Pflanz­liche Lebens­mittel: Ernäh­rung im Dialog mit Stall und Acker?

Was die Konsu­menten auf ihren Tellern wünschen, hat großen Einfluss darauf, wie und was die Land­wirte in Zukunft erzeugen werden. Nicht umge­kehrt. Wenn also eine nach­wach­sende Gene­ra­tion mehr und mehr das Eisbein meidet und statt­dessen mehr auf pflanz­liche Lebens­mittel zurück­greift, dann wird dies die heimi­sche land­wirt­schaft­liche Produk­ti­ons­weise, trotz globaler Waren­ströme, nach­haltig verän­dern.

„Wir müssen grün werden“, fordert Michael Gusko, „weil die Gesund­heit an erster Stelle steht.“ Dass diese hehre Absicht für konven­tio­nelle Getrei­de­mühlen im harten, kosten­ge­trie­benen Commo­dity-Geschäft nur schwer zu errei­chen ist, weiß kaum einer besser als der Geschäfts­führer der deut­schen Good­Mills Inno­va­tion GmbH am Standort in Hamburg. Nicht zuletzt deshalb beschäf­tigt sich die Good­Mills Inno­va­tion – nomen es omen – mit Neuent­wick­lungen.

Dabei spielt die struk­tu­relle Krise in der Schwei­ne­pro­duk­tion genauso eine Rolle wie die wach­sende Nach­frage nach fleisch­losen Produkten. „Wenn die bishe­rige Schwei­ne­pro­duk­tion tatsäch­lich zusam­men­bricht, müssen wir uns als Mühlen­be­trieb Gedanken machen, wohin mit der Kleie, die unge­fähr 18 Prozent unseres Mahl­vo­lu­mens ausmacht“, gibt Gusko zu Bedenken. Und verweist auf die Option, dass man wert­volle Produkte wie Kleie alter­nativ als Nähr­sub­strat in der Pilz­erzeu­gung einsetzen kann.

Lebens­mit­tel­tech­no­logen wie David Smilowski kreieren aus Pflanz­li­chem erstaun­liche Geschmacksi­mi­tate.

Noch ist dies Szenario aber nicht so weit. Doch unab­hängig davon: In den Labors der Good­Mills Inno­va­tion wird schon heute fleißig an neuen pflanz­li­chen Fleisch- wie Fischer­satz­pro­dukten expe­ri­men­tiert. So ist David Smilowski in der Hamburger Labor­küche damit beschäf­tigt, auf der Basis von pflanz­li­chen Rohstoffen einen perfekten Thun­fisch-Ersatz zu kreieren.

Der Lebens­mit­tel­tech­no­loge füllt dafür extru­diertes Getreide, das auf frap­pie­rende Art und Weise die Haptik und Textur von echtem Thun­fisch hat, in einen Stand­mixer. Dann fügt er genau abge­wogen diverse Binde­mittel und Geschmackspül­ver­chen hinzu und wirft das Rühr­gerät an. Simsa­labim: Die weiß­liche Farbe des extru­dierten Mehls nimmt den typi­schen Ton eines gebra­tenen Thun­fischs an. Und, fast noch erstaun­li­cher, es riecht genauso wie das bekannte Thun­fisch-Topping einer Pizza.

Smilowski strahlt. Er ist zufrieden mit dem Thun­fi­scher­satz. Zudem ist er über­zeugt davon, dass dies ein wich­tiger Beitrag für eine nach­hal­tige Ernäh­rung der Zukunft sein kann. Dafür erhält er vom Geschäfts­führer volle Unter­stüt­zung. Gusko prognos­ti­ziert, „das im Jahr 2050 nur noch halb so viel Fleisch verzehrt wird wie heute.“ Er zitiert an dieser Stelle keinen Gerin­geren als den früheren Nobel­preis­träger Max Planck: Es brauche zwei Gene­ra­tionen, bis sich eine Einstel­lung tatsäch­lich wandelt, so der Physiker.

