Weit mehr als Kartof­feln

Zunächst ging es nur um die Kartof­feln. Doch inzwi­schen hat ihre Marke sich dyna­misch weiter­ent­wi­ckelt und so werden bereits mehrere Produkte darunter vermarktet. Die Mühen dafür lohnen sich offenbar, wohin die Reise mit dem eigenen Bran­ding noch geht, bleibt offen.

Was für eine Power! Wenn die beiden Fami­lien Gaus und Lütje mit ihren Kindern und Auszu­bil­denden beim Abend­brot gemeinsam den Arbeitstag ausklingen lassen, dann ist was los: Da wird erzählt, da wird gelacht, da wird disku­tiert. Ein leben­diges Zusam­men­sein, das ganz sicher auch das Funda­ment für ihr erfolg­rei­ches Wirt­schaften ist. Darüber hinaus ist dieser enge fami­liäre Zusam­men­halt wohl auch das Geheimnis der Marke „Gaus-Lütje Kartof­feln“, die vor rund einem Vier­tel­jahr­hun­dert kreiert wurde. Im Marke­ting­sprech würde es viel­leicht heißen: Das ist der eigent­liche Kern der Marke. Während am Anfang, damals, Ende der Neun­zi­ger­jahre, es ausschließ­lich um Kartof­feln aus dem eigenen Anbau der beiden Betriebe ging, geht es heute über mehrere Sorten – von fest­ko­chend bis mehlig – hinaus: Unter der Marke Gaus-Lütje werden eben auch Zwie­beln der Sorte „Braun­schweiger Dunkel­blut­rote“, mehrere Mehle, Süßkar­tof­feln und Chips aus Süßkar­tof­feln vermarktet.

Und dies mit wach­sendem Erfolg. Daher besteht kein Zweifel, dass die beiden eng mitein­ander koope­rie­renden Land­wirt­schafts­fa­mi­lien im südli­chen Teil des Land­kreises Gifhorn mit ihrer Marke etwas erreicht haben, wovon viele land­wirt­schaft­liche Betriebe nur träumen können: Sie haben die Anony­mität des Erzeu­genden abge­legt. Dies passiert nicht über Nacht und schon gar nicht ohne Rück­schläge. Dazu gehörte auch die Erfah­rung, dass der Verkauf von Kartof­feln mit Selbst­be­die­nungs­sta­tionen auf dem Park­platz von Volks­wagen im Wolfs­burger Werk, rund 20 Kilo­meter von den Erzeu­gern entfernt, alles andere als beson­ders prickelnd war.

Neben dem Vertrieb in Super­märkten werden die Gaus-Lütje Produkte auch im eigenen Hofladen in Wasbüttel ange­boten.

Mit reich­lich Werbung beklebt liefern Gaus-Lütje ihre Kartof­feln direkt aus dem Kartof­fel­lager an die Super­märkte.

Bereit zur Auslie­fe­rung: Lüne­burger Heide­kar­tof­feln mit Bran­ding in kompos­tier­baren Netzen aus der Cellu­lose-Faser Lyocell.

Das Gaus-Lütje Kartof­fel­lager auf dem Hof Wasbüttel.

Durch Direkt­mar­ke­ting näher am Kunden

„Daher war es rück­bli­ckend“, so Ernst Lütje, „für unsere Höfe in Wasbüttel und in Ohnhorst unge­mein wichtig, eine Werbe­agentur zu beauf­tragen, um sich von profes­sio­neller Seite über ein einheit­li­ches Erschei­nungs­bild erste Gedanken zu machen.“ Lütje erin­nert sich an die ersten Schritte, um aus der Erzeuger-Unbe­kannt­heit heraus­zu­kommen: „Wir brauchten etwas, was uns näher an die Kunden bringt.“ „Als dann die beauf­tragte Agentur uns ihre Ideen präsen­tierte, waren wir geflasht“, fügt Bianca Lütje hinzu. Dabei hatte der Wunsch mehr ins Direkt­mar­ke­ting zu gehen, eine ganz schlichte Vorge­schichte: Da die Zucker­rü­ben­fa­brik in der Nähe damals ihre Tore schloss und die Bergung der betriebs­ei­genen Zucker­rüben, die die Fami­lien Gaus und Lütje schon seit Anfang der Acht­zi­ger­jahre mit eigenem Roder vornahmen, wegfiel, gab es reich­lich zeit­liche und arbeits­wirt­schaft­liche Ressourcen für neue Akti­vi­täten, um die beiden Betriebe zukunfts­fähig weiter­zu­ent­wi­ckeln.

