Bei Mutti zu Besuch

Tomaten in der Dose gelten als Billig­pro­dukt. Trotzdem setzt ein italie­ni­scher Hersteller erfolg­reich auf Qualität und faire Bedin­gungen für seine Land­wirte. Was steckt hinter dem Konzept?

Mit erstaun­li­cher Präzi­sion ruckelt die Ernte­maschine durch das Feld voller reifer Tomaten. Marco Fran­zoni sitzt hinter dem Lenkrad, blickt immer wieder zwischen Rück­spie­geln, Displays und Transport­bändern hin und her, passt mit Hebeln und Knöpfen die Geschwindig­keiten vom Vorschub der Ernte­maschine und der Transport­bänder an. Vorne frisst die Maschine die kompletten Pflanzen in sich hinein. Hinten spuckt sie Kraut, Stängel und Teile des Wurzel­werks aufs Feld.

Zwei Ernte­helferinnen sortieren schad­hafte Tomaten, Steine und Erdbro­cken aus. Die heilen Tomaten landen über ein Transport­band kollernd im nebenher­fahrenden Hänger. Wie über­stehen sie das unbe­schadet? „Diese Tomaten sind nicht wie die Salat­tomaten auf dem Markt“, erklärt der kräftig gebaute Land­wirt aus Santa Vittoria und kratzt seinen Voll­bart. „Für die Dosen­to­mate bauen wir robuste Sorten mit dicker Schale und nied­rigen, buschigen Pflanzen an.“

Land­wirt mit Quali­täts­an­spruch: Marco Fran­zoni arbeitet ständig an der Verbes­se­rung seiner Tomaten.

An der Tomate kommt im Sommer im Norden Italiens niemand vorbei. Tonnen­weise bringen Last­wagen die prallen Früchte vom soge­nannten „Food Valley“ in große Fabriken, die den Duft einer Passata di Pomo­doro verströmen. Hier werden die Tomaten einge­kocht, zum Teil konzen­triert und millio­nen­fach einge­dost. Eigent­lich ist die Gegend rund um die Stadt Parma berühmt für ihren Schinken und den Hart­käse. Beide tragen den Namen der pitto­resken Stadt am gleich­na­migen Fluss. Aber Dosen­to­maten? Obwohl kein Sugo und keine Salsa ohne sie gelingt, hat dem vermeint­li­chen Billig­pro­dukt und seiner Herkunft bis vor kurzem kaum jemand Beach­tung geschenkt.

Mit Qualität und Nach­hal­tig­keit zum Markt­führer

Das hat sich geän­dert, vor allem weil sich angeb­lich in einigen Produkten unter dem Label „Made in Italy“ Tomaten und Konzen­trate aus China verste­cken sollen. Nun analy­sieren und probieren Verbrau­cher­schützer, Küchen­chefs und TV-Sender die Tomaten in der Dose. Häufiger Gewinner: die Firma Mutti aus der Provinz Parma. Mutti hat sich mit Qualität und Nach­haltigkeit in Italien zum Markt­führer hoch­ge­ar­beitet, obwohl diese Dosen ein ganzes Stück teurer als bei anderen Anbie­tern sind. In 95 Ländern haben die Produkte des Unter­neh­mens Mutti mitt­ler­weile einen festen Platz im Super­markt­regal.

Tradi­tion und Moderne. Fran­cesco Mutti hat das Fami­li­en­un­ter­nehmen konse­quent nach vorne gebracht.

Rund 850 Land­wirte bauen rund um das Stamm­werk in Parma für Mutti an. Einer von ihnen ist Marco Fran­zoni. Ein Siebtel seiner 350 ha nutzt er für Tomaten. Auf dem Rest wächst Weizen oder grasen Kühe. Anfangs belie­ferte Marco Fran­zoni auch noch andere Hersteller. Nun arbeitet er ausschließ­lich für Mutti. „Die sind sehr quali­täts­be­wusst, das mag ich“, sagt er und grinst. „Und ihnen ist gute Arbeit etwas wert.“

Faire Preise für Land­wirte

Mutti bezahlt seinen Land­wirten nicht nur 10 % über dem saisonal fest gelegten Durch­schnittspreis, sondern prämiert jedes Jahr dieje­nigen, die überdurch­schnittliche Qualität liefern. Im Norden sind das jedes Jahr vierzig Betriebe. Am Ende der Kampagne bekommt der beste dieser Auser­wählten eine Gold­me­daille und eine weitere Prämie.

