Durch eine fast unmerkliche Bewegung des Joysticks dreht der 4.500 PS starke Motor des Schleppers leise hoch, während Kapitän Steve Coles gerade die Ryan Point auf einen vor Anker liegenden Lastkahn ausrichtet. Der neue Schlepper ist der ganze Stolz des Transportunternehmens Tidewater, denn er wurde so konstruiert, dass er auf der Stelle wenden kann. Coles, der seit 38 Jahren auf dem Columbia fährt, steuert ihn, als wäre es ein Kinderspiel.
Um das Gewässer, das mit rund 8,5 Mio. Liter pro Sekunde in Richtung Pazifik rauscht, beherrschen zu können, benötigt man nicht nur jede Menge Leistung, sondern auch das nötige Fingerspitzengefühl. Coles und seine vierköpfige Crew haben bereits zwei Lastkähne mit je rund 3.000 t Getreide in Pasco (im Bundesstaat Washington) abgeholt und einen leeren Erdöl-Lastkahn zum Unternehmen Pacific Ethanol nach Boardman (siehe Karte) gebracht. Nun nehmen sie ein paar Meter weiter flussabwärts einen Lastkahn ins Schlepptau, der leere Stahlcontainern sowie Feststoffabfalle aus Vancouver (Washington) geladen hat, und bringen ihn zu einer Deponie hinter Boardman.
Kilometerlange Frachtzüge der Eisenbahngesellschaften Burlington Northern entlang des Nordufers und der Pacific Union entlang des Südufers transportieren Getreide aus Nord- und SüdDakota, den Rohstoff Kali aus der Prärie-Region und sogar Autos aus Detroit zu den Exporthäfen der nordwestlichen Pazifikregion. Die Züge erreichen die Terminals zwar lange vor Coles Schiff, dafür benötigt er für die etwa 274 km lange Strecke von Boardman nach Portland nur etwa einen Liter Dieselkraftstoff pro Tonne Weizen. Mehr als 26 Mio. t Getreide werden auf dem Fluss oder entlang seiner Ufer pro Jahr transportiert.
Durch sein großflächiges Fenster knapp neun Meter über der Wasseroberfläche blickt Steve Coles auf die khakifarbenen Hügel von Morrow County. Entlang des Horizonts zeichnen sich die Kreisberegnungssysteme ab, die dem Fluss ungefähr ein Prozent seines Wassers entnehmen, um die Wüste in ein fruchtbares Anbaugebiet für Kartoffeln, Zwiebeln, Minze, Gemüse und Luzerne zu verwandeln. Hinter ihm, am Nordufer, schmiegen sich Weinberge an die steilen Hänge. Dieser Ort – die Flussmeile 270 – befindet sich ungefähr in der Mitte des knapp 465 Meilen (rund 750 km) langen, schiffbaren Wasserweges des Columbia-Snake-Flusssystems.
Es zeigt alles das auf engstem Raum, was so großartig, faszinierend und gleichzeitig herausfordernd an amerikanischen Flüssen und deren Landschaft ist. Unterwegs begegnet man Schleppern, Lastkähnen, Fischer- und Schnellbooten. Nutzpflanzen werden in dieser Gegend nicht nur angebaut, sondern auch verarbeitet und verschickt. Daten werden gesammelt und natürlich Geld verdient.
Vielfältig aufgestellt
„Der Hafen von Morrow ist breit aufgestellt“, erklärt Kristin Meira, Geschäftsführerin des Pacific Northwest Waterways-Verbandes. „Er macht nicht nur ein bisschen von allem, sondern sehr viel von allem.“ Auf einer Fläche von 3.200 ha und einem Netzwerk aus Straßen, Schienen, Rohr- und Stromleitungen haben sich von Kartoffel- über Käse- bis hin zu Datenverarbeitern eine Fülle von unterschiedlichen Unternehmen angesiedelt. Neben einem herkömmlichen Kraftwerk, das Erdgas verstromt, experimentiert eines der Unternehmen mit Biokraftstoffen, während ein anderes Unternehmen Ethanol aus Mais destilliert, der im mittleren Westen angebaut wurde.
