TraktorenRetter-Traktor am Strand

An der Ostsee­küste Deutsch­lands gibt es eine einzig­ar­tige Station der Deut­schen Gesell­schaft zur Rettung Schiff­brü­chiger (DGzRS). Denn in Wustrow ist sie für zwei verschie­dene Gewässer zuständig. Um diese Heraus­for­de­rung zu meis­tern, setzt die dortige Seenot­retter-Crew auf die Unter­stüt­zung eines John Deere 6R 230.

Wenn der Donner von Weitem grum­melt und die schmalen Straßen des 1.000-Seelen-Orts Wustrow schlag­artig in dunkles Licht getaucht sind, dann will hier eigent­lich keiner mehr raus. Auch Silvia Priebe und ihre Hunde nicht. Sie wohnen in einem Haus nahe der Ostsee­küste auf der Halb­insel Fisch­land, umgeben von Wasser. Genau in einem solchen Moment kann ein Alarm auf Silvia Priebes Handy ertönen. Dann weiß sie: jemand ist in Seenot, hat es also „nicht mehr recht­zeitig rein­ge­schafft“ und braucht Hilfe.

Dann lässt sie alles stehen und liegen, schwingt sich auf ihr Fahrrad und tritt kräftig in die Pedale, bis sie den histo­ri­schen Rettungs­schuppen der Deut­schen Gesell­schaft zur Rettung Schiff­brü­chiger (DGzRS) erreicht hat. Im Schuppen steht ein dunkel­roter Traktor. Erst auf den zweiten Blick ist zu erkennen: Es ist ein umge­bauter John Deere 6R 230!

Von einem Moment auf den anderen muss ich in der Lage sein, alles stehen und liegen zu lassen – sowas kannst du nicht allein machen.

Silvia Priebe, frei­wil­lige Seenot­ret­terin des DGzRS

„Hier gibt es flachen Sand­strand und wenige Häfen. Weil wir in einer solchen Situa­tion aber schnell aufs Wasser müssen, schaffen wir unser Seenot­ret­tungs­boot zum Strand der Ostsee oder zum Saaler Bodden – je nachdem, wo jemand unsere Hilfe braucht“, sagt Silvia Priebe.

Bei dieser Aufgabe unter­stützt der Traktor. Er zieht das 2023 gebaute Seenot­ret­tungs­boot „Knut Olaf Kolbe“ auf einem eigens konstru­ierten drei­ach­sigen Anhänger entweder zum Strand oder zum Bodden.

Der JD R 230 passt in den histo­ri­schen Rettungs­schuppen von 1905, als wäre dieser damals schon für ihn gebaut worden.

Das Seenot­ret­tungs­boot „Knut Olaf Kolbe“ ist 8,4 Meter lang und liegt, anstatt in einem Hafen, auf einem drei­ach­sigen Spezi­al­trailer.

Es geht darum, Leben zu retten

Dort wird das Boot ins Wasser gekippt, und mit ordent­lich Schwung kann die Boots-Mann­schaft von drei bis vier Rettungs­leuten zum Einsatzort starten. Die Gründe für einen Einsatz der Seenot­retter sind ganz unter­schied­lich: Mal haben Segler bei starkem Wind Mast­bruch oder Wasser­ein­bruch erlitten, mal ist jemand mit einem Angel­boot raus­ge­trieben, ein andermal haben Fischer mit ihrem Kutter bei Nebel die Orien­tie­rung verloren. So gut wie immer geht es darum, Leben zu retten.

Wustrow liegt auf der Halb­insel Fisch­land, umgeben von Wasser: Nord­west­lich die Ostsee, südlich der Saaler Bodden. (Karte FreeVectorMaps.com)

Die DGzRS ist in dem ehema­ligen Fischer- und Seefah­rerort Wustrow seit 1866 statio­niert. Heute gibt es dort 18 frei­wil­lige Seenot­retter, die auf Abruf bereit sind und dann kurz­fristig unter sich klären, wer am schnellsten raus kann – rund um die Uhr, bei jedem Wetter. Ihre Mobil­te­le­fone haben die Rettungs­leute deswegen immer bei sich. Meist sind sie selbst Seeleute oder kommen aus Seefahrer- oder Seenot­retter-Fami­lien, so wie Silvia Priebe. „Ich habe schon als Kind miter­lebt, wenn mein Vater mit der Crew raus ist“, erin­nert sie sich. „Dann hatte er die volle Unter­stüt­zung der Familie. Sowas kannst du schlecht allein machen.“ Die Menschen in Wustrow haben einen engen Bezug zum Wasser, dem Meer, den Wellen und dem Wind. Wie soll es auch anders sein?

