Intensiv, inno­vativ und mit Neuori­en­tie­rung

Das Punjab gilt seit jeher als Korn­kammer Indiens. Genü­gend Wasser, gemä­ßigtes Klima im Winter und die reichen Böden im flachen Schwemm­land von fünf Flüssen südlich des Hima­layas sind Garant für gute Ernten. Doch auch hier ändern sich die Zeiten.

Wie befürchtet fiel der „Evil rain“ vor Sonnen­auf­gang. „Wir mussten bis tief in die Nacht hinein die Haufen frisch geern­teter Saat­kar­tof­feln abde­cken, denn die dürfen keinen Kontakt mit einem Tropfen Regen haben“, erklärt Jang Bahadur Singh Sangha im gepflegten großen Garten vor seinem Wohn­haus. Das befindet sich in Quadian Wali südlich der Millio­nen­stadt Jalandhar mitten im Punjab – was so viel heißt wie „Land der fünf Flüsse“. Es ist eine Region, die durch ihre beson­deren klima­ti­schen Bedin­gungen, ihrem Wasser­reichtum und ihren nähr­stoff­rei­chen Böden seit jeher in Indien und darüber hinaus den Ruf eines land­wirt­schaft­li­chen Eldo­rados genießt.

Tatsäch­lich gilt der Punjab als die „Korn­kammer“ Indiens; er bietet den Land­wirten seit vielen Jahren die Option, inner­halb eines Jahres sowohl Reis als auch Weizen zu ernten. Das wird nun schon seit einigen Jahr­zehnten prak­ti­ziert. So steht der Weizen, trotz der zu Beginn des Jahres noch empfind­li­chen, manchmal nachts unter Null Grad Celsius liegenden Tempe­ra­turen, saftig grün und monoton domi­nant auf den weiten, flachen und frucht­baren Ebenen des Punjabs. Aber es gibt bei Weitem nicht nur Weizen und Reis, ebenso werden Zucker­rohr, Blumen­kohl, Senf, Kartof­feln und andere Kulturen ange­baut.

Der Punjab ist eben und doch viel­fältig. Es gibt Saat­kar­tof­fel­anbau im großen Stil …

genau so wie große Biogas­an­lagen.

 „Wir haben alles recht­zeitig geschafft, daher haben wir keinen Schaden zu beklagen,“ fügt Jang Bahadur Singh Sangha sicht­lich erleich­tert hinzu. So bescheiden der Mann mit dem kopf­be­de­ckenden Turban, den (fast) jeder Mann der Reli­gi­ons­ge­mein­schaft der Sikhs trägt, auch ist, so berühmt ist er in der Welt der Kartof­fel­ver­meh­rung im Punjab, in Indien und in der ganzen Welt.

Denn mit rund 2.000 ha Saat­kar­tof­feln gehört sein Unter­nehmen Sangha Group zu den Großen im globalen Kartoffel-Kosmos. Sein Team ist entspre­chend groß: Rund 3.000 Saison­ar­beiter sind auf den Feldern im Umkreis von 100 Kilo­me­tern während der Ernte im Einsatz: Darüber hinaus stehen 250 feste Mitar­beiter auf der Gehalts­liste des Betriebes, den sein Vater Hardev Singh Sangha 1962 grün­dete und mit legen­därer Passion aufbaute.

Durch sein profundes Wissen hat sich Jang Bahadur Singh Sangha sowohl im Kartoffel-Busi­ness als auch unter seinen Mitar­bei­tern Respekt erar­beitet.

Mit Wissen erntet der Chef viel Respekt

Er gehörte zu jenen Machern, die nach der indi­schen Unab­hän­gig­keit im Jahre 1947 große Fußstapfen hinter­ließen, die sein Sohn, der sein Agrar­stu­dium an der Cornell Univer­sity in den USA abschloss, gut auszu­füllen weiß. Nicht nur durch seine kluge Beschei­den­heit, sondern darüber hinaus hat er sich durch sein profundes Wissen sowohl im Kartoffel-Busi­ness als auch unter seinen Mitar­bei­tern Respekt erar­beitet.

Das zeigt sich nirgendwo mehr als auf einem der zahl­rei­chen Felder zur Ernte­zeit. Mehr als 200 John Deere Trak­toren sind dann im Einsatz. Sie ziehen unter anderem Roder namens Shak­timan vom deut­schen Hersteller Grimme, die die Saat­kar­tof­feln aus der sandig-tonigen Erde heraus­holen. Viele Hände helfen unter bedecktem Himmel, um die sensible Knolle nach Größe zu sortieren und dann in Jute­säcke zu füllen. Viele Ernte­ar­beiter kommen aus meist ärmeren Regionen Indiens, die hier im Nord­westen Jobs finden.

