Auf dem Acker der Baumschule Spantekow werden keine Gummibäume kultiviert. Nein, weit gefehlt, neben Forstpflanzen wie Eiche, Buchen, Lärche und anderen Gehölzen pflanzt der Betrieb auf mehreren Hektar lehmigen Sandbodens neuerdings auch den Russischen Löwenzahn (Taraxacum koksaghyz) an. Wenig spektakulär wächst er im Reihenabstand von 30 bis 45 cm heran. Seine Blätter, schmaler als beim einheimischen Löwenzahn, schmiegen sich flach auf den Boden, während sich die gelben Blütenstände nach oben strecken.
„Um Konkurrenz wie Knöterich, Weißen Gänsefuß, Ackerstiefmütterchen und Schachtelhalm kurz zu halten, sind auch mechanische Pflegemaßnahmen fester Bestandteil unseres Anbauverfahrens“, erklärt Frank Behm. Er ist Anbaukoordinator des Taraxagum Lab Anklam in Vorpommern, das von der Continental Reifen Deutschland GmbH Ende 2018 eingeweiht wurde.
Der Reifenhersteller aus Hannover hat sich die Aufgabe gestellt, die Erforschung der Pflanze mit hohen Kautschukgehalten am Standort Deutschland weiter voranzutreiben. Mit dem aus dem Löwenzahn gewonnenen Kautschuk will man den aus dem tropischen Baum Hevea brasiliensis gezapften ergänzen. Das weltweit operierende Unternehmen stellt jährlich fast 154 Millionen Reifen her, in denen je nach Typ und Verwendung zwischen 10 bis 40% Naturkautschuke enthalten sind.
Geheime Rezeptur
„Wir stellen hier aber in naher Zukunft keine Reifen her“, stellt Carsten Venz, Standortleiter des Taraxagum Lab, gleich zu Beginn klar. Dennoch: Eine Serienproduktion von Kautschuk aus Löwenzahn sei in zehn Jahren durchaus denkbar. Gegenwärtig stehen 35 ha Löwenzahn bei mehreren landwirtschaftlichen Betrieben sowie der Baumschule Spantekow im vertraglichen Versuchsanbau. „Es ist absolute Pionierarbeit und mit ganz vielen Herausforderungen behaftet“, fügt der Standortleiter hinzu, der sich freut, dass sowohl lokale Politik als auch die Menschen in der Region das Vorhaben begrüßen.
Wenngleich der Chemiker nichts zum Produktionsprozess verraten darf und ein Gang durch das Labor partout nicht erlaubt wird, zeigt er doch gerne auf einen kleinen Glaskubus, in dem sich bräunlich knautschige Teile befinden: Es ist in Anklam hergestellter Naturkautschuk, der sich ohne Lösungsmittel aus dem Wurzelsaft „wie von selbst findet“. Aus ihm kann über den Vulkanisierungsprozess später Gummi hergestellt werden.
Allerdings liegt die Messlatte für eine kommende Markteinführung des nachwachsenden Rohstoffes als Ersatz für den Naturkautschuk aus den Hauptanbauländern Malaysia, Indonesien, Thailand und Vietnam sehr hoch. „Vom Kautschukbaum wird rund eine Tonne Kautschuk pro Hektar und Jahr geerntet“, erklärt Venz. Bei einem aktuellen Kautschukanteil von 3-5% bei den Wildformen des Russischen Löwenzahns müssten rund 20-35 t/ha vom Feld geholt werden. Sehr ambitioniert.
Vielbeachtete Pionierarbeit
So muss ein Wissenssprung in mehrere Richtungen gelingen: Zum einen muss züchterisch noch viel Arbeit geleistet werden. Federführend in diesem Segment ist Dr. Fred Eickmeyer aus dem niederbayerischen Steinach, der sich seit mehr als einem Jahrzehnt intensiv mit dem Saatgut beschäftigt. Zum anderen muss auch in der Anbau- und Erntetechnik noch viel Neuland erschlossen werden, um die kautschukreiche Pflanze ohne Steine, ohne Fremdpflanzenteile und ohne Erde vom Acker zu bekommen.
Dabei geht es ausschließlich um die Wurzel des Russischen Löwenzahns. „Wir setzen bei der Ernte im Oktober bisher Roder ein, die eigentlich für andere Feldfrüchte entwickelt wurden. Das ist natürlich nicht optimal und daher noch mit viel Entwicklungsarbeit verbunden“, verrät Behm, der sich hinsichtlich der Erntetechnik mit der benachbarten Zuckerfabrik austauscht. Behm erprobt auch die Fruchtfolgefähigkeit. „Nach Löwenzahn kann eigentlich alles angebaut werden“, sagt er und sieht damit für die Landwirtschaft in der Region eine interessante Option, mit dem nachwachsenden Rohstoff die Fruchtfolgen zu erweitern.
Nach Löwenzahn kann eigentlich alles angebaut werden.
Frank Behm
Apropos Zucker: Der Russische Löwenzahn, der im Übrigen einen niedrigen Stickstoffbedarf hat, enthält neben Kautschuk auch hohe Anteile an Inulin, das langfristig als Koppelprodukt genutzt werden könnte. Allerdings ist das derzeit nicht Gegenstand des rund 35 Mio. EUR teuren Forschungsprojekts, das im Zeitraum von 2016 bis 2021 vom Land Mecklenburg-Vorpommern mitfinanziert wird.
Neben Continental sind im Forschungsverbund u. a. das Julius Kühn-Institut, die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) und das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie (IME) beteiligt. Eine Pionierarbeit, die von der globalen Kautschuk-Branche aufmerksam beäugt wird.