„Wir haben ein biologisches Proteinkonzentrat aus Gras, Klee und Luzerne gewonnen, das mit einem Rohproteingehalt von 50-60 % das Konzentrat von Sojabohnen (46 %) übertrifft, und mit dem wir Sojamehl 1:1 ersetzen können“, erklärt Vagn Hundebøll, Geschäftsführer von BioRefine. Er leitet die Produktionsanlagen des Unternehmens im jütländischen Varde, nahe der Nordseeküste Dänemarks. BioRefine wird von den drei dänischen Landwirtschaftskonzernen DLG (50 %), Danish Agro (25 %) und DLF (25 %) gehalten.
Hundebøll blickt auf reichhaltige Erfahrung mit der Extraktion von Protein aus Luzerne und ähnlichen Feldfrüchten zurück. „Ich habe in den 1980er Jahren bei DLG angefangen, aber damals war der Zeitpunkt ungünstig und der globale Wettbewerb hart. Daher ging ich in den Bereich Logistik und Lieferketten. Als sich jedoch diese Chance bot, wollte ich sie auf keinen Fall verpassen“, erinnert er sich.
Suche nach alternativen Proteinquellen
In den letzten Jahren stieg der Druck auf Futtermittelhersteller und insbesondere biologisch wirtschaftenden Viehbetriebe Alternativen zu Soja zu finden, zumal es in Europa kaum produziert wird und daher importiert werden muss. Umso größer wurde dadurch der Anreiz, vor Ort produzierbare Proteinquellen zu finden. So entstand 2019 BioRefine. Im vergangenen Jahr erwarb das Unternehmen ein altes Futtermittelwerk in Varde, rüstete es um und begann die Versuchsproduktion. „Im letzten Jahr haben wir einige Hundert Tonnen von unserem Proteinkonzentrat produziert“, erläutert Hundebøll.
Etablierte Bioraffinerie-Technologie bildet zwar noch die Grundlage der Produktion, aber ohne die Fortschritte in der modernen Biowissenschaft wäre der Erfolg kaum möglich gewesen. Als Rohstoff dient frisch gemähtes Gras, welches aus einer bestimmten Saatgutmischung gewonnen wird. In nur wenigen Stunden ist das fertige Proteinkonzentrat, dessen Konsistenz gemahlenem Kaffee ähnelt, bereit für den Versand an Futtermittelhersteller, die daraus Mischfutter herstellen.
Schnelle Ernte und Weiterverarbeitung gegen Proteinverlust
In Dänemark erreicht das Gras im Mai seinen höchsten Proteingehalt, roter Klee gegen Ende Mai, weißer Klee Anfang Juni und Luzerne Ende Juni. „Indem wir unsere Saatgutgemische daran anpassen, erhalten wir über das gesamte Jahr hinweg qualitativ gutes Rohmaterial“, so Hundebøll.
Ganz anders als beim weniger zeitempfindlichen Getreideanbau kommt es bei der Proteingewinnung aus Gras stark auf den richtigen Erntezeitpunkt und eine schnelle Weiterverarbeitung an. Deshalb sind die Vertragslandwirte zwar während der Anbausaison für Aussaat und Pflege der Bestände verantwortlich, aber die Ernte übernimmt BioRefine mit einer bestens organisierten Logistikkette vom Feld bis ins Produktionswerk. Dadurch ist sichergestellt, dass das Erntegut im bestmöglichen Zustand zum exakt richtigen Zeitpunkt eingebracht wird. „In der Produktion muss es schnell gehen, sonst verliert man zu viel Protein“, erklärt Hundebøll. „Nach 13-14 Stunden können schon etwa 40 % des Proteins verlorengegangen sein.“
Im Erntejahr 2021 erzeugte BioRefine einige Hunderte Tonnen Proteinkonzentrat aus einer Anbaufläche von etwa 500 ha. Hundebøll rechnet damit, dass er im Anbaujahr 2022 die Produktion auf 7.000 t, angebaut von Vertragslandwirten auf 3000 ha, steigern kann. Damit hat er sein Ziel noch lange nicht erreicht. Dänemark importiert jährlich rund 2 Millionen t Sojamehl, davon etwa 70.000 t aus biologischer Produktion. Er hält es für realistisch, die Bio-Importe durch im Inland gewonnenes Protein zu ersetzen. „Ein kleiner Teil der dafür benötigten Flächen wird vom Getreideanbau abgehen, aber nicht in wesentlichem Umfang“, kalkuliert er.
