Zehn Trocknungstische stehen in der Sonne. Auf einem der Tische sind dunkelrote Bohnen ausgebreitet, auf einem zweiten goldgelbe und auf dem dritten hellbraune Bohnen. Zwei Arbeiter verarbeiten die Ernte des Tages: Sie entfernen die Bohnen aus den Kaffeekirschen, die auf der eigenen Plantage organisch angebaut werden. Aus den Bohnen wird Spezial- und Premium-Kaffee hergestellt.
Nguyĕn Vũ Tú Anh, Miteigentümerin von Aeroco Coffee, lässt goldgelbe Bohnen durch ihre Finger gleiten. „Wir drehen die Bohnen alle 30 Minuten“, erklärt sie. „So können sie gleichmäßig trocknen. Nach ein oder zwei Tagen ist der Feuchtigkeitsgehalt niedrig genug, um zur nächsten Phase überzugehen, der finalen Trocknung im Treibhaus. Anschließend werden die Bohnen in einer klimatisierten Umgebung gelagert.“

Die Ernte beginnt dieses Jahr erstaunlich früh. Nguyĕns Ehemann, Lê Dình Tu, hat die Plantage am See Ea Kao bereits in den Morgenstunden verlassen, um die Ernte auf der zweiten Plantage in Kon Tum zu überwachen, das über 250 km nördlich liegt. „Wir beginnen üblicherweise im November mit der Ernte“, erklärt sie. „Doch aufgrund des warmen Wetters der letzten Wochen sind die Bohnen früher gereift.“
Wetterabhängig
Seit acht Jahren dreht sich das Leben von Nguyĕn und Lê um Kaffee. Auf 13 ha rund um den Ea Kao See, nahe der Provinzhauptstadt Buôn Ma Thuôt, bauen die beiden die Sorte Robusta an und in Kon Tum auf 8 ha Arabica.
Nguyĕn erklärt uns: „Arabica-Bohnen wachsen am besten in höheren Lagen. Aus diesem Grund bauen wir diese Sorte an unserem Standort in Kon Tum, der auf rund 1000 m Höhe liegt, an. Die Robusta-Bohnen wachsen hier am See, auf einer Höhe von ungefähr 500 m.“


Doch nicht nur die Höhe, sondern vor allem auch das Wetter sind entscheidend für die Ernteerträge, die von Jahr zu Jahr unterschiedlich ausfallen können. „Wir ernten durchschnittlich zwischen 1.500 kg und 1.800 kg/ha Arabica. Beim Robusta sind es 2.000 kg bis 2.200kg/ha.“
Organisch angebaut für die Biodiversität
Die Plantagen in Ea Kao und Kon Tum unterscheiden sich optisch stark von den traditionellen gerade in geraden Reihen entlang der Häge angelegten Plantagen.

Nguyĕn sieht herkömmliche intensive Kultivierung eher kritisch: „Dafür werden große Mengen an Pflanzenschutz- und Düngemitteln benötigt. Wir haben uns dazu entschieden, lieber organisch anzubauen.“ Sie gibt zu, dass ihre Plantagen im direkten Vergleich eher „unordentlich“ aussehen – doch genau das ist es, was eine großartige Biodiversität schafft.

