Freies Abfer­keln in der briti­schen Schwei­ne­pro­duk­tion

Hohe Tier­schutz­stan­dards bei der Schwei­ne­hal­tung bedeuten nicht immer auto­ma­tisch Frei­land­hal­tung. Mit der stei­genden Nach­frage an ethisch produ­ziertem, aber güns­tigem Schwei­ne­fleisch liegt die Zukunft der Branche mögli­cher­weise auch in einer verän­derten Stall­hal­tung.

Dieser Artikel erschien erst­mals 2016 in der April­aus­gabe der „Flur und Furche“.

Verbrau­cher sind heut­zu­tage anspruchs­voll. Sie fordern Lebens­mittel von erst­klas­siger Qualität, die nach den höchsten Stan­dards produ­ziert wurden und den geringst mögli­chen Preis haben. Ein Schwei­ne­pro­du­zent in der südeng­li­schen Graf­schaft Dorset hat sich vorge­nommen, diese viel­fäl­tigen Anfor­de­rungen zu erfüllen. Er hat ein System entwi­ckelt, das sich sogar bran­chen­weit anwenden ließe.

Robert Lasseter war mit der Frei­land­hal­tung von Schweinen in der sanften, grünen Hügel­land­schaft groß geworden. „Ich habe eine kleine Schwei­ne­herde gekauft und auf einigen wenigen Feldern, die ich gepachtet hatte, 70-Kilo-Mast­schweine produ­ziert“, sagt Lasseter.

Die Umge­bung der Corton Farm ist sicher­lich schöner ohne Frei­lauf­flä­chen für Schweine.

Doch die Frei­land­schweine haben nicht gerade zur idyl­li­schen Land­schaft von Dorset beigetragen: Sie verwan­delten die grünen Felder in matschige, braune Brachen, die mit kleinen Well­blech­hütten bestanden waren. Als Robert Lasseter 2007 die Herde auf seine Corton Farm umsie­delte, wurde er einer der wenigen Schwei­ne­pro­du­zenten mit Stall­hal­tung, der eine Zulas­sung nach dem Kenn­zeich­nungs­system „Freedom Food“ des Tier­schutz­ver­eins RSPCA (Royal Society for the Preven­tion of Cruelty to Animals) erhielt. Diese Zerti­fi­zie­rung sicherte ihm einen Zuschlag von 9 Eurocent/kg. Seitdem hat er sein System konti­nu­ier­lich weiter­ent­wi­ckelt und verbes­sert.

Eine entschei­dende Inves­ti­tion

2015 tätigte Robert Lasseter seine bisher größte Inves­ti­tion. Nach inten­siven Forschungs- und Studi­en­reisen beschloss er, seine Abfer­kel­buchten durch neue, größere 360°-Ställe zu ersetzen, die für die Sau und ihre Ferkel eine natür­li­chere Umge­bung bieten und die erhöhten Stan­dards der RSPCA erfüllen. „Für mich ist das ein ähnli­cher Unter­schied wie zwischen Hennen in Käfigen und Hennen in Klein­grup­pen­hal­tung“, sagt Lasseter. „Mir gefällt der Gedanke der Mutter­schaft hinter Gittern nicht. Die inter­na­tio­nale Schwei­ne­zucht steht unter erheb­li­cher Kritik und daher müssen wir die Art, wie wir wirt­schaften ändern.“

Abfer­kel­buchten wurden erst­mals in den 1960er Jahren als Möglich­keit zur Redu­zie­rung der Sterb­lich­keits­rate bei Ferkeln einge­führt. Auch wenn Abfer­kel­buchten äußerst effektiv sind, ist Robert Lasseter der Ansicht, dass ihre Tage gezählt sind. Denn neuere Abfer­kel­sys­teme bieten eine Alter­na­tive mit einem höheren Tier­schutz­faktor. „Ich habe mir mehrere unter­schied­liche freie Abfer­kel­sys­teme ange­sehen und aus den Erfah­rungen der Kollegen, die hier Pionier­ar­beit geleistet haben, viel gelernt“, sagt Lasseter. „Schließ­lich haben wir in einem nahe­ge­le­genen Gebäude 18 360°-Ställe erprobt und, nach ein paar Verbes­se­rungen, in zwei Chargen zu je 26 Ställen inves­tiert.“

Bei den 360°-Ställen haben die Sauen mehr Bewe­gungs­frei­heit, gleich­zeitig sind die Ferkel geschützt.

