Über holprige Feldwege und entlang eines Bewässerungskanals geht es zu den Pfirsichen von Mamuka Amonishvili und seinem Sohn Vazha im Herzen von Kachetien. Am fernen Horizont ragen die Bergspitzen des Kaukasus in den wolkenlosen Himmel. In der Ebene des fruchtbaren Alazani-Tales steigt die Temperatur auch Ende September noch auf 25 Grad Celsius an. Angekommen in der Pfirsich-Plantage machen wir Halt an einem selbstgezimmerten Sonnenschutz, der den Pflückerinnen während der Ernte im Juli und August als Schattenspender dient.
Mamuka geht durch die Reihen, kommt mit einer Handvoll Pfirsichen zurück. „Vor 17 Jahren haben wir hier angefangen, Pfirsichbäume zu pflanzen“, erzählt der 55-Jährige, „und zwar auf sehr kalkhaltigen Böden auf denen vorher Weizen, Gerste und Mais wuchsen.“
Der heutige Obstbauer aus der Ortschaft Chumlaki arbeitete zu Sowjetzeiten in der örtlichen Kolchose und erhielt nach dem Zusammenbruch der Kollektivlandwirtschaft wie alle in der Landwirtschaft tätigen Georgier vom georgischen Staat eine Fläche von 1,25 Hektar. Eine Größenordnung, die keine dauerhafte Existenz hätte sichern können, weshalb Amonishvili in den neunziger Jahren noch weiteres Land erwarb, so dass die Familie heute inzwischen rund acht Hektar Eigenland bewirtschaftet.
Kachetien: Weinbauregion mit Perspektive
Neben Pfirsichen kultiviert man auch Walnüsse, Nektarinen, Aprikosen und auf einer kleinen Fläche Kirschen – eine Frucht, die sich aktuell hoher Nachfrage erfreut. Amonishvili zeigt sich insgesamt zufrieden. Die Ernte 2019 sei gut gelaufen, die Preise nicht schlecht. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass die Nachfrage nach Land in den Tälern von Kachetien groß ist. „Derzeit besteht kaum eine Chance, seinen eigenen Betrieb zu vergrößern, weil der Bodenmarkt kaum bezahlbares Land bietet“, so der 26-jährige Vazha. Letztlich sei dies aber auch Ausdruck dafür, dass Landwirtschaft und Weinbau für die junge Generation in der östlichen Region von Georgien erfolgversprechende Perspektiven bieten, fügt Vater Mamuka optimistisch hinzu.
Die treibende Kraft ist dabei der Weinbau, der südlich des Kaukasus auf eine fast 8.000-jährige Geschichte zurückblickt. Gerade während der Weinlese, die Ende September ihrem Höhepunkt entgegengeht, schwärmen tausende Arbeiter und Arbeiterinnen in die Weinberge aus, um die Reben zu ernten. Überall auf den Straßen begegnet man Transportern, die die süßen Früchte zu den Kellereien transportieren.
Alte russische Lastwagen sind vielerorts noch im Einsatz, obgleich in den Tälern der Flüsse Alazani und Iori in den letzten Jahren kräftig in den Weinbau investiert worden ist. So zeigen sich überall an den Hängen – rund 200 bis 600 Meter über dem Meersspiegel – neue, sorgfältig gepflegte Rebstöcke und besonders im Alazani-Tal ragen viele neue, manchmal arg mondän wirkende Kellerei-Neubauten aus der Weinlandschaft empor. Tatsächlich verknüpfen viele (neue) Winzer ihre Weinproduktion mittlerweile mit touristischen Angeboten.
Tradition trifft Tourismus
Wie beispielsweise auf dem Weingut Mosmieri in Kisiskhevi, wo Besuchern die traditionelle Weinbereitung in sogenannten Qvevris, große, bis zu 2.000 Liter fassende und aus Ton handgefertigte Amphoren, nähergebracht wird. Während diese uralte Methode der Weinerzeugung in der sowjetischen Zeit gänzlich verdrängt wurde, erlebt sie derzeit eine ungeahnte Renaissance. Geht es doch vielen neuen Winzern nicht mehr nur um Quantität, sondern auch um Qualität.
Diesen Ansatz verkörpert, Nukri Kurdadze in vollen Zügen. Während der achtziger Jahre war er als Physiker tätig und nachdem auch in Georgien Hammer und Sichel endgültig zu Boden fielen, war er für einen französischen Spirituosen-Konzern im russischsprechenden Raum als Markenbotschafter unterwegs. Nach rund zehn Jahren hatte er davon die Nase voll. Er erfüllte sich mit dem Kauf eines kleinen Weinbergs nahe dem Dorf Akhasheni einen langgehegten Traum: Endlich selbst Winzer sein.
