Die dunklen Wälle ziehen sich bis zu der Reihe Dattelpalmen am Rande des weiten Platzes. 60 t Kompost gären in jeder Reihe, es dampft und duftet. „Den möchte man doch fast essen.“ Taissir Saqr hält eine Handvoll an seine Nase. Hinter ihm zieht ein Traktor einen Wender durch einen der Wälle. Der Kompost darf nicht wärmer als 65 Grad werden, sonst sterben die Mikroorganismen, deshalb wird er regelmäßig gewendet und gewässert. „Ich passe auf ihn auf, wie auf meine Kinder.“ Taissir Saqr lacht. 8.000 t entstehen so auf der ägyptischen Sekem-Farm pro Jahr.
„Der Kompost ist das Herz unserer Methode.“ Angela Hofmann lässt den Blick über den Platz schweifen. Seit Anfang der 1980er Jahre arbeitet die landwirtschaftliche Leiterin auf der von Ibrahim Abouleish gegründeten Farm 60 km nordöstlich von Kairo. „Als wir anfingen, gab es hier nichts als Sand“, erinnert sich die Sennerin und Landwirtin.
Bodenbildung mit Kompost
Ägypten besteht zu 90 % aus Wüste, Ibrahim Abouleish und seine Mitstreiter brachten sie zum Grünen. Heute wachsen auf der Stammfarm des Unternehmens Fenchel, Kümmel, Königskerze, Sesam, Weizen, Auberginen, Tomaten und vieles andere.
Aber wie lässt sich der kargen Wüste fruchtbares Ackerland abtrotzen? Als erstes pflanzten die Pioniere einen breiten Gürtel Bäume, vor allem dürreresistente Kasuarinen, als Schattenspender und Schutz gegen den Wind. Dann bohrten sie Brunnen, brachten neben Kompost Schlamm, Kuhdung und allerlei andere organische Substanzen auf, pflanzten und bewässerten. Anfangs fluteten sie die Felder. Heute versorgt ein Leitungssystem Sprinkler sowie eine effiziente Tröpfchen-Bewässerung. „So verbrauchen wir nur noch halb so viel Wasser.“
Über die Jahre wuchs so eine 30 cm dicke Humusschicht. Zentral für deren Aufbau ist der Kompost. Am Anfang werden dem Sandboden einmalig 40 bis 50 t/ha beigemischt, dann jeweils rund 10 t pro Saison. Wichtig sind zudem die richtigen Fruchtwechsel und das Vermeiden von Brache. „Sonst ist hier schnell wieder Wüste“, erklärt Angela Hofmann.
Sekem ist mittlerweile der größte Produzent von Kräutertee in Ägypten, beliefert landesweit Bäckereien mit Sesam. Vertragsbauern im ganzen Land beackern 3.000 ha. Das Unternehmen exportiert nach Demeter-Richtlinie angebaute Kräuter und Arzneipflanzen, zudem betreibt es eine Fertigung für Kleidung aus Biobaumwolle von den eigenen Feldern.
Betonwüste statt Meer aus Sand
Doch aus der Wüste aus Sand der Anfangstage ist eine aus Beton geworden. Kairo wächst unaufhörlich, und mit der Mega-Metropole kommen die Schadstoffe: Auto- und Industrieabgase, Stäube sowie Dioxine aus illegaler Müllverbrennung. Deshalb investiert Sekem in einen 900 ha großen, neuen Standort Hunderte Kilometer entfernt, mitten in der libyschen Wüste.
