Es heißt, je weiter man sich vom Machtzentrum entfernt, desto eigenständiger wird man. Für die Insel Lewis and Harris gilt das ganz sicher. In dieser eingeschworenen Gemeinschaft, über 1100 km von London entfernt, wird das Leben durch die Zusammenarbeit zum Nutzen aller bestimmt. In dieser tief mit der Landwirtschaft und den ländlichen Fertigkeiten verwurzelten Gesellschaft wird das Alte mit dem Neuen verbunden. Moderne Techniken tragen dazu bei, die eigene Geschichte lebendig zu halten.
„Alte Häuser an den Crofts werden wieder auf Vordermann gebracht, und das ist enorm wichtig“, erläutert Iain Riddell, selbst Crofter und Leiter der Unternehmensberatung bei SAC Consulting, das der landwirtschaftlichen Hochschule Scottish Rural Agricultural College angegliedert ist. „Die Menschen wollen zurückkommen und ihre Croft bewirtschaften, wie es ihre Familien über viele Generationen getan haben.“
Aber was genau ist „Crofting“ eigentlich? Es handelt sich um eine uralte Form von Besitzverhältnissen in den Highlands und auf den schottischen Inseln. Crofts sind kleine, landwirtschaftlich genutzte Pachtparzellen auf großen Ländereien, wobei das Pachtverhältnis in den Familien von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es gibt ungefähr 17.000 Crofts in Schottland, die durchschnittlich 5 ha groß sind. Die meisten Crofts gehören zu einer Gemeinde, und die Pächter haben Zugang zu großen Flächen mit Gemeinschaftsweiden, auf denen Nutzviehherden grasen, ohne dass dafür Zäune erforderlich sind. Im Laufe der Jahre haben viele Pächter ihre Crofts verlassen und sind weggezogen, bis von der EU geförderte Crofting-Programme finanzielle Unterstützung bereitstellten, um zur Überlebensfähigkeit der Crofts beizutragen. Denn ohne diese Unterstützung wären sowohl die Landwirtschaft als auch die Gemeinden in dieser Region gefährdet, warnt Riddell. „Ohne Crofting wäre diese Gegend tot – nur so kann die Gemeinschaft überleben.“
Eine starke Gemeinschaft
Ness im nördlichen Inselteil Lewis ist ein gutes Beispiel für die starken Bande in der Gemeinschaft. Hier haben sich die Bewohner zusammengetan, gemeinsam das 22.260 ha große Galson Estate erworben und es in eine gemeinnützige Stiftung zur Unterstützung der nachhaltigen Revitalisierung der Gegend überführt. Mehr als 400 lokale Einrichtungen und Unternehmen sind mittlerweile hier tätig, darunter eine Gemeindeschule, ein Sportzentrum, eine Begegnungsstätte, ein Laden, ein Museum und eine Windkraftanlage mit drei Windrädern, die mehrere Tausend lokale Haushalte mit Strom versorgt. „Wir sind hier ein sehr selbstgenügsames Völkchen – ich glaube, dieser Geist der Zusammenarbeit gehört einfach zu unserer Mentalität“, erklärt Donald Macsween, der drei Crofts von durchschnittlich je 2,8 ha bewirtschaftet und Zugang zu 22.672 ha Gemeinschaftsweiden hat.
Die Croft der Familie ist 25 m breit und etwa 1,4 km lang und umfasst sowohl Machair-Land (ein seltener, fruchtbarer Bodentyp in Form einer tief liegenden, grasbewachsenen Ebene) als auch schwere Torfböden. Obwohl es in der Gegend 23 Crofts gibt, werden nur vier oder fünf davon bewirtschaftet – und dies hat es Macsween ermöglicht, seine Tätigkeit auf eine größere Fläche auszudehnen. Er ist einer der wenigen verbliebenen hauptberuflichen Crofter auf der Insel – die meisten übrigen gehen einem anderen Hauptberuf nach und betreiben die Landwirtschaft nur als Nebenerwerb.
