Die Situation, in der sich viele Stadt-, aber auch Landbewohner, seit Mitte März 2020 durch den neuartigen Virus Covid-19 befinden, ist ungewöhnlich und so noch nie da gewesen. Jeder muss Routinen von einem Tag auf den anderen ändern, denn oft darf das Haus nur aus triftigem Grund verlassen werden. Ein triftiger Grund: Das Beschaffen von Lebensmitteln.
Gerade in diesem Bereich verändert sich das Verhalten der Konsumenten deutlich und in vielen westlichen Ländern wächst die Nachfragen nach lokalen Hofprodukten. Diese Tatsache bietet für Landwirte eine große Chance, den direkten Weg zum Endverbraucher auszubauen.
„Um einen eindeutigen Trend zu erkennen, ist es noch zu früh“, sagt Dr. Hans-Dieter Stallknecht vom deutschen Bauernverband e.V. auf Nachfrage. „Eins ist aber sicher: die Verbrauchswege nehmen verrückte Formen an. Wer Platz und Kapazitäten hat, könnte sich aktuell gut positionieren.“
Die Rede ist von Anpassungen des Hofes und des Verkaufs für die Direktvermarktung, um eine sichere und kontaktarme Alternative zum Supermarkt zu schaffen. Wir besuchten Höfe in Deutschland, Frankreich und England, die dabei sind, das Beste aus der aktuellen Situation zu machen.
Deutschland, Vaihingen an der Enz:
Biokisten vom Hof Braun

Michael Braun bemerkt in seinem Biobetrieb eine deutliche Nachfragesteigerung in Zeiten von Corona.
„Das ist total verrückt. Wegen Corona kaufen jetzt alle die deutschen Produkte, speziell bio“, berichtet Michael Braun. Er übernahm vor 34 Jahren den Biohof Braun in Vaihingen an der Enz von seinen Eltern. Auf 65 ha Ackerland und 5000 m² Gewächshausfläche wachsen heute neben Getreide, Kürbissen und Zuckermais viele Salate, Gemüse und Kräuter.
Seit 1988 beliefert der Betrieb Privatkunden, Firmen, Schulen und Kindergärten mit Lebensmittelkisten. Als im März das neue Virus Covid-19 in Deutschland ankam, bestellten immer mehr Menschen die Biokisten. Seitdem herrscht Ausnahmezustand in der Packstraße. Die Mitarbeiter kamen mit den Aufträgen bald nicht mehr nach. Bereits am 9. März 2019, eine Woche bevor in Baden-Württemberg die Schulen schlossen, stoppte der Betrieb deshalb die Aufnahme von Neukunden. „Das ist in meiner ganzen Laufbahn noch nicht vorgekommen“, äußert sich Michael Braun noch immer überrascht.
3.500 Biokisten-Kunden pro Woche
Heute beliefert der Biohof bis zu 3500 Kunden pro Woche. Das sind 10 bis 15 % mehr als sonst. Der Umsatz ist bereits um 50 % gestiegen. Um die zusätzlichen Bestellungen zu bearbeiten, läuft das Kistenpacken nun an drei Tagen in der Woche im 2-Schicht-Betrieb. So kann jeweils 12 bis 14 Stunden am Tag gepackt werden. Studenten und Schüler unterstützten die 50 fest angestellten Mitarbeiter.

Auch in der Packstraße werden Hygienemaßnahmen umgesetzt und eingehalten.
Die Fahrer liefern die Kisten ohne Kundenkontakt aus. Die Kunden nehmen das neue Konzept gut an. Die meisten sind ohnehin nicht zu Hause, wenn die Ware geliefert wird. „Wir haben sehr genaue Abstellvereinbarungen. Von vielen haben wir auch einen Hausschlüssel, damit wir die Lieferung im Flur abstellen können“, erklärt Michael Braun. Damit die Lebensmittel auch vor dem Haus frisch bleiben, können Kunden Isolierboxen erwerben. Und während der Kontakt bei der Auslieferung im Moment fehlt, kommt er an anderer Stelle ganz unverhofft hinzu: Viele Kunden schreiben Karten und Briefe, malen sogar Bilder, um sich für die Arbeit des Biohofs zu bedanken. Das motiviert.
Viel zu tun in der Corona-Zeit
Auch Michael Braun möchte sich bei seinen Mitarbeitern bedanken. Bereits im März zahlte er ihnen deshalb einen Corona-Bonus: 2,50 € mehr pro Stunde. „Das ist der Ausgleich dafür, dass sie wahnsinnig viel gearbeitet haben. Wir haben einen super Trupp an Mitarbeitern“, erklärt Braun.
Etwas Unsicherheit schwingt trotz steigenden Umsätzen mit. Der Betrieb hatte in den letzten Jahren zwar ein stabiles Wachstum zwischen 7 und 10 %, aber wenn die Situation weiter anhält, könnten Kunden wegbrechen. „Mir ist klar, dass unsere Produkte durch billigere ersetzbar sind“, erklärt Braun. Er plante eine Lagerhallenerweiterung für neue Büros, Packstraßen und Kühlhäuser. Die Genehmigung dafür kam vor drei Wochen. Eigentlich ist alles startklar für den Baubeginn. „Im Moment sehen wir das positiv und werden, denke ich, bauen. Investitionen sind immer ein Risiko, verbunden mit der Hoffnung, dass es gut wird.“
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Frankreich, Grigneuseville:
Das Geschäft der Hofmetzgerei Blondel brummt