Gemeinsam mit dem Hafen bezahlen diese Unternehmen pro Jahr Löhne in Höhe von rund 500 Mio.US-Dollar an mehr als 8.400 Arbeiter aus. Gary Neal, der Geschäftsführer des Hafens, betont, dass sich Morrow des dritthöchsten Durchschnittseinkommens in Oregon rühmen kann. Das könnte Boardman und den anderen umliegenden Gemeinden dabei helfen, die nächste Generation dank herausfordernder und gut bezahlter Jobs vor Ort zu halten.
Strategische Lage
Gerade mal zwölf bis 18 Stunden dauert die Fahrt mit einem Lastkahn zu den Exportterminals rund um Portland (Oregon), weshalb der Flussmeile 270 auch eine strategische Bedeutung zukommt. „Der Fluss stellt für uns ein großartiges Transportmittel dar, das sicher und verlässlich ist, und uns den Transport der Ernten aus dem Inland zu den Exportplätzen vereinfacht“, sagt Kevin Gray, Geschäftsführer der örtlichen Agrargenossenschaft der Morrow County-Weizenzüchter. Der Weizen wird aus einem Umkreis von rund 100 km zum Fluss transportiert, um ihn anschließend nach Asien zu exportieren.
Der Fluss stellt für uns ein großartiges Transportmittel dar.
Kevin Gray
Die Agrargenossenschaft kann im Hafen von Morrow rund 27.000 t Getreide lagern und hat bereits den Grundstein für eine Erweiterung um gut 16.000 t gelegt. Zukünftig wird dadurch die Umladung von Mais aus dem mittleren Westen, der mit Frachtzügen ankommt, direkt in die Lastkähne möglich sein.
Gleich neben dem Silo von Morrow County entlädt Pacific Ethanol einen Frachtzug. Nach Angaben des Pacific Ethanol-Managers Daniel Koch liefert die Bahn alle zehn Tage Mais aus dem mittleren Westen an. Das Unternehmen destilliert daraus Biokraftstoff und verschifft diesen in Lastkähnen weiter zu den Raffinerien von Portland. Jeden Tag versorgen 25 Lkw-Ladungen mit Schlempe rund 100.000 Rinder in einem Radius von 80 km um Boardman. Selbst die Geflügelfarmen in Oregon und Utah werden von hier aus mit Maiskeimöl bedient.
Lebensader Bewässerung
Dank der Bewässerungsleitungen, die das Flusswasser zu den Anbaugebieten transportieren, hat sich auf dem Columbia-Plateau eine erfolgreiche Kartoffel- und Gemüseindustrie angesiedelt. Landwirt Jake Madison aus Echo in Oregon sagt, die Wassermenge bestimmt die Bewirtschaftung der Felder. Als Beispiel nennt er Weizen im Trockenanbau, der nur alle zwei Jahre gesät wird und rund 250 US-Dollar pro Acre (ca. 0,4 ha) einbringt. Dagegen erwirtschaftet er mit Gemüse und Zwiebeln im Bewässerungsanbau etwa 6.000 US-Dollar pro Acre.
Die Lebensader, die für Madisons üppige Ernten sorgt, ist ein etwa 32 km langes Pipeline- und Kanalsystem, welches das Flusswasser zu seiner Farm transportiert. Über 86 Beregnungssysteme und Bewässerungsanlagen kann er das Wasser optimal auf seinen Feldern verteilen. Seitdem sein Vater in den neunziger Jahren das letzte uneingeschränkte Wasserrecht für den Zugang zum Columbia für die Farm sicherte, haben die Madisons das Wassermanagement für die Farm ständig verfeinert. Madison erklärt, dass für jede Frucht das Ertragspotenzial sowie die Wassermenge, die zur Erreichung dieses Ertrags zur Verfügung steht, analysiert wird.
