Die Luft wärmt sich langsam wieder auf, und ein leichter Frühlingswind begleitet uns auf unserem Weg über die Felder. Luigi Bianchi, der bereits seit dem frühen Morgen bei der Arbeit ist, beobachtet, wie sich sein Traktor über das Feld bewegt. „Heute säen wir den Caravaggio, eine Reissorte, die stark dem historischen Carnaroli-Reis ähnelt und den Vorteil hat, bessere Erträge zu liefern“, erläutert er. Zusammen mit seiner Frau produziert Bianchi jährlich 600 t ungeschälten Reis auf fast 100 ha Fläche. Sein Betrieb befindet sich in Albuzzano in der Provinz Pavia, der größten europäischen Reisanbauregion im Herzen der Po Ebene.
In Italien werden alte Reissorten weiterentwickelt aber nach wie vor unter den alten Bezeichnungen vermarktet. Damit stehen den Landwirten Sorten zur Verfügung, die höhere Erträge bei geringeren Produktionskosten bieten. Immerhin liegt die Stärke des italienischen Reisanbaus auch heute noch in seiner weltweit einmaligen genetischen Vielfalt. Mit 228 000 ha Anbaufläche, auf denen 4000 Betriebe 1,4 Millionen Tonnen pro Jahr und damit die Hälfte der gesamten EU Produktion ernten, ist das Land der größte Reisproduzent in Europa. Eine bedeutende Branche, die sich jedoch einem immer stärkeren Wettbewerb ausgesetzt sieht. „Wir müssen uns der Konkurrenz aus den asiatischen Ländern stellen“, erklärt Bianchi. Einer Konkurrenz, die unter anderem nicht denselben zunehmenden Beschränkungen beim Pflanzenschutzmitteleinsatz unterliegt, mit denen die Produzenten jenseits der Alpen umgehen müssen.
Diversifizierung als Strategie
Keine 10 km entfernt, im Anbaugebiet von Sant’Alessio con Vialone, ist Stefano Lamberti auf seinen Feldern mit der Aussaat der Sorte Keope beschäftigt, die auch unter der berühmten Bezeichnung Carnaroli verkauft wird, welcher als „König des Reises“ gilt. Die Betriebsfläche umfasst etwas mehr als 200 ha, von denen drei Viertel für den Reisanbau genutzt werden. Der Ertrag von 1100 t/Jahr wird komplett an die Nahrungsmittelindustrie verkauft. „Unsere Branche ist den Gesetzen des freien Marktes und dem Prinzip von Angebot und Nachfrage unterworfen“, führt er aus. „Zu einer sinkenden Anzahl strukturierter Branchenverträge kommt die fehlende Aussaatplanung hinzu. Dies spiegelt sich in den von Jahr zu Jahr erheblich schwankenden Marktpreisen wider.“
Aus diesem Grund ist Diversifizierung für die italienischen Reisbauern unverzichtbar, um so die Risiken zu minimieren und eine schnellere Amortisierung ihrer Investitionen zu erreichen. Zurück vom Feld greift Lamberti nach einem Sack Reis, den er stolz präsentiert. Genau hier, auf seinem Hof, wurde im Jahre 1903 aus einer Spontanmutation die Reissorte Vialone Nero gezüchtet, von der eine Vielzahl von Sorten abstammt, die heute den Anbau in der Region dominieren. „Dank einer Zusammenarbeit mit der Universität Pavia ist es uns 2015 gelungen, den Vialone Nero, dessen Anbau in den letzten Jahren aufgegeben worden war, wieder zurück zu züchten. Heute sind wir die Einzigen, die dessen Saatgut erhalten und 2 t im Jahr davon produzieren. Auch wenn wir auf genetische Verbesserung nicht verzichten können, ist es wichtig, die klassischen Sorten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Allerdings muss sich deren Qualität auch im Verkaufspreis niederschlagen.“
Alte Sorten in Gefahr

