Ilir Gjolaj blickt mit zusammengekniffenen Augen über seinen Acker im Nordwesten Albaniens. Ein Traktor pflügt durch den steinigen Boden, zieht eine haushohe Staubfahne hinter sich her. Dahinter glitzert der Shkodrasee vor den kahlen Bergen Montenegros in der Sonne. „Letztes Jahr hatten wir leider kaum Regen“, sagt der 40-Jährige. Mit seinen Partnern von der Firma Agro-Map baut der Landwirt Salbei, Lavendel, Kornblumen und verschiedene andere Heil- und Gewürzpflanzen auf mittlerweile rund 90 ha an. Die Erträge liegen normalerweise zwischen 2 und 4 t/ha. Dieses Jahr waren es im Schnitt gerade einmal 1,5 t.
UNSICHERE RAHMENBEDINGUNGEN
Doch ansonsten hat es Ilir Gjolaj gut getroffen. Vor 14 Jahren hat er sein erstes Stück Land – 1 ha – in der Region Koplik gekauft: für 200 €. Mittlerweile besitzt seine Familie 30 ha. „Alle haben mich damals für verrückt erklärt, weil ich mein Geld in einen Haufen Steine steckte, niemand wollte in die Landwirtschaft gehen.“ Ilir Gjolaj schmunzelt: „Jetzt wollen viele ihr Land zurück.“
Marktorientierte Landwirtschaft gibt es in Albanien noch nicht sehr lange. Erst 2006 verabschiedete das albanische Parlament eine Landreform. Jede Person erhielt knapp 0,4 ha, eine sechsköpfige Familie zum Beispiel 2,4 ha. Ein großes Geschacher begann. Land wurde getauscht, verkauft, per Handschlag oder unter der Hand vergeben. Landtitel gab und gibt es bis heute kaum.
Alle haben mich damals für verrückt erklärt, weil ich mein Geld in einen Haufen Steine steckte.
Ilir Gjolaj
Die Betriebe sind klein, mit einer durchschnittlichen Größe von gerade einmal 1,2 ha. Von den 300.000 Betrieben im Land arbeitet nur ein Fünftel kommerziell. Weil die Hälfte der albanischen Bevölkerung im Ausland lebt, nutzen viele Eigentümer ihr Land nicht. Ein Viertel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche liegt brach.

Der Schatz der albanischen Wirtschaft liegt in den Bergen: Wildkräuter.
VIEL POTENZIAL IM BODEN
Arznei- und Gewürzpflanzen haben Tradition in der Region Koplik. Die kalkhaltigen Böden sind dafür gut geeignet, Albanien zählt weltweit zu den wichtigsten Produzenten. Vieles liefert die Wildsammlung, viele Arten kommen nur hier oder in sehr wenigen anderen Ländern vor. Das Sammeln von Salbei, Wacholder, Thymian oder Zitronenmelisse bietet den Menschen in den entlegenen Regionen saisonal ein gutes Einkommen. In den vergangenen zehn Jahren wurden die Pflanzen zunehmend auch angebaut.
In der Region Koplik werden Salbei und Lavendel auf schätzungsweise über 4.500 ha angebaut. Aufgrund der guten Nachfrage hat es einen regelrechten Boom gegeben. Da der Anbau von Medizin- und Gewürzpflanzen viel Handarbeit erfordert, ist Albanien mit Lohnkosten von 7 bis 10 € pro Tag sehr konkurrenzfähig. Die Setzlinge müssen erst per Hand gesteckt werden, anschließend sollte regelmäßig Unkraut entfernt werden, weil die Pflanzen nur langsam wachsen. Die Ernte wird ebenfalls manuell durchgeführt.
LANGE TRADITION IN ARZNEIPFLANZEN

Xheladin Zekaj prüft Lavendel- und Salbeipflanzen in einer Lager- und Trockenhalle, die er mit anderen Produzenten teilt.