Die Sicht der Anbauer
Hundebøll ist klar, dass BioRefine den Anbauern eine vergleichbare oder bessere Vergütung bieten muss als sie mit dem Anbau von Getreide erzielen. Außerdem müssen die Vertragslandwirte besondere Vorgaben ‒ insbesondere im Hinblick auf den Proteingehalt ‒ erfüllen. „Der Zielwert ist ein Proteingehalt von 20 %, aber das annehmbare Spektrum liegt bei 18 bis 22 %“, so Nils Erik Nielsen, einem in Vard ansässigen Landwirte, der 2021 mit BioRefine zusammenarbeitete.
Nielsen betreibt einen Bio-Bauernhof mit 70 ha Land. 20 ha davon nutzt er für Hafer oder Gerste und 50 ha für Gras. „Bislang läuft alles gut; ich habe nichts auszusetzen. BioRefine mähte das Gras schnell, sobald das Wetter es zuließ“, resümiert Nielsen. Auch der Anbau bereitete ihm kaum Probleme: „Sobald das Grasgemisch Fuß gefasst hatte, entwickelte es sich sehr gut, und wir erreichten einen annehmbaren Proteingehalt und einen recht guten Ertrag. Wir werden nach Trockensubstanz- und Proteingehalt bezahlt. Natürlich strebt man immer maximalen Gewinn an, aber mit der Zahlung, die ich 2021 erhielt, bin ich vollauf zufrieden.“
In einem guten Jahr hofft BioRefine, das Gras bei Nielsen und anderen teilnehmenden Betrieben fünfmal pro Saison mähen zu können. Bei Luzerne im Gemisch werden vier Ernten angepeilt.
Die Technologie in die Breite bringen
Die Erzeugung eines hochwertigen und Soja ebenbürtigen Proteinkonzentrats könnte BioRefine und seinen Stakeholdern einen neuen Markt eröffnen. Doch es war nie vorgesehen, das benötigte Wissen allein im Besitz von BioRefine zu belassen, so Morten Bye-Jensen, Forscher an der Fakultät für biologische und chemische Verfahrenstechnik an der Universität Aarhus. „Es war ein großes Thema unter unseren Partnern in Dänemark, dass wir unsere Erkenntnisse nicht unter Verschluss halten würden. Wir müssen voneinander lernen und möchten das Wissen daher auch anderen verfügbar machen.“
An der schwedischen Universität für Agrarwissenschaften (SLU) gingen die Forscher etwas anders an das Verfahren heran und unternahmen Versuche mit sechs bis zwölf Wochen alten Saugferkeln am Lehrbetrieb des Landwirtschaftsgymnasiums Sötåsen. Anstelle von frisch gemähtem Gras produzierten sie mithilfe von Saft aus Grassilage ein Proteinpulver. „Wir haben den Proteinanteil aus herkömmlichen Futterquellen um 10 % reduziert und durch Grasprotein ersetzt“, erläutert Dr. Anna Wallenbeck, Dozentin für Viehwirtschaft an der SLU. „Wenn der Saft also nichts zum Futter beigetragen hätte, hätten sich die Ferkel schlechter entwickelt als in der Kontrollgruppe, aber das war nicht der Fall. Im Gegenteil: Sie wuchsen ebenso schnell, manche sogar schneller.“ Laut Dr. Wallenbeck werden die Versuche am Lehrbetrieb der Sötåsen-Landwirtschaftsschule weitergehen. Hierfür wurden Maschinen und Ausrüstung für die Erzeugung des Proteinpulvers angeschafft.
