Ziem­lich beste Nach­barn

Die Fami­lien von Carsten Behr und Ulrich Löhr wohnen seit Gene­ra­tionen neben­ein­ander. Doch das allein macht noch keine gute Nach­bar­schaft. Der eine Betriebs­leiter wirt­schaftet konven­tio­nell, der andere ökolo­gisch. Im vergan­genen Herbst gingen die beiden Land­wirte für das Biodi­ver­si­täts­pro­jekt FINKA eine Betriebs­part­ner­schaft ein. Kann das gut gehen?

Ulrich Löhr und Carsten Behr aus Denkte im Land­kreis Wolfen­büttel sind richtig gute Nach­barn. Das ist nicht selbst­ver­ständ­lich, schon gar nicht, da Behr gerade die drei­jäh­rige Umstel­lungs­zeit auf biolo­gi­sche Land­wirt­schaft abge­schlossen hat und Löhr seinen Betrieb mit Über­zeu­gung konven­tio­nell bewirt­schaftet. Die beiden kennen sich schon länger und verstehen sich so gut, dass sie sich für die Teil­nahme am FINKA Projekt (Projekt zur Förde­rung von Insekten im Ackerbau) ange­meldet haben. Fünf Jahre lang werden sie nun beson­ders eng zusam­men­ar­beiten und dabei wissen­schaft­lich begleitet.

In dem nieder­säch­si­schen Projekt soll unter­sucht werden, wie sich die Arten­viel­falt von Beikräu­tern und Insekten auf drei unter­schied­lich bewirt­schaf­teten Flächen entwi­ckelt: auf einer ökolo­gisch bewirt­schaf­teten Fläche, einem konven­tio­nellen Acker und einem konven­tio­nellen Acker, auf dem während der Projekt­lauf­zeit auf Herbi­zide und Insek­ti­zide verzichtet wird. Erforscht wird auch, wie sich der redu­zierte Pesti­zid­ein­satz betriebs­wirt­schaft­lich auswirkt. 30 Betriebs­lei­ter­paare haben sich dafür zusam­men­ge­funden. Fungi­zide, Wachs­tums­re­gu­la­toren und Dünge­mittel dürfen wie gewohnt einge­setzt werden. Auf allen drei Flächen sollte jedes Jahr möglichst dieselbe Kultur stehen. Das macht die Daten besser vergleichbar.

Die Land­wirte haben ein eigenes Inter­esse daran, dass es der Natur gut geht. Sie arbeiten ja mit ihr zusammen.

Dr. Svenja Bänsch

Das Ziel ist eine höhere Biodi­ver­sität von Insekten in der Agrar­land­schaft. Beim Insek­ten­schutz spielt die Land­wirt­schaft eine wich­tige Rolle, da sie große Flächen einnimmt. Aus den Ergeb­nissen sollen Praxis­emp­feh­lungen abge­leitet werden, wie sich der Verzicht auf Herbi­zide und Insek­ti­zide erfolg­reich umsetzen lässt. „Die Land­wirte haben ein eigenes Inter­esse daran, dass es der Natur gut geht. Sie arbeiten ja mit ihr zusammen“, erklärt Dr. Svenja Bänsch, die das Projekt wissen­schaft­lich begleitet. „Wir wollen eine Idee bekommen, wie man auch im konven­tio­nellen Ackerbau biodi­ver­si­täts­för­dernd wirt­schaften kann.“

Der Nachbar stand häufiger auf dem Feld als der Betriebs­leiter selbst

Die erste FINKA-Saison begann bei allen Betriebs­paaren im Herbst 2020 mit Winter­ge­treide. Bei Behr und Löhr wuchs Winter­weizen. Auf zwei Hektar verzich­tete der konven­tio­nelle Land­wirt auf Herbi­zide und Insek­ti­zide.