Marco Fran­zoni hat diese mehrere Tausend Euro wert­volle Auszeich­nung bereits fünfmal gewonnen. „Das Geld habe ich meis­tens in Equip­ment inves­tiert.“ Falls er dieses Jahr wieder gewinnt, will Marco Fran­zoni ein GPS-System für seine Pflanz­maschine kaufen, um noch präziser und ressourcen­schonender arbeiten zu können.

Die Auszeich­nung für gute Qualität habe ich schon fünfmal gewonnen. Das Prämie inves­tiere ich meis­tens in Equip­ment.

Marco Fran­zoni, Land­wirt

Die dunkle Seite der Dosen­to­maten

Der Niedrigst­preis der Dosen­to­maten wurde und wird vor allem auf dem Rücken der Land­wirte und ihrer Ernte­helfer ausge­tragen. Im Norden Italiens laufen Aussaat, Pflege und Ernte ausschließ­lich maschi­nell, abge­sehen von den wenigen Sortierer­innen auf den Ernte­maschinen. Im Süden ist das anders. Dort wird noch von Hand geerntet, häufig von unter­be­zahlten Migranten ohne Papiere. Zuletzt hat der Hitzetod eines mali­schen Ernte­ar­bei­ters in Apulien für Aufsehen gesorgt. Bis vor sechs Jahren hatte Mutti mit seinen 200 Vertrags­bauern im Süden eine Verein­ba­rung, die den Ernte­helfern faire Löhne, ausrei­chend Pausen und Versi­che­rungen sichern sollten. „Wir mussten aber fest­stellen, dass sich das nicht zuver­lässig über­wa­chen ließ“, sagt Ugo Peruch, der land­wirt­schaft­liche Direktor des Unter­neh­mens. Seitdem arbeitet Mutti auch im Süden nur noch mit Betrieben, die maschi­nell produ­zieren.

Forschen und Digi­ta­li­sieren für die Zukunft

Neben der fairen Bezah­lung seiner Farmer unter­stützt Mutti diese mit Forschungen, Trai­nings und einer digi­talen Lern­plattform. Im Zentrum steht der Schutz von Ressourcen, allen voran Wasser. Die Einfüh­rung von Tröpf­chen-Bewäs­se­rung, die Opti­mie­rung von Bewässerungs­zeiten und -zyklen sowie die Ausstat­tung der Farmer mit spezi­ellen Mess­ge­räten zur Erfas­sung des Mikro­klimas haben Einspa­rungen von bis zu 30 % ermög­licht.

Häufiger Anblick im Food Valley Italiens: voll­ge­la­dene Hänger mit Tomaten.

Der Einsatz von Pesti­ziden konnte um 10 % redu­ziert werden. „Das wollen wir noch erheb­lich stei­gern“, erklärt Ugo Peruch. Nur gute Tomaten ergeben schmack­hafte Produkte. Sie müssen aber auch gut verar­beitet werden.

Auf dem Hof der Fabrik warten dicht an dicht LKW voller Tomaten auf das Wiegen und die ersten Quali­täts­kon­trollen. 300 Ladungen verar­beitet die Fabrik täglich. Das entspricht 7.500 t, genug für 2,5 Millionen Dosen. In nur zehn Wochen Ernte­kam­pagne muss Mutti seine viele Tausende Quadrat­meter großen Lager füllen, um das ganze Jahr über Ware zu haben.

Wenige Stunden von der Ernte bis zur Konserve

Mit Wasser werden die Tomaten aus den Anhän­gern gespült. Über­schäu­mende Wasser­fälle, sich langsam drehende Trom­meln, durch Kanäle und Sprinkler­anlagen rauschen sie in Becken von der Größe eines Swim­ming-Pools. Zwischen­durch werden die Tomaten immer wieder von Pflanzen­resten, Steinen und unreifen oder schad­haften Exem­plaren befreit, per Hand sowie mithilfe von Sieben und opti­schen Sensoren. Auf breiten Transport­straßen wandern die Tomaten dann im Wasser­bett in das Innere der Fabrik. Dort gehen das Waschen und Sortieren weiter.

