Herr Schmitz, was ist die Aufgabe von Crop Trust?
In fast jedem Land gibt es mindestens einen Ort, an dem Menschen das Saatgut von allen Nutzpflanzen-Sorten dieses Landes sammeln, bewahren und damit erhalten – das sind sogenannte Saatgut-Bänke. Mit diesen Stellen arbeiten wir zusammen und lagern im Tresor in Spitzbergen Sicherungskopien dieses Saatguts. Das muss man sich vorstellen, wie wenn jemand seine digitale Arbeit nicht nur auf seinem PC sichert, sondern zusätzlich auf einer sehr robusten Festplatte in einem Banksafe lagert.
Warum ist es wichtig, einen Saatgut-Tresor zu haben?
In dem Tresor können wir das Saatgut wirklich sicher aufbewahren und hoffen so, dass dieser Schatz unserer Kultur nicht verloren geht. Er liegt im Inneren eines Bergmassivs und ist bei konstanten -18 Grad Celsius verschlossen. Nehmen wir mal an, in einem Land bricht ein Krieg oder ein Vulkan aus. Dann ist möglicherweise die Saatgut-Bank dieses Landes zerstört und die dortigen Pflanzenzüchter können auf keine gelagerte Vielfalt heimischer Nutzpflanzen mehr zurückgreifen. Im Tresor haben wir für solche Fälle einen guten Grundstock an Saatgut gesichert.
Welche Bedeutung hat die Erhaltung der genetischen Vielfalt von Nutzpflanzen für Landwirte?
Saatenvielfalt ist etwas, das der Mensch selbst geschaffen hat, seit er vor etwa 12.000 Jahren anfing Ackerbau zu betreiben. Heute gibt es weltweit mehr als 200.000 Weizensorten, über 100.000 Reissorten und tausende Kartoffelsorten. Ständig bediente sich der Mensch aus dieser wachsenden Vielfalt und entwickelte sie durch spontane Kreuzung oder gezielte Züchtung weiter, um den sich veränderten Umweltbedingungen gewachsen zu sein. Diese Bedingungen waren das Klima, Krankheiten wie Pilze oder auch Schädlinge oder schlicht und einfach der Standort, der sich ändern sollte. Was der Mensch sich bis heute geschaffen hat, ist ein schier unendlicher Setzkasten aus Antworten auf jeweils unterschiedliche natürliche Herausforderungen.
Dann, im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft, wurde diese Vielfalt weniger benötigt. Hochertragssorten und standardisierte Produkte waren und sind gefragt. Denn das ist die Grundlage unseres Wohlstandes und der Ernährungssicherheit. Heute wissen wir aber auch, dass es immer noch wichtig ist, für Klimaveränderungen, neue Pflanzenkrankheiten oder Schädlinge gewappnet sein. Deswegen erhalten wir diese Vielfalt in Saatgutbanken. In Zukunft wird diese Vielfalt als Rohmaterial für weitere Züchtung noch wichtiger werden.
Wer kann Saatgut abgeben und wer hat Zugang zu dem Saatgut?
In der Regel geht das über die nationalen Saatgutbanken. Diese sind die lokalen Anlaufstellen für Saatgut, das langfristig aufbewahrt werden soll. Von dort aus werden Sicherungskopien nach Norwegen geschickt. Das Eigentum bleibt aber bei denen, die es eingesendet haben. Wer bei uns einlagert, muss das Saatgut aber nach dem internationalen Saatgutvertrag anderen Forschern und Züchtern auf der Welt zur Verfügung stellen. Das Prinzip ist also: Freier Zugang weltweit auf diese genetischen Ressourcen.
Man kann sagen, es gibt nur zwei Gründe, aus denen aus dem Tresor in Norwegen Material entnommen wird: Erstens, wenn die „Originale“ am Heimatstandort durch Feuer, Kriege oder Erdbeben verloren gegangen sind und zweitens, wenn die eingelagerte Saat nicht mehr keimfähig ist.
Wie bleibt das Saatgut keimfähig?
Die Mitarbeitenden der nationalen Saatgutbanken nehmen etwa alle zwei Jahre einen Teil aus dem Saatgutproben heraus, sähen die Körner im jeweiligen Heimatstandort aus und schauen dann, ob sie keimen. Wenn 95 % der Saatkörner keimen, dann gehen wir davon aus, dass auch die auf Spitzbergen eingelagerten Körner noch keimfähig sind. Lässt aber die Keimfähigkeit am Heimatstandort nach, dann müssen nicht nur die Proben dort, sondern auch die Duplikate auf Spitzbergen ausgetauscht werden. Denn was nützt Ihnen ein Saatgut, das biologisch tot ist?
Damit das Saatgut lange hält, muss es vor der Einlagerung gut getrocknet und vakuumiert sein. Dann kann es bei -18 Grad Celsius je nach Pflanzenart und Sorte seine Keimfähigkeit bis zu 50 Jahre halten.
Wie sieht der Saatgut-Tresor in seinem Inneren aus?
Wer wissen möchte, wie der Tresor im Berg aussieht, kann sich hier selbst umschauen:
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Warum sind diese konservierten Samen relevant, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen?
Im Wesentlichen erfolgt Evolution nicht dadurch, dass sich ein einzelnes Individuum anpasst, sondern über generationenübergreifende Mutation und Selektion. Bei 20 bis 30 verschiedenen Sorten wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine dabei sein, die für einen bestimmten Boden geeignet ist. Durch das Prinzip „Survival of the fittest“ kann sich dann eine Pflanze durchsetzen und vermehrt sich. Umso besser ist es, mehr Sorten zu bewahren, anstatt weniger.
Es ist wichtig für Klimaveränderungen, neue Pflanzenkrankheiten oder Schädlinge gewappnet sein.
Stefan Schmitz, Global Crop Diversity Trust
Welche Beispiele für die erfolgreiche Kooperationen mit Landwirten oder der Züchtung gibt es?
Marokko hat zum Beispiel mit Hilfe eines wilden Verwandten von Hartweizen eine neue Weizensorte gezüchtet, die sehr gut mit Trockenheit umgehen kann. In Peru ist es gelungen, mit wilden Artverwandten eine neue Sorte Kartoffeln zu züchten, die weitgehend resistent gegen Kraut- und Knollenfäule ist. Dadurch ist es möglich, weniger Pestizide einzusetzen.
Im Jahr 2024 schauen Sie auf eine 20-jährige Geschichte des Crop Trust. Was wird in Zukunft wichtig sein?
Ich denke, es wäre wichtig, wenn wir Menschen ein breiteres Verständnis für die Wichtigkeit der Erhaltung der Vielfalt von Nutzpflanzen bekämen. Glücklicherweise haben wir mit dem Saatgut-Tresor schon einen guten Anfang machen können. Den sicheren Ort gibt es jetzt. Und da er bisher nur zu einem Drittel gefüllt ist, haben wir noch Platz für viel mehr Sorten.