Leind­otter – Come­back einer unter­schätzten Ölpflanze

Einst wurde er als „Raps der Bronze- und Eisen­zeit“ in ganz Europa ange­baut. Dann geriet der Leind­otter zugunsten ertrag­rei­cherer Feld­früchte in Verges­sen­heit und landete auf der Roten Liste der gefähr­deten einhei­mi­schen Nutz­pflanzen. Wieder­ent­deckt hat ihn ausge­rechnet ein Germa­nist: Thomas Kaiser setzt sich seit über 30 Jahren uner­müd­lich dafür ein, Leind­otter wieder im Ackerbau zu etablieren.

Viele nennen ihn nur den „Leind­otter-Papst“. Thomas Kaisers jahre­langes Enga­ge­ment für den Leind­otter mündete 2014 in die Mitbe­grün­dung der Leind­otter-Initia­tive. Seither begeis­tert der Germa­nist und Gründer des Insti­tuts für Energie und Umwelt­technik immer mehr Menschen für die seltene Ölpflanze. „Wir waren einfach verliebt in die Pflanze, weil sie so schön wächst und sich so schön gesellt. Wir haben sie Kava­liers­pflanze genannt, weil sie nie die Haupt­kultur über­deckt“, erklärt er. Mehr Viel­falt wollten er und seine Mitstreiter in die Frucht­folgen bringen, den Insekten auch im Sommer eine Tracht­pflanze bieten.

Wir waren einfach verliebt in die Pflanze, weil sie so schön wächst und sich so schön gesellt.

Thomas Kaiser

Die Heraus­for­de­rung war groß, denn es mangelte nicht nur an Land­wirten, die bereit waren, Leind­otter anzu­bauen. Auch die Wert­schöp­fungs­kette fehlte. Unter­stüt­zung kam schließ­lich vom Baufar­ben­her­steller DAW SE mit den bekannten Marken Caparol und Alpina. Mit dem Leind­ot­teröl wollte das Unter­nehmen eine nach­hal­tige Holz­lasur entwi­ckeln. Für dieses Vorhaben erhielt es eine Förde­rung des Bundes­amtes für Natur­schutz mit Mitteln des Bundes­mi­nis­te­riums für Umwelt, Natur­schutz, nukleare Sicher­heit und Verbrau­cher­schutz (BMUV) im Rahmen des Bundes­pro­gramms für Biolo­gi­sche Viel­falt.

Dieses soge­nannte „Leind­ot­ter­pro­jekt“ (voll­stän­diger Titel: Etablie­rung eines groß­flä­chigen Misch­frucht­an­baus von Erbsen und Leind­otter zur Stär­kung von Arten­viel­falt und Ökosys­tem­leis­tungen und Aufbau einer Wert­schöp­fungs­kette basie­rend auf nach­haltig produ­zierten, heimi­schen, nach­wach­senden Rohstoffen) gab dem Come­back des Leind­ot­ters den entschei­denden Anschub. In der Folge war es möglich, den Land­wirten zum Start eine Abnah­me­ga­rantie für ihren Leind­otter zu geben.

Herbert Miethke und seine Tochter Lydia im Leind­ot­ter­feld.

Leind­otter bringt weniger Ertrag als Raps

Das über­zeugte auch Land­wirt Herbert Miethke aus Dolgelin in Bran­den­burg, sich an den Leind­ot­ter­anbau zu wagen. Thomas Kaiser begeis­terte ihn für die Ölpflanze, die er 2019 erst­mals auf seinem erst kurz zuvor auf Bioland­wirt­schaft umge­stellten Betrieb anbaute – damals noch als Zweit­frucht in Rein­kultur. Inzwi­schen ist Miethke wegen des höheren Ertrags­po­ten­tials zum Anbau in Misch­kultur mit Serra­della über­ge­gangen.

