moorschutzstrategie.
Wie schützen Moore das Klima?
Grund dafür, dass Moore als Kohlenstoffsenke fungieren, ist der hohe Wasserstand. Er sorgt dafür, dass der Boden kaum Sauerstoff enthält und abgestorbenes pflanzliches Material nicht, wie sonst, von aeroben Mikroorganismen unter Ausstoß von CO2 abgebaut wird. Stattdessen lagert sich das organische Material ab, es entsteht Torf. Werden Moore trockengelegt, gelangt Sauerstoff in den Boden. Aerobe Mikroorganismen beginnen, das organische Material abzubauen. In der Folge entweichen Kohlenstoff und Stickstoff als klimaschädliches CO2 und N2O (Lachgas) in die Atmosphäre.
Wie hängen Moore und Klima zusammen?
220
Millionen Tonnen
CO₂-Äquivalente
stoßen trockengelegte Moorböden in der EU pro Jahr aus.
120.000
Hektar
Moor wurden in der EU bisher wiedervernässt.
16,7
Millionen Tonnen CO₂
können mit der Wiedervernässung landwirtschaftlich genutzter Moore und der Reduktion des Torfverbrauchs im Garten- und Landschaftsbau in Deutschland eingespart werden.
Deshalb fordern Klimaschützer, den Verlust noch intakter Moore zu stoppen sowie mit der Wiedervernässung von Mooren den Torfkörper als Langzeitkohlenstoffspeicher zu erhalten. „Die Moorwiedervernässung bietet die große Chance, auf sehr kleiner Fläche einen sehr großen Beitrag zu leisten“, betont Dr. Sabine Wichmann von der Universität Greifswald. Sie forscht am Lehrstuhl für Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Landschaftsökonomie schon seit Jahren über Paludikulturen – Pflanzen, die einen flurnahen Wasserstand tolerieren.
Wertschöpfung auf Sumpfland – ist das möglich?
Bisher galten Moorflächen für die Landwirtschaft als weitestgehend unbrauchbar. Der hohe Wasserstand von 0-10 cm unter Flur in wiedervernässten Mooren bedeutet, dass die herkömmliche Bewirtschaftung an ihre Grenzen kommt – sowohl von den Kulturen, die man anbauen kann, als auch von der Technik. Nur der hohe Wasserstand kann bewirken, dass der Torf erhalten bleibt. Die wenigsten Landwirte werden daher ihre Moorböden nun von sich aus für den Klimaschutz wiedervernässen.
Was es braucht, sind wirtschaftliche Anreize: Fördermittel und Wertschöpfung durch Paludikulturen. Passend zu den politischen Zielen sind Paludikulturen seit 2023 erstmals über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU beihilfefähig. Das macht es für Landwirte interessanter, über deren Anbau nachzudenken. Wer Paludikulturen anbauen will, muss den Standort genau kennen. Wie andere Kulturpflanzen auch, hat jede Paludikultur eigene Ansprüche, z.B. an die Wasserverfügbarkeit und die Nährstoffgehalte.
Rohrkolben reagiert beispielsweise besonders empfindlich, wenn das Wasser niedrig steht, wohingegen Nassgrünland damit gut zurechtkommt. Schilfrohr ist auf wechselnde Wasserstände angewiesen und benötigt ausgerechnet im Frühsommer, als in den letzten Jahren vielerorts Trockenheit herrschte, nasse Füße. Torfmoose wachsen nur auf sauren, nährstoffarmen Hochmoorböden. Nährstoffreiche Standorte eignen sich dagegen für Schilf und Rohrkolben.
Nutzung von Moorbiomasse
Flächenmäßig bisher am weitesten verbreitet ist die Moornutzung in Form von Nassgrünland. Der Aufwuchs wird in der Regel jedoch nur gemulcht oder beräumt, um eine Mindestbewirtschaftung zu gewährleisten und die Prämien zu erhalten. Die Futterwerte sind meist zu schlecht für die weitere Verwertung. Dabei ließe sich die Biomasse durchaus verwerten, z.B. für die Energieerzeugung. Das Heizwerk Malchin verfeuert Niedermoorbiomasse bereits seit 2014 zur Nahwärmegewinnung. Den meisten Biogasanlagen fehlt es dagegen für die Verwertung halmgutartiger Biomasse noch an entsprechender Technik.
Paludikultur bedeutet vor allem eine stoffliche und energetische Verwertung der Moorbiomasse; Lebensmittelproduktion ist bei torferhaltenden Wasserständen nur in geringem Umfang möglich.
