Dieses Szenario beflügelt derzeit viele – auch in der Landwirtschaft. So beginnt beispielsweise Mathis Block, Milcherzeuger aus Schleswig-Holstein, in diesem Frühjahr mit dem Bau einer Pflanzenkohlen-Produktion auf seinem Hof in Osterrade. „Wenn nicht jetzt, wann denn?“, sagt der 34-Jährige zu seiner mutigen Investition von rund einer Million Euro, die er gemeinsam mit seinem Bruder Steffen stemmt. Zwar haben die Brüder auch über den Bau einer Biogasanlage nachgedacht, sich aber am Ende dagegen entschieden; sie wollten lieber etwas Neues probieren.
Und wie es so ist mit Neuem, bleiben viele Fragen noch offen: Woher kommt die Biomasse, die verschwelt werden soll? Wer nimmt sie ab? Wie kann man die Pflanzenkohle selbst auf dem Betrieb und auf den eigenen Flächen einsetzen? Wie ist sie aufzubereiten? Sicherlich, so Block weiter, sei auch die weitere Entwicklung des CO2-Preises ein weiterer wichtiger Aspekt, ob das Vorhaben letztendlich ein wirtschaftlicher Erfolg werde.
Wir wollen die Anlage mit Holzhackschnitzeln aus der Region füttern.
Mathis Block
Spätestens mit dem Pariser Klimaabkommen vom Dezember 2015 und den von der Europäischen Union angestrebten Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft bis 2050, winken mit dem Verkauf von CO2-Zertifikaten steigende Erträge. So bindet eine Tonne Pflanzenkohle nach gegenwärtiger Marktdefinition exakt 3,6 Tonnen Kohlendioxid.
Dementsprechend dotierte Zertifikate werden schon heute über globale Handelsplattformen wie der finnischen puro.earth gehandelt, in die erst vor kurzem die Nasdaq, die größte elektronische Börse der USA, als Hauptinvestor mit eingestiegen ist.
Rosige Aussichten für die Produktion von Pflanzenkohle
Die Erfolgsaussichten, da braucht man in keine Kristallkugel zu schauen, stehen für die Brüder Block insgesamt betrachtet gut, ja vielleicht sogar rosig. Tatsächlich hat sich der Preis für Kohlendioxid-Zertifikate innerhalb der letzten zwölf Monate verdoppelt. Das ist nicht sonderlich erstaunlich, weil CO2-Steuer, ambitionierte Klimaschutzziele und globale Konflikte den Druck auf die Nutzung von fossilen Energien extrem erhöht haben – und daher den Marktphantasien nach oben kaum Grenzen gesetzt sind.
Unabhängig der europäischen und globalen Kulisse drehen sich die Gedanken eines Landwirts wie Mathis Block aber nicht täglich ums große Ganze, sondern zuerst um das Geschehen auf dem eigenen Betrieb. Tatsächlich setzt der Milcherzeuger schon heute Pflanzenkohle als Nahrungsergänzungsmittel für seine 300 Kühe, wenngleich in kleinen Dosen, ein.
Auf seinen Gras- und Maisflächen allerdings noch nicht, was er aber optional zukünftig in Erwägung zieht. Füttern will er die bald auf dem Hof stehende Carbonisierungsanlage zunächst einmal mit Holzhackschnitzel aus der Region, die gegenwärtig zum Teil noch nach Dänemark verfrachtet wird. „Das wollen wir regional verwerten“, unterstreicht Block eine Wertschöpfung vor Ort. Für ihn ein Ansatz, den er sich auch an anderen Orten durchaus vorstellen kann. Jedem Dorf seine dezentrale Pflanzenkohlen-Produktionsanlage?
Ob dies immer sinnvoll ist, wird von vielen skeptisch betrachtet. „Wir sind in der Landwirtschaft teilweise aus den natürlichen Kreisläufen ausgestiegen, daher finden gesunde Prozesse nicht mehr vollumfänglich statt“, meint beispielsweise Thomas Hellmann. Der gelernte Landwirt betreibt nebenberuflich die Beratungsfirma „Effektive Mikroorganismen Westküste“, mit der er Rindviehhalter, Schweinezüchter und Biogasanlagenbetreiber biologische Instrumente an die Hand gibt.
Seine Botschaft: Wiederbelebung der ökologischen Prozesse im Tier, in den Pflanzen, im Boden. Dafür setzt er verschiedene Mikroorganismen ein, aber auch Gesteinsmehle und Pflanzenkohle. „Die Pflanzenkohle ist für mich ein Werkzeug unter mehreren“, sagt Hellmann, „sie hat besondere Eigenschaften, die in manchen Fällen gute Wirkungen auslösen.“ Allerdings stellt Hellmann kritisch in Frage, ob es Sinn macht, Pflanzenkohle als Retter von denjenigen Flächen einzusetzen, „wo die Bodenbiologie schon seit Langem leidet, weil ackerbaulich über Jahre hinweg vieles schiefgelaufen ist.“ Bestimmt nicht.
