Das weiße Gold: Baum­wollanbau in Usbe­ki­stan

Einst viel besun­genes Land an der Seiden­straße. Dann kam die Baum­wolle und der schlechte Ruf. Usbe­ki­stan hat sich aufge­macht, daran etwas zu ändern – und in nur wenigen Jahren viel geschafft.

„Uns geht es gut hier“, Land­wirt Shavkat Khamidov leuchtet über das ganze Gesicht, Gold­zähne blinken aus dem Mund, die Schie­ber­mütze sitzt ihm neckisch auf dem Kopf. Er ist „Uns geht es gut hier“, Land­wirt Shavkat Khamidov leuchtet über das ganze Gesicht, Gold­zähne blinken aus dem Mund, die Schie­ber­mütze sitzt ihm neckisch auf dem Kopf. Er ist auf einem land­wirt­schaft­li­chen Betrieb, der aus der eins­tigen Kolchose Kommu­nizm entstanden ist, für den Anbau von Baum­wolle zuständig.

Auf dem Betrieb sind 40 ha Fläche mit Baum­wolle bepflanzt, 200 ha mit Weizen, beides wird in Rota­tion ange­baut, wie er erzählt. Es gibt auch Tier­hal­tung, darunter rund 100 Jaydari-Rinder für die Produk­tion von Fleisch und Milch. Der Betrieb liegt am Orts­rand der Bezirks­haupt­stadt Namangan im frucht­baren Fergha­natal. Baum­wolle wird in dieser Region 300 km südöst­lich der usbe­ki­schen Haupt­stadt Tasch­kent viel ange­baut und Baum­woll­felder bestimmen das Land­schafts­bild.

Nach Besich­tung der Baum­woll­felder im Ferghana-Tal darf Autorin Petra Jacob Sachs auch einmal den Traktor besteigen.
Eine Mitar­bei­terin kocht am Rande des Baum­woll­feldes das Mittag­essen für ihre Kollegen und Kolle­ginnen.

Baum­woll­ernte von Hand

„Es sind hier klasse Bedin­gungen, Boden, Klima, Wasser passt alles gut“, schwärmt Khamidov. Im Schatten der Bäume bittet er an den Tisch zu frisch geba­ckenem Brot und einer Schüssel Joghurt. Würde die Zeit reichen, hätte er zu Ehren des Gastes gerne ein Schaf geschlachtet, entschul­digt er sich. Usbeken sind dafür bekannt, Gast­freund­schaft sehr ernst zu nehmen. „Gott sei gedankt, wir haben hier ein gutes Leben“ gesellt sich Direktor Abdu­jabbor Hayidov an den Tisch. Zusammen stapfen sie voraus auf das erste Baum­woll­feld, das gleich hinter den Bäumen liegt. Der Schlag ist elf Hektar groß, so Khamidov.

Die beiden Männer verschwinden in den fast manns­hohen Sträu­chern, an denen Anfang November nur noch verein­zelt ein paar weiße Baum­woll­flo­cken hängen. Ernte­zeit ist in dieser Gegend zwischen Mitte September und Ende Oktober. Man rechnet mit rund sechs Tonnen Baum­wolle pro Hektar. Dann kommen zu den 40 Voll­zeit­be­schäf­tigten, die zum Betrieb gehören, noch einmal zwischen 80 und 100 Saison­ar­beiter hinzu, um die Baum­wolle von Hand zu ernten. „Nein, Lehrer, Kran­ken­haus­per­sonal oder Schüler werden nicht mehr zur Arbeit abkom­man­diert“, betont Khamidov. „Das ist inzwi­schen verboten. Es gibt viele Haus­frauen hier, die sich gerne etwas dazu verdienen möchten.“ In den letzten Jahren hätte sich viel getan in der usbe­ki­schen Baum­woll­in­dus­trie.

Es sind hier klasse Bedin­gungen, Boden, Klima, Wasser passt alles gut.

