Von der Hasel­nuss bis zur Baum­wolle

Die türki­sche Land­wirt­schaft hat viel zu bieten. Mit Produkten wie Hasel­nüssen, Feigen oder Sulta­ninen belegt die Türkei führende Ränge in der Welt­pro­duk­tion. Aus der Gesamt­sicht beein­druckt sie durch üppige Viel­falt, wenn­gleich sich viele Regionen auf den Anbau einer einzigen Kultur konzen­trieren.

Bläu­lich schim­merndes Licht legt sich am frühen Abend über die Berg­hänge der Region um Cumayeri in der Provinz Düzce. Wohin man auch schaut, überall gedeihen Hasel­nüsse. Nach einigen Regen­tagen haben die Bauern die Ernte der Hasel­nüsse wieder aufge­nommen. Noch etwa zwei trockene Wochen und dann ist die Ernte in dieser Region Ende September abge­schlossen. Links und rechts der Serpen­tinen sind Arbeiter an den Hängen zu beob­achten, die unter den mehr­stäm­migen, üppig verzweigten und hoch­ge­wach­senen Sträu­chern ernten. Viele Hände sind damit beschäf­tigt, die von den Ästen auf den humus­rei­chen Boden herun­ter­ge­fal­lenen Hasel­nüsse zusam­men­zu­re­chen und mit Saug­rohren zu den Ernte­ma­schinen zu beför­dern. Die Findik Maccina, was so viel heißt wie Hasel­nuss­ma­schine, trennt die Nüsse schüt­telnd und pneu­ma­tisch von ihren braun­blätt­rigen Frucht­hüllen. Klein­tei­lige Blatt­reste wirbeln im hohen Bogen durch die Luft, während die Nüsse in Jute­säcke wandern. Es duftet nussig-erdig.

105 Bauern­fa­mi­lien und eine Moschee

Ein Schot­terweg führt zum Hof der Familie Ak in Üvez­beli. Kurz davor sind auf einer Frei­fläche Hasel­nüsse eines Nach­bar­be­triebes zum Trocknen ausge­breitet. Der kleine Ort liegt unge­fähr 500 m über den Meeres­spiegel, zählt 105 Bauern­fa­mi­lien und hat eine Moschee. Vater Jusuf und Sohn Vedat begrüßen uns freund­lich. Neben einem Schuppen, vor dem ein Traktor und die eigene Findik Maccina stehen, die die Familie auch für Lohn­ar­beiten bei anderen Bauern einsetzen, liegen frisch gepflückte Bohnen aus dem Garten zum Trocknen aus. Hinterm Wohn­haus, an dessen Wand ein großes Plakat des türki­schen Staats­prä­si­denten hängt und auf dessen Dach eine große Satel­li­ten­schüssel befes­tigt ist, befindet sich ein kleiner Stall; in dem sind eine Kuh, eine Färse, zwei Bullen und ein Kalb unter­ge­bracht.

Hasel­nuss­bauer Jusuf Ak auf seinem Hof.

Aber zurück zur Nuss. Sie ist die Einnah­me­quelle der Familie Ak und tausender türki­scher Bauern in der feucht-sommer­warmen, bergigen Schwarz­meer­re­gion, die von der Provinz Düzce bis nach Trabzon über fast 1.000 km reicht. Mehr als 60 % der welt­weiten Hasel­nuss­pro­duk­tion wachsen hier heran. Auch Jusufs Bruder, Mehmet Ak, ist in der Branche aktiv. Neben seinem land­wirt­schaft­li­chen Betrieb betreibt er eine Hasel­nuss-Annah­me­stelle vis á vis der Moschee. Große Jute­säcke stapeln sich im Lager. Bauern fahren mit Trak­toren und voll­be­la­denen Anhän­gern vor, und auch Privat­leute geben kleine Mengen ab. Jeder Sack wird beprobt. Äußere Erschei­nung, Geschmack und Feuch­tig­keit werden vor Ort taxiert. Mehmet Ak sitzt zufrieden hinter seinem großen Schreib­tisch, trinkt Tee und bestimmt den Preis.

Blick über die Nuss­kul­turen rund um den Ort Üvez­beli.