Piemonteser Reisbäuerin Igiea Adami: „Wir glauben an alte Sorten.“
Dieser Meinung ist auch Igiea Adami, die auf ihren 150 ha Reisanbaufläche in der Provinz Vercelli nach wie vor 15 % ihres jährlichen Ertrags von 1100 t mit Carnaroli-Reis erwirtschaftet. Wiederum ein Drittel davon stammt aus Kulturen, die manuell im Wasser ausgepflanzt und ohne chemische Mittel angebaut werden. „Wegen der schwankenden Preise und der hohen Produktionskosten drohen alte Sorten von den Höfen zu verschwinden“, meint Adami. „Dennoch sind wir von ihrem Potenzial überzeugt.“ Adami vermarktet sämtliche Erträge aus den alten Sorten regional. Die übrige Produktion ihres Betriebes geht an die Industrie und wird überwiegend exportiert. „Bei den ertragreicheren Sorten haben wir vor fünf bis sechs Jahren Anbauverträge mit der weiterverarbeitenden Industrie abgeschlossen, auch wenn ich fürchte, dass sich dies bezüglich unserer Verhandlungsposition als zweischneidiges Schwert erweisen kann.“
„Ein weiteres großes Problem sind die Beschränkungen, denen wir beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln unterliegen, von denen einige im Ausland zugelassen sind.“ Gegenseitig bindende Rechtsvorschriften bestehen im Reisanbau derzeit weder innerhalb der EU noch für die europäischen Reisbauern auf der einen und Produzenten aus Drittstaaten auf der anderen Seite. Die Folge sind geringe Renditen und steigende Produktionskosten. „Um dem zu begegnen, setzen wir, wenn möglich Methoden der Präzisionslandwirtschaft ein“, sagt Adami. „Das reicht allerdings nur selten aus, um eine Wettbewerbsfähigkeit auf Augenhöhe zu erreichen.“
Branchenverträge und Transparenz
„Während der Import von verarbeitetem Indica-Reis aus Kambodscha und Myanmar durch eine von der Europäischen Kommission 2019 verabschiedete und jetzt auslaufende Schutzklausel gebremst werden konnte, war ein starkes Wachstum des Imports von verarbeitetem Japonica-Reis aus Myanmar zu beobachten, der dem Einfuhrzoll nicht unterliegt“, erläutert Stefano Greppi, Präsident für die Region Pavia von Coldiretti, der größten Agrargewerkschaft Italiens.

Stefano Greppi, Präsident der Coldiretti-Gewerkschaft für die Region Pavia und Reisproduzent in Rosasco.
Darüber hinaus sind in den vergangenen beiden Jahren die Importe von verpacktem Reis in Gebinden mit einem Gewicht unter 5 kg und 20 kg aus Ländern außerhalb der EU gestiegen – an erster Stelle ist hier Thailand zu nennen. „Diese ‚Entwicklung hat die europäische Reisanbaubranche ins Abseits manövriert“, lautet die Einschätzung von Stefano Greppi. „So konnten die Wettbewerber unsere Supermarktregale erobern, und daran wird man nichts ändern können, wenn man sich weiterhin allein auf die Erhebung von Einfuhrzöllen verlässt!“
Das Fehlen von „ernstzunehmenden“ Branchenverträgen, der derzeit wahrscheinlich nicht mehr als 1 % der inländischen Produktion ausmachen, ist seiner Meinung nach ein weiterer Aspekt des Problems. „Für die Industrie ist die Aufrechterhaltung eines fragmentarischen Angebots von Vorteil, weil sie von verbindlichen Preisvereinbarungen eher wenig profitieren würde. Für die Landwirte sind Branchenverträge, welche die Produzenten, die weiterverarbeitende Industrie und die großen Handelsketten einbeziehen, jedoch erforderlich, um ihnen einen Marktpreis zu garantieren, der für sie zumindest kostendeckend ist.“ Außerdem müssten die Produkte entsprechend nachverfolgbar und beschriftet sein, mit Angabe der Herkunft vom Saatgut bis zum fertigen Verkaufsprodukt. „So ließe sich nicht nur der Preis rechtfertigen, sondern auch die heimische Produktion und die Marke Made in Italy schützen.“
Die Wasserfrage
Zurück zum Betrieb von Luigi Bianchi. „Was wir zweifellos brauchen, ist eine stärker strukturierte Branche“, nickt dieser zustimmend. „Wir verfolgen derzeit ein Projekt, mit dem wir für den Reis aus der Po Ebene die Anerkennung als geschützte geografische Angabe erreichen wollen. Die traditionellen Sorten können eine wichtige Ressource für die Branche darstellen, wenn sie durch ein Label geschützt sind: Außerdem ist es wichtig, sie aufzuwerten, um einem Verlust an Qualität und Vielfalt zu entgegenzuwirken.“

Luigi Bianchi überblickt den Bewässerungskanal, der seine Flächen mit Alpenwasser speist.
Es ist fast Mittag, als wir in Bianchis Pickup an seinen Feldern entlangfahren. Vor der Rückfahrt möchte er uns unbedingt noch zeigen, woher er sein Wasser bezieht, diese für das Wachstum seiner Pflanzen so unverzichtbare Ressource: Es kommt aus den Naviglio Grande, einen 50 km langen Kanal, der Wasser von den Ausläufern der Tessiner Alpen bis nach Pavia befördert. Er durchläuft das Gebiet des Bewässerungskonsortiums, dem Bianchi vorsteht, und verzweigt sich auf seinen Flächen in kleinere Kanäle.
Neben den anderen zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich das größte europäische Reisanbauland konfrontiert sieht, kommt auch noch die Verknappung der Wasserressourcen. „Wasser ist für unsere Branche überlebenswichtig“, gibt Bianchi zu bedenken. Für den Nassreisanbau werden enorme Mengen des blauen Goldes benötigt. „Die Erhaltung dieser wertvollen Ressource stellt eine Herausforderung dar, die täglich größere Anstrengungen erfordert. Die Optimierung des Wassermanagements in den Alpen- und Voralpenbecken, die die Seen speisen, aus denen wiederum das Wasser für alle unsere Bewässerungskanäle stammt, wird in den kommenden Jahren eine vordringliche Aufgabe für uns darstellen.“