Schon zu kommunistischen Zeiten wurden Medizin- und Gewürzpflanzen in der Region angebaut und exportiert. „Damals aber auf höchstens 2.000 ha“, sagt Xheladin Zekaj. „Auf den restlichen Flächen wuchsen Mais, Tabak oder Weizen.“ Der 58-Jährige steht unweit der Anbauflächen von Agro-Map in einer Halle, die er zusammen mit anderen Landwirten zum Lagern und Trocknen betreibt. Insgesamt bauen sie auf 150 ha Salbei und Lavendel an. Pflanzen liegen zum Trocknen auf Regalen, Säcke stehen herum, prall gefüllt mit lila schimmern-dem Lavendel. Es duftet wie in einer Parfümerie. „Als ich 2006 mit dem Anbau anfing, waren wir nur ganz wenige“, erinnert sich der studierte Agroökonom, der lange in der Behörde des Distriktes tätig war. Für eine Tonne getrockneten Lavendel mit Stängeln gab es 3.500, für Salbei 1.800 US-Dollar. „Heute bekommen wir davon nicht einmal mehr die Hälfte.“
Als ich 2006 mit dem Anbau anfing, waren wir nur ganz wenige.
Xheladin Zekaj
Das große Angebot hat die Preise sinken lassen. Hinzu kommen eine nicht immer einwandfreie Weiterverarbeitung sowie die Verwendung eingeführten Pflanzmaterials. Lange Zeit schnitten sich die Landwirte ihre Stecklinge selbst, von den besten Wildpflanzen in den Bergen. Zunehmend aber verwendeten sie aus Frankreich oder Bulgarien eingeführte Sorten. „Die wuchsen zwar schneller, wiesen aber weniger Inhaltsstoffe auf und waren anfälliger gegenüber Trockenheit als die lokalen Sorten“, sagt Agim Rama. Auch er baut in der Region Gewürz- und Medizinalpflanzen an. Vor allem aber engagiert er sich für den Erhalt und Ausbau lokaler Sorten.
AN DER WERTSCHÖPFUNG TEILNEHMEN
Ein großes Problem der Anbauer von Gewürz- und Medizinpflanzen wird das allerdings nicht lösen: Nur einige wenige Exporteure und Verarbeiter kontrollieren den Markt. Ilir Gjolaj hat deshalb schon vor zehn Jahren die Flucht nach vorne angetreten und in eine eigene Destillationsanlage investiert, zunächst in ein gebrauchtes Modell sowjetischer Bauart. Nun hat er mit seinen beiden Partnern von Agro-Map eine neue angeschafft.
Sie arbeitet leise zischelnd in einer zugigen Halle oberhalb der Anbauflächen. Der Durchzug ist gewollt, damit die Mitarbeiter nicht zu viel ätherische Dämpfe einatmen. „Die neue Anlage holt den gesamten Ölgehalt aus den Pflanzen, den wir vorher im Labor gemessen haben, die alte schaffte nicht einmal die Hälfte.“ Aus einer Tonne Strohblume gewinnt man gerade einmal 1,5 bis 2 l Öl, aus Lavendel 6 bis 10 l. Wie kann sich das rechnen? Durch Preise von bis zu 1.500 €/l. So viel bezahlen Kosmetikfirmen oder Hersteller von Arzneimitteln für diese Konzentrate – wenn die Qualität stimmt.
Dafür hat Agro-Map investiert. Auf die Hilfe von Staat oder Banken konnte die junge Firma dabei nicht rechnen. Agro-Map musste alle Investitionen selbst aufbringen. Gewinne werden sofort investiert. „Zum Glück ist die Nachfrage nach hochwertigen Ölen sehr gut“, erklärt Shkelqim Karaj, einer der beiden anderen Partner von Agro-Map. Shkelqim Karaj hat Agrarwissenschaften in Tirana und an der Universität Hohenheim studiert, wo er mittlerweile lehrt.
HOFFNUNG AUF DEN EU-BEITRITT

John Deere Vertriebspartner Xhorxhi Marku ist überzeugt, dass alle albanischen Landwirte von einem EU-Beitritt profitieren.
