„Uns geht es gut hier“, Landwirt Shavkat Khamidov leuchtet über das ganze Gesicht, Goldzähne blinken aus dem Mund, die Schiebermütze sitzt ihm neckisch auf dem Kopf. Er ist „Uns geht es gut hier“, Landwirt Shavkat Khamidov leuchtet über das ganze Gesicht, Goldzähne blinken aus dem Mund, die Schiebermütze sitzt ihm neckisch auf dem Kopf. Er ist auf einem landwirtschaftlichen Betrieb, der aus der einstigen Kolchose Kommunizm entstanden ist, für den Anbau von Baumwolle zuständig.
Auf dem Betrieb sind 40 ha Fläche mit Baumwolle bepflanzt, 200 ha mit Weizen, beides wird in Rotation angebaut, wie er erzählt. Es gibt auch Tierhaltung, darunter rund 100 Jaydari-Rinder für die Produktion von Fleisch und Milch. Der Betrieb liegt am Ortsrand der Bezirkshauptstadt Namangan im fruchtbaren Ferghanatal. Baumwolle wird in dieser Region 300 km südöstlich der usbekischen Hauptstadt Taschkent viel angebaut und Baumwollfelder bestimmen das Landschaftsbild.
Baumwollernte von Hand
„Es sind hier klasse Bedingungen, Boden, Klima, Wasser passt alles gut“, schwärmt Khamidov. Im Schatten der Bäume bittet er an den Tisch zu frisch gebackenem Brot und einer Schüssel Joghurt. Würde die Zeit reichen, hätte er zu Ehren des Gastes gerne ein Schaf geschlachtet, entschuldigt er sich. Usbeken sind dafür bekannt, Gastfreundschaft sehr ernst zu nehmen. „Gott sei gedankt, wir haben hier ein gutes Leben“ gesellt sich Direktor Abdujabbor Hayidov an den Tisch. Zusammen stapfen sie voraus auf das erste Baumwollfeld, das gleich hinter den Bäumen liegt. Der Schlag ist elf Hektar groß, so Khamidov.
Die beiden Männer verschwinden in den fast mannshohen Sträuchern, an denen Anfang November nur noch vereinzelt ein paar weiße Baumwollflocken hängen. Erntezeit ist in dieser Gegend zwischen Mitte September und Ende Oktober. Man rechnet mit rund sechs Tonnen Baumwolle pro Hektar. Dann kommen zu den 40 Vollzeitbeschäftigten, die zum Betrieb gehören, noch einmal zwischen 80 und 100 Saisonarbeiter hinzu, um die Baumwolle von Hand zu ernten. „Nein, Lehrer, Krankenhauspersonal oder Schüler werden nicht mehr zur Arbeit abkommandiert“, betont Khamidov. „Das ist inzwischen verboten. Es gibt viele Hausfrauen hier, die sich gerne etwas dazu verdienen möchten.“ In den letzten Jahren hätte sich viel getan in der usbekischen Baumwollindustrie.
Es sind hier klasse Bedingungen, Boden, Klima, Wasser passt alles gut.
Shavkat Khamidov
Kolchosen und Monokultur
Baumwolle war einmal die bedeutendste Feldfrucht Usbekistans. Bis zu seiner Unabhängigkeit 1992 gehörte das Land zur Sowjetunion und produzierte knapp 70 % der Baumwolle und die Sowjetunion wurde dadurch hinter den USA weltweit zweitwichtigster Baumwollproduzent. „Weißes Gold“ wurde die Baumwolle genannt, weil sich damit viel Geld verdienen ließ. Das ging auf Kosten von Mensch und Umwelt. Die Sowjetregierung forcierte den Anbau über kollektive Landwirtschaft (Kolchosen) und durch Monokultur.
In einer Region, die vorwiegend aus Wüste besteht, war auch Wasser ein limitierender Faktor. Dafür wurden die zwei großen Flüsse Amudarja und Syrdarja umgeleitet, die Wasser zum Aralsee brachten. Tausende Kilometer an Kanälen wurden gebaut. Der Aralsee begann zu schrumpfen, die wichtige Fischereiindustrie brach ein. Das und der hohe Einsatz von Chemikalien und die Konzentration auf den Anbau von Baumwolle anstatt andere Feldfrüchte führte zu Armut, Krankheiten und Umweltverschmutzung.
