Negev-Wüste? Ja, schon, die gibt es. Aber an den Rändern war es vielleicht früher mal eine Wüste. Heute ist es klug genutzte landwirtschaftliche Fläche, wenn auch in einer semiariden Zone. „Hier fallen jährlich nur 350 Millimeter Niederschlag“, sagt Mario Polacco Rami auf einem der Gerstenschläge, die an diesem Tag, Anfang Mai, bei mehr als 25 Grad Celsius Außentemperatur gedroschen werden. Hier, in der Nähe der Stadt Ofakim, im nördlicheren Teil des Negevs, hat der 69-Jährige die Ernte auf weitem, hügeligem Gelände genau im Blick. Zwei Mähdrescher sind im Einsatz, das Stroh wird in einem Arbeitsgang in Vierkantballen, die rund 350 Kilogramm wiegen, gepresst.
Klärschlamm zur Bodenverbesserung
Rami ist verantwortlich für den Ackerbau auf rund 4.000 Hektar, die in einem Joint-Ventures von den drei Kibbuzim Ruchama, Dorot und Tselim bewirtschaften werden.
Die Hälfte der Fläche wird bewässert; die Fruchtfolge ist klassisch: Zweimal Weizen, dann Gerste und schließlich Erbsen. Aufbereiteter Klärschlamm aus dem nicht so fernen Jerusalem bringt ein bisschen organisches Material in den humusarmen Boden. „Lausige Erde“, wie Rami kritisiert. Forschen Schrittes geht er einem Vierkantballen entgegen. „Das ist das eigentlich Wertvollste an unserer Ernte“, sagt der Mann mit markantem Schlapphut und greift in den Strohballen. „Denn rund 60 Prozent unserer Ernteeinnahmen erlösen wird mit dem Stroh, wir erhalten für einen Ballen 300 bis 400 Schekel (81 bis 108 €)“, fügt er hinzu.
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Mario Polacco Rami ist verantwortlich für den Ackerbau auf rund 4.000 Hektar.
Rami ist insgesamt sehr zufrieden mit dem Pressen direkt nach dem Drusch. „Wir sparen Arbeit, wir haben mehr Stroh, höhere Qualitäten, keine Reste zwischen den Stoppeln und obendrein werden Unkräuter aufgefangen“, argumentiert er. Das sauber hinterlassene Stoppelfeld bietet zudem ideale Voraussetzung für eine pfluglose Bearbeitung, die in Zukunft, so seine feste Überzeugung, per autonomen Fahren praktiziert wird.
Ackerbauer Rami, wahrlich kein Digital Native, ist immer schon offen gegenüber Neuem gewesen. Mit dieser Mentalität hat seine Generation Teile der israelischen Wüste in Agrarland transformiert. Der Schlüssel zum Erfolg liegt, bei allen anderen wichtigen technischen und ackerbaulichen Innovationen, eindeutig in der Bewässerung sowie der Nutzung der wertvollen wie knappen Ressource Wasser. Dabei ist der Bedarf enorm, steigt sogar. Wie auf der Farm Tzabar-Kama im Mort Kiriat Malachi, die von dem 60-jährigen Eyal Muchan geleitet wird und 30 Mitarbeiter zählt, hinzukommen noch weitere 400 Saisonkräfte.
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Eyal Muchan speichert in acht Becken 12 Mio. m³ aufbereitetes Wasser.
Bewässerung mit Abwasser
„Wir sind der größte Betrieb mit Bewässerungssystemen in Israel“, erzählt Muchan auf dem Weg zu einem von acht großen Wasserreservoiren, in denen insgesamt zwölf Millionen Kubikmeter aufbereitetes Abwasser aus der Metropolregion Jerusalem aufgefangen und je nach Bedarf an das feingliedrige, 20 Millimeter Durchmesser breite Tröpfchen-Bewässerungssystem abgegeben wird, vor allem für Baumwolle, aber auch für Kichererbsen und Weizen. Rund zehn Kilometer entfernt liegt das Abwasserwerk von der Millionenstadt Jerusalem; das Abwasser wird über einem Höhenunterschied von rund 700 Meter ohne Pumpen zu den Auffangbecken befördert, die in Zukunft mit schwimmender Photovoltaik bebaut werden sollen.