Weiter erklärt sie, dass ihre Kaffeepflanzen neben Pfeffersträuchern und Fruchtbäumen in einem Dreischichtsystems angepflanzt werden. „Die erste Schicht besteht aus Gras. So trocknet der Boden nicht aus und kleinere Lebewesen haben einen Schutzraum. Die Kaffeepflanze bildet die zweite Schicht. Als Drittes kommen dann Pfeffersträucher oder Fruchtbäume.“
An einigen Stellen gibt es sogar eine vierte Schicht mit noch größeren Bäumen, die viel Schatten spenden. Wegen dieses Schichtsystems müssen sich die beiden nicht ausschließlich auf gewerbliche Pflanzenschutz- bzw. Düngemittel verlassen. „Wir tragen dadurch zur Biodiversität bei und machen uns natürliche Schutzmechanismen zunutze.“
Wir nutzen natürliche Schutzmechanismen und tragen dadurch zur Biodiversität bei.
Nguyĕn Vũ Tú Anh
Aktuell werden auf den Plantagen drei Sorten Arabica und eine Robusta-Sorte angebaut. Außerdem liegt der gesamte Produktions- und Verkaufsprozess in ihren Händen. „Wir kümmern uns um alles selbst“, sagt Nguyĕn stolz. „Wir pflücken, entkernen, trocknen, rösten, verarbeiten, verpacken, verkaufen… einfach alles.“ Dabei nutzen sie die gesamte Pflanze: „Die Hülsen nutzen wir als Kompost und aus den Blütenblättern machen wir Tee.“
Für besseren, vietnamesischen Kaffee
Mit Dünger fing alles an. Während Nguyĕn als Anwältin in Ho Chi Minh arbeitete, reiste Lê durch das Land und verkaufte Düngemittel. Aus seinen Gesprächen mit Erzeugern und den Eindrücken auf den Plantagen erkannte Lê schnell, dass viel zu viele Chemikalien eingesetzt werden.
„Jeder hat einfach Chemikalien eingesetzt, ohne richtig darüber nachzudenken“, verrät er während einer Online-Konferenz. „Kurzfristig führt das natürlich zu Gewinn, aber weil ich schon so lange Teil der Branche war, habe ich auch die Auswirkungen auf die Biodiversität miterlebt.“
Ich fand es immer schade, dass Kaffeebohnen aus Vietnam hauptsächlich für Instantkaffee verwendet werden. Wir können viel besseren Kaffee produzieren!
Lê Dình Tu
Die Böden wurden ausgelaugt, sodass immer größere Mengen Düngemittel eingesetzt werden mussten. Ebenfalls erstaunlich für Lê war die Tatsache, dass Kaffee aus Vietnam trotz seiner wichtigen Rolle auf dem Weltmarkt international kaum angesehen war.
„Kaffeebohnen aus Vietnam wurden lange hauptsächlich als Rohstoff für Instantkaffee verwendet“, erklärt er. „Das lag in der Regel an mangelnder Qualität. Ich fand das immer sehr schade, denn wir haben sowohl die Expertise als auch die Möglichkeiten, viel besseren Kaffee zu produzieren.“

Hohe Lohnkosten
Der Weg war nicht immer leicht für sie. Der Anbau ist teuer, insbesondere aufgrund der hohen Lohnkosten. Auf traditionellen Plantagen wird nur einmal während der Erntesaison geerntet – Bei Aeroco ernten die Arbeiter fünfmal jährlich. „Das ist sehr arbeitsintensiv. Für die Bohnenqualität lohnt es sich aber“, sagt Nguyĕn.
Sie nimmt ein Refraktometer aus ihrer Hosentasche und gibt eine Kaffeekirsche hinein. „Mit dem Refraktometer messen wir den Feuchtigkeitsgehalt der Kirschen. Bei rund 18 % sind die Kirschen bereit für die Ernte. Sehen Sie sich bloß die schöne rote Farbe an! Wir pflücken nur Kirschen mit dieser Farbe. Erntet man nur einmal jährlich, werden alle roten, aber auch die grünen unreifen Kirschen gepflückt. Man spart so bei den Arbeitskosten, aber man nimmt auch eine schlechtere Qualität in Kauf.“


Ihr Bio-Kaffee hat höhere Kosten und somit einen höheren Preis: Für 500 g Bohnen zahlen Kunden 600.000 VND (23,69 € oder 20,86 £). „Unser Kaffee ist 1,5- bis 2-mal teurer als herkömmlicher Kaffee“, sagt Nguyĕn.
Kunden aus dem Ausland müssen zudem zusätzliche Kosten, wie Transport und Importgebühren, tragen. „Aktuell werden rund 80 % unseres Kaffees lokal verkauft und 20 % werden exportiert. Wir sehen einen aufkommenden Trend mit größerer Nachfrage nach Bio-Produkten. Schon jetzt vertreiben wir unseren Kaffee in Ländern wie den USA, Deutschland, Japan und Korea.“