Teilweise sind wir in der Landwirtschaft aus natürlichen Kreisläufen ausgestiegen.
Thomas Hellmann
Dennoch, das so genannte Carbonfarming steht hoch im Kurs. Im Allgemeinen ist damit der langfristige Aufbau von Humus gemeint, im Speziellen auch die Erzeugung von Pflanzenkohle. Überall im In- und Ausland bilden sich neue Netzwerke und Initiativen, die unter dem Oberbegriff der Regenerativen Landwirtschaft an Bedeutung gewinnen. In Insider-Kreisen werden schon seit vielen Jahren die besonderen Eigenschaften der Pflanzenkohle insbesondere eine enorme Bindungskapazität von Nährstoffen und hohe Wasserhaltefähigkeit betont.
Teure Realität der Erdenwirtschaft
Weit vorausschauende Akteure wie die vom Hengstbacherhof in Rheinland-Pfalz leisteten mit der Entwicklung einer eigenen Terra Preta, einer fruchtbaren Erde-Mixtur aus Pflanzenkohle, Komposten und anderen Komponenten, wichtige Pionierarbeit, landeten aber hart in der Wirklichkeit der „realen Erdenwirtschaft“. „Je bekannter Terra Preta wurde, desto höher wurde der Preis für geeignete Pflanzenkohle. Man braucht für Terra Preta zehn bis 15 Prozent Volumen-Prozent an Pflanzenkohle. Früher kostete Pflanzenkohle in guter Qualität 250 Euro pro Tonne heute sind es 500 bis über 1.000 Euro“, räumte Pionier Joachim Böttcher unlängst in einem Interview ein. „Einfach zu teuer.“
So gab es in der der Tat in der letzten Dekade eine ganze Reihe von unternehmerischen Bauchlandungen im Pioniermarkt, während auf der medialen Ebene die hochgeschätzten Wirkungen der Terra Preta, der „schwarzen Wundererde“, dessen Ursprünge in Amazonien liegen, unablässig zirkulierten. Doch sowohl die Qualitäten der Pflanzenkohle als auch die Energiebilanzen der Schwel- bzw. Pyrolyse-Techniken überzeugten lange Zeit nicht wirklich.
Nun scheinen diese Probleme jedoch überwunden zu sein. „Die Technik hat sich weiterentwickelt“, sagt Kai Alberding, Geschäftsführer von Carbo-Force, die Verkohlungsanlagen herstellen. Sie gehören zum kleinen Kreis der Anlagenhersteller in Deutschland, zu denen unter anderen auch die BioMaCon GmbH im niedersächsischen Rehberg oder die Carbon Terra GmbH aus Augsburg gehört. Ihre erste Anlage hat die Carbo-Force auf dem Gelände der Abfallwirtschaft Rendsburg-Eckernförde GmbH errichtet.
Die dortige Carbonisierungsanlage verarbeitet seit Sommer 2021 holzige Abfallfraktionen (geschreddertes Knickholz, das eine Lohnunternehmung aus der Region liefert) zu feinkörnigem Kohlenstaub, die am Ende in BigBags aufgefangen werden. Die Nachfrage sei höher als das Angebot, das mit rund 750 t angegeben wird. Als Input liegen dafür rund 2.400 t holzige Trockenmasse zugrunde. Dabei ist die Carbonisierungs-Anlage in einem 40-Fuß-Container ziemlich unspektakulär untergebracht.
Mit unserer Technologie können wir aus Reststoffen zusätzlich Energie produzieren.
Malte Graf
Wer hineinblickt, ermisst schnell, wie technisch komplex eine Verkohlung von frischer Biomasse zu Pflanzenkohle ist. Das Verfahren arbeitet mit Prozesstemperaturen von 750 bis 800 Grad Celsius. “Wir haben über 15 Jahre Erfahrung in der Entwicklung innovativer Carbonisierungsverfahren gesammelt. Basierend auf der herkömmlichen Pyrolyse haben wir ein neues Verfahren mit partieller Oxidation entwickelt und für den Einsatz in der Praxis immer weiter optimiert“, erklärt Co-Geschäftsführer Malte Graf.