„Nur mit großen Mengen Wasser erreichen wir unsere guten Erträge“, unterstreicht Muchan die zentrale Bedeutung der Bewässerung. So ernten die Landwirte von Tzabar-Kama in guten Jahren pro Hektar 35 dt Sonnenblumen, 70 dt Weizen und 6,5 dt Baumwolle. Im Anbauprogramm des Betriebes finden sich neben Sonnenblumen, Weizen, Melonen, Baumwolle, Kichererbsen werden auch Wein, Bananen, Jojoba, Granatäpfel, Mandeln sowie Oliven. Dazu gibt es eine 14 Hektar große Avocado-Plantage, die komplett unter einer Agriphotovoltaikanlage steht, für die der Betrieb 60 Millionen Schekel investiert hat. „Unsere breite Anbaupalette macht uns nicht nur stabiler gegenüber Preisschwankungen, sondern lässt auch Ernte-Totalausfälle einzelner Früchte, wie im vergangenen Jahr bei den Mandeln, besser abfedern“, erläutert Muchan die betriebliche Produkt-Strategie.
Nur mit großen Mengen Wasser erreichen wir unsere guten Erträge.
Eyal Muchan
Obendrein wird in einem streng abgeschotteten Glashaus seit einigen Jahren auch Hanf angebaut, der als Nahrungsergänzungsmittel mit Cannabidiol (CBD) für einen wachsenden Markt bereitgestellt wird. „In Zukunft müssen wir bei gestiegenen Energiepreisen noch weiter unsere Arbeitsprozesse optimieren und die technischen Möglichkeiten weiter ausschöpfen“, so Muchan. Aber das Wichtigste für ihn sei es, „gute Mitarbeiter und vor allem junge Leute zu finden, die solide ausgebildet sind und engagiert bei uns einsteigen wollen.“ Der landwirtschaftliche Nachwuchs ist auch in Israel ein schwieriges Thema, weil immer noch viele junge Menschen dem ländlichen Raum verlassen, um in den Städten zu wohnen und dort unter anderen an die IT-Branche verloren gehen.
Die Anfänge
Ein Phänomen, das es zu Zeiten eines Yitzhak Elazari Volcani, der 1908 aus Lettland nach Palästina kam und dort eine landwirtschaftliche Versuchsstation aufbaute aus der dann viel später das heutige Agricultural Research Organization, Volcani Center südlich von Tel-Aviv erwuchs, nicht vorauszusehen war. Volcani kümmerte sich um die Urbarmachung der Wüste und um den Anbau von Mischkulturen. Von jener unglaublich harten Pionierarbeit profitiert die israelische Landwirtschaft und letztlich die ganze Gesellschaft bis heute; so gelingt es mit etwas mehr als 5.000 landwirtschaftlichen Betrieben einen hohen Selbstversorgungsgrad zu erreichen. Jedoch wächst auch die israelische Bevölkerung weiter und damit auch – gerade in Zeiten des Klimawandels – die Herausforderungen.
Um für die Zukunft vorbereitet zu sein, werden Wissenschaftler wie Dr. Shmuel Assouline, stellvertretender Direktor für Internationale Beziehungen am Volcani Institut, der im Alter von nur 16 Jahren von Marokko nach Israel zog, nicht müde, immer wieder neue Konzepte zu entwickeln, um Effizienz und Erträge zu erhöhen. Wichtiger Faktor ist das Wasser, das auch dank einer stetigen Steigerung der Kapazitäten von Entsalzungsanlagen bereitgestellt wir. So erzeugen die israelischen Desalinations-Anlagen aktuell jährlich ein Output von 550 Millionen Kubikmetern; bis zum Ende des Jahrzehnts soll die Menge auf 750 Millionen Kubikmeter ausgeweitet werden. Das kostet viel Energie, die durch einen massiven Ausbau der Solarenergie gewonnen werden soll.
Wasser ist teuer, es zu vergeuden, sträflich.
Dr. Alon Ben-Gal
Aktuell kostet ein Kubikmeter entsalztes Wasser rund 50 Cent, rechnet Dr. Alon Ben-Gal vor. Er ist Mitarbeiter der Volcani Versuchsstation in Gilat, die zur Landwirtschaft unter ariden und semiariden Bedingungen forscht. Neben allen Aspekten rund um die Wasserversorgung von Kulturpflanzen unter wüstenähnlichen Bedingungen wird auch das Verhältnis von Wasser zu CO2 und dem Stickstoffkreislauf untersucht.
Der quirlige Forscher, der im nordamerikanischen Bundesstaat Illinois aufwuchs, fährt auf buckeligen Pisten hinaus zu seinen Versuchsfeldern. Eines davon ist mit einer Pivot-Bewässerungsanlage ausgerüstet. „Die Technik ist da, kein Zweifel, auch die Daten, die von diversen Sensoren sowie über Satelliten und andere Systeme wie Drohnen oder Thermobilder eingesammelt werden. Das eigentliche Problem ist, wie der Landwirt aus dieser Datenflut am Ende zielsichere und rasche Entscheidungen treffen kann!“, spitzt Ben-Gal seine zentrale Forschungsintention zu. „Ich will ein Auswertungssystem der Geodaten entwickeln, mit dem eine präzise Bewässerung je nach Situation und Bedarf sofort steuerbar ist“, so der emsige Forscher. Sein Credo: Wasser ist teuer, es zu vergeuden, sträflich.
