Nie wieder Senf­not­stand

Senf ist ein globales Produkt. Nach Liefer­eng­pässen im Jahr 2022 versu­chen Hersteller deswegen nun wieder verstärkt auf lokale Sorten zurück­zu­greifen. Wir haben Senf­her­steller in Frank­reich und Deutsch­land besucht und mit ihnen über ihre neuen Ansätze gespro­chen.

Für fran­ko­phone Senf­lieb­haber war 2022 ein schwie­riges Jahr. In Frank­reichs Super­märkten waren die Regale, in denen norma­ler­weise die Gläser mit Dijon­senf von Maille, Amora und den anderen Herstel­lern, meist neben den Corni­chons und anderen würzig-sauren Spezia­li­täten stehen, wie leer gefegt. Auf Nach­frage gab es nur ein bedau­erndes Schul­ter­zu­cken. Fast alle Hersteller hatten Liefer­schwie­rig­keiten. Der Grund dafür lag am anderen Ende der Welt: Extreme Hitze und Dürre im Vorjahr hatten zu massiven Ernte­aus­fällen in Nord­ame­rika geführt.

Bis dato hatten die meisten fran­zö­si­schen Hersteller die Körner für ihren Senf aus Kanada bezogen. Schon seit vielen Jahr­zehnten war in Dijon­senf kein Senf aus Dijon mehr enthalten. Im Gegen­satz zu vielen anderen, fran­zö­si­schen Produkten steht Dijon-Senf für eine bestimmte Rezeptur und nicht für eine geschützte Herkunfts­be­zeich­nung. Trotzdem sind in der Region die meisten wich­tigen Hersteller vertreten: Die zu Unilever gehö­renden Amora und Maille zum Beispiel oder Euro­pé­enne de Condi­ments (EdC), mitt­ler­weile im Besitz der deut­schen Kühne.

Früher blühten in der Bour­gogne im Sommer gelbe Senf­felder. Ihre Ernte lieferten die Bauern an lokale Hersteller in Dijon oder Beaune. Ab den 1960er Jahren aber gaben sie den Anbau von Senf zugunsten von Getreide und Mais auf. Verständ­lich, wenn man sich Senf­pflanzen kurz vor der Ernte auf dem Acker anschaut. Dünn und struppig erin­nern sie an ein zu kurz gekom­menes Geschwister des Raps, mit dem sie tatsäch­lich die Fami­li­en­bande der Kreuz­blütler verbindet.

In Barges im Dépar­te­ment de la Côte-d’Or wird das letzte Feld mit dem Mähdre­scher abge­erntet.

Senfanbau in Frank­reich

In den kleinen Schoten stecken ölhal­tige Körner, die kaum größer als die Köpfe von Steck­na­deln sind. In Kanada wird Senf über­wie­gend in der Provinz Alberta groß­flä­chig in Mono­kul­turen ange­baut, mit Hilfe von viel Dünger und Pflan­zen­schutz­mit­teln. So konnten die Kana­dier damit ausrei­chend Geld verdienen und zum welt­weit größten Expor­teur werden. Weitere Expor­teure sind die Ukraine, Russ­land und die USA. Größter Produ­zent aber ist Nepal, wo die kleinen Körner jedoch im Land verbraucht werden.

„Senf ist schwierig im Anbau, er ist anfällig gegen den Befall von Insekten und der Ertrag ist mit ein bis zwei Tonnen pro Hektar niedrig, Weizen und Mais können fast das Fünf­fache bringen.“ Damien Beau­mont aus Barges im Dépar­te­ment de la Côte-d’Or baut trotzdem Senf an. Heute lässt er sein letztes Feld abernten. Der Mähdre­scher zieht eine gewal­tige Staub­wolke hinter sich her. Das Jahr war sehr trocken. Trotzdem ergießt sich ein breiter Strahl Senf­körner in den Hänger, den ein Traktor neben dem Mähdre­scher her zieht. Schnell ist der Hänger voll und wird in die neue Halle gebracht, die Beau­mont mit seinen drei Part­nern gebaut hat.

In den kleinen Schoten der Senf­pflanze…
stecken die ölhal­tigen Körner.