Jung, weib­lich und gebildet

Kommt also eine Ära, die viele Veganer als „Beyond Meat“ herbei­sehnen? Die Statis­tiken, zumin­dest global betrachtet, weisen deut­lich in eine andere Rich­tung. So ist der welt­weite Fleisch­konsum in den letzten Jahren stetig gestiegen. Fakt ist aber auch, dass beispiels­weise der Konsum von Schwei­ne­fleisch in Deutsch­land signi­fi­kant zurück­geht. Von 1994 bis 2019 ist der Pro-Kopf-Verbrauch von 40,2 auf 34,1 Kilo­gramm gesunken, teilt das Bundes­in­for­ma­ti­ons­zen­trum Land­wirt­schaft (BLZ) aktuell mit. Dagegen hat sich der Anbau von Hülsen­früchten in Deutsch­land im letzten Jahr­zehnt unge­fähr verdop­pelt. Was im Übrigen ganz im Sinne der Eiweiß­pflan­zen­stra­tegie der Bundes­re­gie­rung ist.

Zudem nimmt der Anteil der Bevöl­ke­rung, der gänz­lich auf Fleisch verzichtet, zumin­dest in Deutsch­land, aber auch in ganz Europa deut­lich zu. Laut der Vegane Gesell­schaft Deutsch­land gibt es mitt­ler­weile 1,3 Millionen Veganer in Deutsch­land. Davon sind die meisten jung, weib­lich und gebildet. Neben den Vega­nern gibt es noch schät­zungs­weise vier bis acht Prozent Vege­ta­rier in der Gesell­schaft, welche zwar kein Fleisch verzehren, aber Milch­pro­dukte, Honig und Eier essen.

Mitar­beiter der Rügen­walder Mühle in einer Test­küche: „Mit Fleisch oder ohne“ © Rügen­walder Mühle

Welche Verän­de­rungen ein sich wandelndes Ernäh­rungs­ver­halten hervor­ruft, zeigt sich beispiel­haft an der Rügen­walder Mühle: Das frühere klas­si­sche Schlacht­un­ter­nehmen erreicht seit seinem Produk­ti­ons­start in diesem fleisch­freien Segment schwin­del­erre­gende Wachs­tums­raten: bis zu 100 Prozent in 2020. Die Corona-Epidemie befeuert diesen Trend eher noch. Dabei verwendet die Rügen­walder Mühle für ihre fleisch­losen Produkte zur Hälfte Soja­bohnen aus der Donau­re­gion.

Darüber hinaus passt sich der Lebens­mit­tel­her­steller aus Bad Zwischenahn ganz dem Konsu­men­ten­wunsch nach Regio­na­li­sie­rung an und setzt auf weitere pflanz­liche Rohstoffe aus euro­päi­scher Herkunft: Beispiels­weise kommen die verar­bei­teten Erbsen ausschließ­lich aus Frank­reich und Weizen haupt­säch­lich aus Deutsch­land. Um künftig noch mehr Zutaten regional beschaffen zu können, will der nieder­säch­si­sche Fleisch­her­steller auch vermehrt heimi­sche Prote­in­quellen wie Acker­bohnen, Kartof­feln oder Lupinen einsetzen.

Große Nach­frage nach Soja

So verän­dert der Run auf fleisch­lose Produkte letzt­lich auch die Anbau­stra­te­gien. Tatsäch­lich ist aufgrund der großen Nach­frage nach Soja der Anbau dieser Hülsen­frucht in Deutsch­land auf mitt­ler­weile beacht­liche 29.000 Hektar ausge­weitet worden. Auch Acker­bohnen und andere Hülsen­früchte haben deut­lich an Land gewonnen.

Die Bohl­sener Mühle von innen: Eine Mühle mit hand­werk­li­cher Tradi­tion, die in den letzten Jahren stetig gewachsen ist.

Im ökolo­gi­schen Landbau spielten die Hülsen­früchte ohnehin schon immer eine größere Rolle, nicht weil sie in erster Linie als Flei­scher­satz dienen sollten, sondern weil Legu­mi­nosen ein wich­tiger Garant für den Humus­aufbau sind. Denn gerade in tier­schwa­chen Gegenden wie beispiels­weise die Region Uelzen über­nehmen die stick­stoff­bin­denden Nutz­pflanzen einen wich­tigen Part, um die Frucht­folge zu erwei­tern und den Boden ausrei­chend mit Nähr­stoffen zu versorgen.

