Ein Morgen im September in der Vojvodina in Serbien, eine der fruchtbarsten Regionen Europas. Es liegt bereits etwas Herbst in der Luft. Nur langsam verdunstet die Sonne die Feuchtigkeit aus der Nacht von den Feldern. Auf den Straßen und Äckern herrscht Hochbetrieb. Traktoren und Mähdrescher sowjetischer Bauart sind ebenso im Einsatz wie Modelle aus dem westlichen Ausland. Auch Pferdefuhrwerke zuckeln vorbei, auf denen sich Säcke voller Zwiebeln oder roter Paprika stapeln.
Vlada Vukicevich will heute ebenfalls ernten. Der Mähdrescher steht in der Halle neben seinem Haus bereit. Die Zeit für einen schnellen Mokka nimmt sich der 45-jährige Landwirt mit den wachen Augen aber doch noch. Schließlich kommt der Agrarexperte Bane Jevremov nicht alle Tage vorbei. Der Landwirt hat ihm viel zu verdanken. „Soja hatte ich auch vorher schon angebaut.“ Vlada Vukicevich nippt an dem Mokka. „Aber längst nicht so nachhaltig.“
Bane Jevremov ist Agrarexperte. Der Mann barocken Ausmaßes kennt gefühlt jeden Landwirt, Agrar-Händler und Verarbeiter in der Voijvodina. Er arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Donau Soja. Das Ziel der Organisation mit Sitz in Wien ist die Umstellung der Proteinversorgung Europas, durch eine Gentechnik freie und nachhaltige Sojaproduktion. „Unsere Landwirte erzielen auch ohne Gentechnik sehr gute Ergebnisse im Soja-Anbau“, sagt Bane Jevremov und nickt Vlada Vukicevich anerkennend zu.
Senkrechtstarter Soja
Soja ist ein echter Senkrechtstarter. In den letzten 50 Jahren hat sich die jährliche Produktion mehr als verzehnfacht. Der Internationale Getreiderat in London schätzt das globale Sojaangebot für 2022/23 auf 387 Millionen Tonnen. Vier Fünftel davon werden zu Futtermitteln verarbeitet. Mehr als 80 % der weltweiten Sojamenge stammt aus Brasilien, den USA und Argentinien. Alle drei Länder setzen überwiegend auf gentechnisch verändertes Saatgut. In Südamerika findet zudem ein großer Teil des Anbaus auf gerodeten Regenwaldflächen statt und verursacht häufig Vertreibung und Landnutzungs-Konflikte. Hinzu kommen die Folgen weiter Transportwege rund um den Globus.
Weltweiter Hauptabnehmer für Soja ist mit über 96 Millionen Tonnen China. Danach kommt mit 35 Millionen Tonnen die Europäische Union, die einen Großteil davon aus Brasilien bezieht. Deutschland hat 2021 rund 3,6 Millionen Tonnen Sojabohnen importiert, davon kamen 1,6 Millionen Tonnen aus Brasilien. Eine Tonne Soja aus Brasilien, die auf entwaldeten Flächen angebaut wurde, verursacht 5,6 Tonnen Klimagas, eine Tonne aus Europa im Schnitt dagegen 0,82 Tonnen. Aufgrund der kurzen Transportwege im Land sind es nach Angaben von Donau Soja sogar nur 0,28 Tonnen, wenn die Bohnen in Serbien angebaut werden.