Zufrieden klet­tert der Land­wirt auf den Hänger und hält uns eine Hand voll Körner hin. „Probieren Sie mal, schmeckt sehr pikant.“ Mit seinem Strohhut, den kurzen Hosen und den Flip­flops sieht Damien Beau­mont nicht wie ein typi­scher Land­wirt aus. Bereits seit 2003 bauen er und seine Partner auf einem guten Teil ihrer 770 Hektar Senf an, zudem ist er Vize-Präsi­dent der Asso­cia­tion des Produc­teurs de Graines de Mout­arde de Bour­gogne (APGMB). Die Verei­ni­gung der Senfan­bauer der Burgund wächst rasant und sorgt für einen Gegen­trend, der von dem Senf­not­stand in Kanada sowie dem Über­fall Russ­lands auf die Ukraine befeuert wird.

Auf Augen­höhe mit den Land­wirten

Letztes Jahr bestand die APGMB aus 300 Land­wirten, die auf insge­samt 4000 Hektar Senf anbauten. Im Jahr 2023 hat sich die Zahl der Produ­zenten verdop­pelt und die Hekt­ar­fläche verdrei­facht. „Senf ist derzeit die Feld­frucht mit der höchsten Gewinn­spanne“, erklärt Damien Beau­mont zufrieden lächelnd. Vor der Dürre in Kanada brachte die Tonne den Land­wirten aus dem Burgund 800 bis 900 Euro pro Tonne, in 2022 waren es 1350 Euro und 2023 sind es 2000 Euro für konven­tio­nell ange­bauten sowie 3000 Euro für die Biova­ri­ante, wie sie Beau­mont und seine Partner produ­zieren. „Wir erwarten ein Einpen­deln bei 1500 Euro für konven­tio­nelle Ware“, sagt Beau­mont.

Verant­wort­lich für die gestie­genen Preise sind Angebot und Nach­frage. Daneben gibt es einen weiteren, mögli­cher­weise zukunfts­wei­senden Grund. Die Verei­ni­gung der Senf­her­steller der Burgund Asso­cia­tion Mout­arde de Bour­gogne (AMB), der fast alle Produ­zenten der Region ange­hören, setzt auf Part­ner­schaft auf Augen­höhe mit den Land­wirten. Um den Anbau in der Region zu fördern, zahlen sie den Land­wirten bessere Preise und sichern ihnen Abnah­me­mengen zu, um sie zur Rück­kehr zum Senfanbau zu bewegen. Heute verar­beiten die meisten Hersteller immerhin rund einem Drittel in der Region ange­bautem Senf. Zudem entwi­ckelt man zusammen robuste Sorten, die in der Region beson­ders gut funk­tio­nieren sollen und weniger Dünger sowie Pflan­zen­schutz­mittel benö­tigen.

Die Mout­ar­derie Fallot ist der einzige Senf­her­steller, der ausschließ­lich braune Senf­körner aus der Region verar­beitet.

Marc Désar­mé­nien

Die Idee und Initia­tive zur Rück­kehr zum regio­nalem Senf stammt von Marc Désar­mé­nien, dem Besitzer und Direktor der Mout­aderie Marc Edmond Fallot in Beaune, die er seit 1994 in dritter Gene­ra­tion leitet. Der Weg dorthin führt vorbei an der pitto­resken Altstadt Beaunes. Auch die 1840 gebaute Senf­mühle Fallot hat eine eindrucks­volle Fassade. Längst aber wurde eine zusätz­liche Halle an das histo­ri­sche Gebäude gebaut. Im 19. Jahr­hun­dert gab es noch 30 Senf­mühlen in Beaune.

Regio­naler Anbau

Heute ist Fallot das einzige noch im Fami­li­en­be­sitz befind­liche Unter­nehmen dieser Art in der Bour­gogne. Viel­leicht liegt es daran, dass Marc Désar­mé­nien bereits vor zehn Jahren auf die Idee kam, auf lokalen Senf zu setzen und eine part­ner­schaft­liche Bezie­hung zwischen Herstel­lern und Land­wirten aufzu­bauen. Fallot ist der einzige Hersteller, der ausschließ­lich braune Senf­körner aus der Region verar­beitet. Deshalb war die Firma die einzige, die auch 2022 immer liefern konnte.