Sophie und Olivier Blondel bearbeiten zur Zeit 50 Bestellungen pro Tag statt den sonst üblichen zehn.
In Grigneuseville in der Normandie halten Sophie und Olivier Blondel 3.000 Schweine, von denen die meisten mit hofeigenem Getreide gefüttert werden. Seit 2015 haben die beiden ihre Verarbeitungsanlage ausgebaut, um das Schweinefleisch per Direktverkauf anbieten zu können. Unter der Marke „J’adore le cochon“ (Ich liebe Schwein) vertreiben die Blondels Frisch-, Rauch- und auf verschiedene Arten verarbeitetes Fleisch – Pasteten und Eintöpfe zum Beispiel.
Seit Beginn der Coronakrise ist die Nachfrage nach unseren Produkten um fast 50 % gestiegen.
Olivier Blondel
„Seit Beginn der Coronakrise ist die Nachfrage nach unseren Produkten um fast 50 % gestiegen. Ein Drittel wird dabei direkt in unserem Hofladen verkauft, der Rest bei lokalen Bauernläden. Zurzeit verkaufen wir ausschließlich an Einzelpersonen, denn seit dem 16. März und dem Beginn des Lockdowns in Frankreich sind Gastronomiebesuche nicht mehr möglich. Ein Teil der Bevölkerung kauft deshalb jetzt direkt bei den Erzeugern ein. Hier können sie einkaufen, ohne in der Schlange im Supermarkt stehen zu müssen.“, erklärt Olivier Blondel. „Wir haben eine zusätzliche Person für unsere Verarbeitungsanlage und eine Aushilfskraft für unseren Laden eingestellt, damit wir 50 anstatt 10 Bestellungen pro Tag bearbeiten können.“
Infektionsschutz für Kunden und Mitarbeiter

Seit 2015 haben die Blondels ihre Verarbeitungsanlage ausgebaut, um das Schweinefleisch per Direktverkauf anbieten zu können.
Die notwendigen Schutzmaßnahmen ließen sich mühelos umsetzen: Der Kassenbereich ist jetzt durch Plexiglas geschützt und für die Kunden steht Handdesinfektionsmittel zur Verfügung – das für den Metzgerbetrieb ohnehin in ausreichender Menge vorhanden ist.
„Da wir diesen Frühling Glück mit dem Wetter haben, ist die Ladentür durchgehend geöffnet, damit die Kunden die Türklinke nicht berühren müssen. Unsere Fleischtheke ist mit einem Meter Breite optimal, um den Mindestabstand zwischen Kunden und Verkäufer einhalten zu können. Künftig wollen wir im Laden auch Masken anbieten.“
Momentan schlachten und verarbeiten Sophie und Olivier Blondel pro Woche durchschnittlich 45 Schweine. Sie werden hauptsächlich mit dem Getreide des eigenen Bauernhofs ernährt, ergänzt durch Raps, Erbsen, Acker- und Sojabohnen. „Ich bin Landwirt und habe an einer weiterführenden Schule für Molkerei- und Fleischhandwerk in Aurillac, das Praxiswissen des Metzgers erlernt. Danach konnte ich bei rund zwanzig Betrieben tiefergehende Kenntnisse erwerben, bevor ich schließlich meinen eigenen Betrieb gründete“, merkt Olivier Blondel an.
Das „J’adore le cochon“-Sortiment ist mit über 100 Produkten vielseitig. „Unsere Herstellungsprinzipien bauen auf drei Grundsteinen auf: Rückverfolgbarkeit, Frische und Geschmack. Wir legen viel Wert auf Prozesse, bei denen keine Farbstoffe, Konservierungsstoffe, Geschmacks- oder Ertragsverstärker zum Einsatz kommen. Bei uns gibt es den authentischen Geschmack der Charcuterie!“
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Großbritannien, Hillam:
„Drive-in“ beim Hofladen Bert´s Barrow