Die Saatverteilung, der Düngemitteleinsatz und die Bewässerungspläne werden so optimiert, dass der höchstmögliche Ertrag erreicht wird. Die Technologie sorgt für den Rest. Neutronen-Messfühler zur Echtzeitmessung der Bodenfeuchtigkeit, Tropfrohre an den Pivot-Systemen und Druckregler haben dafür gesorgt, dass der Wasserverbrauch erheblich verringert werden konnte. Insgesamt verbraucht Madison heute nur etwas mehr als die Hälfte des Wassers im Vergleich zur Anfangszeit der Bewässerung. „Tatsächlich bauen wir qualitativ hochwertigere Produkte bei gleichzeitig weniger Wasserverlust an“, betont Madison.
Wir bauen qualitativ hochwertigere Produkte bei gleichzeitig weniger Wasserverlust an.
Jake Madison
Madisons Betrieb spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Nachhaltigkeit des Hafens und der örtlichen Landwirtschaft. Er ist einer derjenigen, der seine Wasserrechte für alle Kulturen außer Gemüse durch die Verwendung von teilweise wiederaufbereitetem Brauchwasser aus den Industrieanlagen des Hafens erweitert. „Es hat einen guten Stickstoffgehalt und ist flüssig, das reicht uns für den Anbau“, meint er. „Dies ist eine kostengünstige Alternative, statt dass es nur geklärt und wieder in den Fluss abgeleitet wird. Durch diese zusätzliche Wasser- und Nährstoffquelle können wir unsere Fruchtfolge beibehalten und sogar ausbauen.“
Das Wasser aus dem Hafen wird auf einer Anbaufläche von rund 4.856 ha verteilt. Es ist landesweit eines der größten Gebiete, das von solchem Brauchwasser profitiert, und gleichzeitig ein riesiger Gewinn für die regionale Landwirtschaft. Auch Gary Neal ist von der Wasseraufbereitung begeistert: „Wenn Sie ein Gebiet mit einer jährlichen Niederschlagsmenge von etwa 180 mm haben, benötigen viele Felder sowieso eine zusätzliche Bewässerung.“
Ideale Lage für Weinanbau
Der Columbia hat schon immer mehr als nur Fracht transportiert. Dank der Bodenablagerungen durch Gletscher, Überschwemmungen, die den Flussverlauf geformt haben, und dem Wind, der dem Flussverlauf landeinwärts folgt, boomt die Region regelrecht für den Weinbau. Winzerin Brittany Komm sagt, dass die Trauben am Nordufer bei Flussmeile 270 großartigen Wein ergeben, der stark die örtlichen Bedingungen reflektiert. „Der Fluss ist verantwortlich dafür, dass diese Region ein so hervorragendes Anbaugebiet ist“, meint sie.
„Wir haben warme bis heiße Sommer. Während der Erntezeit kühlt es nicht so stark ab, so dass wir die Trauben noch etwas länger hängen lassen können, wodurch sie mehr Geschmack, Farbe und Zucker bilden.“ Ihren Worten zufolge weht hier oben der Wind aus einer günstigen Richtung, weshalb die Trauben dicke Schalen mit tiefen, dunklen Farben und vielen Tanninen ausbilden.
Columbia: Nordamerikas drittgrößter Transportweg für Getreide
Der Columbia fließt durch den Nordwesten der USA, genauer gesagt durch die Bundesstaaten Washington und Oregon. Seine Quelle befindet sich jedoch weit nördlich, in der kanadischen Provinz British Columbia. Bei Astoria erreicht der Columbia den Pazifik und ist damit einer von drei Flüssen, die es überhaupt schaffen, das Küstengebirge der nordamerikanischen Pazifikküste zu durchbrechen. Aus diesem Grund stellt er eine wichtige Verbindung aus dem Inneren des Kontinents zum Pazifik dar. Mit einer Abflussmenge von rund 8,5 Mio. l/sec. gilt der Columbia als wasserreichster Fluss Nordamerikas, der in den Pazifik mündet.