Die Alte Mälzerei im Berliner Stadtteil Schöneberg ist ein eindrucksvolles Baudenkmal. Ihre Schornsteine zeugen davon, dass in den Hallen aus rotem Klinker einst die größte Mälzerei Europas dampfte. Mitte der 1990er Jahre stellte die Brauerei den Betrieb ein, seit zwei Jahren findet auf dem Hof des Geländes die Zukunft statt: Bei ECF Farmsystems werden mitten in der Stadt hochwertige Lebensmittel produziert. Und das mit so wenig Verbrauch an Ressourcen wie möglich.
Unser Hauptstadtbarsch ist der frischeste Fisch, den es in Berlin zu kaufen gibt.
Nicolas Leschke
„Unser Hauptstadtbarsch ist der frischeste Fisch, den es in Berlin zu kaufen gibt“, sagt Nicolas Leschke selbstbewusst. „Das gleiche gilt für unser Basilikum“, so der Unternehmer weiter, der zusammen mit seinem Partner Christian Echternacht ECF Farmsystems gegründet hat.

Jung und zielstrebig. Die beiden ECF-Gründer Nicolas Leschke (links) und Christian Echternacht.
Die beiden produzieren Fisch und Gemüse mit einem System, in dem das Abwasser der Fischzucht zur Düngung und Bewässerung des Gemüses genutzt wird. Dies wird als Aquaponik bezeichnet. Dafür filtert ein Trommelsieb die Feststoffe heraus. Mikroorganismen wandeln anschließend in einem Biofilter das Ammonium der Fischausscheidungen in Nitrat um, das die Pflanzen düngt. Die Anlage verbraucht damit 70 bis 90 % weniger Wasser im Vergleich zu Fischzucht und Gemüseanbau vergleichbarer Größe, die getrennt voneinander arbeiten.
Frische Fische, frische Pflanzen

Neu und alt. Das Gewächshaus von ECF Farmsystems vor der Alten Mälzerei.
Nicolas Leschke stößt die Tür zu der Halle mit der Fischzucht auf. Die Tilapia-Buntbarsche schwimmen in schwarzen Tanks in 27 °C warmem Wasser. Dahinter geht der Blick in das Gewächshaus, wo lange Reihen Töpfe mit Basilikum stehen. Der Duft ist umwerfend. Die Blätter der Pflanzen sind fest und knackig. Die Töpfe stehen auf großen Tischen, die in Intervallen mit düngerhaltigem Wasser geflutet werden. Temperatur, Wasser und Düngermenge steuert ein Computer, der mit einer Wetterstation auf dem Dach verbunden ist. Der Computer bestimmt zudem den pH-Wert im Wasser. Und das getrennt für die Fisch- und die Pflanzenzucht. Das ist die Besonderheit der Anlage, die ECF Farmsystems zusammen mit dem Leibniz-Institut entwickelt hat.
Bei herkömmlicher Aquaponik wachsen Fische und Pflanzen in einem Wasserkreislauf. Bei ECF Farmsystems gibt es zwei gekoppelte Kreisläufe. „So können wir den jeweils optimalen pH-Wert einstellen“, sagt Leschke. Bei den Pflanzen kann man düngen, was benötigt wird, ohne den Fischen zu schaden. Beim genügsamen Basilikum ist zusätzlicher Dünger nicht notwendig. Ganz anders aber verhält es sich bei Tomaten. Leschke und sein Partner haben in den vergangenen zwei Jahren vieles ausprobiert: Paprika, Gurken, Auberginen oder Zitronengras. „Jedes Produkt hat seine eigenen Anforderungen.“
Draußen kommt ein Lieferwagen der Metro vorgefahren. Neben Metro zählt Rewe in Berlin zu den Abnehmern des Hauptstadtbarsches. Wie auch der Fisch gelangt das Gewürz innerhalb weniger Stunden in die Auslagen. Ohne Temperaturschock im Kühlwagen oder Wasserstress auf langer Fahrt. Normalerweise ist so ein Topf Basilikum drei bis vier Tage unterwegs.
ECF Farmsystems produziert Fisch und Basilikum genau darauf abgestimmt, was Metro und Rewe abnehmen. Auch wenn dabei mit nicht die volle Kapazität der Anlage von 30 t Fisch und ebensoviel Gemüse ausgeschöpft wird. Ein Problem ist der Preisdruck. „Unsere Fische verkaufen wir lediglich Kosten deckend“, sagt Leschke. Bessere Preise brächte eine Biozertifizierung. Doch die gibt es für geschlossene Aquakultur bislang nicht, obwohl diese die Umwelt deutlich weniger belastet, als solche im Freiland. Und das Tierwohl? „Geht es dem Fisch im Weiher wirklich besser, von Ratten, Kormoranen, Kälte oder Hunger bedroht?“ Leschke zieht die Schultern hoch.
Pionierarbeit in der Aquaponik
Das Hauptgeschäft von ECF Farmsystems aber liegt woanders: als Generalunternehmer wollen die beiden Partner die Planung und Installation ihrer Systeme verkaufen. Die Farm in Berlin ist nur das Schaufenster. Dieses hat erste Interessenten überzeugt: Auf einem Gebäude neben dem historischen Schlachthof mitten in Brüssel baut ECF Farmsystems eine Dachfarm mit 2.400 m2 Fläche.
Geht es dem Fisch im Weiher wirklich besser, von Ratten, Kormoranen, Kälte oder Hunger bedroht?
Nicolas Leschke
Bereits in Betrieb ist ein System auf dem Dach eines der größten Obst- und Gemüsehändler in der Schweiz. Die Ecco-Jäger Früchte und Gemüse AG in Bad Ragaz produziert auf 1.000 m2 Spezialsalate, Kräuter und Buntbarsche. „Wir produzieren im Gewächshaus hochpreisige Produkte, im Winter Feldsalat und im Sommer Kräuter, von denen wir so weniger zukaufen müssen“, sagt Geschäftsführer Philipp Gschwend.