Auch nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion wurde der Baumwollanbau vom Staat her vorgeschrieben und reguliert, schließlich machte die Baumwolle zu der Zeit noch 90 % der Exporte aus. Kam die Ernte, stand das Land still. Zwangsarbeit. Schüler, Studenten, Krankenschwestern und Lehrer mussten ran, sogar Kinder. Internationale Kritik und der Boykott von usbekischer Baumwolle folgen. 2016 kommt mit Shavkat Mirziyoyev ein neuer Präsident an die Macht. Er leitet Reformen ein. Er schaffte die Zwangsarbeit ab. 2022 gibt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen bekannt, dass die usbekische Baumwollindustrie frei von Kinder- und Zwangsarbeit ist.
Landwirtschaft im Cluster
Weitere Schritte: Der Baumwollmarkt wird liberalisiert, keine Planwirtschaft, keine Produktionsquoten mehr. Die alte Struktur soll durch eine neue ersetzt werden. Zuerst auf einem kleinen Gebiet, startete 2017 das Pilotprogramm „Baumwoll-Cluster.“ Die Cluster waren Gruppen von Einzelpersonen, Unternehmen und Investoren – auch aus dem Ausland, wie Russland, USA oder Singapur – die Kapital zur Verfügung stellten und den Landwirten die Produktionsmittel beschafften. Anstatt für den Staat arbeiteten die landwirtschaftlichen Betriebe innerhalb eines Clusters. Inzwischen dominieren diese „Baumwoll-Textil-Cluster“ auf dem usbekischen Baumwollmarkt. Laut Weltbank gab es 2018 noch 15 Cluster, die 16 % der Baumwollanbaufläche bewirtschafteten, 2020 waren es bereits 92 %, die auf 88 % der Baumwollflächen wirtschafteten.
Die ehemalige Kolchose Kommunizm, wo der heute 62-jährige Shavkat Khamidov einst als Agronom im Bereich Baumwollanbau zu arbeiten begann, ist Teil des „Baumwolle-Textil-Cluster“ von Taschbulak (Toshbuloq-TEKS Cluster). Seine Arbeitsstätte konzentriert sich auf den Anbau der Baumwolle, andere Betriebe im Cluster sind für die Reinigung der Baumwolle, Verarbeitung oder Vermarktung zuständig. Und statt staatlich verordnetem Arbeitseinsatz kommen jetzt Erntehelfer, weil sie dafür „gut bezahlt werden“, wie Khamidov sagt. Für das Kilogramm Pflückgut gibt es umgerechnet zwei Dollar, zum Ende der Saison, wenn die Sträucher nicht mehr so dicht behangen sind, bis zu zweieinhalb Dollar. Eine Person schafft es, durchschnittlich rund 20 Kilogramm am Tag von Hand zu pflücken. Geerntet wird von neun Uhr morgens bis nachmittags um fünf. Das bedeutet viele Stunden bücken bei hohen Temperaturen. Denn selbst im September klettert das Thermometer noch auf über 40 Grad.
100 % Verarbeitung im Land
Im September 2022 verkündet Präsident Shavkat Khamidov offiziell, das Quotensystem für Landwirte sei abgeschafft und die usbekische Baumwolle werde nicht mehr exportiert, sondern fast vollkommen im Inland zu Garn oder Textilien verarbeitet. Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Landes. Anstatt nach Russland, Türkei oder Pakistan zu exportieren, werden im eigenen Land Mehrwert und Arbeitsplätze geschaffen. Ein gutes Beispiel ist ein Textilbetrieb am nordöstlichen Stadtrand von Namangan an einer Hauptverkehrsstraße. „Bekmen“ prangt es in übergroßen Lettern über dem modernen Modegeschäft mit Schaufensterfront. Der Laden quilt über an Hemden, Mänteln und Anzügen.