Tatsäch­lich rief dann nur ein Jahr nach der Etablie­rung der Marke „Gaus-Lütje“ – mit dem pfif­figen Slogan „Vergiß die Nudeln!“ – ein Geschäfts­führer einer Edeka-Filiale in der Region bei Gaus-Lütje an und fragte, ob sie nicht ihre Kartof­feln in seinem Supermarkt verkaufen wollen. Diese Chance ließen sich die vier Hofnach­fol­ge­rinnen nicht entgehen. Sie lieferten. Das war der Anstoß zu einer inzwi­schen bemer­kens­werten Beschi­ckung von rund 100 regio­nalen Märkten im Umkreis von rund 60 Kilo­me­tern. Dass dies gelungen ist, spricht für den unbe­dingten Willen der beiden Fami­lien, viel dafür zu tun. „Wir alle sind Typen, die gerne arbeiten und etwas gestalten wollen“, unter­streicht Tina Gaus-Gevers. Klar, dass alle Fami­li­en­mit­glieder mitan­pa­cken und Aufgaben über­nehmen. So führt der Vater von Ernst Lütje noch regel­mäßig Hofar­beiten aus, während die Mütter von Ernst und Jochen am Band die Kartof­feln nach Größe und Qualität sortieren.

Direkt auf dem Hof in Wasbüttel werden die Kartof­feln sortiert:  Auch die Alten­tei­lerin Lütje, vorne links, packt im Fami­li­en­be­trieb mit an.

Süßkar­tof­feln erwei­tern das Port­folio

Zudem gibt es in beiden Fami­lien offenbar eine sehr große Bereit­schaft, sich verän­derten Umständen anzu­passen und die sich daraus resul­tie­renden Möglich­keiten auszu­schöpfen. Gutes Beispiel hierfür ist der Einstieg in den Anbau von Süßkar­tof­feln, die mit der gewöhn­li­chen Kartoffel nicht verwandt ist. „Wenn Du denkst, Du hättest die Kultur verstanden, kommt wieder etwas voll­kommen Uner­war­tetes auf Dich zu“, verrät der 49-jährige Lütje mit sybil­li­ni­schem Blick zur rötli­chen Wurzel. Dennoch: Die Süßkar­toffel wird mitt­ler­weile auf vier Hektar ange­baut und erfreut sich großer, zuneh­mender Nach­frage bei der Kund­schaft. Als Frisch­ware, aber auch als Chips mit zwei Geschmacks­rich­tungen, die mit neuar­tiger Produk­ti­ons­technik herge­stellt werden, erwei­tert die Süßkar­toffel das Sorti­ment unter der Marke Gaus-Lütje nach­haltig.

Wenn Du denkst, Du hättest die Kultur verstanden, kommt wieder etwas voll­kommen Uner­war­tetes auf Dich zu.

Ernst Lütje

„Wir arbeiten ständig an der Weiter­ent­wick­lung unserer Vermark­tung mit inno­va­tiven Ideen, um die Attrak­ti­vität der Kartoffel zu erhöhen und auf verän­derte Kunden­wün­sche einzu­gehen“, erfährt der Kunde in der neu aufge­legten Produkt­bro­schüre. Dabei nimmt ein Regal­system mit Hart­karton zum losen Verkauf von Kartof­feln und Zwie­beln einen großen Raum ein. Zudem setzen Gaus-Lütje keine Kartof­fel­netze aus Plastik mehr ein, sondern nur noch aus nach­wach­sendem Rohstoff, genauer gesagt aus der Cellu­lose-Faser Lyocell, die biolo­gisch abbaubar und kompos­tierbar ist.

Süßkar­tof­feln werden auf vier Hektar kulti­viert.