Dass man mit dieser acker­bau­li­chen Stra­tegie durchaus Erfolg haben kann, demons­triert die Bohl­sener Mühle beispiel­haft: Sie hat sich in den letzten vierzig Jahren vom einst perspek­tiv­losen Mühlen­un­ter­nehmen zu einem florie­renden Mühlen- und Back­un­ter­nehmen im Ökoseg­ment entwi­ckelt. Der von Bioland zerti­fi­zierte Verar­beiter, der seine Mühle unter anderem mit Wasser­kraft betreibt, zählt mitt­ler­weile 270 Mitar­beiter, die in Zeiten von Corona eine gewal­tige Nach­fra­ge­stei­ge­rung erfahren. „Wir sind voll ausge­lastet, kommen der Nach­frage kaum hinterher“, freut sich indessen Ingke Alsen, Unter­neh­mens­spre­cherin der Bohl­sener Mühle.

Wer in deren Produk­ti­ons­stätten hinein­schnup­pert, sieht sofort: Das Geschäft brummt. Die Back­waren, ob nun „Snäcke­brote“, „Hafer­linge“ oder „Dinkel-Vanil­le­kip­ferl“, sind im Natur­kost­fachandel ebenso gelistet wie im „ausge­wählten Lebens­mit­tel­ein­zel­handel“. Die Rohstoffe für die Mehle sind Weizen, Roggen, Hafer und Dinkel, aber auch Emmer, Einkorn, Wald­stau­den­roggen, Quinoa, Hirse oder Buch­weizen. Rund 200 Bioland­wirte im Umkreis von 200 Kilo­me­tern liefern an die Mühle. Einer von ihnen ist Reiner Bohn­horst, der mit der Biohof Olden­dorf GbR in Naten­dorf, einem vieh­losen Acker­bau­be­trieb mit 485 Hektar Acker, eine weite Frucht­folge prak­ti­ziert: Sie reicht von Erbsen und Acker­bohnen über Lupinen und Quinoa bis hin zu Feld­ge­müse.

Kartof­fel­ernte auf dem Hof von Bioland-Acker­bauer Reiner Bohn­horst im nord­öst­li­chen Nieder­sachsen. Neben Kartof­feln baut er u. a. auch Quinoa und Lupinen an.

Vega­nismus als Chance

„Unsere Produkte stehen im Zeichen einer modernen Hand­werk­lich­keit“, erklärt Bauern­tochter Alsen das Erfolgs­re­zept der Bohl­sener Mühle, das von der Distan­zie­rung vieler junger Menschen vom klas­si­schen Fleisch­ver­zehr indi­rekt profi­tiert. Denn wenn der Fleisch­konsum insge­samt abnimmt, dann wird er logi­scher­weise durch andere Lebens­mittel kompen­siert – und wenn es ein „Cookie Dinkel Hasel­nuss“ sei. „Wir werden aber auch in Zukunft keinen Flei­scher­satz aus Getrei­de­pro­dukten an den Start bringen“, so Alsen weiter. „Wir bleiben in der klas­si­schen Welt der Getrei­de­pro­dukte.“ Alsen liegt es aller­dings fern, auf andere Hersteller mit dem Finger zu zeigen. Wich­tiger erscheint es der Unter­neh­mens­spre­cherin, den aufkei­menden Vega­nismus als Chance zu betrachten.

Die Beschäf­ti­gung mit Fragen des Tier­wohls zieht gene­relle Fragen und den Wunsch nach nach­hal­tigen Produk­ti­ons­pro­zessen nach sich.

Ingke Alsen

Komme doch ein wach­sender Anteil pflan­zen­ba­sierter Ernäh­rung dem ökolo­gi­schen Landbau mit seiner flächen­ge­bun­denen Tier­hal­tung entgegen. „Studien belegen, dass die Konsu­menten auf dem Weg zum veganen Leben beim ökolo­gi­schen Landbau ankommen“, ist ihre gelas­sene Haltung zum Veggie-Boom. Sie fügt hinzu: „Die Beschäf­ti­gung mit Fragen des Tier­wohls zieht gene­relle Fragen und den Wunsch nach nach­hal­tigen Produk­ti­ons­pro­zessen nach sich.“

Derweil prokla­miert der Lebens­mit­tel­her­steller Alpro, der mit großem Erfolg konven­tio­nelle Soja-Milch­pro­dukte in die Regale der Super­märkte bringt, dass es dessen Ziel sei, „den Ernäh­rungs­wandel voran­zu­treiben und eine welt­weite Ernäh­rungs­re­vo­lu­tion zu initi­ieren.“ Mal schauen, wohin die Reise am Ende wirk­lich geht …