Die Medien lieben Horrorgeschichten, doch die Zahlen bezüglich der Resistenzen gegenüber antimikrobiellen Wirkstoffen sind tatsächlich besorgniserregend. Bereits heute sterben jedes Jahr weltweit mindestens 700.000 Menschen aufgrund von Arzneimittelresistenzen: Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird es bis 2050 bis zu 10 Millionen Todesfälle pro Jahr geben, wobei viele durch einfache Infektionen nach Routineoperationen verursacht werden.
Diese Zahlen stammen aus einem Bericht des unabhängigen globalen Gremiums „Review on Antimicrobial Resistance“ unter der Leitung von Jim O’Neill, der im Mai 2016 veröffentlicht wurde. Das von der britischen Regierung im Juli 2014 beauftragte Gremium hat bei seinen Untersuchungen zahlreiche internationale Akteure und Interessengruppen eingebunden, um das Problem der Antibiotikaresistenzen genau zu verstehen und entsprechende Lösungen anzubieten.
Ein Teil des 10-Punkte-Plans bezieht sich auf die Reduzierung der Menge an Antibiotika, die in der Viehzucht weltweit eingesetzt werden. Obgleich die Verbindung zwischen dem Antibiotikaeinsatz bei Tieren und resistenten Mikrobenstämmen bei Menschen mitunter in Frage gestellt wird, gibt es doch unbestreitbar einen großen öffentlichen Druck, den Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft zu reduzieren.
Die RUMA (Responsible Use of Medicines in Agriculture Alliance), die eine spezielle Arbeitsgruppe zur Erreichung branchenspezifischer Ziele eingerichtet hat, gibt an, dass 35 Prozent der in Großbritannien verkauften Antibiotika in der Nutztierhaltung eingesetzt werden. In den USA ist der Prozentsatz doppelt so hoch. Und die Auswertung mehrerer Studien in Nordeuropa hat ergeben, dass das Auftreten von resistenten Bakterien beim Menschen nur in einem von 370 Fällen auf den Antibiotikaeinsatz bei Nutztieren zurückzuführen ist.
2019 hat die britische Regierung einen strategischen 5-Jahres-Plan zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes bei Nutztieren um 25 Prozent zwischen 2016 und 2020 veröffentlicht. Dies ist ein ziemlich ehrgeiziger Plan, der jedoch nicht ganz unrealistisch ist, da er in der Geflügelwirtschaft bereits umgesetzt wird.
VERANTWORTUNGSVOLLER UMGANG MIT ANTIBIOTIKA FUNTIONIERT
2011 hat der BPC (British Poultry Council) einen Plan zum verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika eingeführt, wobei die gebündelte Fachkompetenz von führenden Geflügelproduzenten und -tierärzten zur Anwendung kommt. In nur fünf Jahren konnten die Mitglieder des BPC die Anwendung von Antibiotika um ganze 82 Prozent reduzieren, obwohl die Geflügelproduktion im gleichen Zeitraum um mehr als 5 Prozent gestiegen ist.
Zudem hat die Geflügelbranche freiwillig auf bestimmte Kategorien von Antibiotika verzichtet, die in der Humanmedizin besonders wichtig sind, und sie war die erste Branche, die den Einsatz von Medikamenten veröffentlicht und geprüft hat. Seitdem sind weitere Branchen dem Beispiel gefolgt, sodass mittlerweile mehr als 5 Millionen Schweine in einer Industriedatenbank zur Erfassung des Antibiotikaeinsatzes registriert sind. Zudem läuft derzeit eine entsprechende Initiative im Bereich der Rinderzucht. Es gibt offensichtlich sowohl massive Unterschiede beim Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung weltweit als auch ein unterschiedlich großes Verständnis in der Öffentlichkeit. Manche glauben sogar, dass Antibiotika und Hormone nach wie vor zur Wachstumsförderung innerhalb der EU eingesetzt werden, obwohl diese 2006 bzw. 1988 verboten wurden.