Ganz schön eng, dennoch haben diese Buntbarsche mehr Platz als ihre Artgenossen in den meisten anderen Zuchtbetrieben.
Hinzu kommen 14 t Buntbarsch im Jahr. Der Anteil der Produkte aus der Dachfarm am Umsatz des Unternehmens ist sehr gering. „Ich möchte nicht von der Dachfarm alleine leben müssen.“ Auch Gschwend nennt das Problem, für die Produkte, insbesondere den Fisch, nicht den notwendigen Preis erzielen zu können.
„Ich bräuchte für den Buntbarsch einen Preis wie für einen Edelfisch, als Tilapia aber ist er aus dem Ausland sehr günstig zu haben.“ Bei der vorherrschenden Orientierung auf den Preis spielt der große Unterschied in der Qualität eine zu geringe Rolle. Zudem musste das Unternehmen einen Fischwirt einstellen. Der ist bei dieser Größe der Anlage aber nicht voll ausgelastet. „Man muss also einen Fischwirt finden, der auch bereit ist, in anderen Bereichen zu arbeiten.“

Frisch und knackig. Näher am Verbraucher kann man Basilikum in der Stadt nur noch auf dem Balkon produzieren.
Die Fischfarm als Besuchermagnet
In Berlin sammelt sich derweil eine Besuchergruppe vor dem Gewächshaus. Einmal in der Woche gibt es Führungen bei ECF Farmsystems. Nicolas Leschke begrüßt die Gäste, unter denen auch ein Tourist aus Japan ist. Leschke referiert mitreißend, über die geringe Mortalität der Fische, ihr gutes Immunsystem, darüber dass keine Medikamente notwendig sind und die Farm vielleicht bald Insekten als Proteingeber im Futter anstatt Beifang verwenden will.

Jede Woche kommen neugierige Besucher aus der ganzen Welt.
Er erläutert, warum Schlupfwespen, Raubmilben und andere Nützlinge für die Schädlingskontrolle im Gewächshaus sorgen, und wie viel Wasser wir in Deutschland grau importieren, indem wir zum Beispiel Tomaten aus Nordafrika kaufen. Wasser, das vor Ort dringend gebraucht wird. Am Ende überreicht er jedem einen Topf mit Basilikum. Angeregt diskutierend bewegen die Besucher sich in Richtung der Gebäude der Alten Mälzerei. „Unsere Produkte erzählen eine Geschichte“, sagt Nicolas Leschke.
Aber wird sein System den Anbau von Gemüse im Gewächshaus und auf dem Feld ersetzen? Nach Auskunft der Bundesfachgruppe Gemüsebau, die den Großteil der Produzenten in Deutschland vertritt, sehen die meisten von diesen das System eher skeptisch. Der Grund sind die hohen Investitionskosten. Diese würden einen Preis für die Produkte notwendig machen, den die Masse der Verbraucher nicht bereit ist zu bezahlen. Die Zukunft lässt also wohl noch ein wenig auf sich warten.