Shavkat Khamidov

Kolchosen und Mono­kultur

Baum­wolle war einmal die bedeu­tendste Feld­frucht Usbe­ki­stans. Bis zu seiner Unab­hän­gig­keit 1992 gehörte das Land zur Sowjet­union und produ­zierte knapp 70 % der Baum­wolle und die Sowjet­union wurde dadurch hinter den USA welt­weit zweit­wich­tigster Baum­woll­pro­du­zent. „Weißes Gold“ wurde die Baum­wolle genannt, weil sich damit viel Geld verdienen ließ. Das ging auf Kosten von Mensch und Umwelt. Die Sowjet­re­gie­rung forcierte den Anbau über kollek­tive Land­wirt­schaft (Kolchosen) und durch Mono­kultur.

In einer Region, die vorwie­gend aus Wüste besteht, war auch Wasser ein limi­tie­render Faktor. Dafür wurden die zwei großen Flüsse Amudarja und Syrdarja umge­leitet, die Wasser zum Aralsee brachten. Tausende Kilo­meter an Kanälen wurden gebaut. Der Aralsee begann zu schrumpfen, die wich­tige Fische­rei­in­dus­trie brach ein. Das und der hohe Einsatz von Chemi­ka­lien und die Konzen­tra­tion auf den Anbau von Baum­wolle anstatt andere Feld­früchte führte zu Armut, Krank­heiten und Umwelt­ver­schmut­zung.

Usbeken sind für ihre Gast­freund­schaft bekannt. Am Rande des Baum­woll­felds wird Autorin Petra Jacob Sachs zu frisch­ge­ba­ckenem Brot und Joghurt einge­laden.

Auch nach der Unab­hän­gig­keit von der Sowjet­union wurde der Baum­wollanbau vom Staat her vorge­schrieben und regu­liert, schließ­lich machte die Baum­wolle zu der Zeit noch 90 % der Exporte aus. Kam die Ernte, stand das Land still. Zwangs­ar­beit. Schüler, Studenten, Kran­ken­schwes­tern und Lehrer mussten ran, sogar Kinder. Inter­na­tio­nale Kritik und der Boykott von usbe­ki­scher Baum­wolle folgen. 2016 kommt mit Shavkat Mirzi­yoyev ein neuer Präsi­dent an die Macht. Er leitet Reformen ein. Er schaffte die Zwangs­ar­beit ab. 2022 gibt die Inter­na­tio­nale Arbeits­or­ga­ni­sa­tion (ILO) der Vereinten Nationen bekannt, dass die usbe­ki­sche Baum­woll­in­dus­trie frei von Kinder- und Zwangs­ar­beit ist.

Land­wirt­schaft im Cluster

Weitere Schritte: Der Baum­woll­markt wird libe­ra­li­siert, keine Plan­wirt­schaft, keine Produk­ti­ons­quoten mehr. Die alte Struktur soll durch eine neue ersetzt werden. Zuerst auf einem kleinen Gebiet, star­tete 2017 das Pilot­pro­gramm „Baum­woll-Cluster.“ Die Cluster waren Gruppen von Einzel­per­sonen, Unter­nehmen und Inves­toren – auch aus dem Ausland, wie Russ­land, USA oder Singapur – die Kapital zur Verfü­gung stellten und den Land­wirten die Produk­ti­ons­mittel beschafften. Anstatt für den Staat arbei­teten die land­wirt­schaft­li­chen Betriebe inner­halb eines Clus­ters. Inzwi­schen domi­nieren diese „Baum­woll-Textil-Cluster“ auf dem usbe­ki­schen Baum­woll­markt. Laut Welt­bank gab es 2018 noch 15 Cluster, die 16 % der Baum­wollan­bau­fläche bewirt­schaf­teten, 2020 waren es bereits 92 %, die auf 88 % der Baum­woll­flä­chen wirt­schaf­teten.

Bachrom Izba­sarov, Rektor und Professor an der
Renais­sance Univer­sität von Tasch­kent und betä­tigt sich nebenher als Land­wirt.
An der Agrar­uni­ver­sität von Tasch­kent befindet sich auch ein Forschungs­be­reich
für Baum­wolle. Im Lobby­be­reich der Univer­sität sind Baum­woll­sträu­cher ausge­stellt.