Auf der langen Fahrt dorthin zeigt sich die Wüste in großer Farb- und Formenvielfalt. Dann tauchen dunkle Komposthaufen auf, dahinter sind die Kreisberegnungsanlagen zu sehen. „Die Anschaffung der Kreisberegnung ist teuer, zumal wir die Pumpen dafür mit Solarenergie betreiben wollen“, erklärt Farmmanager Hany Hassanein. Sie hat aber entscheidende Vorteile gegenüber einer Tröpfchen-Bewässerung: Auf dem Boden liegt kein Leitungssystem, das bei der Bearbeitung der Felder stört und häufig kaputt geht. Zwar sei der Wasserverbrauch höher, „dafür erwirtschaften wir fast den doppelten Ertrag, weil wir durch die flächendeckende Bewässerung enger pflanzen können.“
Neues Ackerland
Hinter Hany Hassanein gehen Männer durchs Feld und drücken Stecklinge von Minze in den feuchten Sand. Die genügsame und robuste Pflanze soll die ersten drei Jahre auf dem Feld wachsen. „Dann folgen für eine Saison Leguminosen, bis wir Heilpflanzen oder auch Gemüse pflanzen können.“ Und wo ist der Kompost geblieben? Nur ein paar dunkle Kügelchen im gelben Sand zeugen von der Vorbereitung des Bodens. Trotzdem entfaltet er seine volle Wirkung. Unter anderem schützt der Kompost vor der Versalzung der Böden, die bei so intensiver Bewässerung droht, weil die Mikroorganismen Salz abbauen.
Ursprünglich wurde Landwirtschaft in Ägypten überwiegend auf dem Schwemmland des Nil betrieben. Heute aber ist dieses Land zunehmend zersiedelt und von Abwässern im Fluss sowie Pestizidrückständen belastet. Ein gigantisches Staudammprojekt in Äthiopien am Oberlauf des Nil könnte zudem für Wasserknappheit sorgen.
Ägypten kann sich längst nicht mehr selbst ernähren, die Bevölkerung explodiert. Zwischen 1960 und 2017 stieg die Zahl der Einwohner von 27 auf gut 97 Mio. Mit rund 10 Mio. t importiert das Land am Nil mehr als die Hälfte seines Jahresbedarfs an Weizen. Die Regierung subventioniert Brot, um eine weitere Revolution wie die von 2011 zu verhindern. Die Agrarflächen nahmen in den letzten zehn Jahren bereits um 7 % zu und die aktuelle Militärregierung will die heimische Landwirtschaft weiter ausbauen. Das aber kann nur noch in der Wüste geschehen.
Deshalb wurde das ambitionierte 1,5 Millionen-Feddan-Projekt ins Leben gerufen – das in der Region noch gebräuchliche Flächenmaß Feddan entspricht dabei ca. 0,4 ha. Auf 630.000 ha Wüste soll Agrarland entstehen, bewässert aus Tiefbrunnen, die bis zu 1.000 Meter tief in den Nubischen Sandstein-Aquifer gebohrt werden, einem der größten Grundwasserleiter der Welt. In der Senke al-Farafra etwa werden mehrere Hundert Hektar große Einheiten an Investoren vergeben. Die kostspielige Erschließung müssen diese selbst tragen.
Kartoffeln aus der Wüste
Auf gut ausgebauten Straßen geht die Fahrt durch die Weiße Wüste mit ihren riesigen Skulpturen aus Kalkstein. Kunst, geformt von Wüstenstürmen und sengender Sonne. Sattelschlepper mit schwarzen, 2 t schweren Säcken voller Kartoffeln quälen sich auf der Gegenfahrbahn in Richtung Norden. Die einst beschauliche Oase Farafra ist zu einem betriebsamen Zentrum angewachsen. Reihen von Sattelschleppern parken entlang der Straßen, über die Mähdrescher und LKW voller Säcke mit Dünger rollen. Erntehelfer mit der traditionellen Kufiya um den Kopf warten im Schatten der wenigen Bäume auf Arbeit.
Auf dem Gelände der United Farm ist die Kartoffelernte in vollem Gang. Für drei Jahre hat der größte Kartoffelchipshersteller des Landes hier 700 ha gepachtet, um im Wüstensand seine Produktion auszuweiten. Maschinen und Menschen waren in den frühen Morgenstunden im Einsatz, damit die Kartoffeln zur heißen Zeit bereits auf den Lastwagen in Richtung Norden unterwegs sind. Jetzt pflügt ein Traktor das Kraut unter und häufelt die Dämme für die nächste Pflanzung.