Überall ist der Struk­tur­wandel zu erkennen. Mitten in den Feldern entstehen moderne Wohn­blocks.

Dieser Umstand hat sicher­lich auch damit zu tun, dass viele Punjabi ins Ausland migrieren und dort ihr Glück versu­chen. Offenbar scheint gerade Kanada aktuell eine hohe Anzie­hungs­kraft zu haben, überall sind Werbe­fläche von Auswan­de­rungs­agen­turen zu sehen: „You want to go to Canada? We assist you!“ 

Sangha geht direkt auf seine Mitar­beiter zu, greift zu den Erdäp­feln, begut­achtet sie mit Argus­augen, ob ihre Haut unver­letzt geblieben ist. Er fragt, wie der Beginn der Ernte, die bis Anfang April andauert, ange­laufen sei. Die Antworten auf Augen­höhe kommen prompt; Schwie­rig­keiten werden erör­tert, die kurz­wei­ligen Gespräche ziel­ge­richtet. Nach einer halben Stunde hat sich der Chef einen Über­blick über den Ernte­fort­schritt an diesem Ort machen können, dann sitzt er schon wieder in seinem schwarzen Jeep.

In diesem Jahr werde ich zum ersten Mal Bakte­rien einsetzen und damit versu­chen, Nähr­stoffe im Boden besser frei­zu­setzen.

Jang Bahadur Singh Sangha

Er fährt zum neuen, großen Kühl­lager, wo die Saat­kar­tof­feln mit einem Durch­messer von rund vier Zenti­meter bei zwei Grad Celsius plus und opti­maler Feuch­tig­keit gela­gert werden. Selbst­ver­ständ­lich, dass der Strom für die Kühlung zum großen Teil vom Strom einer Photo­vol­taik-Anlage kommt, die auf dem Dach mit einer Leis­tung von 300 kW erzeugt wird. Rund 60.000 Tonnen Saat­kar­tof­feln lagert die Sangha Group in insge­samt elf Lager­häu­sern, auf deren Dächern aufad­diert eine Leis­tung von 1,5 Mega­watt instal­liert ist.

Ganz klar: Sangha ist auf der Höhe der Zeit, kennt die Themen Nach­hal­tig­keit und Klima­wandel in- und auswendig. Ohne mikro­bio­lo­gi­sches Know-how, ohne Klon-Tech­niken, wäre sein Unter­nehmen aber nicht das geworden, was es heute ist. Und begüns­tigt durch die natur­räum­lich-klima­ti­sche Beson­der­heit Punjabs, dass im Dezember die Tempe­ratur im Durch­schnitt um zwei Grad nied­riger liegen als in anderen Regionen Nord­in­diens. Ideal für die Saat­kar­toffel.

Der Anbau von Saat­kar­tof­feln ist ein sensi­bles und arbeits­in­ten­sives Unter­fangen.

Sorgen bereiten dem 54-jährigen Vorstands­mit­glied des World Potato Congress aller­dings der drama­tisch fallende Grund­was­ser­spiegel im Punjab – in den letzten drei Jahren rund drei Meter! Auch ist er mit den fallenden Humus­ge­halten nicht zufrieden, die müssten wieder ansteigen. Viel hält er dagegen von Mykorrhiza-Bakte­rien, die die Frei­set­zung der Nähr­stoffe wie Phos­phor, Zink und Kalium fördern helfen; ein Thema, das er mit dem früheren Redak­teur der Flur und Furche, Rainer Mache, einst intensiv erör­terte, als er vor Jahren mit ihm für ein paar Tage durch Kartoffel-Deutsch­land reiste.

Dass Sangha inno­va­tive Wege geht, mani­fes­tiert sich auch an der Entwick­lung eines neuar­tigen Kartof­fel­siebes für eine Sortier­ma­schinen, das die hexa­go­nalen Struk­turen von Bienen­waben aufgreift.

Saat­kar­tof­fel­anbau beginnt auf dem Betrieb von Singh Sangha im Labor: Die Technik des Klonens ist eine seit Langem ange­wandte Technik.

