In der früheren Remise sind heute Rezeption und Guts-Restaurant untergebracht. An der Wand hängt eine bunte Grafik mit dem Titel „Agrarkultur“, in deren Mitte eine Biogasanlage platziert ist. Und tatsächlich nimmt das Thema Energie nicht nur plakativ eine zentrale Bedeutung auf dem südöstlich von Rostock liegenden Gut Dalwitz ein. „Wie bekomme ich meine betrieblichen Kreisläufe geschlossen!“ ist eines der treibenden Motive von Gutsbesitzer Dr. Heinrich von Bassewitz. Seine 700 Hektar Acker und 400 Hektar Weiden bewirtschaftet der 68-Jährige mit seinem Team seit Beginn der Neunziger Jahre nach ökologischen Richtlinien im Anbauverband Biopark.
„Dabei hängen stoffliche und energetische Kreisläufe immer eng zusammen“, erklärt er in seinem Arbeitszimmer, auf dessen Arbeitstischen sich zahlreiche Bücher, Magazin und sonstige Dokumente und Papiere stapeln. Der Mann hat offenbar viel um die Ohren, ist er doch Chef von 35 Mitarbeitern, von denen 30 den touristischen Zweig mit Reitbetrieb, Gastronomie, Hotellerie und weiteren Ferienunterkünften mit insgesamt 120 Betten managen und fünf den landwirtschaftlichen Betrieb meistern, zu dem auch 700 Hektar Wald gehören. Integriert darin die Arbeit auf und mit der Biogasanlage, die er mit 1,5 Arbeitsstellen beziffert.
Energieeffiziente Weidewirtschaft
Klar, dass angesichts dieser Größe und Struktur auf dem Betrieb hoher Energiebedarf respektive hohe Energiekosten anfallen. „Wir haben rund 8.000 Quadratmeter Wohnfläche, die wir beheizen müssen, das entspricht ungefähr einem jährlichen Bedarf von 64.000 Liter Heizöl!“, skizziert er die Situation in Zeiten inflationär gestiegener Preise für Gas, Kraftstoffe und Strom. Allein die Stromrechnung des Gesamtbetriebs lag vor Kriegsbeginn bei jährlich 35.000 Euro und wird, so schätzt er, mittlerweile auf über 50.000 Euro angestiegen sein.
Die Zeiten von Discount-Energie sind endgültig vorbei.
Dr. Heinrich von Bassewitz
„Die Zeiten von Discount-Energie sind endgültig vorbei“, konstatiert Bassewitz, der sich in seiner Doktorarbeit mit der Weidewirtschaft auseinandersetzte. Daher liegt es auch nahe, dass er ein expliziter Anhänger der Weidewirtschaft ist, „weil kaum eine andere Wirtschaftsweise so energieeffizient und mit so einem geringen Aufwand betrieben werden kann“. Und an die Adresse der veganen Weltverbesserer gerichtet, sagt er, der in Verbänden jahrelang Lobbyarbeit mitgestaltet hat, unmissverständlich: „Überall dort wo es Senken, Hänge, anmoorige oder feuchte Standorte gibt, bietet sich eine Weidenutzung mit Rindern und Schafen zwingend an. Wer sonst sollte dort das Gras nutzen?“
Auf den Flächen von Gut Dalwitz übernimmt es eine große Herde von Mütterkühen der Rasse Rot Angus. Die Kühe kalben im Frühjahr und verbringen mit ihren Kälbern den Sommer gemeinsam auf den Weiden. Im Oktober werden die Kälber unter großem Geblöke getrennt; dabei wird das Team auf Gut Dalwitz von jungen Menschen unterstützt, die auf dem Betrieb ihr freiwilliges ökologisches Jahr oder Betriebspraktika absolvieren. Neben der Mutterkuhhaltung beansprucht auch die Herde von Criollos, robusten uruguayischen Reitpferden, viel Aufmerksamkeit und Pflege, die die jungen Leute wie beispielsweise Clara aus Brandenburg offenbar gerne ausüben.
Wieso Criollos, wieso uruguayische Zäune in der Mitte von Mecklenburg-Vorpommern? Das hat eine lange Vorgeschichte. Bassewitz` Großvater harrte im Sommer 1945 kurz nach dem Sieg der Alliierten über Nazideutschland noch auf dem Gut aus, um irgendwie zu retten, was aber einfach nicht mehr zu retten war. Die Sowjets verstaatlichten den Betrieb, der frühere Gutsbesitzer floh in den Westen. Nach dem Mauerfall, mehr als 45 Jahre später, kam dann sein Enkel, Dr. Graf Heinrich von Bassewitz mit ganzem Namen, nach vielen Jahren landwirtschaftlicher Projektarbeit im Ausland, unter anderem in der Elfenbeinküste und in Uruguay, als „Wiedereinrichter“ zurück zum einstigen Familienbesitz in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Riesenchance und eine Riesenherausforderung zugleich, weil die Gebäude in einem erbärmlichen Zustand und die Ländereien vor der Nase weggepachtetet worden waren. Bassewitz und seine uruguayische Frau Lucy ließen sich aber nicht beirren und stiegen ins Abenteuer ein.
