Neue Bauern braucht das Land

Kuba erlaubt mehr und mehr Privat­wirt­schaft und sucht die Norma­lität in den Bezie­hungen zu den USA. Dadurch ist auch die Land­wirt­schaft in Bewe­gung geraten.

Jorge Lorenzo zeigt über seine Weiden und Äcker in der Provinz Sancti Spiritus auf Kuba. Hinter ihm rascheln die großen Blätter der Teak­bäume, die auf der benach­barten Forst­fläche wachsen, im warmen Wind. „Hier wucherte überall Marabú, wir haben Wochen gebraucht, um das Land von den Büschen zu befreien.“ Der Land­wirt schiebt seinen Hut aus der Stirn und streicht sich über das karierte Hemd. „Heute grasen hier Rinder.“ Zudem baut Jorge Lorenzo auf seinen insge­samt 9 ha Futter für die Tiere an, sowie Maniok, Zucker­rohr, Gemüse und Obst. Außerdem hält der 50-Jährige noch Hühner und Schweine.

Der dichte, manns­hohe Marabú-Busch muss mitsamt der Wurzel ausge­rissen werden. Sonst wächst er nach seiner Abhol­zung rasch wieder nach. Das aus Afrika einge­schleppte Mimo­sen­ge­wächs über­wu­chert über 1,2 Mio. ha in Kuba. Das meiste davon gehört zu den 6,3 Mio. ha land­wirt­schaft­li­cher Nutz­fläche. Auf ihr konnte sich das Busch­werk ausbreiten, weil infolge der Wirt­schafts­krise der 1990er Jahren die Nutzung des Landes stark zurück­ging.

Diese so genannte Periodo espe­cial wurde ausge­löst durch den Zerfall der Sowjet­union. Die Kari­bik­insel verlor den Abnehmer für den auf einem Groß­teil der Flächen produ­zierten Zucker – und den Liefe­ranten für verbil­ligtes Erdöl, Dünger und Pflan­zen­schutz­mittel. Trecker und Ernte­ma­schinen standen still. Die land­wirt­schaft­liche Produk­tion brach ein.

Kraft­futter „Made in Cuba“, eigen­händig mit der Machete geerntet.

Nur selten funk­tio­nieren die Maschinen aus der sowje­ti­schen Ära noch, die kuba­ni­sche Zucker­rohr­wirt­schaft arbeitet weit­ge­hend unpro­duktiv.

Ein Hoch­schul­do­zent als Rinder­farmer. Jorge Lorenzo mag seine Doppel­be­las­tung.

Erste Reformen

Um die Produk­tion von Lebens­mit­teln im Land zu stei­gern, löste man noch unter Fidel Castro viele der großen Staats­güter auf, verklei­nerte die Anbau­flä­chen und orga­ni­sierte diese in großen Genos­sen­schaften. Wirk­lich selb­ständig wirt­schaften dürfen diese Unid­ades Básicas de Produc­ción Coope­ra­tiva (UBPC) aber bis heute nicht. So mussten sie etwa lange ihre Ernte zu fest­ge­setzten Nied­rig­preisen an den Staat verkaufen.

Jorge Lorenzo, Hoch­schul­do­zent und zugleich Rinder­farmer

Erst 2008 wurde unter Raoul Castro eine Reform einge­leitet, die so etwas wie private Land­wirt­schaft ermög­licht. Seitdem werden brach liegende Flächen an Privat­per­sonen vergeben. Zunächst bekamen diese das Land für einen Zeit­raum von zehn Jahren, heute werden die Verträge auf 20 Jahre abge­schlossen.

„Uns stehen jetzt die Türen offen.“ Jorge Lorenzo nutzt seine 9 ha seit etwa zehn Jahren. Eine Abgabe muss er nicht bezahlen, seinen Umsatz mit 5 % versteuern. Nicht nur deshalb ist er erfolg­reich. „Wir haben unsere Kredite zurück­ge­zahlt und wir haben genug gute Nahrungs­mittel für die ganze Familie.“ Der Vater von zwei Kindern zeigt sein Gemü­se­feld, wo Chilis, Lauch, Knob­lauch, Bohnen und Tomaten wachsen. „Ich freue mich über jede Tomate.“ Zwar haben alle Bürger freien Zugang zu Bildung und medi­zi­ni­scher Versor­gung. Auch versorgt der Staat sie mit Grund­nah­rungs­mit­teln wie Reis, Zucker, Kaffee oder Brot. Die aber reichen bei den meisten nur für ein Drittel des Monats, und vieles gibt es in den staat­li­chen Läden gar nicht.

Der Anbau von Obst und Gemüse für den Eigen­be­darf ist also von großer Bedeu­tung. Auf einem halben Hektar produ­ziert Jorge Lorenzo so viel, dass er und sein Vater Pedro, der ihm auf dem Betrieb hilft, die Über­schüsse an Verwandte verschenken und an Nach­barn verkaufen können.

