Der Häcksler fährt in den üppigen, manchmal bis über vier Meter hohen Miscanthus-Bestand hinein. Er heult auf und speit Kleingehäckseltes auf den Ladewagen von Traktorfahrer Ralf. „Der Miscanthus ist superleicht. Der Ladewagen ist schon voll, obwohl das Ganze nur fünf Tonnen wiegt“, erklärt der Mitarbeiter von Elke und Roland Schaumberger, die im nordwestlichen Zipfel von Tschechien insgesamt 800 Hektar Acker bewirtschaften. Vor fünf Jahren pflanzten sie die ersten Rhizome (verdickte Sprossachsen) des Miscanthus (lat. miscanthus x giganteus), das auch umgangssprachlich als Chinaschilf bezeichnet wird. Es gehört zur Familie der Gräser.
Gerade nach einem langen Winter, wenn die Blattmasse gänzlich abgestorben ist und nur die dicken Stängel, die nicht hohl sind, staudenartig nach oben recken, ist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem bekannteren, aber deutlich kleineren (Wasser)Schilf zu erkennen. Auf jeden Fall beeindruckt der Miscanthus allein schon wegen seines üppigen Wuchses und seiner imposanten Größe. Tatsächlich manifestiert sich der ausgeprägte Metabolismus des Landschilfs auch in der Erntemenge. Nach Angaben von Roland Schaumberger liege der Ertrag der faserigen Biomasse in diesem Jahr zwischen elf und 14 Tonnen pro Hektar.
Wetterkapriolen im Frühjahr
Der 59-Jährige weiß ganz genau worüber er spricht, kultivieren er und sein Team in Tschechien mittlerweile 250 Hektar mit diesem zukunftsträchtigen Rohstoff. „Wir haben im Jahr 2022 zum ersten Mal geerntet, sind jetzt im dritten Jahr und sind immer noch begeistert von der Pflanze und dessen Erntegut“, zeigt sich der Landwirt zusammen mit seiner Ehefrau Elke Gültner sehr zufrieden, während sich der Häcksler durch die hellbraune Lignin haltige Kultur frisst.
Dabei stand die diesjährige Saison anfänglich unter keinem guten Stern. Der ganze Winter war extrem nass. Diese Wetterlage riss auch im März und im April nicht ab, so dass sich die Ernte, die gewöhnlich schon Ende März – am besten bei gefrorenem Boden – abläuft, sich bis Ende April aufschob. Zu allem Unbill gab es dann Mitte April plötzlich noch einen heftigen Schneefall, unter dessen Last einige Teile des Bestandes im Stängel brachen. Glücklicherweise schmolz der Schnee dann recht schnell, so dass der Bestand nicht ganz auf den Boden gedrückt wurde und somit ein einwandfreies Häckseln wohl kaum mehr möglich gewesen wäre.
Wir haben im Jahr 2022 zum ersten Mal geerntet, sind jetzt im dritten Jahr und sind immer noch begeistert von der Pflanze und dessen Erntegut.
Roland Schaumberger
So fiel die diesjährige Miscanthus-Ernte letztlich in die ersten Mai-Tage. Und während viele den 1. Mai als sonnigen Feiertag für einen ausgedehnten Fahrradausflug durch die schöne tschechische Mittelgebirgslandschaft nutzten, ging es bei Schaumberger & Co. in die Vollen: Von morgen bis spät in die Nacht wurden die wenigen trockenen Tage genutzt, um die Miscanthus-Ernte über die Bühne zu bringen. Während der Häcksler-Fahrer Stefan Erthner auch noch weit nach Sonnenuntergang souverän und stetig den nachwachsenden Rohstoff schluckte, war das Zwischenlager bereits bis unter die Decke gefüllt.
Umgang mit dem Erntegut
So musste das Ernteteam ihre Faserfrachten vor der Halle abladen. Der Haufen schwoll in die Höhe und die Breite; und da für den nächsten Tag schon wieder Regen angesagt war, mussten alle Beteiligten kurz vor Mitternacht das fluffige Material provisorisch mit einer Plane abdecken. Kein leichtes Unterfangen, weil diejenigen, die auf den Haufen hinaufkletterten fast in die kleingehäckselte Fasermasse versanken. Nicht ohne Grund kann diese Faser rund das 400-fache ihres eigenen Gewichts an Feuchtigkeit respektive Wasser aufsaugen!
Eine Eigenschaft, die neben den bereits etablierten Anwendungsbereichen als Einstreu für Katzen und sensible Pferde weitere, große Hoffnungen an den Miscanthus wecken. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen gilt es für viele als Geheimfavorit unter den Torfersatzstoffen. „Durch die extrem hohe Wasserhaltefähigkeit und durch das geringe Gewicht ist die Dauerkultur eine echte Alternative zum Torf, der schon in wenigen Jahren nicht mehr im Hobbygartenbau eingesetzt werden darf“, verweist Georg Völkering, Versuchstechniker beim Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz (INRES) der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn, auf große wirtschaftliche Perspektiven.
