Warum stellen Landwirte ihren Betrieb auf regenerative Landwirtschaft um? Für Janine und Paul Raabe, die seit 2020 als Gemeinschaftsbetrieb den Hof Lebensberg in der Nordpfalz bewirtschaften, ist die Antwort klar: Die einzige Chance, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen, besteht für sie darin, ein in sich nachhaltigen Ökosystem aufzubauen.
Im Rahmen von Beratungsdienstleistungen entwickelten und realisierten Jannine und Paul Raabe ursprünglich Agroforstsysteme im Sinne einer regenerativen Landwirtschaft für Kunden in Deutschland und den Niederlanden. Bei der Umsetzung der Projekte stießen sie schnell auf das Problem, dass die richtigen Pflanzenarten in der gewünschten Menge und Qualität und zum gewünschten Preis nicht zur Verfügung standen.
Wir praktizieren regenerative Landwirtschaft, weil wir das geschädigte Ökosystem wiederherstellen, die Biodiversität erhöhen und darüber unseren Beitrag zu einer gesunden und lebendigen Region leisten wollen.
Janine Raabe
Um die Verbreitung der Agroforstwirtschaft und ihre Skalierbarkeit für andere Landwirte zu ermöglichen, bestand die Notwendigkeit einer größeren Anzahl essbarer Pflanzenarten, was bereits 2018 zur Gründung von Baumschule Ackerbaum führte.

Für Rakan Mehyar vom Betrieb Carob in Jordanien waren es die Bienen, die sein Interesse an der regenerativen Landwirtschaft weckten. Als er 30 Bienenstöcke anschaffte, stellte er bald fest, dass die Bienenvölker ums Überleben kämpften. Ihnen stand nicht genügend Pollen zur Verfügung. Zunächst dachte er, dass sich das Problem durch das Anpflanzen von Lavendel und Rosmarin lösen ließe, doch die Bienen benötigten eine größere Bestäubungsfläche. Mehyars Betrieb ist von Olivenplantage umgeben, die regelmäßig bespritzt und bearbeitet werden, so dass Wildblumen dort keine Chance haben. Die einzige Lösung, das Leben seiner Bienen zu retten, bestand für ihn darin, die Biodiversität auf seinem eigenen Land zu erhöhen und die Bienen zwischenzeitlich mit Nektar zu ernähren.

Im österreichischen Absdorf betreibt Bio-Landwirt Alfred Grand Acker- und Gartenbau. Gleichzeitig ist er Geschäftsführer von Vermigrand, einem Unternehmen, das seit seiner Gründung vor 25 Jahren mit Hilfe von nahe an der Bodenoberfläche lebenden Regenwurmarten torffreie Bodensubstrate herstellt.
Auf die Frage, was ihn zur Umstellung auf regenerative Anbaupraktiken veranlasst hat, antwortet Grand: „Die Regenwürmer haben mich inspiriert und meine Neugier für die Vorgänge im Boden und die Interaktionen zwischen Boden und Pflanzen geweckt. Und die Regenwürmer waren es auch, die mich letztlich dazu veranlasst haben, auf ökologische Landwirtschaft umzustellen.“

Während Grand mit den Händen durch den von Regenwürmern bevölkerten Humus fährt, fügt er hinzu: „Eigentlich sind Regenwürmer viel cleverer als wir Menschen.“
Die Regenwürmer gehen scheinbar mühelos ans Werk und stehen zu so vielen Teilaspekten ihres Ökosystems, wie z. B. Wasser und Boden, in einer anscheinend symbiotischen Beziehung. Diese Erkenntnis hat mich darin bestärkt, unseren Familienbetrieb auf ökologische und später auf regenerative Landwirtschaft umzustellen. Da spielte es auch keine Rolle, dass meine Nachbarn die Erfolgsaussichten der ökologischen Landwirtschaft skeptisch beurteilten.
Alfred Grand
Sämtliche Landwirte, denen wir die Frage nach ihrer Motivation für die Umstellung auf regenerative Landwirtschaft gestellt haben, spürten den Drang, umgehend etwas zu verändern. Sie sind unmittelbar mit den Folgen des Rückgangs der Biodiversität im Boden und über der Erde konfrontiert. Bei Rakan Mehyar sind es die Bienen, die nicht mehr genug Nektar finden, und bei Alfred Grand geht es darum, den bestmöglichen Boden zu schaffen, in dem sich seine Regenwürmer gut entwickeln können.
Über Cycle to Farms