Über 40 verschiedene Produkte werden vor Ort produziert, so Direktor Sanjar Khalilov, bei einer Führung durch das Unternehmen. Über einen Innenhof mit Obstbäumen geht es zur Schneiderei. Dort sitzen an die 40 Frauen an Nähmaschinen und arbeiten an Mänteln und stopfen Baumwollfasern in gefütterte Winterjacken. Nicht nur für den usbekischen Markt wird hier produziert, sondern auch nach Vorgaben für ausländische Kunden. Seit 2020 arbeite man auch mit einer deutschen Firma zusammen, die hochwertige Arbeitskleidung herstellt, berichtet Direktor Khalilov nicht ganz ohne Stolz. Man arbeite hier sehr gerne mit von Hand gepflückter Baumwolle, gesteht er, denn die sei „von besserer Qualität und sauberer, als die von Maschinen geerntete, auch wenn dafür zwanzig Dollar pro Tonne mehr bezahlt werden muss.“
„Unsere Baumwolle ist besser als die ägyptische“, schwärmt Bachrom Izbasarov, Rektor und Professor an der Renaissance Universität von Taschkent. Aus Überzeugung trägt er Hemden aus usbekischer Baumwolle. Professor Izbasarov war zwölf Jahre alt, als ihn sein Vater zum ersten Mal mit auf den Baumwollbetrieb nahm, den er leitete. Dem Jungen gefiel die Arbeit so gut, dass er später Agrarwissenschaften studierte, zum Thema Baumwolle promovierte und zehn Jahre als Direktor im Betrieb des Vaters mitarbeitete.
Unsere Baumwolle ist besser als die ägyptische.
Bachrom Izbasarov
Heute konzentriert sich Izbasarov auf die universitäre Ausbildung junger Menschen und betätigt sich nebenher als Landwirt. Vor acht Jahren hat er sich 100 ha mit Apfelbäumen bepflanzt, sein großer Wunsch ist es, jetzt auch noch in den Baumwollanbau einzusteigen. Dann aber nur mit einer Erntemaschine von John Deere, wie er verrät und lädt spontan zu einer Spritztour zum John Deere-Landmaschinenhändler am alten Taschkenter Flughafen ein. Doch lieber würde er seinen „Cotton Picker“ direkt ohne Zwischenhändler bestellen, lacht er. Seit Abschaffung der Zwangsarbeit finden immer mehr Erntemaschinen ihren Weg nach Usbekistan. Sie kommen von Gomselmash aus Belarus, von Case, Axial-Flow und John Deere. Doch ab 2026 sollen nun die ersten „Cotton Picker“ im Land selbst hergestellt werden. Im Oktober 2022 haben Usbekistans größter Automobilhersteller UzAuto und die John Deere Walldorf GmbH & Co. KG eine Kooperation unterzeichnet, damit bald John Deere Baumwollerntemaschine in Usbekistan produziert werden.
Impressionen aus dem Zug
Ein besonderes Erlebnis ist die Reise mit der Eisenbahn einmal quer durchs Land von Taschkent in die Oasenstadt Khiva in knapp 17 Stunden. Mit Halt in Samarkand und Buchara, den Perlen an der Seidenstraße. Eine Reise voller Impressionen und freundlicher Menschen, wo jeder ab einem bestimmten Alter eine Geschichte zur Baumwolle zu haben scheint. Da ist Artur, er arbeitete für eine staatliche Chemiefirma und wurde 2019 das letzte Mal zur Zwangsarbeit verdonnert, wie er erzählt. Oder Mekhrangiz, die sich als junge Sprachen-Studentin weigerte, an der Baumwollernte teilzunehmen und dafür schlechte Noten bekam. Oder Ismail, der sich ärgerte, damals zu jung gewesen zu sein, um mitzumachen und neidisch auf seinen großen Bruder war, der wegen der Baumwollernte die Schule schwänzen und Mädchen kennenlernen konnte.
Vor dem Zugfenster fliegt die Landschaft vorbei, immer wieder auch Baumwollfelder. Ende November: Frauen in bunten Kleidern und Kopftüchern ziehen noch einmal durch die Reihen und lesen die letzten Flocken ab. Auf einigen Baumwollfeldern ist Vieh getrieben worden, woanders sind die Sträucher geschnitten und zu Brennholz gebündelt. Es gibt auffallend viele Weizenfelder und neu angelegte Obstplantagen. Auch das ist ein Trend in der usbekischen Landwirtschaft: der Anbau von Feldfrüchten und Getreide als Alternativen. Und damit ein weiterer Schritt des Landes, sich unabhängig von der Baumwolle zu machen.