Aufgrund der Schwäche der anderen explo­dierte die Nach­frage. „Unsere Produk­tion von 2200 Tonnen ist in den letzten drei Jahren jeweils um zehn Prozent gestiegen, vor allem 2022 hätten wir sehr viel mehr verkaufen können“, sagt Héloïse Taccard, zuständig für den Export bei Fallot. Neben dem Wachstum in Frank­reich, wo die Hälfte der Produk­tion verkauft wird, konnte sie dank der Liefer­eng­pässe der anderen auch den Export in die USA, nach Japan und nach Deutsch­land ausbauen, wo es den Senf von Edmond Fallot unter anderem im Frische­pa­ra­dies und in den Filialen des medi­ter­ranen Gour­met­händ­lern Viani sowie bei Fromi zu kaufen gibt.

Ein Schwall Senf­körner landet im Hänger.

Hier werden die dunklen Senf­körner gemahlen.

Senf­meister Julien Bornet rührt im großen Senf­kessel.

Der abge­füllte Senf der Mout­ar­derie Fallot.

Die Senf­körner aus der Region sind zwar teurer als die aus Kanada. Der kurze Trans­portweg aber belastet weniger die Umwelt. Die Part­ner­schaft mit den Land­wirten fördert die regio­nale Wert­schöp­fung. „Und das Aroma ist sehr viel besser“, sagt Senf­meister Julien Bornet. In seinem weissen Kittel und mit Kopf­haube steht er in der Produk­ti­ons­halle und rührt in einem großen Kessel voller Senf. Das Gelb der Masse leuchtet genauso intensiv, wie das eines frisch gequetschten, reifen Senf­korns.

So entsteht der beson­dere Senf

Der Duft in der Halle treibt einem die Tränen in die Augen. Das liegt an dem Allyl­isothio­cyanat, das sich bei der enzy­ma­ti­schen Umset­zung des Senföls bildet. 24 Stunden quellen die Senf­körner in Wasser, dann ziehen sie in Essig oder Weiß­wein, hinzu kommen Salz und andere Gewürze. Anschlie­ßend werden sie zwischen gerif­felten, zwei­hun­dert Jahre alten Mahl­steinen aus Granit von der Größe eines LKW-Reifens gemahlen. „Wir arbeiten sehr langsam, mit hohem Druck und ohne Hitze, das ist der Grund für den beson­deren Geschmack und die inten­sive Farbe des Senfes“, erklärt Julien Bornet.

Erst hinterher werden dann die unter­schied­lichsten Zutaten beigemischt, um die verschie­denen Sorten herzu­stellen, von Chilis über Honig und Rosmarin bis hin zu Bier oder Algen. Sehr erfolg­reich, vor allem auf dem fran­zö­si­schen Markt, ist die Sorte mit burgun­di­schem Weiß­wein anstelle von Essig. Haupt­pro­dukt aber ist und bleibt der klas­si­sche Senf.

Tradi­tio­neller Senf aus Bautzen

Das ist bei Bautzen nicht anders. Auch die Stadt in Sachsen hat einen pitto­resken Orts­kern. Der Senf­her­steller mit der eben­falls langen Geschichte produ­ziert aber schon seit 1976 außer­halb der Stadt. Auch hier setzen sie zuneh­mend auf Senf­körner aus der Region, die eigent­lich mehr ein Kartof­fel­an­bau­ge­biet ist. Heute ist der erste Tag der Anlie­fe­rung der regio­nalen Ernte. Werks­leiter Michael Bischof hält prüfend die Hand in den Strom heller Körner, die aus dem Hänger in die Reini­gung rauscht. „Die Ernte stammt von Feldern aus einem Umkreis von zwanzig Kilo­me­tern, das dich­teste ist gerade einmal 1500 Meter entfernt“, sagt Bischof. In zwei Silos lagert Bautz’ner diese gelben Sorten, in einem dritten braune Sorten.

Beim Bautz´ner Senf wird eben­falls zuneh­mend auf Senf­körner aus der Region gesetzt.