Das soll jedoch nicht heißen, dass wir von branchenweiten Best Practices aus aller Welt nichts lernen können. Und genau das hat das Geflügelteam von St. David’s in Devon getan. Dessen neues Konzept zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes, das von einer Gruppe von Wissenschaftlern, Tierärzten und Primärerzeugern entwickelt wurde, war bislang so erfolgreich, dass es jetzt in einem Großteil des Landes eingeführt wird.
EINE GROSSE HERAUSFORDERUNG
„Die Produktion von Hühnern höchster Qualität in artgerechter Haltung zu verbraucherfreundlichen Preisen ohne Antibiotika ist eine große Herausforderung“, meint Partner Richard Turner. „Deshalb haben wir uns so stark auf die Entwicklung eines robusten Systems konzentriert, dass die Landwirte anwenden können. Es wird immer Situationen geben, in denen eine Behandlung mit Antibiotika notwendig ist, doch es wurde bisher nicht intensiv genug nach alternativen Ansätzen gesucht.“
St David’s hat das ABC-Konzept entwickelt, wobei ABC für Applied Bacterial Control (dt. angewandte Bakterienkontrolle) steht. Dabei geht es um die Verbesserung der Geflügelgesundheit durch maßgeschneiderte Haltungslösungen für jeden Landwirtschaftsbetrieb und die Verwendung von Produkten wie Fettsäuren, ätherische Öle und Probiotika.
2016 hat das Team eine internationale Konferenz organisiert – „Antibiotic Reduction: The Next Step“. Dort kamen führende Experten für Human- und Veterinärmedizin zusammen. Professor Colin Hill von der University College Cork in Irland erläuterte in seiner Rede, dass Hühner – und Menschen – tatsächlich zu 90 Prozent aus Mikroben bestehen und nur zu 10 Prozent aus Hühner- bzw. menschlichen Körperzellen. „Jeder hat ein anderes Mikrobiom, das durch die Eltern, die Umwelt und die Ernährung bestimmt wird – es gibt mehr als 1000 verschiedene Arten und sie spielen eine wichtige Rolle bei der Gesundheit“, meint er.
Es wird immer Situationen geben, in denen eine Behandlung mit Antibiotika notwendig ist, doch es wurde nicht intensiv genug nach alternativen Ansätzen gesucht.
Richard Turner
Nützliche Bakterien helfen bei der Bekämpfung von Krankheitserregern, und ein Kernprinzip des ABC-Ansatzes lautet „Seed, Weed and Feed“, das von Professor Stephen Collett von der University of Georgia, USA, entwickelt wurde. „Man muss für eine gesunde Darmflora sorgen, die gesunde Darmflora weiter fördern und die krankmachenden Mikroben aussondern“, erläutert er. Um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, sollte der ABC-Ansatz in jeder Phase der Lieferkette angewendet werden, vom Züchter bis zum Endproduzenten. So können nützliche Bakterien kultiviert und schädliche Bakterien allmählich eliminiert werden.
In der Geflügelproduktion werden die Vögel über einen kurzen Zeitraum mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, von Impfungen bis hin zu Ernährungsumstellungen. Eine solche Belastung kann negative Auswirkungen auf die Darmgesundheit haben, was zu Durchfall und potenziellen Infektionen führen kann. In diesen Fällen greifen Tierärzte oftmals auf Antibiotikabehandlungen zurück. Das Ziel des ABC-Ansatzes hingegen besteht darin, diese Herausforderungen durch verbesserte natürliche Immunität und eine optimale Darmentwicklung in einer frühen Phase zu meistern.
VERFOLGUNG EINES GANZHEITLICHEN ANSATZES
Der Ansatz von St David’s ist ganzheitlich ausgerichtet, beginnend mit dem Elternbestand und den Lebensbedingungen der Hühner werden außerdem die Sauberkeit des Wassers, dessen pH-Wert, sowie ein ganzes Bündel an vorbeugenden Maßnahmen zum Schutz vor Krankheiten betrachtet. Dabei werden auch Produkte wie Intesti-Flora – eine Mischung aus kurzkettigen Fettsäuren, Präbiotika und Oligosacchariden – und Bakterien wie beispielsweise Lactobacillus farciminis (Biacton) verwendet, um das richtige Darmklima zu entwickeln.