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Tröpfchenbewässerungssystem für den Gemüseanbau.
Verwaltung des Wassers
Dabei ist die Provenienz des für die Landwirtschaft eingesetzten Wassers in Israel sehr verschieden: Neben dem Abwasser aus dem urbanen Bereich und dem entsalzten Meerwasser leisten auch das Auffangen von Wasser bei starken Regenfällen sowie die Nutzung von salzhaltigen Grundwässern oder die Verwendung von Brunnengewässern ihren Beitrag am „Wunder der israelischen Landwirtschaft“, wie es Amos Peleg, früherer Geschäftsführer beim israelischen John Deere Händler Mifram Agencies LTd. ausdrückt. Tatsächlich sieht man von der Negev-Wüste im Süden bis hin zu den Golanhöhen und zur libanesischen Grenze im Norden überall aufwändige Bewässerungstechnik, Pumpstationen, unzählige Haspeln mit Schläuchen und kleine wie große Bassins.
Dabei unterliegt das Geschehen rund ums Wasser strikt dem israelischen Landwirtschaftsministerium, unter dessen Ägide eine Wasserversorgungsbehörde arbeitet, die wiederum von einer Regulierungsbehörde genau kontrolliert wird. Mit anderen Worten: Politik und Öffentlichkeit werfen ein sehr genaues Auge darauf, wie und wie viel Wasser wo genau eingesetzt wird. Missbrauch ist angesichts dessen kaum denkbar. Stattdessen wird vielmehr Forschungsaktivitäten, wie ob Tomaten am besten gleich am Strauch getrocknet zu ernten sind, große Aufmerksamkeit geschenkt. Wäre das doch wieder ein raffinierter Ansatz, knappes Wasser zu sparen.
Nicht weit vom Jordan, dem schmalen Grenzfluss zu Jordanien, in der Nähe eines der ältesten, um das Jahr 1900 von Zionisten gegründeten Dorfes ist Gelad Bechor verantwortlich für eine 50 Hektar große Gemüse- und Früchtefarm. Limone und Mango finden sich in Obsthainen, während Basilikum, Wassermelonen, Spinat, Oregano und Thymian auf dem Acker angepflanzt werden. Diese Region im Nordosten weist im Gegensatz zu anderen Orten eine vergleichsweise hohe Niederschlagsmenge von bis 450 Millimeter pro Jahr auf. Trotzdem kommt sie ohne aufwändige Tröpfchenbewässerung nicht klar. Daher ist die Sensibilität gegenüber dem kostbarsten Gut auch hier anzutreffen, wie eigentlich überall in Israel.
Neue Ideen für den Umgang mit Knappheit
Das Bewusstsein der Knappheit scheint dabei offenbar förderlich für die gesamte Bandbreite der landwirtschaftlichen Aktivitäten zu sein, wie neue und gute Ideen bestätigen. Beispielsweise gibt es die israelische Firma Home Biogas, die schlichte Kleinstbiogasanlagen entwickelt hat, die derzeit in vielen afrikanischen Ländern mit wachsendem Erfolg nachgefragt werden. Aus dem einfachen Grund, dass mit dem Methan aus den kleinen Mini-Biogaserzeugungsanlagen statt mit Feuerholz von raren Gehölzen gekocht werden kann. Gerade in jenen ländlichen Regionen, die noch ohne Netzanbindung sind, ist dies eine echte nachhaltige Alternative made in Israel.
Und dann gibt es da kühne Entrepreneure wie Drar Tamir, Gründer der Firma Hargol, die versucht, in leerstehenden Hühnermastfarmen „biblische Nahrung“ zu produzieren: Heuschrecken. Ja, Heuschrecken, nicht als Plage, sondern als Insekten mit unglaublich hohem Eiweißanteil von 72 Prozent am Gesamtkörpergewicht. Heuschrecken auf den Teller sind wahrlich gewöhnungsbedürftig. Doch angesichts der riesigen Aufgaben der Zukunft ist es vielleicht schon bald eine Innovation, über die heute manch einer noch die Augenbrauen hochzieht, aber schon übermorgen als selbstverständlicher Snack und Eiweißlieferant gelten könnte. Wie auch immer, die israelische Landwirtschaft lebt mit der Knappheit, mit dem Ausnahmezustand in Permanenz, die viele Akteure in der Landwirtschaft zu außergewöhnlichen Ideen und Nutzungspfaden drängt. Inklusive mancher Überraschung!