TraktorenVirtu­elle Modelle für realen Fort­schritt

Digi­tale Trak­tor­mo­delle, 3D-Brillen und spezi­elle Soft­ware sind die Werk­zeuge, mit denen John Deere in Mann­heim Trak­toren entwi­ckelt und verbes­sert. Ein Besuch in einer virtu­ellen Welt mit hand­festen Effekten.

Zwei Schreib­ti­sche, eine Sitz­ecke, ein Trak­tor­sitz inklu­sive Bedien­ein­heit, zwei 3D-Brillen und ein paar leis­tungs­starke Rechner – das Büro von Jan-Gerd Hinrichs, zuständig für die virtu­elle Unter­stüt­zung der Produkt­ent­wick­lung bei John Deere wirkt auf den ersten Blick recht unspek­ta­kulär. Kein Wunder, da sich die eigent­liche Magie im virtu­ellen Raum abspielt.

Schwingt man sich als Besu­cher nämlich auf den Trak­tor­sitz und zieht sich die 3D-Brille auf, ändert sich die ganze Szenerie. Mit einem Schlag befindet man sich nicht mehr in einem Büro in Mann­heim, sondern wähnt sich in der Kabine eines 6R. Der Blick schweift statt über eine graue Wand im Büro, nun über die origi­nal­ge­treue digi­tale Abbil­dung aller Bedien­ele­mente, die es auch in einem echten Cockpit eines Trak­tors gibt.

Virtuell testen für den echten Einsatz

Hinrichs erklärt: „Wir nutzen digi­tale Tech­no­lo­gien wie Virtual Reality und Augmented Reality, um alles rund um den Traktor simu­lieren, umbauen und opti­mieren zu können, ohne dass dafür auch nur eine Schraube verschraubt oder eine Hydrau­lik­lei­tung gelegt werden muss.“ Mit Hilfe des Trak­tor­sitzes sucht er gemeinsam mit Kollegen aus der Konstruk­tion zum Beispiel gerade die opti­male Kotflü­gel­form für eine neue Trak­to­ren­serie. Beson­derer Fokus liegt hier darauf, das Sicht­feld zu maxi­mieren, sodass der Fahrer alle wich­tigen Vorgänge im Blick hat.

Wer sich auf dem Sitz in Hinrichs‘ Büro nach hinten umdreht, blickt auf diese Weise auch tatsäch­lich hinter den Traktor und sieht dort je nach Einstel­lung unter­schied­liche Anbau­ge­räte. „Wenn wir heute einen Kotflügel simu­lieren, der die Sicht auf einen wich­tigen Bereich eines Anbau­ge­räts versperrt, expe­ri­men­tieren wir schon wenige Tage später mit einer anderen Kotflü­gel­form– das geht bei echten Proto­typen lange nicht so schnell.“

Mit Augmented Reality bringen Hinrichs (rechts) und sein Team Probanden aus der Büro­um­ge­bung direkt in einen virtu­ellen Traktor.

Dank der virtu­ellen Trak­toren kann sich John Deere früh Feed­back von Kunden und Entwick­lern zu neuen Entwick­lungen einholen.

3D-Brillen, Steu­er­ge­räte, Sensoren und Beamer gehören zum Reper­toire der Experten aus der digi­talen Entwick­lung.

Auch Bedien­ele­mente und Neue­rungen an der Trak­tor­steue­rung kann Hinrichs mit seinem Team so testen. Möglich macht das die soge­nannte Augmented Reality. Hinrichs erklärt: „Das ist ein Mix aus virtu­eller Realität und tatsäch­lich vorhan­denen Gegen­ständen. So können wir mit unseren neuesten Brillen etwa die Hand vor den Augen des Testers aus der proji­zierten Realität heraus­rechnen. So sieht dieser gleich­zeitig die virtu­elle Welt und seine eigene Hand.

Der Vorteil: Er kann nun reali­tätsnah fest­stellen, wie gut er an einzelne Bedien­ele­mente des Cock­pits kommt.“ Auf diese Art testet John Deere nicht nur intern neue Konzepte, sondern auch mit Kunden. Diese können dann früh im Entwick­lungs­pro­zess Feed­back geben, welche Ideen gut funk­tio­nieren und wo noch nach­ge­bes­sert werden sollte – und das bevor auch nur ein einziges echtes Teil produ­ziert ist.