Wer auf Herbi­zide verzichtet, besinnt sich auf die mecha­ni­sche Beikraut­re­gu­lie­rung. Und hier kommt die Zusam­men­ar­beit mit dem Nach­bar­be­trieb ins Spiel. Getreu dem Motto „zusammen ist man weniger allein“ sollen sich die Betriebe gegen­seitig unter­stützen, beraten und mit Gerät­schaften aushelfen. Löhr hat mit Nachbar Behr den Haupt­preis gezogen. Der strie­gelte nämlich die Maßnah­men­fläche seines Nach­barn einfach mit, wo er schon mal auf dem Acker war. „Carsten war glaub ich öfter auf meinem Acker als ich selbst“, erin­nert sich Löhr. „Irgend­wann kam er dann und meinte, wir müssten jetzt mal strie­geln.“ Behr geht oft über seine Felder, um den besten Zeit­punkt für seine Maßnahmen zu finden.

Im ersten Projekt­jahr ließen sich der Pesti­zid­ver­zicht und die daraus resul­tie­renden, zusätz­li­chen Arbeiten gut in den Arbeits­ab­lauf inte­grieren. „Ich hatte damit ja nicht viel zu tun“, erwähnt Löhr scherz­haft. Dank seines hilfs­be­reiten Nach­barn hatte er in diesem Jahr gleich gar keinen Mehr­auf­wand. Wenn alles glatt läuft, soll das auch so bleiben. „Es sind ja nur die zwei Hektar, die direkt an meine Flächen grenzen. Da hält sich der Mehr­auf­wand in Grenzen“, findet Behr.

Die Blüten des Ölret­tichs bieten auch den Insekten Nahrung.

Das FINKA-Projekt soll lang­fristig die Biodi­ver­sität im Ackerbau erhöhen.

Auf dem Biobe­trieb soll eine Legu­mi­nosen-Zwischen­frucht nach Weizen Stick­stoff fixieren.

Posi­tives Fazit nach dem ersten Jahr

Nun ist Weizen eine relativ unkom­pli­zierte Kultur, was Insekten und Unkräuter angeht. Ein biss­chen Glück hatte Löhr auch, denn dieses Jahr waren in der Region nur wenige Insekten unter­wegs. So wirkte sich der Verzicht auf Insek­ti­zide dieses Jahr nicht aus. Und auch der Unkraut­be­satz hielt sich in Grenzen. So genügten zwei Strie­gel­gänge, um den Herbi­zid­ver­zicht zu kompen­sieren.
Das erste Jahr war stress­frei. Löhr vermutet sogar, dass die FINKA-Fläche leicht höhere Erträge brachte als die konven­tio­nelle. In der Tendenz war sie sogar güns­tiger, weil er die Kosten für Herbi­zide sparen konnte. Auch bei der Eiweiß­qua­lität und dem Besatz mit Unkraut­samen musste er keine Abstriche machen. „Der Unter­schied war zwischen 12 Uhr und Mittag“, bekräf­tigt Löhr. Ob die Daten sein Gefühl unter­mauern, wird sich zeigen, sobald die Ergeb­nisse vorliegen.

Weidende Schaf­herde

Eine gute Voraus­set­zung war, dass Löhrs Acker in gutem Ausgangs­zu­stand in das Projekt rein­ge­gangen ist – ohne Resis­tenzen und mit geringer Unkraut­be­las­tung. Außerdem war der Weizen­be­stand extrem dicht, was auch dem guten Schwarz­er­de­boden zu verdanken ist. „Am Anfang ist ja immer noch Friede, Freude, Eier­ku­chen“, berichtet Behr aus eigener Erfah­rung. „Der Unkraut­be­stand muss sich erst aufbauen. Das dritte Jahr ohne Herbi­zide ist dann schon eine Heraus­for­de­rung.“

Die Arten­viel­falt vari­iert je nach Betrieb sehr

Im Früh­jahr nach Projekt­start instal­lierten die Wissen­schaftler und Wissen­schaft­le­rinnen erst Nist­hilfen und später Gelb­schalen und Boden­fallen auf den Feldern, um die Insekten auszählen zu können.