Die ehema­lige Kolchose Kommu­nizm, wo der heute 62-jährige Shavkat Khamidov einst als Agronom im Bereich Baum­wollanbau zu arbeiten begann, ist Teil des „Baum­wolle-Textil-Cluster“ von Tasch­bulak (Tosh­buloq-TEKS Cluster). Seine Arbeits­stätte konzen­triert sich auf den Anbau der Baum­wolle, andere Betriebe im Cluster sind für die Reini­gung der Baum­wolle, Verar­bei­tung oder Vermark­tung zuständig. Und statt staat­lich verord­netem Arbeits­ein­satz kommen jetzt Ernte­helfer, weil sie dafür „gut bezahlt werden“, wie Khamidov sagt. Für das Kilo­gramm Pflückgut gibt es umge­rechnet zwei Dollar, zum Ende der Saison, wenn die Sträu­cher nicht mehr so dicht behangen sind, bis zu zwei­ein­halb Dollar. Eine Person schafft es, durch­schnitt­lich rund 20 Kilo­gramm am Tag von Hand zu pflü­cken. Geerntet wird von neun Uhr morgens bis nach­mit­tags um fünf. Das bedeutet viele Stunden bücken bei hohen Tempe­ra­turen. Denn selbst im September klet­tert das Ther­mo­meter noch auf über 40 Grad.

100 % Verar­bei­tung im Land

Im September 2022 verkündet Präsi­dent Shavkat Khamidov offi­ziell, das Quoten­system für Land­wirte sei abge­schafft und die usbe­ki­sche Baum­wolle werde nicht mehr expor­tiert, sondern fast voll­kommen im Inland zu Garn oder Texti­lien verar­beitet. Ein weiterer Meilen­stein in der Geschichte des Landes. Anstatt nach Russ­land, Türkei oder Paki­stan zu expor­tieren, werden im eigenen Land Mehr­wert und Arbeits­plätze geschaffen. Ein gutes Beispiel ist ein Textil­be­trieb am nord­öst­li­chen Stadt­rand von Namangan an einer Haupt­ver­kehrs­straße. „Bekmen“ prangt es in über­großen Lettern über dem modernen Mode­ge­schäft mit Schau­fens­ter­front. Der Laden quilt über an Hemden, Mänteln und Anzügen.

Professor Bachrom Izba­sarov würde gerne in den Baum­woll­einbau einsteigen, aber nur mit einer Ernte­ma­schine von John Deere.

Über 40 verschie­dene Produkte werden vor Ort produ­ziert, so Direktor Sanjar Khalilov, bei einer Führung durch das Unter­nehmen. Über einen Innenhof mit Obst­bäumen geht es zur Schnei­derei. Dort sitzen an die 40 Frauen an Nähma­schinen und arbeiten an Mänteln und stopfen Baum­woll­fa­sern in gefüt­terte Winter­ja­cken. Nicht nur für den usbe­ki­schen Markt wird hier produ­ziert, sondern auch nach Vorgaben für auslän­di­sche Kunden. Seit 2020 arbeite man auch mit einer deut­schen Firma zusammen, die hoch­wer­tige Arbeits­klei­dung herstellt, berichtet Direktor Khalilov nicht ganz ohne Stolz. Man arbeite hier sehr gerne mit von Hand gepflückter Baum­wolle, gesteht er, denn die sei „von besserer Qualität und sauberer, als die von Maschinen geern­tete, auch wenn dafür zwanzig Dollar pro Tonne mehr bezahlt werden muss.“

„Unsere Baum­wolle ist besser als die ägyp­ti­sche“, schwärmt Bachrom Izba­sarov, Rektor und Professor an der Renais­sance Univer­sität von Tasch­kent. Aus Über­zeu­gung trägt er Hemden aus usbe­ki­scher Baum­wolle. Professor Izba­sarov war zwölf Jahre alt, als ihn sein Vater zum ersten Mal mit auf den Baum­woll­be­trieb nahm, den er leitete. Dem Jungen gefiel die Arbeit so gut, dass er später Agrar­wis­sen­schaften studierte, zum Thema Baum­wolle promo­vierte und zehn Jahre als Direktor im Betrieb des Vaters mitar­bei­tete.

