Welches Unkraut darf’s sein?

Mehr Unkraut, bitte!? Warum das denn? Bisher stehen Unkraut­ma­nage­ment und Biodi­ver­sität oft im Konflikt. Doch was, wenn es einen Weg gibt, beides mitein­ander zu verbinden, ohne gravie­rende Ertrags­rück­gänge in Kauf nehmen zu müssen? Erste Studien weisen sogar darauf hin, dass Unkraut nütz­lich sein kann.

Heute ist die Unkraut­be­kämp­fung so erfolg­reich, dass wir beinahe alle Beikräuter, die sich im Acker ausbreiten wollen, effi­zient besei­tigen können. Auch solche, die den Ertrag gar nicht beein­flussen. Was bleibt, sind hoch ange­passte Problemun­kräuter wie Acker­fuchs­schwanz und Acker­kratz­distel. Machen wir uns die Bekämp­fung dieser Problemun­kräuter womög­lich unnötig schwer, weil wir nicht zulassen, dass andere Unkräuter mit ihnen konkur­rieren?

Unkraut­ma­nage­ment oder Beikraut­viel­falt

Dr. Chris­toph von Redwitz sucht nach Wegen, den Konflikt zwischen Unkraut­ma­nage­ment und Beikraut­di­ver­sität zu verrin­gern. Er unter­sucht am Julius Kühn-Institut in Braun­schweig u. a. Konkur­renz­ef­fekte und die Popu­la­ti­ons­dy­namik von Unkräu­tern. „Das Ziel der letzten Jahr­zehnte war immer ein schwarzer Acker“, erklärt der Agrar­wis­sen­schaftler. „Das ist nicht nötig. Eine gewisse Verun­krau­tung ist tole­rierbar.“

Und sie könnte sogar von Vorteil sein. Aktu­elle Studien zeigen, dass vor allem viel­fäl­tige Unkraut­ge­mein­schaften erstre­bens­wert sind – nicht nur für die Gesell­schaft, auch für den Betrieb. Denn sie ziehen bei glei­chem Unkraut­de­ckungs­grad einen gerin­geren Ertrags­ver­lust nach sich als eine einsei­tige Verun­krau­tung. Durch Viel­falt und Art der Kulturen, Bewirt­schaf­tungs­maß­nahmen und begren­zende Ressourcen lässt sich die Konkur­renz­fä­hig­keit von Unkräu­tern einschränken und gleich­zeitig ihre Viel­falt fördern. Das Ziel ist nicht, den Pflan­zen­schutz komplett zu verbieten oder Problemun­kräuter frei wachsen zu lassen. Viel­mehr geht es darum, auf einzelnen Flächen viel­fäl­tige, stand­ort­ty­pi­sche Beikraut­ge­mein­schaften ohne den Besatz der konkur­renz­starken „Problemun­kräuter“ zu entwi­ckeln.

Dr. Chris­toph von Redwitz unter­sucht am Julius Kühn-Institut in Braun­schweig u. a. Konkur­renz­ef­fekte und die Popu­la­ti­ons­dy­namik von Unkräu­tern.
Für seine Expe­ri­mente zieht Dr. von Redwitz auch mal Unkräuter vor. Denn im Feld sind sie oft nicht mehr zu finden.

Unkraut redu­ziert den Ertrag, oder nicht?

Natür­lich können Wild­kräuter den Ertrag redu­zieren oder die Ernte erschweren. Doch wie Versuche im Projekt PlantCom zeigen, gibt es auch posi­tive Effekte. Forschende der Hoch­schule für Technik und Wirt­schaft (HTW) Dresden unter­suchten in Koope­ra­tion mit dem Biobe­trieb Hofgut Eichigt, wie sich die Viel­falt der Acker­be­gleit­flora auf Ertrags­pa­ra­meter von Sommer­weizen und anderen Getrei­de­arten auswirkt.

Auf einem Versuchs­feld des Betriebs säten sie zwischen ein und zwölf Beikraut­arten ein. Das über­ra­schende Ergebnis: Eine größere Beikraut­viel­falt erhöhte im Weizen den Roh- und Korn­er­trag. Die Arten­an­zahl war hierfür weniger wichtig als ein ausge­gli­chenes Verhältnis der Unkraut­flora. Die viel­fäl­tigen Beikräuter unter­drückten sehr effi­zient einzelne konkur­renz­starke Arten und verrin­gerten dadurch auch die Gesamt­bio­masse der Beikräuter. „Für die Praxis ist es also entschei­dender, eine hohe Arten­viel­falt in der Beikraut­flora zu errei­chen, als einzelne, als negativ bekannte Arten auszu­schließen“, resü­miert Prof. Dr. Arne Cier­jacks, einer der Leiter des PlantCom-Projekts.