Die wissen­schaft­li­chen Unter­su­chungen sind zwar noch lange nicht abge­schlossen. Trotzdem hat Dr. Svenja Bänsch bereits eine entschei­dende Beob­ach­tung von den Versuchs­flä­chen mitge­nommen: „Sobald die Viel­falt der Begleit­flora zunimmt, sieht man mehr Insekten auf den Blüten.“ Die Pflanzen sind die Ressource für die Insekten. Und je abwechs­lungs­rei­cher das Buffet, desto wahr­schein­li­cher ist es, dass jedes Insekt etwas zum Fressen findet. Inwie­fern diese Beob­ach­tung ein Indiz für die tatsäch­liche Insek­ten­viel­falt auf dem Acker ist, lässt sich noch nicht sagen. Nacht­ak­tive Arten und solche, die am Boden oder in den Stän­geln leben, sieht man nicht sofort, wenn man das Feld betritt.

Auf den ersten Blick boten die ökolo­gi­schen Flächen die besseren Lebens­be­din­gungen für hohl­raum­nis­tende Bienen und Wespen, so Bänsch. Hier waren tenden­ziell mehr Nist­röhren belegt. Zwischen der konven­tio­nellen und der FINKA-Fläche gab es keinen deut­li­chen Unter­schied. „Die Insek­ten­viel­falt vari­iert auf jeden Fall sehr!“, betont die Wissen­schaft­lerin. „Es gibt ökolo­gi­sche Flächen, die in Bezug auf die Beikraut­viel­falt kaum von konven­tio­nellen zu unter­scheiden sind. Und es gab konven­tio­nelle Flächen, auf denen nach meinem Eindruck viele Insekten unter­wegs waren.“

Vonein­ander lernen

Carsten Behr erfuhr dank der Beikraut­kar­tie­rung, dass auf seinem Acker zwei Labkraut­arten wachsen.

Dass sich das volle Ausmaß des Herbi­zid­ver­zichts erst in einigen Jahren zeigen wird, bereitet Löhr keine Sorgen: „Die Fläche ist mit zwei Hektar sehr über­sicht­lich. Das Risiko ist mir klar, aber das bringt mich nicht um.“ Außerdem bekommen die Projekt­teil­nehmer neben einer kleinen Entschä­di­gung auch einen Acker­bau­be­rater zur Seite gestellt.

Löhr erfuhr früh vom FINKA-Projekt, weil er ehren­amt­lich im Land­volk Landes­bau­ern­ver­band aktiv ist und lange Zeit Vorsit­zender des Netz­werks Ackerbau war. Beide Orga­ni­sa­tionen wirken am Projekt mit. Obwohl Löhr über­zeugt konven­tio­nell wirt­schaftet, trieb ihn die Neugier um, wie man Unkraut und Insekten ohne Herbi­zide und Insek­ti­zide in den Griff bekommen kann. „Ich habe das Projekt für mich genannt „vom Biobauern lernen“. Wir alle wissen nicht, wie die Zukunft aussieht. Aber Pflan­zen­schutz­mit­tel­zu­las­sungen werden immer weniger. Von daher werden wir zwangs­weise wieder mehr auf alther­ge­brachte Maßnahmen zurück­greifen müssen“, erklärt er. Auf biolo­gi­sche Land­wirt­schaft will er trotzdem nicht umstellen. „Aber ich hätte mit FINKA nicht ange­fangen, wenn ich eine grund­sätz­lich nega­tive Meinung gegen­über Bio gehabt hätte.“

Seinen Kollegen Carsten Behr reizte die wissen­schaft­liche Beglei­tung. Für ihn hat sich die Teil­nahme am Projekt schon gelohnt, weil er viel gelernt hat – beispiels­weise, welche Beikräuter auf seinem Acker wachsen. „Es wird immer gesagt, Bioland­wirt­schaft sei arten­rei­cher. Ich finde es wichtig, dass die Auswir­kungen des Herbi­zid­ver­zichts endlich auf solide Zahlen gestützt werden. Da ist es auch sehr inter­es­sant, dass der Versuch über mehrere Jahre ange­legt ist“, beschreibt Behr seine Beweg­gründe für die Teil­nahme am Projekt.