Ackerbaustrategie mit achtjährigem Fruchtwechsel
Neben den Weiden – mecklenburgische Pampa – für Pferde und Rinder hat Bassewitz inzwischen einen ausgeklügelten Ackerbau etabliert. Im E-Auto, getankt an der eigenen Ladestation auf dem Gutshof und gespeist mit dem Strom aus der betriebseigenen Photovoltaik-Anlage (100 kWp installierter Leistung), surren wir zum Acker. Wenngleich es nicht direkt mit Energienutzung zu tun hat, hebt Bassewitz am Feldrand explizit den Anbau von Kleegras hervor. Es spielt in seiner Ackerbaustrategie die Hauptrolle: Innerhalb eines achtjährigen Fruchtwechsels nimmt Klee ungefähr ein Fünftel der Fläche ein. „Er liefert uns die Nährstoffe und Organik im Boden, die wir brauchen. Es gelangt als Substrat zusammen mit Festmist von den Kühen, Schweinen und Hühnern in unsere Biogasanlage und wird nach dem Vergären wieder als Gärrest auf die Felder zurückgegeben.“ Daher besteht kein Zweifel: Ihm treiben derzeit hohe Düngerkosten keine Sorgenfalten in die Stirn!
Und noch ein Aspekt ist ihm wichtig: Der Zwischenfruchtanbau. Auf rund 280 Hektar stehen Zwischenfrüchte wie der weißblühende Ölrettich. In diesem Herbst steht er gut, besonders üppig gedeiht er dort, wo im August Süßlupine geerntet worden ist und wo deren Ausdrusch gekeimt ist und mit dem Ölrettich zusammen eine geschlossene Pflanzendecke bildet. „Früher haben wir in einem Arbeitsgang die Stoppeln gegrubbert und dann in einem zweiten den Rettich gesät, inzwischen sparen wir uns das und Grubbern und Säen stattdessen zugleich. Das reduziert Arbeitsaufwand und Energie“, freut sich und fügt hinzu: „Die Zwischenfrucht hält uns den Boden feucht und führt mit den von ihren Wurzeln gebildeten Röhren das Wasser bis 70 Zentimeter tief in den Boden. Ein Wasserspeicher, der in Zeiten großer Trockenperioden ackerbaulich unbezahlbar ist.“
Ohnehin sind ihm ackerbauliche Prinzipien wichtiger als kurzfristige Cash-Mentalität, wenn die Rohstoffmärkte mit hohen Preisen zu wenig nachhaltigem Tun locken. Zu diesen Prinzipien gehören für ihn auch der fortlaufende Wechsel von Winter- und Sommerfrüchten, von Blatt- und Halmfrüchten sowie Tief- und Flachwurzlern in der weiten Fruchtfolge.
Läuft also trotz „Energiekrise“ auf seinem Betrieb alles optimal? Leider nicht, denn die aktuelle wirtschaftliche Situation mit enorm steigenden Kosten für Energie, aber eben auch anderen Betriebsmitteln haben Bassewitz veranlasst, geplante Investitionen in Höhe von einer halben Million Euro kurzfristig auf Eis zu legen. So bleiben die Baupläne für eine weitere Wärmeleitung von der Biogasanlage zu Ferienunterkünften sowie für einen neuen, größeren Gärrestbehälter, der noch passgenaueres Ausbringen von Gärresten ermöglichen würde, vorerst in der Schublade. Aufgeschoben ist (hoffentlich) nicht aufgehoben.
Weitere Möglichkeiten zur Energiegewinnung
Ganz abgesehen von diesen beiden Vorhaben macht er sich Gedanken über eine Windenergienutzung im eigenen Forst und zudem hält er sich die Möglichkeit offen, einen großen Solarpark mit einer installierten Leistung von 45 Megawatt auf eigenem Land installieren zu lassen. Obgleich Bassewitz von so einem Projekt nicht so richtig begeistert zu sein scheint, weil es letztlich doch landwirtschaftliche Produktion verdrängt, sei es aber weiterhin eine ökonomische Option für den Gesamtbetrieb.
In diesem Zusammenhang schimpft er über die Ignoranz gegenüber dem Thema Biogas gerade in Zeiten der Gasknappheit und explodierender Gaspreise. „Es kann doch nicht sein, dass in der Krisensituation nicht erkannt wird, welche wichtige Rolle Biogas als grundlastfähige, flexible und speicherbare erneuerbare Energie für die ganze Gesellschaft hat! Bei steigenden Kosten für Substrate muss deshalb auch die Vergütung für den Biogasstrom erhöht werden, ansonsten lässt sich die Biogasproduktion trotz aller Vorteile wirtschaftlich nicht mehr betreiben.“
Ebenso bleibt für ihn eine wichtige Aufgabe in Zukunft, den Energiebedarf der Traktoren und anderer landwirtschaftlicher Geräte klimafreundlicher als bisher zu gestalten. Noch wird einmal die Woche Diesel bestellt. Doch wie geht es in Zukunft weiter? Elektrisch, mit Biomethan oder doch mit Wasserstoff?
Wie auch immer, Einsparungspotenziale gibt es an vielen Stellen. So hat er beispielsweise einen 18 kW großen Kompressor, der die Abluft der Biogasanlage in mehrere Container, in denen Getreide getrocknet wird, bringt, vor Kurzem durch einen neuen ersetzt. „Das alte Modell kannte nur An oder Aus, das neue passt sich dagegen dem Wärmebedarf an, dadurch sparen wir jetzt viel Energie ein.“ Wenngleich viele Bemühungen auf vielen Ebenen mahnt Bassewitz Politik und Gesellschaft aber eindringlich, sich rechtzeitig und entschlossen auf eine neue Ära zu präparieren: „Die Katastrophe kommt spätestens im nächsten Winter, falls wir nicht endlich einen Plan entwickeln, wie wir langfristig von den fossilen Brennstoffen wegkommen.“