Nguyĕn und Lês Bemühungen tragen Früchte: Letztes Jahr haben sie den Vietnam Amazing Cup 2022 gewonnen – eine jährlich verliehene Auszeichnung für Anbauer von „Spezialitätenkaffee“. Für Nguyĕn bedeutet das „Anerkennung und einen weiteren Schritt in die richtige Richtung.“
Nachhaltige Beziehungen
Das Unternehmen beschäftigt 15 Mitarbeiter, während der Ernte sind es sogar 30. Für die beiden gehört zur Nachhaltigkeit auch ein gutes Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Auf ihren Plantagen arbeiten ungefähr genauso viele Männer wie Frauen. „Es ist wichtig, dass Frauen ebenfalls arbeiten können“, findet Nguyĕn. „Unsere Arbeitszeiten sind daher recht flexibel. Einige der Frauen arbeiten morgens, damit sie nachmittags zurück sind, wenn ihre Kinder aus der Schule nach Hause kommen. Ich will sie gut bezahlen, damit sie ihre Familie unterstützen können. Zufriedene Arbeiter tragen zu einem guten Produkt bei. Aus diesem Grund lege ich viel Wert auf gute und langanhaltende Beziehungen’.“

Dieser Grundgedanke liegt auch den Partnerschaften mit drei Vertragskaffeeerzeugern zugrunde. Mit diesen bestehen 5-Jahres-Verträge. „Es gibt viele Landwirte, die Kaffee auf nachhaltige Weise anbauen wollen, doch viele wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Außerdem ist ihnen ein guter und garantierter Preis wichtig“, erklärt sie.
„Wir zeigen ihnen ‘unsere’ Art des Anbaus und stellen ihnen Kaffeepflanzen, Maschinen, Ausrüstung und Dünger zur Verfügung. Zudem ‘überlassen’ wir ihnen unsere Mitarbeiter und stellen den Kauf des Produkts sicher.“
Ein großer Traum
Doch die beiden haben noch große Pläne und sind noch längst nicht am Ziel. Lê hofft, eines Tages ein eigenes Forschungs- und Entwicklungszentrum aufbauen zu können. Im nächsten Jahr soll ein Bereich entstehen, auf dem mit 80 Bohnensorten experimentiert werden kann. Geplant ist ein langsamer, aber stetiger Ausbau.
Lês größter Traum ist, dass Vietnam auch international als Erzeuger von hochwertigem Kaffee Anerkennung findet und Aeroco eine zentrale Rolle dabei spielt. „Vielerorts könnte es den Erzeugern so viel besser gehen. Ich will mit Stolz sagen können, dass dieser Kaffee aus Vietnam stammt.“

Vietnamesische Kaffeekultur
Seitdem französische Jesuitenmissionare Ende des 19. Jahrhunderts Kaffeebohnen in das vietnamesische Hochland brachten, hat der Kaffeeanbau ein stetiges Wachstum erlebt.
In Vietnam werden 705 000 ha Kaffee angebaut. Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat sich das Hochland zu einem der wichtigsten Anbaugebiete des Landes entwickelt. Ungefähr die Hälfte dieses Kaffeeanbaus findet in der Provinz Dak Lak statt – dadurch hat sich die Anbaufläche in der Provinz seit 1990 verfünffacht.
Ein vulkanischer Boden und mildes Klima bilden ideale Voraussetzungen für einen langfristigen Kaffeeanbau. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 26 °C bei einem jährlichen Durchschnittsniederschlag von 2.000 mm.
Mittlerweile ist Vietnam der größte Exporteur von Robusta-Kaffeebohnen weltweit. Bei Arabica-Bohnen steht das Land auf Platz 15. In Vietnam wird wegen des hohen Koffeingehalts vorrangig Robusta getrunken, oft mit Eis und Zucker oder etwas Kondensmilch.

Für die Vietnamesen ist Kaffee mehr als Kaffee – es ist ein wichtiges soziales Bindemittel. Man trifft sich häufig auf einen Kaffee und tauscht sich aus. An nahezu jeder Straßenecke findet sich ein Café: Damit ist Kaffee aus der vietnamesischen Kultur nicht mehr wegzudenken.