Beide Betriebs­leiter sind gespannt auf das nächste Jahr. Da wollen sie Zucker­rüben anbauen. Ohne Herbi­zide und Insek­ti­zide bedeutet das viel Arbeit, um die Hack­frucht unkraut­frei zu halten. Doch Carsten Behr und Ulrich Löhr sind sicher, dass sie auch diese Heraus­for­de­rung gemeinsam meis­tern werden. „Das FINKA-Projekt würde ich nicht mit jedem machen“, stellt Löhr klar. „Nach­barn hat man und Freunde sucht man sich aus. Aber in unseren Fall ist es gut gegangen.“

Das FINKA-Projekt

Wie wirkt sich der Verzicht auf chemisch-synthe­ti­sche Insek­ti­zide und Herbi­zide betriebs­wirt­schaft­lich und arbeits­tech­nisch aus? Welchen Einfluss hat er auf die Beikraut- und Insek­ten­vielfat? Und wie kann dieser Verzicht in der Praxis erfolg­reich umge­setzt werden? Das sind die Fragen, die die Mitwir­kenden des Projekts zur Förde­rung von Insekten im Ackerbau (FINKA) klären wollen.

Dazu gehen 30 ökolo­gi­sche und 30 konven­tio­nelle Land­wirte aus Nieder­sachsen Betriebs­parn­ter­schaften ein. Der konven­tio­nelle Betrieb verzichtet für fünf Jahre auf einer Teil­fläche von ein bis drei Hektar auf den Einsatz chemisch-synthe­ti­scher Insek­ti­zide und Herbi­zide, wobei ihn der ökolo­gi­sche Betrieb unter­stützt. Aus den Ergeb­nissen sollen Praxis­emp­feh­lungen abge­leitet werden, wie sich der Verzicht auf Herbi­zide und Insek­ti­zide erfolg­reich umsetzen lässt. Das Ziel ist eine höhere Biodi­ver­sität von Insekten in der Agrar­land­schaft. Das Projekt aus dem Bundes­pro­gramm für Biolo­gi­sche Viel­falt star­tete im Herbst 2020.


Verbund­partner sind:

  • Das Kompe­tenz­zen­trum Ökolandbau Nieder­sachsen
  • Land­volk Nieder­sachsen Landes­bau­ern­ver­band
  • Netz­werk Ackerbau Nieder­sachsen
  • Zoolo­gi­sches Forschungs­mu­seum Alex­ander Koenig
  • Georg-August-Univer­sität Göttingen

Förde­rung:

  • Bundesamt für Natur­schutz (BfN)
  • Bundes­mi­nis­te­rium für Umwelt, Natur­schutz und nukleare Sicher­heit (BMU)
  • Nieder­säch­si­scher Landes­be­trieb für Wasser­wirt­schaft, Küsten- und Natur­schutz (NLWKN)
  • Land Nieder­sachsen

Projekt­lei­tung:

Sara Kusch­ne­reit, 04262/9593-69, S.Kuschnereit@oeko-komp.de

Website:

www.finka-projekt.de

Die Betriebe

Ulrich Löhr

  • 273 ha Acker­land, 7 ha Grün­land
  • Geflü­gel­hal­tung und Biogas
  • Acker­kul­turen: Gerste, Weizen, Mais, Raps, Zucker­rüben, Erbsen
  • Mitar­beiter: 1 Fest­an­ge­stellter, 1 Azubine

Carsten Behr

  • Ökolo­gi­sche Bewirt­schaf­tung nach Natur­land (1. Jahr voll aner­kannt)
  • 250 ha Ackerbau, 9 ha Grün­land
  • Acker­kul­turen: Hafer, Sommer­weizen, Körner­mais, Zucker­rüben, Klee­gras, Acker­bohne
  • Mitar­beiter: 1 Fest­an­ge­stellter, 2 Aushilfen –> 1,5 Voll­zeit­kräfte