Ein erheb­li­cher Vorteil der 360°-Ställe – aus Sicht des Land­wirts – ist, dass sie den glei­chen Platz­be­darf wie herkömm­liche Buchten haben. Even­tuell muss der Boden erneuert werden, damit er die Sau auch tragen kann. Aber, im Gegen­satz zu den Buchten, hat sie hier genü­gend Platz, um sich drehen zu können und sich zu bewegen, und hat mehr Möglich­keiten ihrem natür­li­chen Verhalten nach­zu­gehen. Die Ställe haben Schräg­stangen, die die Ferkel schützen, sowie Wärme­matten und eine Futter­stelle für die Ferkel, die Robert Lasseter eigens entwi­ckelt hat. Über offene Gitter können die Sauen und Ferkel ihre Nach­barn sehen, und durch einen Halte­käfig mit Hebel­me­cha­nismus kann die Sau isoliert werden, falls etwaige Eingriffe erfor­der­lich werden.

Der Spal­ten­boden des Stalls wird mit geschred­dertem Papier ausge­legt, und die Tiere haben freien Zugang zum Futter. „Es war wirk­lich eine steile Lern­kurve, die wir durch­laufen haben, aber wir setzen die Ferkel heute nach 26 Tagen mit einem um durch­schnitt­lich 1 kg höheren Gewicht ab, was wiederum bedeutet, dass wir sie mindes­tens eine Woche früher schlachten können“, sagt Lasseter.

Das Absetz­ge­wicht hat sich deut­lich verbes­sert, da sich die Sauen wohler fühlen und die Ferkel besseren Zugang zu den Zitzen haben.

Weniger Stress, höheres Absetz­ge­wicht

Lasseter führt das höhere Absetz­ge­wicht darauf zurück, dass die Sauen unter weniger Stress leiden und die Ferkel leichter an ihre Zitzen gelangen. „Glück­li­chen Schweinen geht es eben besser. Ich glaube, dass die Ferkel häufiger saugen und die Sauen daher mehr Milch produ­zieren. Die Sauen fressen viel mehr und machen einen wesent­lich zufrie­de­neren Eindruck.“ Er arbeitet außerdem mit der Erhe­bungs­stelle AHDB (Agri­cul­ture & Horti­cul­ture Deve­lo­p­ment Board) und der Forschungs­ein­rich­tung FAI Farms an Studien mit Video­über­wa­chungs­an­lagen, um Best-Prac­tice-Verfahren und das Verhalten der Sauen in 360°-Ställen zu unter­su­chen.

Da die Ställe über mehr Platz verfügen, können die Mitar­beiter direkt zu den Sauen und Ferkeln gelangen und müssen nicht durch Gitter­stäbe arbeiten. „Dadurch hat sich unser Verhältnis zu den Sauen von Grund auf geän­dert. Sie bleiben ruhig und sehen uns nicht als Bedro­hung an, was sehr wichtig ist.“ Die Sauen bleiben nach dem Abfer­keln 26 Tage in den Abfer­kel­ställen. Dann werden die Ferkel abge­setzt und in einen umge­bauten Vieh­stall gebracht. Sobald sie größer werden, kommen sie in mit Stroh einge­streute Ställe, die in einem großen Mehr­zweck­ge­bäude unter­ge­bracht sind, bevor sie schließ­lich mit einem Gewicht von 80 kg geschlachtet werden.

Alle drei Wochen wird ein Schwung Sauen abge­fer­kelt, dadurch können die Ställe einfa­cher gerei­nigt und desin­fi­ziert werden.