Sangha ist einer von rund 13.000 Kunden, die John Deere im Bundes­staat Punjab betreut. Mehrere Händler wie beispiels­weise die Singh Agro Company in Kapurt­hala versorgen die Land­wirte mit Technik. Es sind in der Haupt­sache Getrei­de­bauern, die im April Weizen dreschen, der Mitte November gesät wird. Anfang Juni, vor dem Monsun, wird dann der Reis gesetzt, der im Oktober geerntet wird.

Nied­rige Löhne, mangelnde Perspek­tiven und Bauern­pro­teste

Für Harpreet Singh, Land­wirt und Lohn­un­ter­nehmer in Jodhan, ist dann arbeits­wirt­schaft­lich wie fast überall im Punjab richtig Druck auf dem Kessel. Der Reis muss gedro­schen und das Silikat haltige Stroh in Ballen gepresst werden; anschlie­ßend ist das Saat­beet für den nach­fol­gende Weizen vorzu­be­reiten. Dieje­nigen Land­wirte, die das Reis­stroh nicht abfahren lassen, verbrennen es auf dem Feld. So steht das Punjab im späten Herbst oft tage­lang unter dicken Rauch­wolken, was nicht nur ener­ge­tisch, sondern auch aus gesund­heit­li­chen Gründen alles andere als nach­haltig ist.

Jedoch gibt es neu Ansätze, bei dem das Reis­stroh in Zukunft im großen Stil zu Biogas vergoren werden soll. So hat in Lehr­agaga die erste Stroh­ver­gä­rungs­an­lage, betrieben von Verbio India, im letzten Jahr ihren Betrieb aufge­nommen und erzeugt seitdem Biokraft­stoff (CNG).

Auf dem Hof von Armarjit Singh Laddi im Dorf Rangian wird Zucker­rohr nach der Ernte mit Muskel­kraft verladen.

„In der Ernte­spitze arbeiten wir mit unseren Ballen­pressen regel­mäßig in die Nacht hinein“, erklärt der 45-jährige Harpreet auf seinem Hof, auf dem zu Zeiten seines Vaters, der inzwi­schen nach Nord­ame­rika ausge­wan­dert ist und dort seinen Lebens­abend verbringt, noch 50 Kühe gemolken wurden. Das ist jedoch vorbei. Denn auch in Punjab ist der „Struk­tur­wandel“ überall zu erkennen.

Und dies trotz des weiter zumin­dest auf dem Papier stehenden Land-Seal-Act aus der Zeit von Indira Gandhi, welches die Eigen­tums­fläche limi­tiert. Unab­hängig davon gibt es eine Spezia­li­sie­rung auf zumeist einen Betriebs­zweig – parallel dazu steigen Land- und Pacht­preise unauf­hör­lich, während die Löhne auf sehr nied­rigem Niveau dümpeln.

Harpreet Singh ist Land­wirt und Lohn­un­ter­nehmer aus Leiden­schaft. Kritisch beob­achtet er die Emigra­tion vieler junger Sikhs aus dem länd­li­chen Raum ins Ausland.

Harpreet Singh ist sicht­lich stolz auf seine Arbeit und seine Maschinen.

Für viele junge Sikhs sei dies ein Grund ins Ausland zu emigrieren, beob­achtet Land­wirt Harpreet die Entwick­lung kritisch. Auch die Erzeu­ger­preise seien durchaus bescheiden, weshalb er sich auch bei Protesten unter dem Slogan „No Farmer, No Food“ betei­ligt, erzählt er vor seinem Maschi­nen­schuppen, direkt neben einem Wasser­bassin sitzend. Es plät­schert. Dauer­haft schießt aus einem Rohr frisches Wasser aus einem Brunnen, der 80 Meter tief in die Erde hinein­ge­trieben worden ist, um das Grund­wasser anzu­zapfen.

Über ein verzweigtes Kanal­system, wie es überall im Punjab zu sehen ist, versorgt es die umlie­genden Weizen­felder. Dabei werden die Kanäle entweder von Fluss­wasser, voraus­ge­setzt es gibt ausrei­chend davon, oder eben Grund­wasser gespeist. Das Brun­nen­wasser ist fast 20 Grad Celsius warm. Es schmeckt weich und wunderbar. Dennoch: Der überall statt­fin­dende Brun­nenbau hat nega­tive Folgen. Extrem negativ. Während fallende Grund­was­ser­pegel für viele Land­wirte erst einmal bedeutet, dass sie noch tiefer und damit noch aufwän­diger bohren müssen, warnen mitt­ler­weile viele Geologen und Agrar­ex­perten diese Nega­tiv­spi­rale – sogar die Wissen­schaftler der berühmten Land­wirt­schaft­li­chen Univer­sität in Ludhiana.