Wenngleich derzeit schon geschätzte 5000 Hektar Miscanthus stehen, steht der ganz große Durchbruch noch an, da die Erdenwirtschaft trotz vieler Gespräche und guter Absichten die Transformation zu diesem nachwachsenden Rohstoff noch nicht vollzogen hat. Ungeachtet der Verwendung in Pflanzerden, so Völkering, hat das hochwachsende Schilf auch einen bemerkenswerten Klimaschutzeffekt. „Eine Tonne Trockenmasse bindet 1,5 Tonnen CO2, was in einem funktionierenden Zertifikate-Handel zusätzliches Einkommen generieren könnte“, hebt der Versuchstechniker hervor.
Dauerkultur leistet gute Dienste
Darüber hinaus kann die minimalinvasive Dauerkultur auch eine große Rolle im Hochwasserschutz spielen: Vor allem in Randbereichen von Feldern an Uferzonen von Flüssen leistet die Dauerkultur gute Dienste: Durch den Humusaufbau, durch die tiefe Verwurzelung und durch die hohe Wasseraufnahmefähigkeit bremst er Überflutungen und schützt damit Boden und Landschaft vor Erosionen. Dies zeigt sich auch am Standort Bengen nördlich der Ahr, wo Landwirt Gerd Möhren seit Jahren Miscanthus kultiviert und Wissenschaftler der Uni Bonn in einem aktuellen Forschungsprojekt nachweisen konnten, dass diese Kultur tatsächlich die Flutgefahr mindern hilft.
Dabei mag das Landschilf Miscanthus – im Gegensatz zum Wasserschilf Phragmatis – nicht im Wasser stehen. Er kommt mit Niederschlägen von 800 Millimeter pro Jahr sehr gut klar. Das ist im Übrigen ungefähr diejenige Regenmenge, die auf den Flächen der Schaumbergers in unmittelbarer Nähe des schmucken Kurortes Františkovy Lázně (Franzensbad) in der Region Chebsko fällt. Dabei ist die mächtige Pflanze nicht sonderlich wählerisch, was die Bodenbeschaffenheit und –güte anbelangt. „Sie passt sich an sandige, aber auch schwerere, lehmige Böden an“, sagt Schaumberger unter blühenden Apfelbäumen, die am Rand einer Parzelle stehen, die an langgezogenen Hang bis zum Ufer eines Sees namens Amerika hinabfällt.
„Du musst die Pflanzen verstehen, dann erfüllen sie auch deine Erwartungen.“ Der Experte erklärt mit Blick auf die Parzelle: „Diese Lage am Hang kommt dem Miscanthus entgegen, er mag ungern im Wasser stehen, stauende Nässe ist Gift für ihn. Außerdem braucht er sehr wenig Stickstoff. Zudem ist er pflanzenbaulich unproblematisch, weder Pilze und noch Viren können ihm etwas antun. Lediglich Mais als Vorfrucht ist nicht zu empfehlen, weil der Maiszünsler eben leider auch gerne an den zarten Rhizomen des Schilfs knabbert.“
Pioniererfolg mit Miscanthus
Der Pioniererfolg, den die Schaumbergers mit Miscanthus erfahren haben, beflügelt sie nachhaltig. In Zukunft wollen sie ihre Anbaufläche ausweiten und zwar idealerweise mit eigener Vermehrung von Rhizomen, die sie bisher noch aus Österreich beziehen. Aber nicht nur Schilf gehört zur nachwachsenden Fraktion ihres Ackerbaus, sie kultivieren seit vielen Jahren ebenso erfolgreich Hanf. Neben der Nutzung als Naturfaser haben Elke und Roland und sein Bruder André in den letzten Jahren eine beeindruckend breite Palette an innovativen Produkten entwickelt, die sowohl über den klassischen Handel als auch im Internetshop ihre Absatzmärkte gefunden haben: Tee, Öle, Sirup, Nüsse, Hautcremes und sogar Schaumwein mit Hanfnoten sind verfügbar.
Der nicht risikoarme Einstieg in die nachwachsenden Rohstoffe, aber auch in den Anbau von Süßlupinen, Braugerste oder Sommerhafer, erforderte große Investitionen. Um dies als landwirtschaftliches Familienunternehmen überhaupt stemmen zu können, hat die Familie Schaumberger in 2010 die Genossenschaft Agronaro gegründet. Gestartet mit sechs Mitgliedern ist die Agronaro auf mittlerweile 1.500 Mitglieder angewachsen und hat seit ihrer Gründung rund 30 Millionen Euro investiert. Die Genossen und Genossinnen setzen bei ihrer Beteiligung bewusst auf Nachwachsendes und heimsen dabei eine solide Rendite ein. Und während sich André am Hauptsitz der Agronaro in Cheb (Eger) sowohl um die Genossenschaft als auch um innovative Produkte und neue Absatzmärkte kümmert, konzentriert sich das junge, motivierte Team um Elke und Roland nach ihrem Motto „Wir sind gerne Grenzgänger“ um das nachhaltig Nachwachsende im Herzen Europas.