Die Trans­for­ma­tion von der land- zur seetaug­li­chen Maschine

Seit Dezember 2023 verstärkt der rote John Deere 6R 230 das Team der Seenot­ret­tungs­sta­tion auf der Halb­insel. Seine Vorteile: Er ist schnell, stark, wendig und kann ins Wasser fahren. Andreas Meier, vom John-Deere-Vertriebs­partner Hans Meier oHG aus der Nähe von Wolgast, hat den Traktor, der ursprüng­lich grün-gelb aus dem Werk Mann­heim kam, umge­baut. Sechs Wochen arbei­tete Meier mit seinen Kollegen nun an diesem Projekt – einer Lösung für die Seenot­retter. „Ich habe mich mit meinem Werk­statt-Team zusam­men­ge­setzt und die Ideen spru­deln lassen. Jetzt kann der Traktor ohne Probleme Salz­wasser ab“, sagt Meier. Und das meint er wört­lich.

Mit nur noch zwei Rädern, ohne Kabine und Motor­haube, sieht der John Deere 6R 230 ziem­lich nackig aus.

Es ging vor allem darum, die Elek­trik und Elek­tronik aus dem unteren Bereich des Trak­tors nach oben zu setzen, so dass dieser bis zu einer Tiefe von gut einem Meter ins Wasser fahren kann. Die Seeleute spre­chen von der „Wat-Tiefe“ – denn die muss sein, sonst kann das Rettungs­boot nicht starten. Die Zentral­elek­tronik des Trak­tors befindet sich jetzt im Fußraum der Kabine und die Batterie in einem abge­schlos­senen Edel­stahl-Behälter beim rechten Einstieg. Alle Teile, die im Salz­wasser rosten könnten, hat Meier abge­baut, sand­strahlen und verzinken lassen.

Die Kabine verfügt nun über alles, was die Seenot­retter brau­chen: Ein Seefunk­gerät, eine Winden­be­tä­ti­gung, zwei Blau­lichter und ein Signal­horn. Eine Seil­winde zieht das Seenot­ret­tungs­boot, nachdem es mit hoher Geschwin­dig­keit auf den Strand zurück­ge­kehrt ist, wieder auf den Spezi­al­an­hänger.

Ich habe mich mit meinem Werk­statt­meister zusam­men­ge­setzt und die Ideen spru­deln lassen. Jetzt kann der Traktor ohne Probleme Salz­wasser ab.

Andreas Meier, John-Deere-Vertriebs­partner

Zum Schluss lackierte ein orts­an­säs­siger Lackierer in Wolgast den 6R Seenot­retter-rot mit schwarzen Felgen, bevor der Traktor komplett mit Korro­si­ons­schutz einge­sprüht wurde. Dieser Schutz soll ganze 10 Jahre Wind und Wetter stand­halten, bevor er erneuert werden muss. Der gelb-grüne Hirsch zwischen den Schein­wer­fern verrät noch immer die Herkunft: Das hier ist ein John Deere.

Wenn das Gespann für einen Einsatz mit Blau­licht und Signal­horn unter­wegs ist, muss es an Ampeln oder Kreu­zungen nicht warten, sondern hat freie Fahrt. Während Silvia Priebe den 6R fährt, sitzt die mindes­tens 3-köpfige Mann­schaft in einem Toyota.

Der 6R 230 in Aktion: stark, wendig und über­haupt nicht wasser­scheu.

„Wenn ich ganz oben auf der Düne stehe, ist es am besten, in einem Rutsch bis zum Wasser fahren zu können. Deswegen schaut einer der Kollegen vorab immer, ob jemand einen tiefen Graben um eine Sand­burg gebud­delt hat, oder ob schlecht sicht­bare größere Steine im Weg liegen. Wenn bei Strand­wetter jemand auf See in Not ist, müssen auch die Menschen zur Seite gehen, bevor unser Gespann über den Sand bret­tert.“

Andreas Meier hat die Manö­vrier­fä­hig­keit im Sand vor dem Umbau mit einem Land­wirt getestet und sich verge­wis­sert: „Im weichen Sand kann man die breiten Reifen des Trak­tors gut gebrau­chen Die oberste Schicht des Bodens ist meist trocken und der Sand fein. Der gibt nicht viel Wider­stand und die Räder können durch­drehen. Aber mit dem rich­tigen Gewicht bringt er die Kraft auf die tiefere, etwas feuch­tere Sand­schicht. Hier krallen sich die Reifen fest und der Traktor kann seine Zugkraft ausnutzen.“

Gut im Video zu sehen: Die Kipp­fä­hig­keit des Anhän­gers ermög­licht, dass der Traktor nicht zu weit in die Ostsee fahren muss. Bis 1,20 Meter Tiefe ist das aber kein Problem.