Mecha­ni­sie­rung steht ganz am Anfang

Den größten Teil des Einkom­mens aber erwirt­schaftet die Familie mit dem Verkauf der Milch. Die Kühe von Jorge Lorenzo geben vergleichs­weise beschei­dene 1.000 l/Laktation. Das ist der Weide­fläche geschuldet. „9 ha für 35 Kühe sind zu wenig, das versuche ich mit der Auswei­tung des Futter­an­baus auszu­glei­chen.“ Er ist zuver­sicht­lich, den Ertrag stei­gern zu können.

Dem sind aller­dings Grenzen gesetzt: Es gibt keine Maschinen auf seinem Hof, so wie auch in den meisten anderen kleinen Betrieben nicht. Braucht Jorge Lorenzo einen Traktor, muss er ihn bei einer Service-Koope­ra­tive mieten. Der Forst­wissen­schaftler arbeitet haupt­be­ruf­lich als Dozent an der Univer­sität von Sancti Spiritus. Mit dem Betrieb verdient er zwar das Viel­fache seines Gehaltes, die Anstel­lung möchte er aber behalten. „Die Arbeit an der Univer­sität ist sehr inter­es­sant.“

Wir haben unsere Kredite zurück­ge­zahlt und haben genug gute Nahrungs­mittel für die ganze Familie.

Jorge Lorenzo

Jorge Lorenzo fährt in dem Moskwitsch seines Vaters zu dem Schwei­ne­be­trieb von Joel Mati­enso. Geschickt umkurvt er die tiefen Schlag­lö­cher der schmalen Straßen. Die Stoß­dämpfer des Autos, das noch aus sowje­ti­scher Produk­tion stammt, ächzen. Aber es fährt – und leistet wert­volle Dienste in einem Land, in dem sich kaum jemand ein privates Fahr­zeug leisten kann.

Not macht erfin­de­risch

Auch Joel Mati­enso kann sich mitt­ler­weile einen fahr­baren Unter­satz leisten – wenn auch nur auf zwei Rädern. Stolz streicht er über den Tank seiner tiptop gepflegten MZ, die noch 1989 im säch­si­chen Zschopau vom Band lief. Trotz ihres stolzen Alters hat die Maschine den Bauern umge­rechnet fast acht­tau­send Euro gekostet. „Die hätte ich mir früher nie leisten können, eben sowenig die Klima­an­lage und den Fern­seher“, schreit er mit heiserer Stimme gegen den Lärm seiner Schweine und den des Häcks­lers an, mit dem seine zwei Ange­stellten Maniok zerklei­nern.

Joel Mati­enso und Jorge Lorenzo disku­tieren über die Zukunft der Land­wirt­schaft in Kuba.

Der Hof gehört der Familie. „Mein Groß­vater hat hier schon gelebt und für den Eigen­be­darf ange­baut.“ Aber erst der stäm­mige Bauin­ge­nieur Mati­enso hat den Betrieb profes­sio­na­li­siert, als er 2005 mit 100 Schweinen begann, rund zehn Jahre später waren es schon 300 Sauen. Tier­ärzt­liche Dienst­leis­tungen sowie 60 % seines Futters bezieht er bei dem Staats­be­trieb Empresa Porcina, an den er auch die Schweine verkauft – aller­dings nicht alle. Einen Teil verkauft Mati­enso an Privat­kunden, die auf seinen Hof kommen. Die meisten aber liefert er an den Staats­be­trieb. Zwar erzielt er dort nur einen Preis, der ein Drittel unter dem auf dem Privat­markt liegt, kann jedoch größere Mengen absetzen. Dafür muss er mit dem Mangel an Ressourcen und den Unzu­läng­lich­keiten eines zentral gelenkten Appa­rates leben.

„Heute wollten sie 40 Schweine abholen, hatten aber keinen Trans­porter verfügbar.“ Also hat der rührige Farmer einen auf eigene Kosten orga­ni­siert, damit er das Geschäft abschließen konnte. Liefer­schwie­rig­keiten gibt es häufig auch bei dem Futter. „Dann muss ich woan­ders etwas kaufen und dieses Ding hier anschmeißen.“ Joel Mati­enso klopft auf eine selbst gebaute Mais­mühle. „Wir Kubaner sind erfin­de­risch.“

Kuba wie aus dem Bilder­buch. Das Auto gehört aller­dings einem Besu­cher, Fernando Funes fährt einen Lada.

Ein Land als Versuchs­labor

Das trifft auch auf Fernando Funes zu. Der Weg zu seiner Finca Marta in der Provinz Arte­misa östlich der Haupt­stadt Havanna geht vorbei an großen Zucker­rohr­fel­dern, aufge­ge­benen Groß­mast­be­trieben sowie an kleinen Äckern, die mit Ochsen gepflügt werden. Auf der Auto­bahn sind Pfer­de­ge­spanne neben alten US-Stra­ßen­kreu­zern ein normaler Anblick.

Fernando Funes betreibt biolo­gi­sche Land­wirt­schaft nahe Havana.

Aus der Not heraus ist die Kari­bik­insel zu einem Versuchs­labor für eine Zukunft nach dem allge­gen­wär­tigen Mine­ralöl geworden. Viele Betriebe düngen ihre Böden zum Beispiel mit Wurm­kom­post und schützen ihre Feld­früchte mit Extrakten aus dem Neem­baum oder Taba­krispen.