Der Campus der Land­wirt­schaft­li­chen Univer­sität von Ludhiana ist riesig und inte­griert zahl­reiche Test­felder.

Dort entstand nach der indi­schen Staats­grün­dung eine ambi­tio­nierte Bildungs­stätte für alle Bereiche der Land­wirt­schaft, die weit über die Grenzen des nord­in­di­schen Bundes­staates ausstrahlte und immer große Unter­stüt­zung in der gesamt­in­di­schen Politik erfuhr. Einfach auch deshalb, weil allen klar war, dass eine leis­tungs­starke Land­wirt­schaft das unver­zicht­bare Rück­grat einer stabilen indi­schen Gesell­schaft ist. 

Viele Hoff­nungen wurden einst in die soge­nannte „Grüne Revo­lu­tion“ gesetzt, tatsäch­lich verän­derten sich Anbau­me­thoden und Tech­niken funda­mental, ebenso stiegen die Erträge. Doch heute wissen alle, dass die allei­nige Fokus­sie­rung auf hohe Erträge ein Konzept von gestern ist.

Neue Impulse aus der Wissen­schaft

Es gelte umzu­denken, äußert sich Direktor der Punjab Agri­cul­tural Univer­sity, Dr. Satbir Singh Gosal, erstaun­lich deut­lich. „Der Humus­ge­halt hat in den letzten Jahren abge­nommen und die drama­tisch fallenden Grund­was­ser­stände, verur­sacht eben durch den inten­siven Getrei­de­anbau, zwingen uns dazu“, so Gosal in seinem Büro auf dem riesigen Campus, der früher noch am Rand der Stadt lag und heute mitten in der auf zwei Millionen ange­wach­senen Stadt liegt. „Wir haben in der Vergan­gen­heit den Fokus immer auf die Pflanze gehabt, jetzt konzen­trieren wir uns mehr und mehr auf den Boden und die Inter­ak­tionen im Agrar­system gene­rell.“ 

Zucker­rohr­ernte im Januar: Geerntet und verladen wird zwar per Hand, abtrans­por­tiert aber mit Motor­kraft. 

Die Probleme sind nicht klein. Gerade auch weil die Bevöl­ke­rung weiter enorm wächst. Die Städte wuchern weiter, Straßen und Gebäude jeder Art verschlingen unauf­haltsam gutes Land. Urbane Struk­turen nähern sich auch den Feldern von Armarjit Singh Laddi im Dorf Rangian west­lich der Bundes­haupt­stadt Chan­di­garh, die einst nach der Teilung des indi­schen Subkon­ti­nents in Indien und Paki­stan – bei dem auch das Punjab geteilt wurde – nach den Plänen vom fran­zö­si­schen Archi­tekten Le Corbu­sier entstand. Vogel­ge­zwit­scher.

Jetzt konzen­trieren wir uns mehr und mehr auf den Boden und die Inter­ak­tionen im Agrar­system gene­rell.

Dr. Satbir Singh Gosal

Während 15 von ihm ange­heu­erte Saison­ar­beiter aus dem Bundes­staat Bihar bei male­ri­schem Spät­nach­mit­tags­licht hoch­ge­wach­senes Zucker­rohr schneiden und auf Hängern verladen, sind von Weitem drehende Kräne zu beob­achten, die zum Bau neuer Hoch­häuser einge­setzt werden. Ein Sinn­bild.

Auf bereits abge­ern­teten Feld­stü­cken wird das grobe Zucker­rohr­stroh in Klein­ballen verpresst. Laddi baut neben seiner Haupt­frucht Zucker­rohr auch Weizen und Reis an; zudem kulti­viert er Kartof­feln und Euka­lyptus auf kleinen Flächen, darüber hinaus hält er noch zehn Kühe. Offen erzählt Laddi über betrieb­liche Abläufe. Dabei verkör­pert der drah­tige Mann mit seiner zuge­wandten Art stell­ver­tre­tend die land­wirt­schaft­liche Power im Punjab: Es sind selbst­be­wusste und stolze Land­wirte, die genau wissen, was ihnen der begüns­tigte Natur­raum bietet. Und sie vermit­teln entschlossen die Bereit­schaft, sich den (agraren) Heraus­for­de­rungen der Zukunft zu stellen.