Mit seinen 36 Jahren besitzt Macsween mittlerweile 100 Schafe, drei Highland-Kühe mit Kälbern, vier Sauen und einen Eber plus Endmasttiere sowie 500 bis 600 Legehennen. Wenn es erforderlich ist, helfen alle mit beim Zusammentreiben und dem Umgang mit den Tieren – zum Beispiel, wenn die Schafschur ansteht.
„Mein 75-jähriger Nachbar könnte gar keine Schafe halten, wenn ich ihm nicht helfen würde… wir sind es einfach alle gewohnt zusammenzuarbeiten.“ Im Bestreben, seinen Betrieb profitabel zu machen, bietet Macsween möglichst viele seiner Produkte im Direktverkauf an: Die Eier gehen an lokale unabhängige Geschäfte, Restaurants und Hotels, die Hebriden- und Shetlandschafe werden vor Ort geschlachtet und über Metzger oder in Fleischbehältern verkauft, und sogar die Wolle wird mittlerweile von lokalen Unternehmen gesponnen und zu hochwertigem Harris-Tweed verarbeitet.
Wir sind hier ein sehr selbstgenügsames Völkchen – ich glaube, dieser Geist der Zusammenarbeit gehört einfach zu unserer Mentalität.
Donald Macsween
Polycrubs – eine ganz besonderes Gewächshaus
Macsween nutzt seine Crofting-Zuschüsse zur wirtschaftlicheren Nutzung seines Landes: Er hat in ein sogenanntes „Polycrub“ investiert – ein stabiles Gewächshaus in einer speziellen Ausführung, die für die Nutztierhaltung optimiert ist. Das Polycrub besteht aus ausgedienten Kunststoffrohren aus Fischfarmen, wurde auf den Shetlandinseln entwickelt und wird dort auch hergestellt. Die U-förmigen Rohre werden in den Boden betoniert und dieser Rahmen wird anschließend mit Polycarbonat-Bahnen bezogen, so dass ein „Polytunnel“ entsteht, der ausreichend stabil ist, um dem extremen Klima mit Windgeschwindigkeiten von manchmal fast 200 km/h standzuhalten.
Die 12 m hohe Dachfirst bietet ausreichend Stehhöhe, und an wärmeren Tagen können zur Belüftung die Fenster geöffnet werden. Das Ablammen soll künftig nicht mehr im Freien, sondern im Polycrub stattfinden, und Macsween plant, zwei weitere davon zu kaufen, in denen er Maschinen lagern und Schweine halten möchte. Später möchte er außerdem noch einen größeren Viehstall errichten, für den ihm im Moment allerdings noch das Geld fehlt. Wenn es soweit ist, plant er, die Polycrubs neu mit transparenten Bahnen zu beziehen und sie als Gewächshäuser zu nutzen.
Vielfältige Möglichkeiten
Weiter südlich, an der ebenso wilden wie wunderschönen Küste nahe dem kleinen Flughafen der Hebriden-Hauptstadt Stornoway, nutzt Karen Macleod ihr Polycrub bereits auf diese Weise. Auf der Croft der Familie mit dem passenden Namen „Allwynds“ baut sie eine Vielzahl unterschiedlicher Obst- und Gemüsesorten an, darunter so exotische Früchte wie Oliven, Zitronen und Weintrauben. „Obwohl wir hier äußerst abgeschieden leben, kann ich meine Familie mindestens sechs Monate im Jahr mit Bio-Obst und Bio-Gemüse ernähren“, sagt sie stolz. „Diese Lebensmittel müssen somit nicht erst von weit her herangeschafft werden, was auch besser für die Umwelt ist. Die Menschen wünschen sich mehr lokal erzeugte Lebensmittel und wollen wissen, woher etwas kommt.“
Obwohl wir hier äußerst abgeschieden leben, kann ich meine Familie mindestens sechs Monate im Jahr mit Bio-Obst und Bio-Gemüse ernähren.
