Renta­bi­lität und gesell­schaft­liche Erwar­tungen im Einklang

Einer entscheidet sich für eine elek­tri­sche Bewäs­se­rung, ein anderer will lokal seine eigenen Molke­rei­pro­dukte vertreiben. Viele Land­wirte wollen ihre Betriebe zukunfts­si­cherer und nach­hal­tiger ausrichten und sich stärker an Kunden­be­dürf­nissen orien­tieren. Letzt­lich darf dabei die Renta­bi­lität aber nicht auf der Strecke bleiben.

Ohne nach­hal­tige Ener­gie­er­zeu­gung geht es für ihn nicht mehr: Vor 10 Jahren ließ Land­wirt Jan Reinier de Jong als einer der Ersten 200 Solar­pa­nels auf seiner Scheune montieren. Mitt­ler­weile sind es 1.060 (310 kWp). 2015 begann er außerdem damit, Energie zu spei­chern und inves­tierte in Akkus mit einer Spei­cher­ka­pa­zität von 295 kWh. Seitdem steht auf seinem Hof ein sechs Meter langer Seecon­tainer, in dem sich 126 Lithium-Batte­rie­zellen befinden. Hierin wird der Strom gespei­chert, der über die Solar­pa­nels erzeugt wird. Auf diese Weise kann er seinen Strom bei hohen Strom­preisen verkaufen und in das Netz speisen, oder er entscheidet sich dafür, ihn bei der Kartof­fel­la­ge­rung einzu­setzen. „Ich habe die Zukunft der Elek­tri­fi­zie­rung schon früh erkannt.“

De Jong führt den 130 ha großen Land­wirt­schafts­be­trieb in Odoorn in der Provinz Drenthe in vierter Gene­ra­tion. Seine Frucht­folge besteht aus Stärke- und Pflanz­kar­tof­feln, Brau­gerste und Zucker­rüben. Dabei liegt ihm eine umwelt­schüt­zende Land­wirt­schaft am Herzen. Außerdem besitzt De Jong den 20 ha großen Solar­parks Daal­kampen und ist in seiner Gemeinde Mitbe­gründer eines Zusam­men­schlusses von Land­wirten zur Nutzung von Acker­land für Solar­an­lagen. „Ich kam von einem zum anderen. So wird man wohl zum Pionier für nach­hal­tige Energie.“

Die Rolle der Land­wirt­schaft

Im UN-Klima­schutz­ab­kommen ist fest­ge­legt, dass die Erder­wär­mung auf maximal 2 °C begrenzt werden soll. Deshalb haben sich die EU-Mitglied­staaten darauf geei­nigt, den CO2-Ausstoß bis 2030 um mindes­tens 40 % zu redu­zieren. 2030 müssen 70 % des Stroms und 2050 muss der gesamte Strom­ver­brauch aus erneu­er­baren Quellen gedeckt werden. Um diese Ziele zu errei­chen und der nach­fol­genden Gene­ra­tionen eine Zukunft zu bieten, müssen alle ihren Beitrag leisten – auch die Land­wirt­schaft.

Das stellt Andries Visser, leitender Prüfer für Stadt-Land-Bezie­hungen in seinem Webinar zum Thema Energie fest. „In der Land­wirt­schaft werden insge­samt 35 Terra­watt (TWh) Strom verbraucht. Wir haben ausge­rechnet, dass wir 11 TWh erzeugen können, wenn wir auf jedem Land­wirt­schafts­be­trieb 1.000 Quadrat­meter Solar­pa­nels instal­lieren würden. Würden wir dann noch neben jeden Betrieb ein 25 bis 35 m hohes Windrad aufstellen, könnten wir weitere 4 bis 5 TWh gene­rieren. So könnte die Land­wirt­schaft rund die Hälfte ihres Verbrauchs wieder in das Netz einspeisen.“

Jan Reinier de Jong ist Vorreiter auf dem Gebiet der nach­hal­tigen Ener­gie­er­zeu­gung und -nutzung.

Die elek­tri­sche Bewäs­se­rung bietet dem Land­wirt vielerlei Vorteile.

Elek­tri­sche Bewäs­se­rung

Die Ener­gie­wende bietet Land­wirten also viele Chancen. Nicht nur bei der Erzeu­gung von erneu­er­barer Energie, sondern auch bei ihrer Nutzung auf dem eingenen Betrieb.

Auch De Jong sieht darin viel Poten­zial. So entstand 2018 die Idee, ein elek­tri­sches Bewäs­se­rungs­system aufzu­bauen. „Ehrlich gesagt haben wir vorher nie bewäs­sert. Wir hatten viel­leicht alle fünf Jahre ein schlechtes Jahr. Das nennt man Berufs­ri­siko.“ Doch wegen der Dürre 2018 konnte er nicht mal 25 Tonnen Pflanz­kar­tof­feln pro Hektar ernten – das Doppelte ist möglich. Viel­leicht war das das eine schlechte Jahr in fünf Jahren… Wären da nicht auch die schlechten Jahre 2019 und 2020 gewesen.