Lokaler Anbau für mehr Nachhaltigkeit
Diese erheblich günstigere Klima-Bilanz ermöglicht neben den kurzen Wegen auch Methoden für den nachhaltigen Anbau. Vlada Vukicevich hat verschiedene lokale Sorten getestet, die speziell für den Anbau in Serbien entwickelt wurden. Sie passen zum lokalen Klima und den Böden. So hat Vlada Vukicevich seine Erträge gesteigert, bei gleichem Einsatz von Ackerfläche, Wasser und Dünger. Als Leguminose steigert Soja zudem die Fruchtbarkeit der Böden. Auf dem Feld reißt Agrarexperte Bane Jevremov eine Pflanze heraus und zeigt auf kleine, weißgraue Kügelchen an den Wurzeln. Stickstoff. Aus der Luft gebunden. Dem Boden zugeführt. Das verbessert die Erträge bei Weizen und Mais, mit denen Vlada Vukicevich Soja im Wechsel anbaut. So spart er mineralischen Dünger. Bis zu 100 Kilogramm weniger muss er pro Hektar und Jahr auf die Äcker bringen.
Das hilft ihm besonders jetzt, wo die Düngerpreise aufgrund des Krieges in der Ukraine explodiert sind, und verringert die Klimagas-Emissionen seiner Landwirtschaft. Zudem drängt die Fruchtfolge auf seinen Feldern die Ausbreitung von Unkraut und Pflanzenkrankheiten zurück. Auch hat Vlada Vukicevich auf Feldtagen gelernt, wie er weniger Herbizide einsetzen kann, indem er Unkraut mit dem Traktor bekämpft. Am meisten aber begeistert den Landwirt, dass Donau Soja ihn mit den richtigen Abnehmern zusammenbringt. „Die Nachfrage steigt und der Preis stimmt ebenfalls“, sagt er mit strahlenden Augen.
„Soja ist in Serbien ein Motor für Entwicklung“, sagt Jovana Djisalov von Donau Soja in Novi Sad. Das Büro der serbischen Sektion der Organisation befindet sich in einer ruhigen Nebenstraße im pittoresken Zentrum der Stadt an der Donau, die das Zentrum der Vojvodina ist. In einem Schaukasten im Konferenzraum ist die breite Palette an Produkten ausgestellt, in denen von Donau Soja zertifizierte Bohnen stecken, von Speiseöl, Fleisch- und Aufschnittersatz, Crispies in Pizzas oder Schokoriegeln bis hin zu Eiern, gelegt von mit europäischen Soja gefütterten Hennen.
Soja-Situation in Europa
Im Jahr 2022 wurden in Serbien auf 300.000 ha Soja angebaut, in den vergangenen Jahren waren es noch um die 250.000. Der Anbau von Soja wächst auch in anderen europäischen Ländern. Vor zehn Jahren wurden 17 % des in Europa verbrauchten Soja hier angebaut. Heute sind es bereits 22 %. Der Großteil stammt aus Nicht-EU-Ländern, vor allem aus den südöstlichen Staaten auf und um den Balkan. Aufgrund von neuen Sorten und Klimaveränderungen entdecken auch Landwirte in Österreich und Deutschland die Pflanze für sich. Hauptproduzent in Europa ist aber die Ukraine. Trotz des Krieges konnten ukrainische Bauern im Jahr 2022 3,6 Millionen Tonnen ernten. Die meisten Sojaexporte werden über Land transportiert, etwa über Polen in die EU, was nach wie vor funktioniert.
„Die Nachfrage nach Soja aus Europa steigt enorm, getrieben vor allem von den großen Handelsketten, die immer mehr vegetarische Lebensmittel im Angebot haben und auf das gewachsene Bewusstsein der Konsumenten reagieren, was die Herkunft von Tierfutter angeht“, freut sich Jovana Djisalov in Novi Sad. In Österreich zum Beispiel füttern sämtliche Legehennen-Betriebe bereits seit zehn Jahren mit Donau Soja. Bis heute haben sie nach Angaben der Organisation dadurch eine Million Tonnen Klimagas eingespart, so viel wie eine Großstadt in Europa mit 100.000 Einwohner pro Jahr emittiert. Auch in Deutschland bewegt sich mittlerweile etwas. Erste Handelsketten bieten Fleisch oder Eier an, produziert mit zertifiziertem Soja aus Europa. Hersteller vegetarischer und veganer Produkte, wie Tofu, Brotaufstriche oder Soja-Drinks, setzen wegen des Verbotes von Gentechnik in Lebensmitteln schon lange auf Soja aus Europa.
