Herr Leithold, wie definieren Sie Präzisionslandwirtschaft?
Für mich ist Precision Farming im Kern eine ackerbauliche Aufgabe, und das Lösen dieser Aufgabe unter wechselnden Umweltbedingungen und Pflanzenzuständen. Die Agronomie steht im Vordergrund, nicht die Technik: Man muss sich zuerst auf die Beantwortung der agronomischen Frage konzentrieren, bevor man sich mit der technischen Ausrüstung beschäftigt, wie das in den vergangenen 20 Jahren häufig getan wurde. Außerdem ist Precision Farming bedarfsorientiert. Entscheidungen orientieren sich nicht an vermeintlichen Ertragspotentialen, sondern am tatsächlichen Bedarf der Pflanzen.
Was sind die wichtigsten Fragen, die sich ein Landwirt vor Beginn der Digitalisierung seines Betriebes stellen sollte?
Die allererste ist: Welche Schwachstellen im Produktionssystem bereiten mir die meisten Sorgen? Dann sollte sich der Landwirt fragen, welche pflanzenbaulichen Informationen er braucht, um einen sachgerechten Lösungsansatz zu finden. Drittens: Welche Technologie liefert mir genau diese Informationen und übersetzt diese mit Hilfe agronomischer Regeln in die richtige Handlungsempfehlung? Darüber hinaus sollte sich der Bauer mit seiner eigenen Haltung gegenüber dem Risiko auseinandersetzen. Zu risikofreudigeren Menschen passt eher ein Online-Verfahren, also die sensorgestützte Applikation in Echtzeit, während risiko-averse Landwirte offline-Applikationskarten vorziehen werden.
Wie lange dauert es in der Regel, bis ein Betrieb, der bisher ganz ohne Precision Farming gearbeitet hat, völlig digitalisiert ist?
Wenn dann die grundsätzliche Entscheidung für den Einstieg in das erste Precision Farming Verfahren (teilflächenspezifische Grunddüngung, Aussaat, N-Düngung, oder Pflanzenschutz) einmal getroffen wurde, beginnt die eigentliche Einführung der automatisierten Arbeitsabläufe in den Betrieb. Ich nehme hier Agricon als Beispiel: Wir bieten je Verfahren eine Basisschulung in unseren Räumlichkeiten an, danach je nach Umfang der Digitalisierung zwei bis sechs Schulungstage direkt beim Landwirt (Auffrischung der agronomischen Kenntnisse, Datenmanagement und Bedienung der Maschinen).
Landwirte gewinnen ihre Entscheidungsfähigkeit zurück, weil sie eine landwirtschaftliche Problemstellung auf wissenschaftlicher Grundlage selbstständig lösen können.
Dadurch ist der Landwirt nach einem Jahr betriebsbereit und weitgehend unabhängig. Sie gewinnen ihre Entscheidungsfähigkeit zurück, weil sie nach den Schulungen in der Lage sind, eine landwirtschaftliche Problemstellung auf wissenschaftlicher Grundlage selbstständig zu lösen. Für die schrittweise und komplette Umstellung von analogen und je Feldeinheit einheitlichen Arbeitsgängen hin zu einem digitalen, automatisierten und bedarfsabhängigen Pflanzenbau muss ein Zeitraum von ungefähr fünf Jahren einkalkuliert werden.
Welchen Trend stellen Sie in der Praxis fest? Wie schnell verbreitet sich Precision Farming tatsächlich?
Beim Lesen der Presse entsteht häufig der Eindruck, dass Precision Farming auf allen Bauernhöfen verbreitet ist. In Wirklichkeit sind wir erst bei den Anfängen. In Deutschland, einem Land, das in Europa an der Spitze steht, setzen meiner Schätzung nach lediglich 10 % der Betriebe diese Techniken routiniert ein, obwohl sich die Adaption seit einigen Jahren beschleunigt.
Optimistisch gesehen lässt sich vorhersagen, dass wir in zehn Jahren bei 50 % sein werden, weil wahrscheinlich ein Generationeneffekt stattfinden wird. Die Jungen zwischen 25 und 35 Jahren, die landwirtschaftliche Betriebe übernehmen, sind mit der Informationstechnologie aufgewachsen. Sie sind aufgeschlossen für neue Technologien und sagen: Warum sollten wir diese ganze Arbeit auf dem Papier oder im Kopf machen?
Es steht also ein Paradigmenwechsel bevor?
Ja, aber letztendlich handelt es sich beim Precision Farming um die Rückkehr zu unseren Ursprüngen – eine High-Tech-Version des Ackerbaus von einst. Genau wie damals geht es heute wieder darum, als Betriebsleiter den gesamten Betrieb, jedes Feld und jede Teilfläche genau im Blick zu haben. Um dann rational entscheiden zu können, ob, wann, wo und wie die Betriebsmittel ökonomisch sinnvoll eingesetzt werden. Die sorgfältige Analyse von teilflächenspezifischen Daten dient dabei als Grundlage für eine rationale Entscheidungsfindung, die dann konsequent umgesetzt werden muss.