Es geht darum, das Gleich­ge­wicht gut hinzu­be­kommen.

Dr. Marion Rasp

Dem pflichtet auch Dr. Marion Rasp bei, die als Projekt­lei­terin und stell­ver­tre­tende Geschäfts­füh­rerin der Baye­ri­schen Kultur­Land­Stif­tung im Bereich des Acker­wild­kraut­schutzes arbeitet: „Es geht immer darum, dieses Gleich­ge­wicht gut hinzu­be­kommen: Problemun­kräuter redu­zieren, seltene, konkur­renz­schwache Arten fördern.“ Das Kleine Mäuse­schwänz­chen oder der Echte Frau­en­spiegel beispiels­weise sind so klein und konkur­renz­schwach, dass sie in der Regel selbst bei größeren Beständen keinen ertrags­ge­fähr­denden Effekt haben. Nicht ohne Grund sind sie ein seltener Anblick im Acker.

Eine größere Beikraut­viel­falt erhöhte im Weizen den Roh- und Korn­er­trag.

Mehr Arten, viel­fäl­ti­gere Wech­sel­wir­kungen

Die Erkenntnis, wie Weizen im säch­si­schen Versuch auf eine viel­fäl­tige Beikraut­flora reagierte, lässt sich nicht auf alle Unkraut­ge­mein­schaften, Kultur­arten, Stand­orte und Umwelt­be­din­gungen über­tragen. Jede Verän­de­rung kann die Gesamt­dy­namik der Pflan­zen­ge­mein­schaft beein­flussen. Aus diesem Grund ist die schiere Anzahl der Arten an sich noch lange kein Garant für Erfolg.

Diese Erkennt­nisse bestä­tigen auch die weiteren Ergeb­nisse der Studie: Gerste und Hafer reagierten ähnlich wie Weizen nicht mit signi­fi­kanten Ernte­ver­lusten auf die Unkraut­viel­falt. Ganz anders der Mais: Er erwies sich als äußerst empfind­lich gegen­über jeder Art von Beikräu­tern. Eine Einsaat verrin­gerte den Ertrag um gut drei Viertel. Weiterhin war Weizen, den eine viel­fäl­tige Acker­be­gleit­flora umgab, zwar messbar besser ernährt. Dennoch wirkte sich Acker­senf in der Pflan­zen­ge­mein­schaft negativ auf die Ernäh­rung des Weizens aus, weil er größere Mengen Schwefel und Stick­stoff benö­tigt. Und zwar für die Synthese von Senf­öl­gly­ko­siden, die wiederum das Wachstum des Weizens hemmen.

Erstre­bens­werte Verun­krau­tung?

Welche Arten unter welchen Umwelt­be­din­gungen gut harmo­nieren und ab welcher Arten­an­zahl sich die gewünschten Effekte einstellen, beginnt die Wissen­schaft gerade erst zu verstehen. „Das ist tatsäch­lich so komplex, dass man das im Einzelnen oft gar nicht quan­ti­fi­zieren kann“, so Dr. von Redwitz. Antworten auf die Frage, ob und wann sich eine diverse Unkraut­flora für den Betrieb lohnt, gibt es demnach bisher nicht. „Bisher lehnt sich keine Studie so weit aus dem Fenster, zu sagen, dass zehn Arten mehr als 5 % weniger Ertrags­ver­lust bedeuten“, so der Forscher.

Lichte Getrei­de­be­stände bieten beste Bedin­gungen, damit sich eine arten­reiche Unkraut­flora entwi­ckeln kann.
Dr. Marion Rasp arbeitet im Bereich des Acker­wild­kraut­schutzes.

Wenn man das Agrar­öko­system als Ganzes betrachtet, dürfte es sich lohnen, dem Unkraut mehr Viel­falt zu gönnen. Denn eine arten­reiche Unkraut­flora kann eine wich­tige Rolle dabei spielen, das System lang­fristig stabil und produktiv zu halten. Ihre Wurzel­sys­teme und Wurzel­ex­su­date wirken auf den Boden, sie hält natür­liche Antago­nisten im Feld, die bei Schäd­lings­be­fall schnell zur Stelle sind, und erhöht die Bestäu­bungs­leis­tung durch Insekten. Im PlantCom-Projekt wirkten sich bereits kleine, weit vom Feld­rand entfernte Parzellen positiv auf die Insek­ten­menge aus. Außerdem verän­dert die viel­fäl­tige Unkraut­flora die Mobi­li­sie­rung und Vertei­lung von Nähr­stoffen. In dieser komplexen Bezie­hung machen Pflanzen sich nicht nur Konkur­renz. Sie können sich auch über Artgrenzen hinweg unter­stützen.

