Glück­liche Kühe sind produk­tiver

Die sozialen Bedürf­nisse und Verhal­tens­muster von Milch­kühen ähneln noch immer stark denen ihrer Urahnen. Nur, wer dieses natür­liche Verhalten versteht und weiß, was für eine Kuh „normal“ ist, kann ihre Gesund­heit und ihr psycho­lo­gi­sches Wohl­be­finden gewähr­leisten.

Vor mehr als 20 Jahren veran­stal­teten zwei Tier­ärzte aus den Nieder­landen, Joep Driessen und Jan Hulsen ihren ersten CowSi­gnals-Work­shop. Sie wollen Land­wirte, Tier­ärzte und Berater darüber aufklären, wie sie für mehr Kuhwohl sorgen können, welche Rolle es für die Krank­heits­prä­ven­tion hat und wie sich dadurch mehr Umsatz gene­rieren lässt.

Die Popu­la­rität der CowSi­gnals-Work­shops ist bei Milch­bauern weiterhin hoch. Erst kürz­lich wurde eine Work­shop-Reihe auf verschie­denen Farmen im ganzen Verei­nigten König­reich über das Agri­cul­ture and Horti­cul­ture Deve­lo­p­ment Board (AHDB) veran­staltet. Der briti­sche Tier­arzt Owen Atkinson, Gründer von „Dairy Vete­ri­nary Consul­tancy“, hat bereits zahl­reiche Work­shops durch­ge­führt.

CowSi­gnals-Dozent und „Dairy Vete­ri­nary Consultancy“-Gründer Owen Atkinson.

„Im Grunde appel­lieren wir an den gesunden Menschen­ver­stand“, so Atkinson. „Das Verhalten einer einzelnen Kuh und der Herde liefert uns viele Hinweise darauf, wie wir uns um sie kümmern und wie ihre Umge­bung gestalten sollten. Wir wollen den Blick der Tier­halter schärfen und sie zum Nach­denken und Handeln anregen. Mit unserer Hilfe verstehen die Tier­be­treuer und Melker nicht nur die Körper­sprache der Kuh besser, sondern auch die Inter­ak­tionen einer Kuh mit ihrer Herde.“

Das Verhalten einer Kuh und der Herde liefert uns viele Hinweise darauf, wie wir uns um sie kümmern sollten.

Owen Atkinson

Denn häufig leiden die Betreibs­leiter und ihre Mitar­beiter unter Betriebs­blind­heit, so Atkinson: Das Offen­sicht­liche wird aus Gewohn­heit über­sehen. „Eine große Hilfe sind Check­listen, die wir gemeinsam erstellen.

Jeder hat immer nur seinen Bereich im Blick: Ein Fütte­rungs­be­rater schaut auf den Dung und den Umgang mit dem Futter, den Herden­be­treuer inter­es­siert die Bruns­t­er­ken­nung, der Gene­tiker schaut nach dem Exte­rieur. Jeder muss aber über seinen Teller­rand hinaus­bli­cken.“

Ein Kurs für das Wohl der Kühe

  • Die Work­shops beginnen mit der Erläu­te­rung der CowSi­gnals-Konzepte. Dazu gehören die ‚Sechs Frei­heiten der Weide‘: Wasser, Futter, Licht, Luft, Ruhe und Raum (siehe Kasten). Auch bei der Stall­hal­tung sollte auf diese Grund­be­dürf­nisse geachtet werden.
  • Anschlie­ßend stellen sich die Teil­nehmer in einen Futter­durch­gang und beob­achten die Kühe beim Fressen. Ist es eng? Warten viele Kühe? Gibt es Konflikte? Werden Kühe beläs­tigt oder zeigen sie Domi­nanz? 
  • Dann gehen wir weiter ins Detail. Gibt es Klau­en­be­schwerden? Wie viele Kühe haben einen Body Condi­tion Score von weniger als 2,5 oder mehr als 3,5? Wie gut können sie in ihren Liege­boxen aufstehen und aus ihnen heraus­kommen? Wie viel Platz haben die Kühe am Futter­trog, erwärmt sich das Futter und sortieren die Kühe es?
  • Dann sehen wir uns eine weniger domi­nante Kuh an: Wie steht es um ihre Atmung, Sauber­keit, Body Condi­tion Score, Pansen­vo­lumen und gibt es Verlet­zungen? All das gibt Aufschluss über Probleme.
CowSi­gnals-Work­shops vermit­teln fundierte, logi­sche Hand­lungs­emp­feh­lungen.