Nachhaltiger Anbau
„Der Boden ist ideal, das ist er längst nicht überall in der Wüste.“ Qualitätsmanager Ali El Said lässt den Sand durch seine Finger rieseln. „Die oberen 40 cm sind Sand, und der gibt die Feuchtigkeit schnell an die Kartoffel ab.“ Nach gerade einmal drei bis vier Monaten sind die Kartoffeln reif. Zudem bietet der nivellierte, leichte Boden gute Bedingungen für den Betrieb der Kreisberegnung: Mühelos zieht sie langsam ihre Kreise, in 24 Stunden einmal über eine Fläche von 50 ha und mehr. Nährstoffe werden dem Wasser beigemischt, Pflanzenschutz bei Bedarf gesprüht. „Der Krankheitsdruck ist in der Wüste aber gering“, sagt El Said.
Der Boden ist ideal. Das ist er längst nicht überall in der Wüste.
Ali El Said
Auch auf dem weiten Farmgelände neben dem der United Farm werden Kartoffeln angebaut. „Die Kosten hier sind sehr hoch“, erklärt der Farmmanager Mohamed Gad. Trotzdem will die Firma Daltex, mit 400.000 t pro Jahr der größte Kartoffelproduzent Ägyptens, in der libyschen Wüste den Anbau um fast 8.400 ha ausdehnen, um Saatgut und Bioware zu produzieren, meist für den Export. Auch auf anderen Wüstenfarmen des 1,5 Millionen-Feddan-Projektes wachsen Feldfrüchte für den Export. Ein saudisches Unternehmen baut sogar Futtergras für die Tierhaltung am Golf an.
Auf den Flächen anderer Betreiber wachsen aber auch Mais oder Weizen für den ägyptischen Markt, die Zwischenfrüchte auf den Kartoffeläckern von Daltex sind ebenfalls für Ägypten bestimmt. Wird das Projekt also die Produktion von Lebensmitteln für den lokalen Markt ausweiten? Oder eher großen Investoren neue Devisenquellen erschließen?
Die Nutzung des Nubischen Sandstein Aquifers ist umstritten, handelt es sich doch um ein nicht erneuerbares Wasservorkommen. Hat Ägypten aber eine andere Wahl, als seine Wüsten für die Landwirtschaft zu nutzen? Fläche ist vorhanden, nur muss sie nachhaltig genutzt werden. Am besten mit dem Aufbau einer Humusschicht. Das hilft Wasser sparen und verhindert die Versalzung der Böden. Taissir Saqr und die Sekem Farm haben dafür den nötigen Kompost.
Sekem – Zahlen und Fakten
- 1977 Dr. Ibrahim Abouleish startete die erste Sekem Farm 60 km östlich von Kairo, auf 70 ha Wüstenland
- 200 ha ist die heutige Größe der Stammfarm
- 3000 ha Vertragsanbau durch zertifizierte Betriebe
- 900 ha hat der neue Standort in der westlichen Wüste auf dem Sekem neue, unbelastete Flächen erschließt
- 8000 t Kompost werden pro Jahr auf der Stammfarm produziert, um bereits bebaute Flächen fruchtbar zu halten und neue zu erschließen
- 40 – 50 t/ha Kompost werden dem Wüstensand einmalig beigemischt, dann rund 10 t/ha pro Saison
- Die 2000 gegründete Sekem Holding umfasst, neben der Landwirtschaft, die Verarbeitung von Kräutern, Gewürzen und pharmazeutischen Pflanzen, die Textilherstellung aus Biobaumwolle, den Export von Obst und Gemüse und die Produktion von Biolebensmitteln
- 600 – 700 Mio. Teebeutel pro Jahr: mit Kräutern von den eigenen Feldern ist Sekem der größte Tee-Hersteller in Ägypten