Harte Schale, aroma­ti­scher Kern. Für den Anbau von Dosen­to­maten eignen sich nur robuste Sorten.

Obwohl die Tomaten bereits auf dem Feld sortiert worden sind, wandert in der Fabrik insge­samt ein Fünftel der ange­lie­ferten Menge in Biogas­an­lagen oder Futter­tröge. Die anderen rücken vor in die Verar­bei­tung. In einem paten­tierten Verfahren werden die Tomaten bei nied­rigen Tempe­ra­turen gepresst, bevor sie zu Pulpa, Passata, Pizza­sauce oder Konzen­trat weiter­ver­ar­beitet werden. Wie genau das von statten geht, bleibt ein Betriebs­ge­heimnis. Hitze jeden­falls kommt erst später und nicht bei allen Produkten ins Spiel. Nicht einmal drei Stunden nach der Anlie­fe­rung der voll­reifen Tomaten, sind diese einge­dost oder stecken als Konzen­trat in der Tube.

Bei Mutti im Büro

Diese scho­nende Zube­rei­tung ist ein sehr wich­tiger Grund dafür, dass unsere Tomaten so gut schme­cken,“ Sagt Geschäfts­führer Fran­cesco Mutti. Er sitzt an einem Glas­tisch. Hinter dem 53-Jährigen stapelt sich mit histo­ri­schen Dosen die Geschichte des Unter­neh­mens in vierter Gene­ra­tion. Der Chef trägt einen grauen Backen­bart und ein Hemd mit aufge­knöpftem Kragen. Anzug­jacke und Krawatte hängen auf einem Ständer in der Ecke. Fran­cesco Mutti mag es leger und dyna­misch. Er kann Verän­de­rungen anstoßen und andere Menschen für Neues begeis­tern.

Eine mobile Fabrik auf dem Feld

Zum Beispiel für die soge­nannte Insta Factory. Die steht nur wenige Hundert Meter von Marco Fran­zonis Toma­ten­feld entfernt auf einem Schot­ter­platz. In Contai­nern dampft und zischt eine mobile Klein­fa­brik. Nicolas Jaco­boni ist leitender Inge­nieur und setzt die Anlage gerade in Gang. In Sicher­heits­schuhen eilt er zwischen Einfüll­schacht, Tanks und Dampf­erzeuger hin und her, flanscht Schläuche an und kontrol­liert Druck­an­zeiger. Vor einem Kontroll­glas bleibt er stehen. Noch läuft heißes Wasser zum Steri­li­sieren durch. Kurze Zeit später schießt tief­rote Passata hinterher. Ein letzter Blick auf das Display mit den Schaltkreis­läufen und Temperatur­anzeigern. Dann nickt Jaco­boni zufrieden. „Wenn die Anlage erstmal läuft, tut sie das wie von alleine.“

Fabrik zum Aufklappen und Umziehen. Die Instant Factory steht nur ein paar Tage neben dem Feld von Marco Fran­zoni.

Noch sind die Leitungen blitz­blank. Die Instant Factory ist die neueste Inno­va­tion bei Mutti.

Auch wenn die Instant Factory klein ist, verar­beitet sie gewal­tige Mengen an Tomaten.

Frischer geht es nicht. Auch empfind­liche Sorten lassen sich so verar­beiten. Zudem spart das Verfahren Transport­wege. Vor allem aber entsteht eine Passata in geringer Stück­zahl, die einzelnen Betrieben zuge­ordnet werden kann, der Beschaf­fen­heit ihrer Böden sowie dem jewei­ligen Mikro­klima. Wie bei einem Terroir-Wein. Entspre­chend gering sind die Stück­zahlen, zumin­dest für Muttis Verhält­nisse. Ein Million Flaschen der so genannten Passata sul Campo gibt es in diesem Jahr auf dem italie­ni­schen Markt. In Deutsch­land sind es gerade einmal 25.000.

Am Abend arbeitet die Instant Factory bei Flut­licht. Marco Fran­zoni liegt längst im Bett. Aber er hat genug Tomaten dage­lassen. Die stehen am Rande des Schotter­platzes in großen Boxen. Gabel­stapler fahren hin und her und leeren sie in den Einfüll­schacht der Instant Factory. Morgen früh kommt Marco Fran­zoni zurück. Und steuert wieder die Ernte­maschine durch sein Feld voller reifer Tomaten.