Begonnen haben wir die Reise im Mai 2022 in den Niederlanden. Bisher führte und die Route über Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Albanien, Griechenland, Ägypten und Kenia. Derzeit sind wir in Uganda unterwegs und besuchen dort ebenfalls Betriebe.
Wir haben bereits viele regenerativ wirtschaftende Betriebe besucht und wertvolle Erkenntnisse und Einblicke zur Umstellung auf eine klimaresiliente Landwirtschaft gewonnen. So konnten wir Praktiken kennenlernen, mit denen Landwirte ihrer Flächen regenerieren. Außerdem haben wir erfahren, wie Landwirte bestmöglich unterstützt werden und wie andere dazu inspiriert werden können, ebenfalls auf regenerative Landwirtschaft umzustellen.
Die besuchten Betriebe sind unterschiedlich groß – von einigen wenigen bis zu mehreren Tausend Hektar – und weisen unterschiedliche Bodentypen auf, deren Spektrum von Tonböden über felsige bis hin zu sandigen Böden reicht. Außerdem kommen unterschiedliche Produktionssysteme zum Einsatz, zu denen neben Ackerbau, Obstgärten, Agroforstwirtschaft und Gartenbau häufig auch Mischformen treten.
Trotz aller Unterschiedlichkeit verfolgen die Betriebe ein gemeinsames Ziel: den Kampf gegen den Klimawandel durch Verbesserung der Bodengesundheit, ein intelligentes Wassermanagement und die Erhöhung der Biodiversität. Sämtliche Landwirte, die wir besucht haben, arbeiteten lösungsorientiert und konzentriert nach gemeinsamen Grundsätzen, während sie gleichzeitig ihre individuellen Praktiken und spezifischen Geschäftsmodelle beibehielten.
Mehr zu Aisha und Lukas auf www.cycletofarms.com
Erhöhung der Biodiversität über der Erde
In den meisten Betrieben, die wir besuchten, werden unterschiedliche Produktionssysteme kombiniert. Häufig findet Ackerbau in Verbindung mit Gartenbau, Agroforstwirtschaft und Tierhaltung statt. Die Integration unterschiedlicher Nahrungsmittelsysteme ist wichtig für die Wiederherstellung des Ökosystems und ermöglicht es dem System mit weniger externen Zugaben auszukommen. Beispielsweise haben die Landwirte, die wir besuchten, ein Agroforstsystem in ihren Entwicklungsplan einbezogen. Agroforstsysteme bieten viele Vorteile, z. B. sorgen sie für die Aussicht auf höhere Erträge und weniger Erosion der Ackerkrume, spenden Schatten, schützen vor Wind, bilden eine Brandschneise und bieten darüber hinaus Insekten und anderen Tieren Schutz.
Im Jahr 2020 pflanzten wir 30 000 Bäume und Sträucher, und in den kommenden 15 Jahren wird ein Nusswald zwischen den 50 Meter breiten Streifen gewachsen sein. Auf den breiteren Streifen bauen wir Feldfrüchte wie Kartoffeln und Getreide an. Der Nusswald spendet Schatten und bietet einen Windschutz, was sehr wichtig ist, weil sich unser Betrieb auf einer Hügelkuppe befindet.
Janine Raabe
Janine und Paul Raabe haben einen artenreichen Nusswald angelegt, in dem Kastanien, Mandeln, Paranüsse, Haselnüsse, Walnüsse, Pekannüsse, Schwarznüsse sowie viele weitere Sorten mit unterschiedlichen Genomen wachsen, die sich gegenseitig befruchten können. Auf den äußeren Reihen haben sie in jeweils einem Meter Abstand Pappeln und Taybeerensträucher gepflanzt. Dazwischen stehen Biomassebäume, deren Mulch zur Unterstützung des Humusaufbaus im Boden sowie zum Schutz und zur Schonung des Bodens nützlich ist.

Neben Agroforstsystemen betreiben die meisten Betriebe auch Gartenbau. Sie bauen eine breite Palette von Früchten an und sichern eine kontinuierliche Versorgung mit frischen Produkten während der lokalen Wachstumsperiode. Diese Früchte decken den eigenen Bedarf und dienen auch zum Verkauf im gesamten Jahresverlauf.
In den Niederlanden besuchten wir Howard Koster und Claudia Rudorf, eine junge Familie, die im März 2022 mit der Bewirtschaftung einer 35 ha großen Parzelle begonnen hat, die Land van Ons gehört. Dabei handelt es sich um eine Bürgergenossenschaft, die sich für die Wiederherstellung der Biodiversität und Landschaft einsetzt, indem sie Parzellen zur naturfreundlichen Bewirtschaftung an Landwirte verpachtet. Freiwillige von Land van Ons unterstützen die Pächter bei der Umsetzung ihrer Pläne und geben Hilfestellung in praktischen Angelegenheiten.
Auf die Frage nach ihren Plänen für die Parzelle antworteten Koster und Rudorf, dass sie auf Anbaupraktiken setzen, die die Kräfte der Natur mit einbeziehen. Auf ihren Feldern planen sie den Anbau von Hanf, Lupinen (als Eiweißquelle) und Getreide abwechselnd mit anderen Feldfrüchten. Zur Regeneration des Bodens möchten sie eine Kombination aus Gras und Klee als Weidefutter für die Rinder und Schafe verwenden. Während er versuchte, ein paar Schafe wieder einzufangen, die durch ein Loch im Zaun entwichen waren, hob Howard Koster die Bedeutung von Vieh für den Betrieb hervor. Für Koster sind Tiere ein Teil des Ökosystems und nehmen eine wichtige Funktion in ihrem System der Nahrungsmittelproduktion ein. Außerdem sind sie in mancher Hinsicht effizienter, wenn es um die Regeneration des Bodens geht.