Auf etwa 150 Hektar des 800 Hektar großen Betriebs wächst nun Leind­otter. In Durch­schnitts­jahren bringt das einen Ertrag von etwa 1 t/ha; dieses Jahr zum ersten Mal 1,5 t/ha. Damit bringt Leind­otter im Vergleich zu den übli­chen 3,5 t pro Hektar Winter­raps zwar wenig Ertrag. Doch dabei sollten zwei Aspekte beachtet werden: Erstens wurde Leind­otter im Gegen­satz zum Raps in den letzten Jahr­zehnten kaum züch­te­risch bear­beitet. Zwei­tens wächst er auf margi­nalen Stand­orten, wo Raps keine Chance mehr hat. „Das sind völlig unter­schied­liche Anbau­ge­biete“, bemerkt Kaiser.

Leind­otter macht sich gut in Misch­kultur mit Serra­della, weil die Legu­mi­nose erst nach der Leind­ot­ter­ernte richtig durch­startet.

Auf den mageren Böden Bran­den­burgs, wo man beinahe nur noch Roggen anbauen kann, sorgt Leind­otter für eine will­kom­mene Abwechs­lung und eine zusätz­liche Einnah­me­quelle. Dazu kann Leind­otter mit einem entschei­denden Vorteil aufwarten: Er macht kaum Arbeit. „Man wirft ihn aus und erntet ihn irgend­wann wieder“, erklärt Kaiser. Dazu sind die Kosten für die Aussaat mit 20 €/ha unschlagbar niedrig, weil das Saatgut keinem Sorten­schutz unter­liegt.

Heimi­scher Leind­otter ersetzt impor­tiertes Leinöl

Matthias Körber von Worlée enga­giert sich für die Verwen­dung heimi­schen Leind­ot­teröls in der Farb­in­dus­trie.

Der Bran­den­burger Land­wirt gehört nicht nur zur Fange­meinde des Kreuz­blüt­lers. Inzwi­schen kümmert er sich im Anschluss an das ausge­lau­fene Leind­ot­ter­pro­jekt auch um den Aufbau der Wert­schöp­fungs­kette. Im Lebens­mit­tel­be­reich wird das Öl zwar geschätzt, doch die Mengen ließen sich noch stei­gern. Das Inter­esse der Farb­in­dus­trie am Leind­ot­teröl spielt deshalb eine zentrale Rolle – umso mehr, da das Chemie­un­ter­nehmen Worlée den Leind­ot­ter­anbau auch nach Projek­tende weiter voran­treibt. Im Dienste des Klimas will Worlée die großen Mengen impor­tierten Leinöls zuneh­mend durch heimi­sches Leind­ot­teröl ersetzen. „Im Moment kann es noch nicht zu viel Leind­ot­teröl sein“, erklärt Chemie­in­ge­nieur Matthias Körber von Worlée.

Aus poli­ti­scher Sicht besteht großes Inter­esse am posi­tiven Einfluss des Leind­ot­ters auf die Arten­viel­falt. „Im Leind­otter findet man deut­lich mehr Insekten als in anderen Kulturen, darunter auch 15 Arten, die auf der Roten Liste stehen“, erklärt Miethke.

Dr. Stefanie Göttig, die das Projekt wissen­schaft­lich begleitet, pflichtet dem bei: „Als gelb­blü­hendes Kreuz­blü­ten­ge­wächs, das in der sonst blüten­armen Zeit von Juni bis August blüht, spricht Leind­otter viele Insek­ten­arten an“ – darunter auch Schweb­fliegen und gefähr­dete Wild­bie­nen­arten.

In der konven­tio­nellen Land­wirt­schaft könnten Anbau­kon­zepte, wie der Anbau von Leind­otter und Erbsen in Misch­kultur, einen Beitrag dazu liefern, die nega­tiven Auswir­kungen der inten­siven Land­wirt­schaft auf die Arten­viel­falt zu vermin­dern, so Göttig. Eine groß­ar­tige Chance, wenn man bedenkt, dass Leind­otter im Gegen­satz zu den sonst im Natur­schutz beliebten Brachen oder Blüh­streifen auch Ertrag bringt.