Unsere Baum­wolle ist besser als die ägyp­ti­sche.

Bachrom Izba­sarov

Heute konzen­triert sich Izba­sarov auf die univer­si­täre Ausbil­dung junger Menschen und betä­tigt sich nebenher als Land­wirt. Vor acht Jahren hat er sich 100 ha mit Apfel­bäumen bepflanzt, sein großer Wunsch ist es, jetzt auch noch in den Baum­wollanbau einzu­steigen. Dann aber nur mit einer Ernte­ma­schine von John Deere, wie er verrät und lädt spontan zu einer Spritz­tour zum John Deere-Land­ma­schi­nen­händler am alten Tasch­kenter Flug­hafen ein. Doch lieber würde er seinen „Cotton Picker“ direkt ohne Zwischen­händler bestellen, lacht er. Seit Abschaf­fung der Zwangs­ar­beit finden immer mehr Ernte­ma­schinen ihren Weg nach Usbe­ki­stan. Sie kommen von Gomsel­mash aus Belarus, von Case, Axial-Flow und John Deere. Doch ab 2026 sollen nun die ersten „Cotton Picker“ im Land selbst herge­stellt werden. Im Oktober 2022 haben Usbe­ki­stans größter Auto­mo­bil­her­steller UzAuto und die John Deere Wall­dorf GmbH & Co. KG eine Koope­ra­tion unter­zeichnet, damit bald John Deere Baum­woll­ern­te­ma­schine in Usbe­ki­stan produ­ziert werden.

Impres­sion aus dem Zug: Frauen in bunten Klei­dern und Kopftüchern ziehen noch einmal durch die Reihen und lesen die letzten Flocken ab.
Direktor Sanjar Khalilov zeigt, was in seinem Betrieb inzwi­schen alles aus usbe­ki­scher Baum­wolle geschnei­dert wird.

Impres­sionen aus dem Zug

Ein beson­deres Erlebnis ist die Reise mit der Eisen­bahn einmal quer durchs Land von Tasch­kent in die Oasen­stadt Khiva in knapp 17 Stunden. Mit Halt in Samar­kand und Buchara, den Perlen an der Seiden­straße. Eine Reise voller Impres­sionen und freund­li­cher Menschen, wo jeder ab einem bestimmten Alter eine Geschichte zur Baum­wolle zu haben scheint. Da ist Artur, er arbei­tete für eine staat­liche Chemie­firma und wurde 2019 das letzte Mal zur Zwangs­ar­beit verdon­nert, wie er erzählt. Oder Mekhrangiz, die sich als junge Spra­chen-Studentin weigerte, an der Baum­woll­ernte teil­zu­nehmen und dafür schlechte Noten bekam. Oder Ismail, der sich ärgerte, damals zu jung gewesen zu sein, um mitzu­ma­chen und neidisch auf seinen großen Bruder war, der wegen der Baum­woll­ernte die Schule schwänzen und Mädchen kennen­lernen konnte.

Vor dem Zugfenster fliegt die Land­schaft vorbei, immer wieder auch Baum­woll­felder. Ende November: Frauen in bunten Klei­dern und Kopf­tü­chern ziehen noch einmal durch die Reihen und lesen die letzten Flocken ab. Auf einigen Baum­woll­fel­dern ist Vieh getrieben worden, woan­ders sind die Sträu­cher geschnitten und zu Brenn­holz gebün­delt. Es gibt auffal­lend viele Weizen­felder und neu ange­legte Obst­plan­tagen. Auch das ist ein Trend in der usbe­ki­schen Land­wirt­schaft: der Anbau von Feld­früchten und Getreide als Alter­na­tiven. Und damit ein weiterer Schritt des Landes, sich unab­hängig von der Baum­wolle zu machen.