Landwirte, die wir besuchten, war die Diversifizierung der auf ihren Parzellen angebauten Pflanzenarten und sorten wichtig, da dies der Biodiversität des Betriebs insgesamt zugutekommt. Unterschiedliche Pflanzen und Bäume bieten Schutz und Lebensraum für verschiedene Lebewesen wie Vögel, Eulen, Schmetterlinge und Bienen, die aufgrund ihrer Bestäubungstätigkeit wiederum wichtig für das Wachstum und die Vermehrung von Pflanzen und die Produktion von Lebensmitteln sind. Nicht zuletzt hat der Artenreichtum auch Einfluss auf das Leben in der Erde.
Erhöhung der Biodiversität unter der Erde
Im Unterschied zu anderen Bewirtschaftungssystemen zielt die regenerative Landwirtschaft mehr auf die Stärkung der Bodengesundheit ab. Der Boden bildet die Grundlage für die Landwirtschaft und ist der wesentliche Faktor zur Erhöhung der Biodiversität im Boden und über der Erde. Die regenerative Landwirtschaft greift daher auf eine Vielzahl an Praktiken zurück, um die Bodengesundheit zu verbessern.

Bei vielen Praktiken, die wir kennengelernt haben, geht es um den Aufbau organischer Substanz im Boden durch die Nutzung von Kompost. Dieser entsteht in einem komplexen Zersetzungsprozess, der aus pflanzlichem Material, Wasser und tierischen Rückständen ein hygienisiertes Produkt hervorbringt. Die genaue Zusammensetzung des Komposts kann dabei sehr unterschiedlich sein.
Kompost ist wie ein unbeschriebenes Blatt, das immer bunter wird, je mehr Farben man hineinsteckt.
Fadoul Kawar
Inmitten einer von Bodendegradation betroffenen Landschaft, die von überweideten Feldern geprägt ist und gelegentlich von Wirbelstürmen heimgesucht wird, die erodierten Boden mit sich forttragen, trafen wir Fadoul Kawar, der sich um die Regeneration einer 1 ha großen Parzelle in Jordanien bemüht. Zur Wiederherstellung der Bodenfruchtbarkeit verwendet er Kompost. Kawar ist der Ansicht, dass die Zusammensetzung des Komposts vom jeweiligen Boden abhängig zu machen ist. Während wir ihm bei der Umwendung des Komposthaufens halfen, erläuterte er, dass sein Kompost deshalb entgegen den allgemeinen Empfehlungen auch Orangenschalen enthält. Denn während Orangenschalen bei einigen Bodentypen das Gleichgewicht von Nährstoffen und pH Wert stören würden, könnten sie dies bei anderen Bodentypen verbessern.
Zur Herstellung des Nährstoffgleichgewichts gibt es mehrere Möglichkeiten. Alfred Grand setzt auf die Regenwürmer in seinem Kompost, um die Nährstoffe im Boden wiederherzustellen. Er meint, dass für die verschiedenen Nährstoffzyklen unterschiedliche Organismen verantwortlich sind. Regenwürmer sind sehr effizient darin, Speisereste und sonstige organische Materie zu nährstoffreichem Kompost, genannt Vermi-Kompost, zu verwerten.

Regenerative Landwirtschaft als Hoffnungsanker für die Biodiversität
Die Umstellung auf regenerative Landwirtschaft erfolgte aufgrund der Herausforderungen, mit denen sich die Landwirte konfrontiert sahen. Diese bestanden entweder im fehlenden Pflanzenmaterial zur Entwicklung eines fruchtbaren Agroforstsystems mit einer größeren Anzahl essbarer Pflanzenarten, einem Mangel an Biodiversität, der das Leben von Bienenvölkern gefährdete, oder der Notwendigkeit zur Revitalisierung des Bodens mit Hilfe von Kompost. Angesichts dieser Probleme haben die Landwirte eine aktive Rolle eingenommen und ihre landwirtschaftlichen Praktiken auf die Bewältigung der Folgen des Klimawandels ausgerichtet.
Die wahrscheinlich wichtigste Erkenntnis, zu der uns die besuchten Landwirte verholfen haben, ist, dass uns keine Zeit bleibt, auf fertige Lösungen zu warten. Wenn wir die Klimaprobleme lösen wollen, müssen wir damit beginnen, mehr gesunde Ökosystem auf regionaler Ebene zu schaffen.