Zertifiziertes Premium-Produkt
Vom Nachfrageboom profitieren Landwirte, Händler, landwirtschaftliche Kooperativen, Transport- und Logistik-Unternehmen sowie Verarbeiter, die zum Teil nach Angaben von Donau Soja ihre Kapazitäten verdoppeln wollen. Die Zertifizierung von Donau Soja hilft ihnen, ein Premium-Produkt zu entwickeln und zu vermarkten und damit ihr Einkommen zu steigern, Nachhaltigkeitskriterien entlang der Lieferkette einzuhalten und nachzuweisen, mit Abnehmern zusammen zu kommen und die eigene Qualität zu verbessern. „300 unser 400 Bauen bauen mittlerweile nach den Kriterien der Organisation zertifiziert an“, sagt Marko Nenadić, Logistik Manager bei der Kooperative Uljarice-Bačka, die seit drei Jahren mit Donau Soja zusammenarbeitet.
Um die Standards für die Zertifizierung zu erfüllen, muss die Kooperative engen Kontakt zu den Landwirten halten, um diese fortzubilden, mit Wissen zu versorgen und zur Dokumentation anzuhalten. „Das hilft, die Qualität zu verbessern, bis hin zu den strengen Hygieneauflagen beim Transport der Bohnen“, so Nenadić weiter.
Abnehmer in ganz Europa
Im Schnitt hat Uljarice-Bačka pro Jahr 10.000 Tonnen zertifizierte Bohnen produziert. Ein Drittel davon exportiert die Kooperative nach Österreich, zehn Prozent nach Deutschland. Aber auch Dänemark und Norwegen zählen zu den Abnehmern. „Der Zugang zu diesen Märkten ist bedeutend einfacher durch die Zertifizierung – und manchmal bekommen wir auch einen besseren Preis“, sagt Marko Nenadić mit einem Augenzwinkern. Was zudem sehr hilft, sind die sehr strengen Standards in Serbien für die Kontaminierung mit genetisch verändertem Soja, die über den üblichen Vorgaben in Europa liegen.
Gefördert wird der Anbau von Soja als Futtermittel in Serbien seit den 1970er Jahren, den Zeiten des früheren Jugoslawiens also. „Im restlichen Europa wächst das Interesse an heimischem Soja erst seit 15 Jahren“, sagt Vuk Dorđević, Experte für Sortenentwicklung am Institut für Feldfrüchte und Gemüse in Novi Sad. „Wir hier arbeiten seit damals kontinuierlich an der Entwicklung geeigneter Sorten.“ Bereits 1979 wurde an dem Institut die erste lokale Sorte entwickelt. Heute sind es insgesamt 176, also ein breit gefächertes Angebot, aus dem sich Züchter und Landwirte die passende auswählen können. Vor kurzem haben die Wissenschaftler eine mit Preisen ausgezeichnete Sorte mit schwarzen Bohnen gezüchtet, deren Inhaltsstoffe besonders für den Einsatz in der Pharmaindustrie sowie im Bereich Healthy Food geeignet sind. Vor allem aber haben sie sich in den letzten zehn Jahren auf die Entwicklung trockenheitsresistenter Sorten konzentriert.
Kein Wunder also, dass Vlada Vukicevich trotz der diesjährigen Dürre auch in Serbien so zufrieden mit seinen Erträgen ist. Doch nun blickt der quirlige Landwirt auf seine große Uhr mit dem breiten Armband und dem dunklen Ziffernblatt. Schließlich will er heute noch ernten. Einer seiner Mitarbeiter hat mittlerweile den Mähdrescher gestartet. „Nachhaltiger Anbau heißt auch, so wenig wie möglich Treibstoff zu verbrauchen.“ Schnell klettert Vlada Vukicevich auf die große Maschine und fährt davon.