Wer die viel­fäl­tigen Akti­vi­täten der beiden Fami­lien genauer betrachtet, dem wird schnell deut­lich: Die Marke für das Produkt allein reicht bei Weitem nicht aus. Ständig befinde sich alles, wie sie selbst sagen, im Verän­de­rungs­modus. Entweder im Hofladen mit neuen Bezahl­tech­niken oder rund um das Logo, das nach fast 25 Jahren viel­leicht nicht mehr ganz den gegen­wär­tigen Geschmack trifft. „Wir haben das mit unserer Werbe­agentur intensiv disku­tiert und sind am Ende doch zum Ergebnis gekommen, dass wir an unserem Logo weiter fest­halten wollen“, bekennt sich Jochen Gaus zur in die Jahre gekom­menen Optik. Denn das Wich­tigste bei der Marke, sei eben die Wieder­erken­nung beim Kunden, meinte die invol­vierte Werbe­agentur. „Und die ist mitt­ler­weile einfach da“, stellt Jochen zufrieden fest.

Spon­tane Zustim­mung kommt vom Auszu­bil­denden: „Ich finde das Logo super, ich weiß gar nicht, was ihr dagegen habt!“ Wie auch immer, über Geschmack lässt sich bekannt­lich lange streiten – was jedoch bei Weitem nicht heißt, dass man sich mit dem Gege­benen ausruhen dürfte. So bedient Gaus-Lütje neben viel­fäl­tigen image­pfle­genden Aktionen wie Betriebs­rund­gänge oder Kinder­ge­burts­tage mit Pony­reiten auch die sozialen Medien seit Längerem ziem­lich intensiv. So gibt es tolle Fotos von der Ernte, sowohl aus der Luft oder anderen unge­wöhn­li­chen Perspek­tiven, welche bei Insta­gram und Face­book gepostet werden.

Ernst Lütje präsen­tiert ein Feld mit Früh­kar­tof­feln unter Folie  der Sorte Alex­andra.

Für die Bewäs­se­rung wird das israe­li­sche Tröpf­chen-Bewäs­se­rungs­system NETAFIM einge­setzt.

Visu­elle Präsenz für mehr Bekannt­heit

Dabei nehmen Mitar­beiter und Fami­li­en­mit­glieder aktiv Teil an der visu­ellen Präsenz im Internet; und auch der nieder­säch­si­sche Minis­ter­prä­si­dent Weil darf in dieser Reihe nicht fehlen, wenn er am Stand der Kartof­fel­bauern aus dem Land­kreis Gifhorn auf der Grünen Woche in Berlin einen Besuch abstattet. Ebenso braucht die eigene Website immer wieder Aufmerk­sam­keit, um von der Anmu­tung und auch von den Inhalten aktuell zu bleiben. „Das ist manchmal ganz schön mühsam“, räumt Bianca Lütje ein, „aber diese Dinge in die tägliche Arbeit zu inte­grieren, gehört einfach dazu.“

Arbeit gibt es auf den Feldern und Ställen und Kühl­häu­sern der Gaus & Lütje Land­wirt­schaft GbR wahr­lich genug: Über 500 Hektar werden bewirt­schaftet. Neben 84 Hektar Kartof­feln – inklu­sive Früh­kar­tof­feln unter Folien mit Tröpf­chen­be­wäs­se­rung – und Süßkar­tof­feln werden Dinkel, Winter­raps, Zucker­rüben, Brau­gerste, Winter­roggen, Weizen und Körner­mais in der Nähe von Mittel­land­kanal und Elbe-Seiten-Kanal ange­baut. Dazu gibt es noch die Ferkel­auf­zucht auf dem Hof von Gaus und die Schwei­ne­mast auf dem Hof der Lütjes. Zudem sind mehrere Mitar­beiter mit der Kommis­sio­nie­rung der Waren für die Super­märkte beschäf­tigt.

Und wo steht man in fünf Jahren mit Marke und Betrieben? Mmmh, gute Frage, die keiner der Betei­ligten ganz genau beant­worten kann, auch weil es in den vergan­genen Jahren so starke Verän­de­rungen in kürzester Zeit gegeben hat: So wagt keiner eine Prognose, aber auf jeden Fall wird es bis dahin einen Online-Shop geben. Ob das Logo eine Design-Lifting bis dahin erleben wird, bleibt offen. Ganz sicher scheint nur, dass die Kinder der beiden Fami­lien große Lust haben, den Betrieb in die nächste Gene­ra­tion weiter­zu­führen.

Inter­net­auf­tritt der Marke Gaus-Lütje