Robert Lasseter hält seine Jung­sauen in Gruppen und verwendet Regu­mate®, um sie zu synchro­ni­sieren bevor sie künst­lich besamt werden. „Wir führen die künst­liche Besa­mung zweimal durch und führen sie dann mit einem Eber zusammen. Nach dem ersten Abfer­keln bleiben die Jung­sauen noch in Gruppen in Außen­ställen, um Angriffe durch ältere Sauen zu verhin­dern. „Das macht einen enormen Unter­schied – dadurch erhöhen wir bei den Zweit­be­sa­mungen die Erfolgs­chancen.“

Betriebs­spiegel

  • 160 ha Betrieb, davon 130 ha für die Produk­tion von Weizen, Gerste und Bohnen
  • 200 Sauen in Stall­hal­tung
  • Lebend gebo­rene Ferkel: 13,5 pro Wurf
  • Abge­setzte Ferkel: 11 (Sauen: 10,5, Jung­sauen: 11,3)
  • Durch­schnitt­li­ches Absetz­ge­wicht: 8 kg
  • 5.000 geschlach­tete Schweine pro Jahr

Um die Kosten möglichst gering zu halten, produ­ziert Robert Lasseter sein Getreide und Stroh selbst und baut 130 ha Winter­weizen, Winter- und Sommer­gerste an. Acker­bohnen ersetzen zuge­kauftes Soja. „Ich möchte so viel eigenes Futter wie möglich produ­zieren, aber ich kaufe Futter für Ferkel und Jung­tiere zusätz­lich ein, weil ich nicht glaube, dass ich die ideale Futter­zu­sam­men­set­zung für Schweine bis 20 kg selber erzeugen kann. Eine ideale Ernäh­rung von Geburt an macht einen großen Unter­schied.“

Der 360°-Stall ist die wich­tigste Entwick­lung, seit die Abfer­kel­buchten auf den Markt kamen.

Robert Lasseter

„Zufrie­denen Tieren geht es eben besser“, sagt Robert Lasseter.

Robert Lasseter wiegt alle Ferkel beim Absetzen und sechs Wochen nach dem Absetzen erneut. „Früher haben wir nur einen durch­schnitt­li­chen Wurf gewogen, heute wiegen wir jeden Wurf. Dabei haben wir fest­ge­stellt, dass manche Sauen zweimal so viel Schwei­ne­fleisch produ­zieren wie andere“, sagt Lasseter. „Bei der Auswahl unserer Jung­sauen haben wir bisher immer darauf geachtet, wie viele Ferkel eine Sau lebend geboren und gesäugt hat und wie hoch ihre Frucht­bar­keit war – jetzt berück­sich­tigen wir außerdem noch das Gewicht des Wurfs.“

Es ist ganz entschei­dend, dass die Sauen immer nur eine Art von Abfer­kel­system benutzen, damit sie sich an das System gewöhnen können, rät er. „Das bedeutet zwar höhere Kosten bei der Umstel­lung auf die 360°-Ställe, die Vorteile für das Personal und die Sauen machen sich aber erst bemerkbar, wenn auch alle Buchten ausge­tauscht sind.“

Für dieses Jahr plant Lasseter, alle drei Wochen 21 t Schwei­ne­fleisch (Schlacht­ge­wicht) aus der Nach­zucht von 27 Mutter­sauen zu verkaufen; 2014 waren es im Durch­schnitt 15,8 t. „Ich habe keinen großen Betrieb, aber wenn es um den Profit geht, zählen nur die Zahlen. Bei nied­rigen Preisen kann man viel verlieren, aber wenn die Preise gut liegen, kann man wieder viel rein­holen und reinves­tieren; und genau das haben wir 2014 gemacht“, fügt er hinzu. „Unsere Inves­ti­tion in die Abfer­kel­ställe wird sich zwar erst in rund zehn Jahren amor­ti­siert haben, aber ich glaube, dass die ganze Branche in Zukunft auf freies Abfer­keln umsteigen wird – und der 360°-Stall ist die wich­tigste Entwick­lung, seit die Abfer­kel­buchten auf den Markt kamen.“