Laut Aussage von Dr. Linnea Newman von Merck USA ziehen viele Landwirte in Amerika Hühner ganz ohne Einsatz von Antibiotika auf. „Restaurantketten und Großhändler haben eine Kampagne für die antibiotikafreie Produktion gestartet“, erläutert sie. Ein Unternehmen, Perdue, beschreibt seine Erfolgsformel wie folgt: „Beim Perdue-Programm geht es um die Wiederverwendung von Geflügeleinstreu – der Organismus ist der Stall und man möchte daraus eine Art Joghurtkultur machen“, so Dr. Newman. „Die antibiotikafreie Produktion zwingt uns zu einer besseren Tierhaltung, und dadurch ist die Leistung oftmals besser.“
Die antibiotikafreie Produktion zwingt uns zu einer besseren Tierhaltung, und dadurch ist die Leistung oftmals besser.
Dr. Linnea Newman
In Großbritannien können Landwirte die Geflügeleinstreu nicht wiederverwenden. Nach jeder Geflügelherde wird der Stall komplett gereinigt und desinfiziert, um die potenzielle Übertragung von Krankheiten zu verhindern. „Dabei werden jedoch nicht alle Bakterien aus dem Stall entfernt“, so Professor Collett. „Das Gleichgewicht zwischen guten und schlechten Bakterien bleibt gleich, wenn auch in verminderter Anzahl. Die Beseitigung der ungünstigen Flora erfordert rund sieben Durchläufe, bei Matratzeneinstreu sind es hingegen nur drei Durchläufe.“
Professor Richard Ducatelle von der Universität Gent in Belgien ist der Ansicht, dass die Umstellung von der Beseitigung unerwünschter Mikroben hin zur Kultivierung nützlicher Mikroben eine drastische Veränderung für die Branche darstellt. „Für mich ist dies die Zukunft der Veterinärmedizin.“
BRANCHENÜBERGREIFENDE ERKENNTNISSE
Da nun nachgewiesen wurde, dass der Ansatz in der Geflügelwirtschaft gut funktioniert, richtet St. David’s seine Aufmerksamkeit jetzt auf die Schweineindustrie, wo es viele Parallelen gibt. „Nützliche Bakterien werden von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Wenn also die Muttertiere gesund sind, haben auch die Ferkel einen guten Start ins Leben“, so Richard Turner.
„Die Entwöhnung der Ferkel und eine Ernährungsumstellung wirken sich jedoch negativ auf deren Darmflora aus, was möglicherweise zu Magengeschwüren und einem verlangsamten Wachstum führen kann.“ Routinemäßig erfolgt zu diesem Zeitpunkt eine Behandlung mit Antibiotika, doch dabei werden viele der nützlichen Bakterien abgetötet, was zu Störungen der Darmfunktion führt und die Produktivität beeinträchtigt.
Jeder Landwirtschaftsbetrieb ist anders und erfordert einen maßgeschneiderten Ansatz, und der verminderte routinemäßige Einsatz von Antibiotika muss nicht gefürchtet werden.
Richard Turner
Die Antwort liegt in der Förderung und dem Schutz der natürlichen Bakterien und der Gesundheit der Tiere, sodass eine routinemäßige Anwendung von Antibiotika gar nicht erst notwendig wird. „Es ist wichtig, dass wir die Wirksamkeit von Antibiotika bei der Behandlung von kranken Tieren und Menschen aufrechterhalten“, warnt Richard Turner. „Jeder Landwirtschaftsbetrieb ist anders und erfordert einen maßgeschneiderten Ansatz, und der verminderte routinemäßige Einsatz von Antibiotika muss nicht gefürchtet werden.“
FALLBEISPIEL
Charlie Simpson züchtet auf der Lower Heath Farm in Whitchurch, Shropshire, 542.000 Masthähnchen pro Bestand und hat den Antibiotikaeinsatz in den ersten drei Jahren nach Übernahme des ABC-Ansatzes um 70 bis 80 Prozent reduziert. Als er mit der Tierärztin Suzy Ackerley von St. David’s zusammenzuarbeiten begann, beschloss Simpson, verschiedene ätherische Öle bei den Vögeln ab einem Alter von drei Wochen auszuprobieren, um deren Darmgesundheit zu fördern. Diese Öle helfen dabei, den Darm zu stabilisieren und zu verhindern, dass Bakterien in den Blutkreislauf gelangen.