Seit 2014 ist Albanien Beitrittskandidat zur Europäischen Union. Einen Beitritt würden Ilir Gjolaj und Shkelqim Karaj begrüßen. Der Export ihrer Produkte, für die sie heute schon die EU-Normen erfüllen müssen, würde sich deutlich vereinfachen. Es gäbe Investitionsbeihilfen, Subventionen und strukturelle Unterstützung für die Landwirtschaft. Zudem hoffen sie, dass dann alle Produzenten zu gleichen Bedingungen arbeiten müssten. „Alle unserer fast 40 Mitarbeiter sind offiziell angemeldet, wir müssen aber mit Betrieben konkurrieren, die keinerlei Abgaben für ihre Arbeiter bezahlen.“ Das sehen viele Landwirte und Lebensmittelbetriebe in Albanien ähnlich, ob Milchbauern, Molkereien, Imker, Obst- oder Gemüseanbauer.
Die Konkurrenz preisgünstiger Produkte aus dem Ausland fürchten sie nicht. Sie ist längst da. Seit dem WTO-Beitritt Albaniens müssen albanische Produzenten mit Waren aus Griechenland, Italien, Mazedonien und Serbien mithalten, alles Länder mit hoch subventionierter Landwirtschaft. In Albanien aber ist noch nicht einmal der Treibstoff für Landwirte günstiger. Selbst die zahlreichen Kleinstbetriebe hoffen auf eine bessere Unterstützung, obwohl es gerade für sie schwierig sein wird, die EU-Standards zu erreichen.
Ein EU-Beitritt würde neue Perspektiven eröffnen, auch für die Mechanisierung.
Xhorxhi Marku
Auch Xhorxhi Marku hat große Erwartungen an einen EU-Beitritt. Er betreibt mit seinem Sohn in Tirana seit vielen Jahren einen Landmaschinenhandel, mit dem sie auch John Deere Traktoren vertreiben. „Wir haben gute Böden und ein Klima, das es uns erlaubt, im Großteil des Jahres Obst und Gemüse zu ernten, ein Beitritt würde neue Perspektiven eröffnen, auch für die Mechanisierung.“ Der Händler begleitet uns zu der Familie von Agim Metka, die in den Bergen des südlichen Distriktes Berat einen Hof mit knapp 6 ha Land bewirtschaftet. Die Fahrt geht vorbei an Kirschplantagen und kleinen Maisfeldern.
Erst seit wenigen Monaten arbeiten Agim Metka und seine drei Söhne mit einem neuen John Deere 5055 E. Den ersten großen Dienst erwies ihnen dieser in dem extrem trockenen Sommer. „Wir konnten die Felder bewässern und so die Ernte retten“, erklärt der 30-jährige Sohn Engiell. Bald will die Familie zusätzliche 10 ha pachten. „Dann müssen meine Söhne hoffentlich nicht mehr als Erntehelfer in Griechenland arbeiten“, sagt der Vater und hebt das Glas mit selbst-gebranntem Obstschnaps. Einer ist Pflicht. Auf die Gastfreundschaft. Und auf die Zukunft.
ALBANIEN IN ZAHLEN
- 2,9 Mio. Einwohner
- 28.748 km² Fläche, davon 1/4 landwirtschaftlich nutzbar
- 19 % des BIP wird in der Landwirtschaft erarbeitet, 2/5 der Bevölkerung sind im Agrarbereich tätig.
- fast 25 % des BIP machten in Hochzeiten die Zahlungen von Auslandsalbanern in die Heimat aus, im Jahr 2015 waren es noch 6 %.
- seit September 2000 WTO Mitglied
- seit Mitte 2014 EU-Anwärter
- Bis 2020 gibt es ein Förderbudget der EU für die Modernisierung der Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung von 90 Mio. €. Doch erst wenn Albanien Verwaltungs- und Kontrollsysteme nach EU-Standards aufgebaut hat, kann es dieses Budget eigenverantwortlich umsetzen.