Mittendrin in seinem mittlerweile neun Hektar großen Rebenbestand der Sorten Saperavi und Rkatsiteli hat er sich einen kubischen Zweckbau errichtet. Darin sind seine Kellerei mit mehreren Qvevris auf drei Ebenen angeordnet, einem kleinen Weinlager und eine stilvoll ausgestattete Wohnung integriert. Von der Terrasse aus bietet sich ein wunderbarer Ausblick auf seine ökologisch bewirtschafteten Weinkulturen und die ferne Bergkette.
Die Gärung ist ein magischer Prozess, je mehr man experimentiert, desto weniger weiß man.
Nukri Kurdadze
„Die Gärung ist ein magischer Prozess, je mehr man experimentiert, desto weniger weiß man“, erklärt der 62-Jährige mit geheimnisvoller Miene. Sein von der Agentur Caucacert zertifizierter Biobetrieb mit der Marke Papari Valley erzeugt jährlich rund 20.000 Flaschen. Sie gehen überwiegend in den Export, hauptsächlich in die Länder Japan, Deutschland, USA, Frankreich und Großbritannien. Die Kunden in diesen greifen für die Synthese aus modernem Weinwissen und sensiblem traditionell geprägtem Handwerk à la Qvevris und einem obendrein mit einem Naturkorken verschlossenen Produkt offenbar gerne tief in die Tasche – mehr als 30 Euro pro Flasche.
„Die neue Generation von Winzern versucht das Moderne mit der Tradition zu vereinen, um etwas Neues zu kreieren“, erklärt Kurdzadze, „die georgische Weinkunst ist letztlich eine europäische Weinkultur.“
Weinvielfalt aus Georgien
Darüber hinaus trumpft der georgische Weinbau mit einer unvergleichlichen genetischen Vielfalt auf: Nirgendwo wird dies besser demonstriert als in Jighaura, einem kleinen Ort nördlich der Hauptstadt Tiblisi. Am dortigen Nationalen Zentrum für Weinreben- und Obstbaumvermehrung, einer Abteilung des Wissenschaftlichen Forschungszentrum für Landwirtschaft (LEPL), hat man auf vielen Hektaren über 450 autochthone georgische Weinsorten gepflanzt und sichert somit deren langfristigen Erhalt.
Es ist eine beeindruckende Diversität, die sich schon allein in den Trauben wiederspiegelt: große, kleine, längliche, pelzige, süße, fruchtige, …. „Wir wissen um den enormen Wert der vielen Sorten in unserer Sammlung“, versichert Direktor Prof. Dr. Levan Ujmajuridze. „Daher gehen wir auch sehr behutsam mit deren Erhaltung um.“ Auch aus dem Ausland sei das Interesse am genetischen Pool groß.
Landwirtschaft und der Weinbau spielen für die Ökonomie in Kachetien die entscheidende Rolle.
Irakli Kadagishvili
„Landwirtschaft und der Weinbau spielen für die Ökonomie in Kachetien die entscheidende Rolle“, unterstreicht auch Gouverneur Irakli Kadagishvili in seinem Büro in Telavi. Der Chef der Regionalverwaltung Kachetiens spricht nicht ohne Stolz von jährlich 250.000 Tonnen produzierten Wein und über 20.000 Hektar Obstplantagen.
Überdies erwähnt Kadagishvili die zahlreichen, zum Teil ausländischen Entrepreneure, die versuchen, Haselnüsse, Oliven, Pistazien und Rosen im warmen, in manchen Gegenden sogar subtropischen Klima bei Niederschlägen von jährlich etwa 800 Millimetern anzubauen. Aber auch die Schafhaltung und der Anbau von Mais und Weizen haben ihre Bedeutung. So wird allein in der Region Kachetien rund 70 Prozent des georgischen Weizens geerntet.
Wasserversorgung für den Weinanbau
Klar, dass angesichts dieser intensiven landwirtschaftlichen Aktivitäten die regionalen Behörden vor Allem hinsichtlich einer reibungslosen Wasserversorgung gefordert sind, denn sie ist Garant für gute Ernten – insbesondere bei Intensivkulturen. Tatsächlich managt das Amelioriationsamt der Provinz alle Fragen zum Wasser. Und so wird das Gebirgswasser der Flüsse Iori und Alazani bereits an den oberen Flussläufen aufgestaut und in Kanäle gelenkt, die weitverzweigt die Ländereien versorgen.
Während das Flussbett des Alazani nach einem langen Sommer zu einem Rinnsal verkümmert ist, rauscht das Wasser in den mit Beton gefassten Kanälen üppig weiter. Die Wasserstände immer im Blick zu haben, sie fein zu steuern und Staudämme instandzuhalten ist sicherlich keine einfache Aufgabe, die staatlichen Behörden leisten. Dennoch kostet die Gebühr pro bewirtschafteten Hektar für jeden Bauern nur ganze 87 Lari – umgerechnet rund 30 Euro.