Hasel­nuss in ihrer Frucht­hülle.

Ernte mit Saug­rohren: Die auf dem Boden liegenden Hasel­nüsse werden pneu­ma­tisch zur mobilen Hasel­nuss­ma­schine beför­dert, der die Nuss von der Frucht­hülle trennt.

Schüt­teln und Sieben: Nachdem die Hasel­nuss geknackt wurde, wird sie gerei­nigt und nach Größe sortiert.

Geknackt, gerei­nigt und nach verschie­denen Größen abge­sackt: Hasel­nüsse vor dem Abtrans­port in die Geschäfte oder in die Weiter­ver­ar­bei­tung.

Manisa ist berühmt für Sulta­ninen

Rund 600 km weiter südwest­lich, in der Provinz Manisa, spielt die Hasel­nuss im Anbau gar keine Rolle. Hier bestimmen Obst­sorten wie Trauben, Kirschen, Pfir­siche, Melonen sowie Gemüse, Gewürze, Körner­mais und Baum­wolle die Land­wirt­schaft in den weiten Tälern, die von schnee­be­deckten Berg­ketten umgeben sind. Die Tempe­ra­turen sind hier höher als in der Schwarz­meer­re­gion, die Nieder­schläge wesent­lich geringer, ohne flächen­de­ckende Bewäs­se­rung geht nur wenig. Während die Baum­woll­ernte erst im Oktober startet, wird in der Region um Manisa im September an vielen Orten Körner­mais geerntet. Wie auch auf dem Feld des Land­wirts Ahmed Hava­leoglu. Am Feld­rand steht ein großer Lkw, der die gold­gelbe Ernte zur nächsten Mühle abfährt. Auf Nach­bar­fel­dern wachsen Reben, dazwi­schen befindet sich ein kleiner Acker mit Melonen. Die Melonen hat Bauer Ismail Keskin aus Haci­hal­iller, südöst­lich der Stadt Manisa gelegen, Anfang Juli in die Stop­peln gesät.

Körbe­weise gehen die Sulta­ninen vom Acker.

Neben Weizen und Kürbis baut Keksin zusätz­lich noch Trauben an. Die hellen und kern­losen Trauben der Sultana-Rebe gehen in die Produk­tion von Sulta­ninen, einer spezi­ellen Art der Rosine, für die die Region Manisa berühmt ist. Dabei besteht der Unter­schied zwischen Rosine und Sulta­nine einzig und allein in der Trock­nungs­me­thode. Im Gegen­satz zu Rosinen werden Sulta­ninen nicht so lange in der Sonne getrocknet. Daher behalten sie eine hellere Haut: Je heller, desto besser. Manche Produ­zenten tauchen die Trauben deshalb vor dem Trocknen kurz in eine Lösung aus Pott­asche und pflanz­li­chem Öl, wodurch die feine Wachs­schicht auf der Schale entsteht und der Trock­nungs­pro­zess beschleu­nigt wird.

Es sind zumeist kurdi­sche Arbei­te­rinnen, die die geern­teten Sultana zum Trocknen auf abge­ern­teten Weizen- und Kürbis­fel­dern ausbreiten. Nach fünf bis zehn Tagen tragen die Frauen die auf rund 15 % Feuch­tig­keit gedörrten Früchte zusammen und schütten sie körbe­weise in statio­näre Sieb­ma­schinen, die die Stängel und Blätter entfernen. Förder­bänder bewegen die gerei­nigten Sulta­ninen schließ­lich auf Wagen, auf denen Ernte­hel­fe­rinnen sie mit der Schaufel verteilen.

Maschinen statt Hand­ar­beit 

Hier stehen moderne Baum­woll­ern­te­ma­schinen bereit.