„Zu diesem Zeitpunkt wird das Futter der Vögel umgestellt, sie werden gegen die Gumboro-Krankheit geimpft und sie durchlaufen ihre optimale Wachstumsphase“, so Suzy Ackerley. „Durch diese Kombination kann die Darmgesundheit beeinträchtigt werden; die ätherischen Öle unterstützen die Vögel in dieser kritischen Zeit.“
Simpson probierte dies bei sechs der insgesamt 15 computergesteuerten Ställe aus, und aufgrund der Leistungssteigerung hat er den Ansatz nun im gesamten Betrieb eingeführt. „Wenn man dafür sorgen kann, dass die Vögel einen guten Start haben, dann ist das eine große Hilfe“, meint er. „Je stärker und gesünder sie sind, desto besser.“ Simpson verwendet ein automatisiertes LMS-Dosiersystem, um die Wasserreinigung zu verbessern, und er fügt Säuren zur Optimierung der Darmgesundheit hinzu. „Hygiene ist sehr wichtig, doch die Wasserhygiene wird dabei oftmals außer Acht gelassen“, meint er. Er fügt außerdem Probiotika und geschützte Buttersäure zum Futter hinzu, sobald er den Eindruck hat, dass die Herde gesundheitliche Probleme bekommt.
Die Industrie drängt darauf, den Antibiotikaeinsatz zu reduzieren, und wir möchten das unbedingt weiterverfolgen. Es geht in erster Linie um Prävention, und nicht um Heilung.
Charlie Simpson
Die allgemeine Stallhygiene ist natürlich wichtig, und auch das Futter, das von höchster Qualität sein sollte. „Es ist eine Kombination aus all diesen Faktoren“, so Charlie Simpson. „Die Industrie drängt zweifellos darauf, den Antibiotikaeinsatz zu reduzieren, und wir möchten das unbedingt weiterverfolgen. Es geht in erster Linie um Prävention, und nicht um Heilung.“
Dank der vorgenommenen Änderungen ist Simpson nun der größte Landwirt, der jemals im renommierten „400 Club“ von Aviagen aufgenommen wurde. Der Club würdigt die erfolgreichsten Produzenten von Masthähnchen im Land. Wenn man Futterverwertung, Sterblichkeit und die tägliche Lebendgewichtzunahme berücksichtigt, liegt sein EPEF (European Production Efficiency Factor) in allen 15 Ställen durchschnittlich bei 403. „Es war ein langer Weg – und ich bin sehr stolz darauf, dies erreicht zu haben.“
Zur Antibiotikaresistenz
- Antibiotikaresistenz ist ein natürlich auftretender Prozess, wobei jedoch ein verstärkter Einsatz von Antibiotika das Risiko einer Resistenz erhöht.
- Wenn weltweit nicht gehandelt wird, sind Produktionsverluste in Höhe von mehr als 100 Billionen US-Dollar zu erwarten.
- Aufgrund vermehrter internationaler Reisen ist eine umfassende globale Koordination erforderlich.
- Erfordert einen multidisziplinären Ansatz.
10-PUNKTE-PLAN
- Öffentliches Bewusstsein
- Sauberkeit und Hygiene
- Antibiotika in der Landwirtschaft
- Impfstoffe und Alternativen
- Überwachung
- Schnelle Diagnosen
- Humankapital
- Medikamente
- Globaler Innovationsfonds
- Internationales Aktionsbündnis