Ich habe die Zukunft der Elek­tri­fi­zie­rung schon früh erkannt.

Jan Reinier de Jong

Da er genü­gend Strom zur Verfü­gung hat, entschied er sich dazu, in eine elek­tri­sche Bewäs­se­rung zu inves­tieren. Also kaufte er unter anderem in eine elek­tri­sche Pumpe und eine elek­tri­sche Bewäs­se­rungs­haspel. „Im Vergleich zu einer tradi­tio­nellen Bewäs­se­rungs­an­lage ist nun eine genaue Bereg­nung möglich. Dafür habe ich Appli­ka­ti­ons­karten erstellt.“ Außerdem ließ er einige Brunnen bohren und legte ein Leitungs­netz­werk unter der Erde an, damit er auch weiter entfernte Felder bewäs­sern kann. Von seinen 130 ha kann er nun 90 bis 95 ha beregnen lassen.

Gesell­schaft­liche Verant­wor­tung?

De Jong ist stolz auf seine Errun­gen­schaften. „Für mich liegen die Vorteile auf der Hand: Diese Art der Bewäs­se­rung ist güns­tiger als mit Diesel, die Pumpe muss weniger oft gewartet werden und die CO2- und Stick­oxid­emis­sionen sind geringer. Durch die genaue Bewäs­se­rung sparen wir außerdem Wasser. So tragen wir in mehreren Berei­chen etwas zum Umwelt­schutz bei.“

Doch, sagt er mit Nach­druck, es muss sich auch lohnen. „Sich gesell­schaft­lich verant­wort­li­ches Unter­nehmen zu nennen, ist eine Ehre, aber letzt­end­lich müssen die Finanzen stimmen. Ich will meinen Betrieb verbes­sern, damit am Ende mehr übrig bleibt.“

Doch ist eine solche Inves­ti­tion mit zuneh­mender Wasser­knapp­heit und entspre­chenden Bewäs­se­rungs­ver­boten rentabel? „Man kann sich dazu entscheiden, seinen eigenen Brunnen zu bohren. Dafür ist eine Geneh­mi­gung erfor­der­lich, aber dann ist man sein eigener Herr. Die Kosten belaufen sich auf rund 6.000 Euro. Über 20 Jahre gerechnet ist das aber eine vertret­bare Summe, vor allem wenn man über eine entspre­chende Nutz­fläche verfügt.“

Tom und Ellis Lugten­berg haben Land­wirt­schaft neu gedacht.

Hofmol­kerei

Tom und Ellis Lugten­berg aus Olst in der Provinz Over­ijssel betreiben seit Beginn des Jahres eine kleine Molkerei auf ihrem Hof. Gemeinsam mit einem Gastro­no­mie­un­ter­nehmer sind die beiden in dieses neues Aben­teuer gestartet. Jähr­lich können sie 1,1 Millionen Liter Milch zu Joghurt und Butter verar­beiten. Im ersten Jahr stammen 80.000 Liter Milch von den eigenen 150 Maas-Rijn-IJssel-Kühen. Für andere Inter­es­senten ist noch Platz. „Wir haben von Anfang an groß gedacht, damit wir nicht nur für Endver­brau­cher, sondern auch im größeren Stil für Kran­ken­häuser oder Schulen produ­zieren können“, erklärt Lugten­berg.

Dank unserer eigenen Produk­tion sind wir weniger abhängig vom Molke­rei­be­trieb.

Tom Lugten­berg

Der Milch­vieh­halter sieht darin die Zukunft: „Dank unserer eigenen Produk­tion können wir ein einzig­ar­tiges Produkt herstellen und sind nicht mehr so stark vom Molke­rei­be­trieb abhängig. Außerdem erwirt­schaften wir ein stabi­leres Einkommen und können dadurch gezielter in unsere Nach­hal­tig­keit inves­tieren. Auf diese Weise wollen wir dem Wunsch der Gesell­schaft nach einer ganz­heit­li­chen Land­wirt­schaft gerecht werden, um so die Umwelt zu schützen und ein regio­nales Angebot zu schaffen.“

Mit ihrer Vision und Mission befrie­digen die Lugten­bergs Konsu­men­ten­be­dürf­nisse.

Gesell­schaft­li­cher Druck

Der gesell­schaft­liche Wunsch nach einer ganz­heit­li­chen Land­wirt­schaft wird eine immer wich­ti­gere Rolle spielen, meint Willem Lageweg, Leiter der „Tran­si­tie­co­alitie Voedsel (TcV)“ und aktives Mitglied im Land­wirterat (dem „Boeren­raad“). „Das ‚Plan­bu­reau Leefom­ge­ving‘ hat die ökolo­gi­schen Kosten der nieder­län­di­schen Land­wirt­schaft auf jähr­lich 7 Milli­arden Euro geschätzt. Dazu kommen noch einmal 8,8 Milli­arden Euro Gesund­heits­kosten in Folge von schlechter Ernäh­rung. Diese 15,8 Milli­arden werden durch den Staats­haus­halt getragen und somit vom Steu­er­zahler bezahlt. Der gesell­schaft­liche Druck auf Land­wirt­schafts- und Nahrungs­mit­tel­be­triebe wird immer weiter zunehmen“, ist er sich sicher.