Fernando Funes, der an der nieder­län­di­schen Univer­sität Wagen­ingen Agrar­wis­sen­schaften studiert hat, betreibt so eine biolo­gi­sche Land­wirt­schaft. Das beson­dere an seiner Finca Marta aber sind Konzept und Vermark­tung. „20 Jahre habe ich über Bioland­wirt­schaft geforscht und publi­ziert, nun wollte ich einmal selbst etwas auf die Beine stellen“, sagt der 48-Jährige. In nur vier Jahren ist auf den 8 ha Erstaun­li­ches entstanden. In Terras­sen­beeten wachsen Lollo Rosso, Spargel, Tomaten, Senf, Karotten und Radies­chen. Die verschie­denen Sorten Gemüse und Obst vari­ieren nach Jahres­zeit und Klima.

Fernando Funes verkauft seine Produkte auch an Touris­ten­re­stau­rants in Havanna. So etwas wie Ruccola ist in Kuba kaum zu bekommen. Für 1 kg erzielt Funes umge­rechnet etwa 5 €. „Ich kann von diesen Einnahmen meine 20 Leute beschäf­tigen, die Restau­rants garnieren mit 1 kg unzäh­lige Teller, die sie für gutes Geld verkaufen.“ Der Bioland­wirt zieht an seiner Zigarre und lächelt. „So profi­tieren alle.“

20 Jahre habe ich über Bioland­wirt­schaft geforscht und publi­ziert, nun wollte ich einmal selbst etwas auf die Beine stellen.

Fernando Funes

Außerdem belie­fert er eine natio­nale Hotel­kette und einige Privat­haus­halte. Mit Hilfe eigener Bienen­völker produ­ziert Fernando Funes zudem über mehrere Tonnen hoch­wer­tigen Honig pro Jahr, von denen er das meiste über einen Staats­be­trieb expor­tiert. „Einen anderen Weg gibt es noch nicht.“ Und sein drittes Stand­bein sind Besu­cher­gruppen aus Kanada, den USA oder Europa, die der Allround­unternehmer auf der Finca Marta herum­führt und bewirtet.

Zu dem Konzept des Biobauern Fernando Funes gehören auch nach­hal­tige Arbeits­plätze für Menschen aus der Region.

Kuba­ni­scher Einfalls­reichtum hilft über so manchen Versor­gungs­eng­pass hinweg.

Profes­sio­neller Anbau auf Terras­sen­beeten: die Gemü­se­farm von Fernando Funes.

 

Die Nach­frage nach seinen Produkten ist so groß, dass Funes seinen Betrieb mit einigen Farmen in der Nach­bar­schaft zu einer Bioko­ope­ra­tive zusam­men­schließen will, die nach seinen Methoden produ­ziert. „Die lokalen Behörden sind dem Projekt gegen­über sehr aufge­schlossen.“

Private Betriebe und kleine Genos­sen­schaften erwirt­schaften einen Groß­teil der Lebens­mit­tel­pro­duk­tion Kubas. Kritiker glauben, dass die Förde­rung privater Land­wirt­schaft aber zu zöger­lich vonstatten geht. Die Staats­be­triebe verfügten 2014 über knapp ein Drittel des Agrar­landes, produ­zierten aber nur zehn Prozent der Nahrungs­mittel. Die Konse­quenz: Von den jähr­li­chen Einfuhren des Landes entfallen rund 20 % auf Nahrungs- und Futter­mittel. Obwohl eigent­lich jede der 16 Provinzen das Poten­tial hätte, sich selbst zu versorgen. Das Land braucht also noch mehr dieser neuen Bauern.

Fluch des Zuckers

„Das Land soll denje­nigen gehören, die es bewirt­schaften.“ So hat es Fidel Castro kurz nach der Revo­lu­tion von 1959 postu­liert. Schluss sein sollte auch mit der Mono­kultur Zucker und der damit verbun­denen Abhän­gig­keit vom US-ameri­ka­ni­schen Markt. Doch schon bald sollte das Land wieder auf den Anbau von Zucker­rohr setzten. Dieses Mal für die neuen Verbün­deten, die Sowjet­union und andere Ostblock­staaten. Zucker lieferte über viele Jahre die Hälfte des Brut­to­in­lands­pro­duktes Kubas. Zwar wurde der von Castro 1969 ausge­ru­fene Kraftakt, 10 Mio. t/Jahr, nie erreicht. Trotzdem stei­gerte das Land seine Produk­tion von 4,95 Mio. t 1959 auf 7,14 Mio. t 1990. Danach ging es bergab. Anbau­fläche und Erträge sanken rapide. 2011 war mit einer Ernte von nur noch gut 1 Mio. t der Tief­punkt erreicht. Seitdem steigt die Produk­tion wieder langsam an und der Zucker­sektor soll moder­ni­siert werden. Experten bezwei­feln aller­dings, ob das gut für die kuba­ni­sche Land­wirt­schaft ist.

Der Autor dankt Herrn Dr. rer. agr. Harald Hilde­brand (Berlin) für seine fach­li­chen Hinweise.