„Während die bisher eingesetzten Pyrolyse-Verfahren durch indirekte Erwärmung über Wärmetauscher enorme Mengen Energie verbrauchen, ist es mit unserer Technologie möglich, aus den Reststoffen zusätzlich Energie zu produzieren“. So fällt bei einer Prozessleistung von einem Megawatt und einem erstaunlich niedrigen Strombedarf von rund 8 kW Leistung rund 450 kW Abwärme an.
Angesichts rapid steigender Energiekosten winkt an dieser Stelle sicherlich eine ebenso wachsende Einnahmequelle. Aber der größte Umsatz erziele man allerdings mit Abstand durch den Verkauf der Pflanzenkohle, die der Carbo-Force GmbH derzeit regelrecht aus den Händen gerissen werden.
Aber wie immer im richtigen Leben wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Die Euphorie über eine flächendeckende CO2-Einlagerung mag bei manchem Händler die Dollarzeichen aufblitzen lassen, aber überzeugt bei Weitem nicht alle Agrarwissenschaftler und Landwirte. Einige warnen sogar vor kontraproduktiven Prozessen. Zu große Mengen von Pflanzenkohle könnten bei einigen Bodentypen Sättigungsniveaus bewirken, die zu Auswaschungen von Stickstoffen etc. führen.
Pflanzenkohle kein Allheilmittel der Landwirtschaft
Und Landwirt Volker Bosse aus Nienburg (Saale) rechnete in einem Leserbrief in einer landwirtschaftlichen Fachzeitschrift minutiös vor, dass bei einem gängigen C:N-Verhältnis von 12:1 schon bei einem jährlichen Humusaufbau von 0,1 Prozent ziemlich viel Stickstoff benötigt werden würde. Deshalb sei Carbonfarming aus seiner Sicht angesichts der aktuellen Düngerpreise Carbonfarming eine Milchmädchenrechnung.
Das wird sich zeigen. Wichtig ist aber festzuhalten, dass der kommende Einzug der Pflanzenkohle in die Landwirtschaft kein Allheilmittel sein wird; erst recht nicht, wenn schadstoffbelastete Biomassefraktionen verkohlt werden sollen. Denn auch Pflanzenkohle ist nicht für die Ewigkeit chemisch stabil, irgendwann, keiner weiß wirklich genau wann, kann sich das carbonisierte Material auch wieder destabilisieren, so dass Schadstoffe in die Umgebung diffundieren könnten.
Von daher ist Vorsicht geboten, was jedoch nicht gegen den Einsatz guter Pflanzenkohle spricht. Ganz im Gegenteil, das Thema ist eingebettet in einem weltweiten Umdenken, wie die sensible planetare Haut, unser Boden, nachhaltig und klimaschützend beackert werden kann. Eine komplexe Sache, die keine einfachen Antworten bietet.
So braucht jeder Standort eine individuelle Betrachtung, das weiß auch Christoph Thomsen, Vorstandsmitglied des 2017 gegründeten Fachverbandes Pflanzenkohle mit Sitz in Leonberg. Thomsen ist auch Projektleiter von Humusreich Schleswig-Holstein, das sich zum Ziel gesetzt hat, Landwirte für die vielfältigen Vorteile eines Humusaufbaus ihrer Böden zu überzeugen.
„Obwohl es aus bestehenden Initiativen zum Humusaufbau (insbesondere aus Österreich) viele Empfehlungen zu Bewirtschaftungsmethoden gibt, lässt sich dieser Ansatz nicht 1:1 auf Norddeutschland übertragen“, sagt Thomsen und versucht mit verschiedenen Informationsveranstaltungen den Wissensaufbau unter Landwirten zu fördern. „Wir können dabei die Landwirte, die in den Humusaufbau einsteigen wollen, mit Klimaschutz-Zertifikate unterstützen“, wirbt Thomsen für die „Klima-Dienstleistung“ seitens der Landwirtschaft.
Infobox Pflanzenkohle
Pflanzenkohle wird üblicherweise aus Pflanzenresten unter Luftabschluss bei Temperaturen zwischen 380 °C und 1000 °C hergestellt. Sie wird sowohl als Bodenverbesserer als auch als Trägerstoff für Düngemittel sowie als Hilfsstoff für die Kompostierung und Nährstofffixierung von Gülle eingesetzt. Bei der Verwendung als Bodenverbesserer wird ihr großes Potential als Mittel zur Kompensation der Kohlendioxid-Emissionen zugeschreiben. In Verbindung mit anderen Beimengungen wie Knochen, Fischgräten, Biomasseabfällen und Fäkalien ist Pflanzenkohle Bestandteil der Terra preta. Darüber hinaus wird sie auch als Futtermittelzusatz und Nahrungsergänzungsmittel verwendet.