Vor dem russi­schen Über­fall stammte ein großer Teil der verar­bei­teten Körner aus der Ukraine. Das wurde zum Problem. „Wir waren aber nie liefer­un­fähig“, sagt Bischof. Bautz’ner hatte bereits vor zehn Jahren begonnen, den regio­nalen Einkauf auszu­weiten. Damals stammten 40 Prozent der verar­bei­teten Körner aus Deutsch­land, heute sind es 60 Prozent, davon zehn bis 15 Prozent aus der Ober­lau­sitz. Der Rest kommt immer noch aus der Ukraine, aber auch aus Tsche­chien und der Slowakei sowie in Ausnahmen aus Kanada.

Auch beim Bautz’ner stimmen Geschmack und Farbe. Anstatt mit tradi­tio­nellen Mühl­stein arbeiten sie hier aber mit Korund­mühlen, in denen zwei Scheiben unter hohem Druck aufein­ander mahlen. „Das ist viel effi­zi­enter“, erklärt der Betriebs­leiter. Die alten Mahl­steine aus Granit stehen mitt­ler­weile als Blick­fang vor dem Werks­ein­gang. Durch hohen Druck und Geschwin­dig­keit entstehen in Korund­mühlen aller­dings Wärme. „Wir kühlen den Senf so schnell wie möglich von 50 Grad wieder herunter auf 23 Grad, um die Ausdüns­tung der Aromen zu verhin­dern.“

Wir mahlen unseren Bautz´ner Senf mit Korund­mühlen. Das ist viel effi­zi­enter als die alten Mahl­steine aus Granit.

Michael Bischof

Als Markt­führer für mittel­scharfen Senf in Deutsch­land produ­ziert Bautz’ner 17.000 Tonnen pro Jahr, das sind ganz andere Mengen als bei der Mout­aderie Edmond Fallot. Zu DDR-Zeiten war dieser Senf nicht wegzu­denken. Doch das änderte sich mit der Wieder­ver­ei­ni­gung. Trotzdem konnte die Firma aus Sachsen sich sehr erfolg­reich auf dem gesamt­deut­schen Mark etablieren. 1991 produ­zierte sie gerade noch 3000 Tonnen. Dann über­nahm 1992 der fami­li­en­ge­führte Develey-Konzern mit einem nach­hal­tigen Konzept.

Von 70 Mitar­bei­tern 1990 waren fünf Jahre später zunächst nur noch 38 übrig geblieben. Dann aber konnte man wieder wachsen, auf heute 56. Ein wich­tiger Teil des Konzeptes war und ist die Regio­na­lität. „Darauf achten wir bei allen unseren Entschei­dungen“, sagt Bischof. Bis hin zu den kleinen Bechern aus Kunst­stoff, in denen Bautz’ner über­wie­gend im Handel präsent ist. 36 Millionen davon befüllen sie pro Jahr, alle stammen von einem Hersteller aus der Region. Auch in der Ober­lau­sitz wollten die Land­wirte eigent­lich keinen Senf mehr anbauen.

Senf­körner aus der Region werden ange­lie­fert.

36 Millionen Becher Bautz´ner Senf werden pro Jahr abge­füllt.

„Senf ist eine kleine Mimose, auf zu viel Regen oder auf Trocken­heit reagiert er sehr empfind­lich“, erklärt Ronny Döcke, Vorsit­zender der regio­nalen Anbau­ge­nos­sen­schaft. „Dafür tut die Pflanze unseren Böden sehr gut.“ 16 Mitglieder dieser Genos­sen­schaft haben in diesem Jahr auf insge­samt 240 Hektar Senf ange­baut, das sind insge­samt 390 Tonnen. Auch hier hilft der part­ner­schaft­liche Vertrags­anbau. „Wir verhan­deln jedes Jahr Preis und Mengen so, dass wir uns auch noch im nächsten Jahr wieder in die Augen schauen können“, so Döcke weiter. Gemeinsam arbeitet man zudem an der Verbes­se­rung von Sorten und Anbau­tech­niken oder führt bei Feld­tagen einen trans­pa­renten Austausch über die Qualität von Saatgut und Ernte. „Mit einem Liefe­ranten aus Übersee ist so etwas nicht möglich“, sagt Werks­leiter Michael Bischof. So kann sie gehen, die neue Versor­gungs­si­cher­heit für Senf­lieb­haber.