Dr. Sabine Wichmann
Interessant sei, so Dr. Wichmann, aber vor allem die stoffliche Verwertung des Aufwuchses, z.B. als Arznei, als Dämmstoff, als Holzersatz, als Substrat im Gartenbau oder für Papier und Pappe. Hierfür bieten auch Torfmoose, Rohrkolben, Schilf, Weiden oder Medizinalpflanzen wie Sonnentau Potential. Die ersten Unternehmen verarbeiten Moorbiomasse zu Möbelplatten und Dämmmaterial. Zelfo aus Schwedt hat Naturfaserplatten für den Möbelbau aus Paludikulturen entwickelt. Das Torfwerk Moorkultur Ramsloh verwendet in Niedersachsen auf ehemaligem Hochmoorgrünland angebaute Torfmoose in seinen Substraten. Rohrkolben finden in den Dämm- und Bauplatten von Typhatechnik Verwendung. Schilf dagegen wird z.B. beim Marktführer Hiss Reet nicht nur zur Dacheindeckung verkauft, sondern auch zu Raumakustikplatten, Sonnenschirmen und Trinkhalmen weiterverarbeitet.
Kulturen mit Potential
Im Raum steht die Frage, ob sich der Aufwand für den Anbau von Paludikulturen nicht nur für die Umwelt, sondern auch für den einzelnen Betrieb finanziell auszahlt. Pauschal beantworten lässt sich das nicht, wie Dr. Wichmann in ihrer Dissertation (2021) herausfand. Sie untersuchte die gängigsten Paludikulturen auf ihre Wirtschaftlichkeit. Einige erwiesen sich, abhängig von der Verwertungsrichtung, als recht vielversprechend.
Für Nassgrünland beispielsweise fallen weniger Investitionskosten an, das Wassermanagement ist weniger komplex und es existiert bereits etablierte Spezialtechnik für die Bewirtschaftung. Bei vielen anderen Paludikulturen mangelt es daran noch. Neben einer Honorierung der Klimaschutzleistung, z.B. über die Agrar-Umwelt- und Klimaschutzmaßnahme „Stauhaltung“ sind hier auch Synergien mit Naturschutzzielen möglich. Die Forscherin geht deshalb davon aus, dass auch in Zukunft Nassgrünland den Großteil der wiedervernässten Flächen ausmachen wird.
Torfmoose für die Orchideenkultur kommen derzeit aus Chile oder Neuseeland, man könnte sie aber ebenso in Deutschland produzieren. Hier wäre die Produktion bei einem optimierten Verfahren und guten Erträgen schon jetzt kostendeckend. Was zu den aktuellen Preisen noch nicht funktioniert, ist allerdings der Einsatz als Torfersatz. „Torf ist einfach noch zu billig“, erklärt Dr. Wichmann. So wird Torfmoos deutschlandweit bislang auf nur etwa 25 ha angebaut. 35.000 ha wären nötig, um Weißtorf in Substraten für den Gartenbau komplett durch Torfmoose zu ersetzen.
Einheimische Arten für Paludikulturen
Schilfrohr deckte, als Dachschilf verwertet, in allen geprüften Fällen die Kosten. „Inzwischen sieht das sogar noch besser aus, weil sich die Preise für Schilfrohr in den letzten Jahren verdoppelt haben“, schätzt die Forscherin. Der hiesige Dachschilfmarkt hat einen Flächenbedarf von etwa 10.000 ha. Deutsche Flächen stellen davon nur 1000 ha – ein Tropfen auf den heißen Stein, findet Reetdachdecker und Rohrwerber Ralf Betge. Differenzierter sieht das Bild bei der Verfeuerung des Schilfs aus: Hier hängt die Wirtschaftlichkeit davon ab, ob für die Schilfbestände Agrarprämien beantragt werden können. Auch Rahmenbedingungen wie die Maschinenauslastung und die Erträge sind relevant.
Können Moorböden das Klima schützen?
5
Prozent der
CO₂-Gesamtemissionen
machen entwässerte Moorböden in der EU aus.
50.000
Hektar
Moor pro Jahr müssten in Deutschland zur Erreichung der Pariser Klimaziele wiedervernässt werden.
2
Millionen Hektar
Moor pro Jahr müssten zur Erreichung der Pariser Klimaziele weltweit wiedervernässt werden.
Neben den etablierteren Kulturen ließen sich weitere einheimische Arten für Paludikulturen entwickeln. Einige Kandidaten eignen sich sogar für die menschliche Ernährung: Wildreis, Cranberrys und Wasserschwaden zum Beispiel. Das GMC hat eine Datenbank potentieller Paludikulturen aufgebaut. Sie enthält hunderte typische Moorpflanzen und feuchtetolerante Nutzpflanzen, die auf ihre mögliche Nutzbarkeit analysiert wurden.