„In Schweden haben wir etwa eine Million Hektar bewirtschaftetes Ackerland“, so Christel Cederberg, Professorin im Bereich fortschrittliche Energiequellen an der Technischen Hochschule Chalmers im schwedischen Göteborg. „Einige 100.000 ha davon zur Produktion von grünem Protein zu nutzen, wäre absolut machbar ‒ und wir gewännen dadurch eine gute Kohlendioxidsenke. Dieses Projekt hat zwei Ziele: erstens möchten wir Landwirten die Möglichkeit geben, heimische Futtermittel anzubauen und zu nutzen, und zum anderen möchten wir Bio-Erzeugern ein Proteinprodukt zugänglich machen, das sich in eine nachhaltige Landwirtschaft einfügt. Wir stehen gerade erst am Anfang“, führt sie weiter aus.
Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit
Hundebøll stimmt zu, dass die Umweltvorteile wichtig sind, zumal Dänemark Schwierigkeiten hat, die Anforderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen. Ganzjährige Feldfrüchte binden Kohlendioxid besser im Boden und verringern Bodenerosion durch ablaufendes Wasser. Bislang wird das Proteinkonzentrat in Dänemark in Futter für die Eierproduktion verwendet ‒ mit dem Ergebnis, dass die Eidotter ein kräftigeres Gelb zeigen und appetitlicher aussehen.
Versuche in der Schweinezucht haben gute Ergebnisse gebracht. Das Wachstum und die Gesundheit der Schweine im Vergleich zu Kontrollgruppen zeigte sich unverändert, und auch die Fleischqualität blieb unbeeinträchtigt.
Da durch Engpässe bei Import-Sojabohnen aus Bio-Anbau die Futterkosten steigen, bekam die Suche nach einer Alternative zunehmend Priorität. Im Dezember 2021 betrug der Handelspreis für Sojabohnen an der Börse von Chicago USD 12,60 pro Bushel, und für Bio-Soja das Doppelte.
„Der Kauf von Sojabohnen aus Bio-Anbau wird immer schwieriger. Wir schauen uns schon auf ungewohnten Märkten wie China und Kasachstan um, manchmal auch in Rumänien“, verdeutlicht Hundebøll die Lage. Er sieht im Proteinkonzentrat von BioRefine das Potenzial für eine gleichwertige Alternative zu herkömmlich erzeugtem Soja, besonders angesichts all der Umweltvorteile.
Da bei der Produktion auch große Mengen an grüner Fasermasse anfallen, ist aus ökonomischer Sicht ein Markt für dieses Nebenprodukt unverzichtbar. Zurzeit dient die Masse zur Erzeugung von Bio-Energie, aber BioRefine hofft, daraus auch andere Produkte wie Textilien und Verpackungen herzustellen.
„Wir arbeiten zurzeit mit einem schwedischen Eierproduzenten zusammen und stellen Eierverpackungen her“, erzählt Hundebøll. „Das Material könnte Papier ersetzen und direkt wieder aufs Feld gebracht werden, schließlich ist es nichts als Gras!“
Die Saatgutgemische von BioRefine
Gemisch 1
Weidelgras (bovina): 25 %
Weißklee: 20 %
Rajsvingel, eine Kreuzung aus Wiesenschwingel und Italienischem/Deutschem Weidelgras: 25 %
Weidelgras (fabiola): 30 %
Gemisch 2
Weidelgras (fabiola): 30 %
Weißklee: 20 %
Weidelgras (bovini): 25 %
Rajsvingel: 25 %
Gemisch 3
Rajsvingel: 30 %
Rajsvingel (fojtan): 20 %
Weidelgras (bovini): 13 %
Rotklee: 17 %
Weißklee: 10 %
Gemisch 4
Alfalfa: 50 %
Luzerne: 50 %