Sich darüber klar zu werden, in welchen Berei­chen es gut läuft und wo Verbes­se­rungs­mög­lich­keiten bestehen, führt zu einem Maßnah­men­plan für den Betrieb, erklärt Atkinson. „Der Gast­ge­ber­be­trieb hat natür­lich den Vorteil, dass zwölf Augen­paare die Kühe beob­achten und neue Ideen einbringen.“

Ausrei­chend Raum schaffen

Laut Atkinson wird der Raum­be­darf häufig vernach­läs­sigt. „Kühe brau­chen genug Raum, um ihre natür­li­chen Verhal­tens­weisen ausleben und sich frei bewegen zu können. Ausrei­chend Raum heißt auch: Es gibt weniger Stress durch Hier­ar­chien, jede Kuh erhält genug Futter und kann Umwelt­ein­flüssen wie Feuchte, Hitze und Dung auswei­chen. Wenn genü­gend Fläche vorhanden ist, dann sind die Böden sauberer. Das ist enorm wichtig für die Klau­en­ge­sund­heit.“

10 m² pro Kuh sind in einem modernen Stall optimal, davon sollten 3 bis 3,5 m² Liege­fläche sein.

Im Verei­nigten König­reich hat jede Kuh im Schnitt zwischen 6 und 8 m² zur Verfü­gung. Für moderne Verhält­nisse wären laut Atkinson aller­dings mindes­tens 10 m² pro Kuh optimal, wovon 3 bis 3,5 m² Liege­fläche sein sollten. „Die Raum­auf­tei­lung hat einen großen Einfluss auf die Funk­ti­ons­weise des Stalls und den ‚Fluss der Kühe‘. Es sollte keine Sack­gassen sowie schmale Ecken oder  Durch­gänge geben. Beson­ders der Platz in den Futter­be­rei­chen und um die Melk­ro­boter oder Melk­stand herum muss ausrei­chend groß sein. Hier treffen viele Kühe aufein­ander und Domi­nanz­ver­halten kann zu Verlet­zungen führen.“

Ab neun Stunden Liege­zeit bedeutet jede zusätz­liche Stunde bis zum Maximum von 12 Stunden einen zusätz­li­chen Liter Milch.

Owen Atkinson

Reicht der Platz nicht aus, dann stauen sich die Kühe, erklärt Atkinson. „Diese Kühe warten und fressen nicht, sie liegen aber auch nicht, um wieder­zu­käuen. Sie suchen entweder nach einem bequemen Liege­platz oder einen Platz am Futter­trog. Zu keinem Zeit­punkt sollten mehr als 15 % der Kühe warten.“

Den Tages­ab­lauf kennen

Das Zeit-Budget-Konzept beschreibt die Tages­ak­ti­vi­täten einer Kuh, die wichtig sind für die Gesund­heit, das Wohl­be­finden und die Produk­ti­vität. 12 von 24 Stunden sollte die Kuh liegend verbringen. Acht bis zehn Stunden davon sollte sie wieder­käuen. Dies erfolgt in bestimmten Zeit­ab­schnitten, die nicht länger als eine Stunde dauern, so Atkinson.

„Fressen ist die nächste große Akti­vität. Eine Kuh im Stall verbringt vier bis fünf Stunden mit Fressen, doch die Anzahl der Fress­vor­gänge ist entschei­dend. Weniger domi­nante Kühe gehen dreimal zur Futter­stelle. Ideal sind aller­dings sieben bis acht Fress­vor­gänge über den Tag verteilt. Der Grund ist die Evolu­tion: Kühe fressen wenig, aber dafür häufiger, damit der pH‑Wert im Pansen und damit seine Funk­tion im Gleich­ge­wicht bleiben. Zu wenige Fress­vor­gänge können zu einer Acidose führen.“

Das häufige Aufschüt­teln des Futters regt die Kühe zu häufi­geren Fress­vor­gängen an und vermeidet das Sortieren von Futter.

Für Atkinson steht fest: Kühe gehen weniger häufig zur Futter­stelle, wenn nicht genug Platz vorhanden ist. „Schaut ein Land­wirt um 22 Uhr im Stall vorbei, kann es sein, dass gerade keine Kuh frisst. Man darf aber nicht vergessen, dass Kühe Herden­tiere sind – sie wollen zusammen fressen und zusammen liegen. Gibt es nur 100 Stall­plätze für 110 Kühe, können sie nicht 12 Stunden pro Tag liegen. Ab neun Stunden Liege­zeit bedeutet jede zusätz­liche Stunde bis zum Maximum von 12 Stunden einen zusätz­li­chen Liter Milch.“