Eine Kultur für magere Böden

Auch Öllein kann in Deutsch­land ange­baut werden. Aber der ist wenig beliebt. „Leind­otter hat dem Lein gegen­über viele Vorteile“, berichtet Dr. Katha­rina Speth­mann, die sich vor Miethke um den Aufbau der Wert­schöp­fungs­kette kümmerte. Auf sehr leichten Böden ist Leind­otter dem Lein vorzu­ziehen. Es macht wenig Sinn, Leind­otter auf guten Stand­orten anzu­bauen, weil er dort wenig wett­be­werbs­fähig ist. „Wir haben viele Land­wirte, die noch auf Flächen mit 20 Boden­punkten anbauen. Das funk­tio­niert gut.“ Hier eine Frucht­folge zu etablieren ist eine große Heraus­for­de­rung, bei der der Kreuz­blütler unter­stützen kann. Leind­otter sei eine gute Gesun­dungs- und Vorfrucht, lobt Miethke.

Wir haben viele Land­wirte, die noch auf Flächen mit 20 Boden­punkten anbauen. Das funk­tio­niert gut.

Dr. Katha­rina Speth­mann

Leind­otter entzieht dem Boden Stick­stoff, was ihn insbe­son­dere für Wasser­schutz­ge­biete zu einer inter­es­santen Kultur macht. Eine geringe Dünger­gabe mit 40 bis 60 Kilo­gramm Stick­stoff je Hektar im Rein­frucht­anbau sei möglich, aber nicht notwendig für diese genüg­same Kultur.

Robuste Pflanze gegen Trocken­heit

Auch Trocken­heit macht der Ölpflanze nichts aus, sofern die Körner genü­gend Feuch­tig­keit zum Keimen hatten. So wird Land­wirt Miethke nicht müde zu betonen, dass Leind­otter in feuchten Boden gedrillt werden muss. Deshalb sät er so früh wie möglich im März und bis zu 1,5 cm tief, damit das Korn nicht trocken liegt. Gelingt der Start, für den sich der Kreuz­blütler viel Zeit lässt, wächst Leind­otter schnell und beein­druckt mit erfolg­rei­cher Unkraut­un­ter­drü­ckung sowie der posi­tiven Humus­bi­lanz.

Kultur mit geringem Risiko

Die festen Samen­kap­seln des Leind­ot­ters erleich­tern die Ernte, weil sie nicht von allein aufplatzen.

Im Misch­frucht­anbau, vor allem mit Erbsen, bietet Leind­otter Sicher­heit: Kommen die Erbsen schlecht, kann man noch den Leind­otter ernten. Der Anbau als Zweit­frucht wiederum ermög­licht es, die Anbau­fläche über die gesamte Vege­ta­ti­ons­pe­riode voll auszu­nutzen. Die etwa 100 Tage von Ende Juli bis Mitte Oktober genügen den Leind­ot­ter­kap­seln zum Ausreifen. Damit steht die Pflanze anderen Kulturen nicht im Wege und schafft einen Mehr­ertrag auf der Fläche. Die geringen Kosten und der geringe Arbeits­auf­wand trösten darüber hinweg, dass dieser eher gering ausfällt.

Prak­tisch für die Arbeits­or­ga­ni­sa­tion auf dem Betrieb sind die festen Samen­kap­seln, die nicht aufplatzen. Dadurch ist die Kultur nicht nur robust gegen Hagel­schlag. Auch die Ernte mit dem Mähdre­scher kann passend zum Betriebs­ab­lauf einge­taktet werden. Die Saat­gut­rei­ni­gung ist simpel – auch, weil die Qualität anders als in der Lebens­mit­tel­ver­wen­dung nur eine geringe Rolle spielt. „Klar, es darf kein Gammel­haufen sein. Aber ich konnte teil­weise direkt aus dem Mähdre­scher verkaufen. Ein Wind­sichter reicht da eigent­lich“, berichtet Miethke.

Es gibt auch Nach­teile

Wo Vorteile sind, gibt es auch Nach­teile. Das Problem des Leind­ot­ters ist vor allem, dass ihn kaum noch einer kennt. Weil die Anbau­flä­chen so gering sind, gab man die Züch­tung auf. Hybride Sorten gibt es nicht. Aus dem glei­chen Grund sind auch kaum Pflan­zen­schutz­mittel für Leind­otter zuge­lassen. „Er verträgt aber auch so gut wie gar nichts“, berichtet Speth­mann.