Auch in Corona-Zeiten versorgt der Hofladen Bert´s Barrow seine Kunden mit frischen Produkten.
Als Folge der verhängten Ausgangssperre stellen ländliche Betriebe in ganz Großbritannien ihr Geschäft um – doch in Krisen entstehen oft die besten Ideen. Ein Hofladen in der Grafschaft North Yorkshire hat Anpassungen vorgenommen und dadurch eine sichere Alternative zum Supermarkt geschaffen.
Durch die erfolgreiche Einführung eines Drive-In-Einkaufsservice leistet der Hofladen Bert’s Barrow in Hillam in der Nähe von Leeds wichtige Unterstützung in der Umgebung. So können Kunden bezahlbare, regionale Produkte kaufen, ohne das Auto zu verlassen. Seit April 2020 betreiben die Geschäftsinhaber Jason und Charlotte Wells-Thompson ihren Drive-In-Einkaufsservice, gemeinsam mit einem Team, das auswählt, einpackt und Zahlungen von 50 Kunden pro Stunde entgegennehmen kann.
Kontaklos einkaufen
„Schwierige Situationen können einen wirklich kreativ und einfallsreich machen“, so Charlotte Wells-Thompson. „An dem Wochenende, an dem die Ausgangssperre angekündigt wurde, gab es bei uns einen Kundenansturm“, sagt sie. „Es war chaotisch und uns wurde schnell klar, dass wir die Einhaltung der Abstandsregeln in unserem Hofladen nicht sicherstellen konnten.“ „Andere Unternehmen boten Lieferservices an, aber dazu fehlten uns sowohl die Transportmittel als auch die Zeit. Die Kunden mussten also immer noch zu uns kommen und dank des Drive-In war dies mit einem geringen sozialen Risiko möglich.“ In nur drei Tagen setzte das Paar den Plan in die Tat um.

Die Kunden bedanken sich für den Service in Krisenzeiten – natürlich kontaktlos.
Wie genau funktioniert also dieses neue Geschäftskonzept? „Mit einer fertigen Einkaufsliste fahren Kunden in Ihrem Fahrzeug zu unserem Hofladen. Auf Schildern erhalten sie dort Anweisungen zum Ablauf, damit wir alle geschützt sind“, erklärt Wells-Thompson. An der Kasse werden die Bestellungen kontaktlos durch das geschlossene Fahrzeugfenster entgegengenommen, die Einkaufsliste wird einfach von innen an die Scheibe gehalten.
Dann stellt das Team die Produkte zusammen, die kontaktlos, ebenfalls bei geschlossenem Fenster, bezahlt werden. Zum Schluss lädt das Team die Einkäufe in den Kofferraum des Kunden, der diesen vor Erreichen des Service-Bereichs bereits geöffnet hat, um das Risiko einer Kreuzkontamination zu verringern. Einen Kundenbereich hat die Familie beibehalten. Hier kann sie das alte Kartoffellager als Ladenfront und Servicebereich nutzen.
Blogbeiträge zur Inspiration
Charlotte Wells-Thompson ergänzt: „Wir können zwar keine Kunden in den Hofladen lassen, aber wir wollen ihnen dennoch ein visuelles Einkaufserlebnis verschaffen. Schließlich gibt es zurzeit nur noch wenige Gelegenheiten, bei denen sie das Haus verlassen dürfen. Warum dann nicht einmal für Abwechslung sorgen?“ Für Abwechslung sorgt Bert’s auch mit Rezepte-Blogbeiträgen, die auf die vegetarischen Kisten zugeschnitten sind.
Aufgrund des boomenden Geschäfts stockte das Paar sein Team von drei Vollzeitkräften auf 12 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit sowie einige Ehrenamtliche auf. „Einer unserer Mitarbeiter stellt normalerweise Unterhaltungselektronik für Veranstaltungen bereit und ein anderer ist professioneller Falkner – beide erzielten wegen der aktuellen Krise keine Einkünfte“, erläutert Charlotte Wells-Thompson. „Das ist Teamarbeit – alle werden wertgeschätzt, denn ohne sie würden wir es nicht schaffen.“