Ein Traktor mitten im Büro

Einmal über den Gang, gegen­über von Hinrichs Büro, befindet sich der soge­nannte C.A.V.E.: Computer Aided Virtual Envi­ron­ment. Auch dieser Raum wirkt zunächst unauf­fällig: Dort stehen zwei Tische, ein leis­tungs­starker Rechner, ein Gestell, in dem ca. 20 3D-Brillen stecken, und acht kleine Beamer an der Decke, die alle in eine Ecke zeigen. Wenn Hinrichs und seine Besu­cher aller­dings die 3D-Brillen aufsetzen und die Beamer einschalten, steht vor ihnen ein grün-gelber Traktor – urplötz­lich, manns­hoch und drei­di­men­sional.

Ein solches virtu­elles Modell nennen die Experten den „digi­talen Build“ des Trak­tors. Die Daten für das Modell kommen von allen am Trak­torbau betei­ligten Abtei­lungen. So ist der Schlepper hier komplett digital abge­bildet: vom Motor über den Rahmen bis hin zum letzten Hydrau­lik­schlauch und der kleinsten Schraube.

Hinrichs erklärt: „Inzwi­schen haben wir solche Builds schon für über 100 Trak­to­ren­mo­delle genutzt. Sie ermög­li­chen es den Inge­nieuren und Konstruk­teuren, sich einen Schlepper in jeder mögli­chen Konfi­gu­ra­tion anzu­schauen und zu sehen, wo es Probleme geben könnte, bevor die ersten echten Proto­typen gebaut werden.“ Im Schnitt schaut sich das Team zwischen 20 und 30 Konfi­gu­ra­tionen pro Traktor an – sowohl die gewöhn­li­chen als auch die beson­ders knif­fe­ligen.

Mit soge­nannten Virtual Builds werden Trak­toren bis zur letzten Leitung digital abge­bildet und können von Entwick­ler­teams disku­tiert werden, ehe die erste Schraube montiert wird.

Mehr sehen am 3D-Modell

Natür­lich könnte man sich so ein digi­tales Modell auch an einem 17-Zoll-Monitor an einem regu­lären Büro­ar­beits­platz anschauen, trotzdem schätzen die Entwickler und Konstruk­teure die gemein­same Arbeit in der C.A.V.E., wie Hinrichs erklärt: „Hier können die Kollegen zusammen an einem Modell disku­tieren – alle sehen zu jeder Zeit das gleiche. Zudem können wir den Traktor in diesem Raum an jeder belie­bigen Stelle durch­schneiden und auch im letzten Winkel des Trak­tors schauen, ob es Probleme – zum Beispiel bei der Verka­be­lung – geben könnte.“ Während Hinrichs erklärt, bewegt er eine kleine Steu­er­ein­heit in seiner Hand durch den Raum, dreht damit den Traktor, zoom herein und heraus und schneidet das Modell auf verschie­denen Ebenen durch.

Wir können den Traktor in diesem Raum an jeder belie­bigen Stelle durch­schneiden und auch im letzten Winkel des Trak­tors schauen, ob es Probleme – zum Beispiel bei der Verka­be­lung – geben könnte.

Jan-Gerd Hinrichs

Welche Technik steht hinter dieser Magie? Hinrichs erläu­tert: „Wir bedienen uns da bei verschie­denen Soft­ware­lö­sungen. Die meisten können circa 80 Prozent dessen, was wir brau­chen. Den Rest program­mieren wir dann selbst.“ Eine bekann­tere Lösung ist die Spiele-Engine „Unity“. Auf ihr bauen sonst komplexe Compu­ter­spiele und -simu­la­tionen auf. Das Team um Hinrichs nutzt sie, um die detail­ge­treuen Kabinen und Trak­toren zu sehen.

Weil das Team gerne außer­halb übli­cher Bahnen denkt, kann es auch Kollegen aus anderen Abtei­lungen unter­stützen. „Einen Außen­ein­satz hatte unser Equip­ment beispiels­weise, also ein neuer Versuchs­stand in einer bestehenden Werk­statt hier in Mann­heim gebaut werden sollte. Da haben wir einfach die gesamte Technik dorthin geschleppt und damit den Versuchs­stand mit seinen tatsäch­li­chen Maßen in den Raum gebeamt. So konnte alle Betei­ligten sehen, wie dieser auf die vorhan­dene Fläche passt und ob und wie etwa Decken­kräne genutzt werden können, um den Versuchs­stand aufzu­bauen.“ Ein weiteres Beispiel, das zeigt, welchen realen Nutzen die virtu­ellen Welten für John Deere bringen.