Passen die Saat­be­din­gungen nicht oder ist das Saat­bett nicht sauber, verbes­sert das die Start­po­si­tion der Unkräuter. Jedes Unkraut mit besseren Start­be­din­gungen als der Leind­otter würde dann zum Problemun­kraut. „Aber wenn das Saat­bett sauber ist, kenn ich kein Unkraut, das den Leind­otter über­wächst“, so Miethke. Sogar Melde und Quecke drängt Leind­otter dann zurück. Wurzel­exu­date dürften dabei eine Rolle spielen. Diese beein­träch­tigen aller­dings auch das Wachstum von Öllein, der deshalb besser nicht in einer Frucht­folge mit Leind­otter ange­baut werden sollte.

Abnah­me­ga­rantie und gute Preise

Worlée zahlt 2023 für Bio-Leind­otter mindes­tens 700€ pro Tonne und etwas weniger für konven­tio­nelle Ware. Das gibt den Land­wirten in Zeiten vola­tiler Märkte Sicher­heit. „Wenn man dann auf einem ganz leichten Boden immer noch 1,5 Tonnen erntet und insge­samt wenig Input-Kosten hatte, bietet die Pflanze auch bei gerin­geren Erträgen noch einen hohen Deckungs­bei­trag und gleich­zeitig ein sehr nied­riges Risiko“, erklärt Speth­mann.

Ich sehe Poten­tial, dass mehr Leind­otter für noch mehr Produkte gebraucht wird und der Anbau­be­darf steigt.

Matthias Körber

Für die Wirt­schaft­lich­keit des Anbaus ist es von Bedeu­tung, neben der Farb­in­dus­trie andere Absatz­märkte zu erschließen oder auszu­bauen. So förderte die Aufnahme des Leind­otter-Press­ku­chens in die Posi­tiv­liste für Einzel­fut­ter­mittel das Inter­esse der Futter­mit­tel­in­dus­trie am Leind­otter. „Das ist wichtig, weil dadurch das Leind­ot­teröl güns­tiger wird, sogar konkur­renz­fähig zu impor­tiertem Leinöl“, erklärt Körber von Worlée. Ebenso wie das Chemie­un­ter­nehmen lege auch die Futter­mit­tel­in­dus­trie Wert auf verläss­liche Produk­ti­ons­mengen. Dazu müsse die Anbau­fläche noch ausge­baut werden. „Ich sehe Poten­tial, dass mehr Leind­otter für noch mehr Produkte gebraucht wird und der Anbau­be­darf steigt“, so Körber.

Eine einhei­mi­sche Rohstoff­quelle

Inno­va­tionen im Lebens­mit­tel­be­reich bestärken die Hoff­nung auf ein anhal­tendes Revival des Leind­ot­ter­an­baus. Wer mag, kann bereits Pesto mit Leide­r­ot­teröl oder Leind­ot­ter­salz mit Leind­ot­ter­mehl probieren. Aus Ernäh­rungs­sicht eine gute Idee, denn die Zusam­men­set­zung an essen­ti­ellen Amino­säuren im Leind­otter entspricht ziem­lich genau den Empfeh­lungen der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion für die mensch­liche Ernäh­rung. Damit beschäf­tigt sich auch der Forschungs­ver­bund MV e.V. in Rostock.

Viel­leicht verschafft auch der Eiweiß-Trend im Lebens­mit­tel­sektor dem Leind­otter einen Schub, wenn bekannt wird, dass die Samen neben 40% Öl auch 40% Eiweiß enthalten. Nicht zuletzt ist Leind­otter eine einhei­mi­sche Rohstoff­quelle, die auch dann verfügbar ist, wenn globale Handels­ströme ins Strau­cheln geraten – ein nicht zu unter­schät­zender Vorteil, wie das letzte Jahr gezeigt hat.