Keine Sorge um die Samen­bank

Die Heraus­for­de­rung besteht darin, eine Viel­zahl von Acker­be­gleit­arten zu fördern, ohne dabei die Gesamt­bio­masse der Beikräuter zu erhöhen. Denn diese würde sich negativ auf die Erträge auswirken. In den Versu­chen der HTW Dresden funk­tio­nierte das ab mindes­tens zwölf zusätz­li­chen Acker­be­gleit­arten ohne mensch­li­ches Zutun. „Die Arten hielten sich gegen­seitig effi­zient im Zaum“, so Prof. Dr. Arne Cier­jacks.

Das Ziel der letzten Jahr­zehnte war immer ein schwarzer Acker.

Dr. Chris­toph von Redwitz

Daher scheint es auch unwahr­schein­lich, dass sich die ausge­säten Arten in den Folge­jahren weiter ausbreiten oder schwer zu bekämp­fende Domi­nanz­be­stände entwi­ckeln. „Die Gefahr durch die Samen­bank wird insge­samt eher über­schätzt“, bemerkt Dr. von Redwitz. Sogar auf jahre­lang unbe­han­delten Flächen mit voller Samen­bank lässt sich der Ertrag inner­halb einer Saison wieder auf 100% stei­gern – dank Der effi­zi­enten Unkraut­be­kämp­fung.

Precision Farming bietet Chancen

Gute Chancen, viel­fäl­tige Unkraut­ge­sell­schaften in Zukunft leichter managen zu können, sieht Dr. von Redwitz im Smart Farming. Die Bilder­ken­nung müsste hierfür anders trai­niert werden, um auf Artebene zwischen Kultur und Unkraut unter­scheiden zu können. Auch die Para­meter, die über Erfolg oder Miss­erfolg einer arten­rei­chen Unkraut­ge­sell­schaft entscheiden, müssten bekannt sein. Es gibt bereits erste Erkennt­nisse, wie sich die Wech­sel­wir­kung von Unkraut und Kultur­pflanze besser einschätzen lässt. Die Ergeb­nisse könnten später einem Precision Farming System bei der Entschei­dung helfen, welche Pflanzen es bekämpft und welche nicht.

Die unter­schied­li­chen Wurzel­sys­teme der Beikräuter wirken auf das Agrar­öko­system.
Die viel­fäl­tigen Beikräuter unter­drü­cken sehr effi­zient einzelne konkur­renz­starke Arten und verrin­gern dadurch auch die Gesamt­bio­masse der Beikräuter.

Im Projekt „Better Weeds“ werden zudem aus GIS-basierten Bild­daten mit Hilfe von künst­li­cher Intel­li­genz (KI) Unkraut­karten erstellt. Kombi­niert mit betrieb­li­chen Infor­ma­tionen und Kenn­werten für die jewei­lige Unkrautart entsteht daraus ein stand­ort­spe­zi­fi­scher Unkraut­be­kämp­fungs­plan, der Konkur­renz­wir­kungen und den ökolo­gi­schen Nutzen berück­sich­tigt. Er soll den Herbi­zid­ein­satz redu­zieren helfen und die Unkraut­viel­falt im Feld erhöhen. Noch ist das zwar Zukunfts­musik und wir wissen noch nicht genug über die Inter­ak­tionen in Pflan­zen­ge­mein­schaften, um ein opti­males Zusam­men­spiel zwischen Unkraut und Kultur­pflanze zu erzielen. „Aber um es besser zu machen, schon“, ist Dr. von Redwitz über­zeugt. Dafür bietet auch die heutige Technik bereits Optionen: Spritz­fenster lassen und Areale mit seltenen Arten nicht strie­geln.

Ab Wann gilt eine Unkraut­flora als divers?

Das muss je nach Standort anders beur­teilt werden. Beson­ders arten­reich ist z. B. die Adonis­rös­chen-Gesell­schaft, die auf flach­grün­digen skelett- und kalk­hal­tigen Böden entstehen kann. „Ein Feld, auf dem mehr als 20 Arten stehen, ist heute im Vergleich schon relativ divers“, ordnet Dr. von Redwitz ein. Dabei handele es sich noch immer um häufig vorkom­mende Arten.