Um das Wassermanagement bei steigendem Bedarf weiter zu optimieren und den jeweiligen Bedürfnissen anzupassen, würde sich der Gouverneur mehr regionale Entscheidungsgewalt wünschen. Vieles werde jedoch weiterhin zentral in Tiblisi entschieden. Zugleich muss er eingestehen, dass in Planungen über neue Staustufen oder anderweitige Nutzungen des Wassers die zuständigen Behörden im benachbartem Aserbaidschan, wohin der Alazani gen Osten weiterfliesst, nicht einbezogen werden.
Bananenstauden im subtropischen Mikroklima
Unterdessen fließt das Wasser unweit der aserbaidschanischen Grenze, ganz im Nordosten Kachetiens und nördlich des Alazani in der Ortschaft Natsisqvilari reichlich aus vielen artesischen Brunnen. Es fließt in die Straßengräben und versorgt die üppigen Gärten. Das Mikroklima ist fast subtropisch, sogar Bananenstauden, wenn auch ohne reife Früchte, wachsen hier.
Laurenti Chachanidze schiebt das große Scheunentor zur Seite. „Das ist mein Mais von der diesjährigen Ernte“, sagt der 56-jährige Landwirt und Lohnunternehmer. Einige Hühner huschen auf dem großen, 1.000 Tonnen schweren Haufen aufgeschreckt davon. Chachanidze konnte seinen Mais auf rund 100 Hektar schon Ende August extrem trocken dreschen und ohne weitere Trocknung direkt einlagern. Mit der Erntemenge sei er nicht ganz zufrieden, räumt er ein, lag sie doch mit rund acht Tonnen pro Hektar weit unterhalb des Durchschnitts von 18 Tonnen.
„Ich hoffe daher umso mehr, dass die Preise zum Winter hin noch kräftig anziehen werden.“ Chachanidze blickt trotzdem unverdrossen nach vorne und pflückt auf dem Weg in seinen Garten, wo farbenfrohe Stauden, Kiwis und Granatäpfeln gedeihen, erstmal ein paar frische Kakhis vom nächststehenden Baum. Schmackhaft, wie so vieles aus dem von Natur aus so reichlich gesegneten Kachetien.
Weinbau in Kachetien
Die Region Kachetien reicht östlich der Hauptstadt Tiflis bis zur aserbaidschanischen Grenze. Sie ist von der Fläche her ungefähr halb so groß wie Hessen und zählt ca. 312.000 Einwohner. Die Provinzhauptstadt ist Telavi. Archäologen gehen davon aus, dass in Kachetien schon 6.000 Jahre vor Christus Wein angebaut und getrunken wurde.
Diese Tradition manifestiert sich bis heute durch die sogenannten Qvevris (Amphoren aus Ton), die zumeist in die Erde vergraben werden, um den Wein zu vergären. Zudem dringt, wegen der Erdlagerung, durch die Tonporen der Amphoren kaum Sauerstoff in den Wein ein. Es findet lediglich eine Mikrooxidation statt, die für die Reifung des Weines wichtig ist. Die Trauben werden mit Schalen und Kernen in die Qvevris gefüllt und vergoren, gefolgt von einer vier- bis fünfmonatigen Lagerung auf der Maische. Auf diese Weise werden zusätzliche Tannine und Polyphenole abgegeben, wodurch der Wein sehr körperreich wird.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besaß ganz Georgien eine Rebfläche von ca. 71.200 Hektar. Diese ging aufgrund von aus Nordamerika eingeschleppten Pilzkrankheiten (echter und falscher Mehltau) und Schädlingen (z.B. Reblaus) bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf ca. 37.400 Hektar zurück. Um die zerstörten Rebflächen wieder einer wirtschaftlichen Nutzung zuzuführen, wurden in Georgien wie im restlichen Europa reblaus-resistente amerikanische Reben als Unterlage importiert.
In der Sowjetunion fand georgischer Wein dann starken Absatz. Es begann eine Ära der Massenproduktion: die Rebfläche Georgiens wuchs bis 1985 auf ca. 128.000 Hektar an. Nach dem Ende der Sowjetunion schrumpfte diese Zahl und bekam durch das im Jahr 2008 von Russland verhängte Importverbot für georgischen Wein einen mächtigen Dämpfer versetzt. Allerdings habe das plötzlich auftretende Absatzproblem, so sagen Weinkenner, eine heilsame Wirkung gehabt. Ab diesem Zeitpunkt hat man sich in Georgien wieder auf Qualität und Tradition besonnen. Heute ist davon auszugehen, dass die Rebfläche wieder weit über 50.000 Hektar angestiegen ist.