Karen Macleod
Macleod hat sich für einen Anbau ohne Umgraben entschieden, um die natürliche Bodenstruktur zu bewahren, stellt ihren eigenen Kompost her und bedeckt den Boden mit lokal erzeugtem Seetang-Mulch, um das Unkraut nieder und den Boden feucht zu halten. Daneben pflanzt sie Kräuter und Blumen zur Schädlingskontrolle – wobei alles aus der Saat gezogen wird – und stellt aus den Ernteüberschüssen ihre eigenen fermentierten Lebensmittel und Konserven her. „Ich glaube nicht, dass wir irgendwann vom Obst- und Gemüseverkauf leben können, aber es macht Freude und zeigt, dass eine Croft nicht nur für Schafe da ist.“
Die Karibik Großbritanniens
Der Tourismus ist ein wichtiger Geschäftszweig auf der Insel – was nicht verwundert angesichts der fantastischen weißen Strände und des kristallklaren Meerwassers, die man eher in der Karibik als in Großbritannien vermuten würde. Nahe der Südwestspitze des gebirgigen Inselteils Harris hat Angus Mackay Förderprogramme zum Bau von 5-Sterne-Ferienwohnungen in Anspruch genommen – gleichzeitig investiert er aber auch in seinen Viehbestand. „Wir haben eine Förderung von 60 % für den Bau eines neuen Rinderstalls erhalten, so dass wir die Tiere im Winter hereinholen können“, erklärt er. „Wegen des Klimawandels wird es nämlich mittlerweile zu feucht, um sie draußen zu lassen.“
Mackay hält neun reinrassige Angus-Kühe mit Kälbern sowie rund 350 Scottish-Blackface- und Kreuzungsschafe. Aufgrund von Veränderungen bei den Unterstützungszahlungen für landwirtschaftliche Betriebe und dem Angebot an Arbeitskräften sind die Zahlen in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. „Früher haben wir mit 1000 Mutterschafen und 75 Rindern per Schiff zu den Gemeinschaftsweiden auf der Insel Taransay übergesetzt, aber heutzutage ist es sehr schwierig, genügend Arbeitskräfte dafür aufzutreiben; vor 25 Jahren gab es hier noch 10 Crofter, heute sind es nur noch vier“, so Mackay. „Aber inzwischen kommen auch wieder viele junge Leute zurück – und das würden sie ja nicht tun, wenn es hier kein Geld zu verdienen gäbe.“
Die Tradition bewahren
Kenny Mackay ist einer dieser jungen Leute: Obwohl seine Eltern eine Croft in der Nähe von Northton, im Süden von Harris, bewirtschaften, übernahm er im Jahr 2011 seine eigene Croft.
Der 29-Jährige ist im Hauptberuf Schreiner und möchte die Zuschüsse aus dem Förderprogramm nutzen, um ein eigenes Haus zu bauen sowie um zusammen mit den vier anderen aktiven Croftern der Gegend in eine „Fank“ (Schafhürde) zum Umtreiben, Abtrennen und Einpferchen von Schafen zu investieren. Auf seiner 8 ha großen Croft mit Zugang zu 1214 ha großen Gemeinschaftsweiden hält er 140 Scottish-Blackface-Mutterschafe, deren Ablammzeit um den 10. April beginnt.
Mutterschafe und Lämmer werden ab dem 15. Mai auf die Gemeinschaftsweiden gebracht und kehren im August zum Absetzen zurück. „Zwischen dem 15. Mai und dem 15. August wird der Machair nicht als Weide genutzt, damit sich darauf ein artenreiches Grasland mit Feuchtgebieten und Salzwiesen entwickeln kann, das Vögeln Nistmöglichkeiten bietet“, erläutert Mackay. „Wir haben hier große Probleme mit Seeadlern, Steinadlern und Raben – wir verlieren gut 20 % der Lämmer an Räuber.“
In Stornoway finden im August und September Viehauktionen statt, und häufig werden die ersteigerten Mastschafe und -rinder danach zur Endmast auf das schottische Festland gebracht. „Es ist gut, den lokalen Markt zu unterstützen“, ist Mackay überzeugt. „Crofting ist eine Art Hobby – alles, was man erwirtschaftet, steckt man im Grunde auch wieder hinein; wir machen es, weil es zu unserer Lebensweise gehört und um die Tradition lebendig zu halten. Und das ist sie nur, solange die Herden über diese Hügel streifen.“