Die Milch der 150 Maas-Rijn-IJssel-Kühe von Tom und Ellis Lugten­berg wird seit diesem Jahr zu verschie­denen Molke­rei­er­zeug­nissen verar­beitet.

Land­wirte und die Land­wirt­schafts­branche müssen also noch genauer auf gesell­schaft­liche Verän­de­rungen achten und auf diese eingehen. Darum plädieren TcV und der Boeren­raad in ihrem Mani­fest „Regie op Ruimte“ (siehe Infobox) für eine multi­funk­tio­nel­lere Land­wirt­schaft. „Erstens ist das Einkommen dadurch stabiler und zwei­tens bekommen Land­wirte deut­lich mehr Aner­ken­nung von der Gesell­schaft“, sagt Lageweg. „Eine reine Produk­tion stellt für den Groß­teil der Land­wirte in den Nieder­landen keine zukunfts­si­chere Ausrich­tung mehr dar.“

Die Wende

Das hat auch Familie Lugten­berg gespürt. Der erste Anstoß zur Verän­de­rung kam von Toms Frau Ellis. „Sechs Gene­ra­tionen lang lag der Fokus auf einem hohen Milch­er­trag pro Kuh. Wir hatten schon immer eine sehr inten­sive Haltung“, verrät der Milch­vieh­halter. Ellis jedoch kommt nicht aus der Branche, hat Retail Manage­ment studiert. Und sie fing an, den Status Quo zu hinter­fragen. „Wir haben mit weniger Dünger expe­ri­men­tiert und mit mehr Weide­flä­chen und kräu­ter­rei­chen Gras­weiden. Das Ergebnis? Je weniger wir silieren mussten, desto nach­hal­tiger wurden wir. Wir konnten enorm an Diesel sparen.“
Auch eine neue Phos­phat­ab­gabe hat die beiden auf einen nach­hal­ti­geren Kurs gebracht. „Wir halten jetzt weniger Jung­vieh und behalten unsere Kühe länger“, erzählt uns Tom Lugten­berg.

Das Durch­schnitts­alter der Kühe auf dem Hof liegt bei acht Jahren und drei Monaten. Der nieder­län­di­sche Durch­schnitt liegt bei sechs Jahren. „Die Milch­pro­duk­tion pro Kuh und Jahr fällt bei uns etwas geringer aus, aber da wir unsere Kühe länger halten, errei­chen wir eine höhere durch­schnitt­liche Lebens­leis­tung. Wir liegen bei 42.000 Liter pro Kuh, der Landes­durch­schnitt liegt bei 35.000.“

Das Ehepaar Lugten­berg hat bewiesen, dass Nach­hal­tig­keit und Rendite durchaus mitein­ander im Einklang stehen können. „Werden eine starke Vision und Mission mit den Wünschen der Gesell­schaft vereint, ist ein gutes Einkommen erzielbar.“

Regie op Ruimte

Die „Tran­si­tie­co­alitie Voedsel (TcV)“ hat zusammen mit dem „Boeren­raad“ (Land­wirterat) ein Mani­fest geschrieben: Regie op Ruimte. Darin wird eine stär­kere Rolle der Behörden gefor­dert. „Die Nieder­lande sind klein und dicht bevöl­kert“, sagt Mitbe­gründer der Initia­tive und TcV-Mitglied Willem Lageweg. „Unser Ansatz ist einfach: Funk­tion folgt Boden. Wir müssen in Gebieten mit frucht­barem Acker­land anbauen. Weniger produk­tive Böden sollten anderen Nutzungen vorbe­halten werden, wie der Natur oder dem Wohnungsbau.“

Sein Plädoyer: Der Staat muss dabei eine führende Rolle über­nehmen. „Der Schwer­punkt muss bei Land­wirten liegen, die etwas verän­dern wollen. Es geht um eine grund­le­gende Struk­tur­ver­än­de­rung. Geziel­tere Ansätze erhalten mehr Aufmerk­sam­keit und für uns ist genau das der rich­tige Weg.“

Für ihn sind aber auch tech­no­lo­gi­sche Inno­va­tionen ein wich­tiger Eckpfeiler. „Die Elek­tri­fi­zie­rung ist ein gutes Beispiel dafür, aber auch mehr Daten. Wir müssen Daten sammeln, um basie­rend auf ihnen nega­tive Auswir­kungen wie Stick­stoff­emis­sionen einzu­dämmen. In diese Rich­tung müssen tech­no­lo­gi­sche Entwick­lungen gehen.“