Um mehr Raum zu schaffen, bietet es sich an, die Besatz­dichte entspre­chend zu redu­zieren. Alter­nativ können auch die Stall­fläche vergrö­ßert oder eine Außen­fläche ange­legt werden. Letz­teres ist für Atkinson die kosten­güns­tigste Option. „Eine Außen­fläche entlastet die Stall­nut­zung. Land­wirte müssen nur einen elek­tri­schen Zaun errichten, die Stall­türen öffnen und die Weide für die  Kühen öffnen.“

Sechs Frei­heiten der Kuh auf der Weide

  • Wasser – 50–115 Liter/Tag
  • Futter – Trog­grund­fläche 1 m² für 60 Kühe. 10 cm Troglänge/Kuh
  • Licht – 200 lux 16 Stunden/Tag
  • Luft – 0–15 °C. Über 22 °C führt zu Hecheln
  • Ruhe – Kühe schlafen nur rund 20 Minuten/Tag, müssen aber mindes­tens 12 Stunden/Tag liegen
  • Raum – 10 m²/Kuh. Kühe benö­tigen Platz zum Sozia­li­sieren und Aufbauen von Hier­ar­chien. Zum Fressen werden je Kuh 66–70 cm benö­tigt. Beträgt der Futter­raum weniger als 60 cm/Kuh, nehmen domi­nan­tere Kühe den schwä­cheren das Futter weg. Die Berech­nung sollte auf der Anzahl der Kühe basieren, nicht auf der Anzahl der einzelnen Ställe, da diese auch über­be­legt werden könnten.

(kvf.fo und andere Quellen)

Lernen von einer Holstein-Herde in Schott­land

Sandy Milne ist Leiter der Robert Milne Betriebe bei East Pitforthie, nahe Brechin, Angus, in Schott­land. Auf 500 ha werden Ackerbau und Milch­vieh­hal­tung mit 405 Kühen und ihren Jung­tieren betrieben. Die Holstein-Herde kalbt das ganze Jahr über und wird dreimal täglich gemolken. Die durch­schnitt­liche Milch­leis­tung liegt bei 11 500 Litern mit 4 % Fett und 3,25 bis 3,3 % Protein.

Milne gibt seinen Mitar­bei­tern viele Möglich­keiten zur Weiter­bil­dung. „Wir wollen, dass unsere Mitar­beiter die Kühe versteht. Deswegen haben wir kürz­lich einen CowSi­gnals-Work­shop über das AHDB veran­staltet, den Owen Atkinson von Dairy Vete­ri­nary Consul­tancy geleitet hat.”

CowSi­gnals-Work­shop auf dem Hof von Sandy Milne in Schott­land.

Über die klini­sche Mastitis macht sich Milne viele Gedanken. „Die Zellen­zahl ist bei uns zwar gut, dennoch möchten wir das Problem der klini­schen Mastitis lösen. Für Kühe, die gerade gekalbt haben, nutzen wir eine Stroh­fläche, die aber schnell zu voll werden kann. Owen hat uns erklärt, dass sich Kühe mit E. coli infi­zieren können, was nicht immer sofort als Mastitis erkennbar ist, bis die Lakta­tion schon fort­ge­schritten ist. Wir werden dafür sorgen, dass wir nie zu viele Kühe an einer Stelle haben, um genau das zu verhin­dern.“

Milne will außerdem Ställe für die Kälber errichten, die aktuell noch auf Stroh­flä­chen unter­ge­bracht sind. Auf diese Weise sind die Kälber weniger gestresst, wenn sie in die Herde kommen. Zudem schüt­telt er das Futter häufiger auf, um die Kühe zu häufi­geren Fress­vor­gängen anzu­regen und das Sortieren von Futter zu vermeiden.

Der Work­shop hat viele Einblicke ermög­licht und neue Perspek­tiven eröffnet.

Sandy Milne

Owen Atkinson hat ange­merkt, dass der ,Kuhfluss‘ des Stalls, der 2003/2004 errichtet wurde, optimal ist: „Er hat gesagt, die Bauweise sei wirk­lich ihrer Zeit voraus. Das hat mich sehr gefreut“, sagt Milne. „In den Futter- und Auffang­be­rei­chen möchten wir jedoch noch gern Gummi auslegen. Ob diese Verän­de­rungen zu mehr Umsatz führen, können wir jetzt noch nicht sagen. Es spricht aber vieles dafür, dass sich durch diese Maßnahmen viel verän­dert.

Der Work­shop hat viele Einblicke ermög­licht und neue Perspek­tiven eröffnet. Wir betrachten die tägliche Routine der Kuh nun aus ihrer Sicht und können so einiges dazu beitragen, dass es ihr besser geht und sie im Umkehr­schluss mehr Milch produ­ziert.“