Gute Sicht aus der Kabine

Silvia Priebe findet die Rund­um­sicht von der Kabine aus super. Denn die braucht sie, wenn sie den Spezi­al­an­hänger rück­wärts in die Bran­dung hinein­schiebt. Sie muss dann darauf achten, dass sie im rechten Winkel zur Welle steht, damit der Trailer unbe­schadet bleibt und das Seenot­ret­tungs­boot gut starten kann. „Schalten kann ich den Traktor mit einer Hand, das geht ziem­lich leicht“, sagt Priebe, die vor acht Jahren den Lkw-Führer­schein gemacht hat. Einen Sport­boot­füh­rer­schein hat sie auch in der Tasche. Ob sie dann mit der „Knut Olaf Kolbe“ auf See hinaus­fährt oder beim Traktor bleibt, kommt auf die jewei­lige Zusam­men­set­zung der Crew an. Wenn Silvia Priebe lange im Traktor warten muss, ist sie beson­ders froh, eine Sitz­hei­zung zu haben.

Das Seenot­ret­tungs­boot ist ein hat einen Wasser­strahl­an­trieb (Jet) und keinen Propeller. Deswegen kann es, wenn es von einem Einsatz zurück­kommt, direkt auf den Strand fahren.

Das Rettungs­boot samt Besat­zung kann dann mit 33 Knoten, also etwa 61 km/h, zu den Koor­di­naten eilen, wo es gebraucht wird. Ein Einsatz dauert auch mal mehrere Stunden. Insbe­son­dere, wenn Menschen über Bord gegangen sind und gesucht werden müssen: SAR, Search and Rescue, Suche und Rettung, das ist die Aufgabe der Seenot­retter. An Bord des Boots erfolgt nach der Rettung die medi­zi­ni­sche Erst­ver­sor­gung der Schiff­brü­chigen, bevor es zurück zum Strand geht. Die „Knut Olaf Kolbe“ fährt mit hoher Geschwin­dig­keit zurück an Land. Der rote Traktor bringt das Boot anschlie­ßend mit seiner Seil­winde zurück auf den Anhänger. Nach jedem Einsatz müssen der Traktor, der Spezi­al­trailer und das Seenot­ret­tungs­boot gründ­lich mit Süßwasser gerei­nigt werden. Das erhöht die Lebens­dauer.

Deut­sche Gesell­schaft zur Rettung Schiff­brü­chiger

Die DGzRS rettet als gemein­nüt­zige Gesell­schaft (gegründet 1865) auf Nord- und Ostsee Menschen aus Seenot und Gefahren. Die Seenot­retter sind rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr und bei jedem Wetter im Einsatz. Sie finan­zieren sich ausschließ­lich durch Spenden und frei­wil­lige Beiträge – ohne jegliche staat­lich-öffent­liche Mittel zu bean­spru­chen. Die DGzRS koor­di­niert sämt­liche Such- und Rettungs­maß­nahmen auf Nord- und Ostsee, stellt die medi­zi­ni­sche Erst­ver­sor­gung sicher und arbeitet eng mit anderen mari­timen Orga­ni­sa­tionen zusammen. Ihre Besat­zungen sind hoch­qua­li­fi­ziert und über­wie­gend ganz ehren­amt­lich tätig.

Fast jedes Wochen­ende fährt der Traktor in Wustrow aus dem Schuppen und übt mit der Mann­schaft den Einsatz. Im vergan­genen Jahr gab es etwa 20 erst­hafte Situa­tionen, in denen die Seenot­retter der Station Wustrow geholfen haben – und weitere rund 2.000 Einsätze der DGzRS insge­samt.  

Land­ma­schinen Hans Meier ohG

Andreas Meier (1. von links) und seine Monteure sind mitt­ler­weile schon Profis im Umbau von John Deere Trak­toren für die DGzRS. 2010 machte ein John Deere 7730 den Anfang, den die Seenot­retter in Zinno­witz auf Usedom ähnlich wie die Seenot­retter in Wustrow einsetzen. Gerade arbeitet sein Team an einem weiteren Umbau eines 6R 230 mit Sonder­aus­stat­tung für die DGzRS-Station Zingst.