Während die Erzeu­gung von Sulta­ninen, Chilis, Tafel­trauben, Okras (Gemüse-Eibisch) und Melonen über­wie­gend noch von bäuer­li­chen Fami­li­en­be­trieben geprägt ist, geben im Baum­woll­sektor größere Betriebe den Ton an. Im Land­kreis Menemen nörd­lich von Izmir wird viel Baum­wolle ange­baut. Der 26-jährige İlker İyiuyarlar führt mit seinem Vater und seinem Onkel eine John Deere Service­sta­tion und baut auf einer Fläche von 300 ha Baum­wolle an. Das Pflü­cken per Hand, wie es in der 1.300 km weiter östlich gele­genen Baum­woll-Region rund um die Stadt Sanli­urfa noch im großen Stil prak­ti­ziert wird, ist hier vor einigen Jahren fast voll­ständig mecha­ni­siert worden. Moderne Baum­woll­ern­te­ma­schinen stehen aufge­reiht zum Einsatz für die eigenen Flächen, aber auch für die Lohn­ernte, bereit. 

Bei der Ernte wird die Baum­wolle in der betriebs­ei­genen Entker­nungs­an­lage von den Samen befreit. „Sie erreicht mit Stapel­längen von 28 bis 30 mm auf der Baum­woll­börse in Izmir gute Preise“, ist İyiuyarlar über­zeugt. Auf ökolo­gi­schen Anbau setze er nicht, „weil die Stan­dards hoch sind und sich ein Einstieg in diese Anbau­weise nur dann lohnen würde, wenn der Preis doppelt so hoch wäre.“

Der Einstieg in den ökolo­gi­schen Baum­wollanbau würde sich nur lohnen, wenn der Preis doppelt so hoch wäre.

İlker İyiuyarlar

Auch die Frucht­folge gehorcht mehr der Ökonomie als der Frucht­bar­keit des Bodens. Erst nach fünf Jahren Baum­wolle wird eine andere Kultur einge­setzt – dann zumeist Weizen. Wenn­gleich İyiuyarlar am bishe­rigen Anbau­kon­zept fest­halten will, wird sich in Sachen Ener­gie­ver­sor­gung schon bald Entschei­dendes ändern. Die Familie plant den Bau einer Photo­vol­taik-Anlage, die auf dem unge­fähr 1,2 ha großen Hallen­dach instal­liert werden soll. „Damit können wir dann einen großen Teil unseres Eigen­be­darfs abde­cken“, freut sich İyiuyarlar auf die neue Ära.

Der junge Baum­wollan­bauer İyiuyarlar setzt auf Baum­wollanbau mit moderner Technik.

Verschlossen wie eine Auster: So sieht eine unreife, noch nicht aufge­gan­gene Baum­woll­kapsel aus.

Baum­woll-Voll­ernter im Einsatz auf Flächen von Genel Pamuk in der Region Menemen.

Ehrgei­zige Ziele 

Unter­nehmer wie İyiuyarlar sorgen dafür, dass Land­wirt­schaft ein starker ökono­mi­scher Rück­halt für die türki­sche Volks­wirt­schaft ist. Knapp 20 % aller Beschäf­tigten haben eine Arbeit im Agrar­sektor, dessen Anteil am Brut­to­so­zi­al­pro­dukt immerhin knapp 7 % beträgt. Aller­dings ist Land­flucht auch hier ein Thema: Mitt­ler­weile leben fast Drei­viertel aller Menschen in den Städten. Viele kleine Betriebe haben keine Hofnach­folger, und so gibt es einen sehr dyna­mi­schen Struk­tur­wandel zu größeren Betrieben. 

Hasel­nuss: Lang­lebig und wärme­lie­bend

Die fett­hal­tige Hasel­nuss ist eine lang­jäh­rige Dauer­kultur. Auf manchen türki­schen Plan­tagen weist sie ein Alter von 80 bis 100 Jahren auf. Aller­dings nimmt der Ertrag der Sträu­cher nach 40 bis 50 Jahren wieder ab, weshalb viele Anbauer ihre Bestände in diesem Alter roden und neu anpflanzen. Die Hasel­nuss braucht gut durch­lüf­tete und humus­reiche Böden, gedeiht vor allem an warmen und feuchten Stand­orten. Sowohl die Witte­rung, als auch das Bestands­alter, die Höhen­lage und die Sorte nehmen Einfluss auf die Ernte­menge, die von etwa 400 bis zu 3.000 kg/ha schwankt. Nach der Ernte wird der hoch­ge­wach­sene Strauch zurück­ge­schnitten. Ein häufiger Schäd­ling ist der Hasel­nuss­bohrer.