Investitionen nötig
Landwirtschaftliche Betriebe, die mit dem Anbau von Paludikulturen beginnen wollen, stehen vor der großen Herausforderung, dass sie bei den meisten Paludikulturen nicht ohne Weiteres bestehende Märkte adressieren und mit den eigenen Erzeugnissen beliefern kann. Zudem braucht es zunächst Investitionen – in die Wiedervernässung, die Technik, die Weiterverarbeitung. „Aber wenn die Umstellung gefördert werden würde, gäbe es viele Situationen, in denen sich Paludikulturen rechnen würden und eine Alternative zur Nutzungsaufgabe bieten können“, erklärt die Moorexpertin.
Landwirte, die mit der Wiedervernässung ihrer Moorböden beginnen wollen und Rat suchen, können sich an die Wasser- und Bodenverbände wenden. Das sind etablierte Strukturen, die für das Wassermanagement in der Landschaft verantwortlich sind und zwischen den Interessen vermitteln. Dr. Wichmann empfiehlt den Landwirten außerdem, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass sie Informationsbedarf haben, damit sich auch die Landwirtschaftsberater stärker mit dem Thema Wiedervernässung und Paludikulturen auseinandersetzen.
Schilfrohr made in Germany
Schilfrohr (regional auch Ried, Reith, Reet oder Rohr genannt) ist eine traditionelle Paludikultur. Ralf Betge aus Benz auf Usedom beherrscht das alte Handwerk des Reetdachdeckens und Rohrwerbens, also der Schilfernte und -aufbereitung, noch. Der gelernte Landmaschinenschlosser hat es von seinem Vater gelernt. Noch vor kurzem warb er auf etwa 20 ha jährlich 20.000 Bunde Schilfrohr. Derzeit stellt Betge das Unternehmen neu auf – wenn alles glatt geht, will er in der aktuellen Saison 2023/2024 erstmals 70 ha Schilfrohr bewirtschaften.
Künftig möchte er sich nur noch aufs Rohrwerben konzentrieren und das Dachdecken anderen überlassen. „Ich will Material aus der Region für Dächer in der Region liefern“, betont er. „Dafür stehen wir mit unserem Handwerk.“ Für diesen Plan hat er bereits eine neue Lagerhalle gebaut und zusätzliche Flächen gepachtet. Einige der neuen Flächen gehören Landwirten, die sie bislang als Nassgrünland bewirtschafteten. „Die hatten schon die Nase voll, weil sie die Fläche immer mähen mussten“, erklärt Betge.
So funktioniert der Schilfrohr-Anbau
Für die Landwirte ist es eine Erleichterung, wenn der Rohrwerber die Flächen für sie mäht. Auch Betge hofft auf einen guten Deal, denn diese Schilfgürtel gelten bereits als landwirtschaftliche Flächen, was ihm den Antrag auf Bewirtschaftung bei der Naturschutzbehörde erspart. Außerdem muss er die Flächen nicht erst aufwendig vorbereiten. Wird ein Schilfgürtel neu in Nutzung genommen oder wurde er eine Saison nicht geerntet, muss er zunächst gemäht und gemulcht werden, um alte Halme aus den Vorjahren loszuwerden. Erst im folgenden Jahr könnte Betge dann mit einer Ernte rechnen.
Es wird viel Schilf aus China eingeführt. Ich weiß nicht, ob es reichen würde, wenn wir alle Rohrflächen, die wir in Deutschland haben, abmähen würden. Aber im Moment ist das, was wir in Deutschland ernten, ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ralf Betge
Sobald das Schilf trocken und ausgereift ist, beginnt die Ernte. Bis in die 90er Jahre erntete Betge noch mit der Sense. Dann baute er sich eine Erntemaschine. Weil deren Flächenleistung schon länger nicht mehr ausreichte, erwarb er 2017 einen neuen Ernter – eine Sonderanfertigung. Doch die Maschine war zu schwer, der Bodendruck zu groß. Nun will sich Betge wieder selbst ans Werk machen und einen neuen Ernter konstruieren.
Auch eine automatische Aufbereitungsstraße ähnlich der „Minifix riet bindmachine“ vom niederländischen Maschinenbauer Ale Stoker will er bauen. Denn bisher wird noch jedes Bund per Hand „ausgeschiert“, also durch einen Kamm durchgezogen, um Gräser und kurze Halme zu entfernen. Für den kleinen Betrieb ist das viel zu teuer. Mit dem Klimawandel hat sich zudem der optimale Erntezeitpunkt vom Dezember ans Ende des Winters verschoben. Dann muss alles sehr schnell gehen, denn erlaubt ist die Ernte nur bis 28. Februar.