Saatgut im ewigen Eis

Der Global Crop Diver­sity Trust („Crop Trust“) will die gene­ti­sche Viel­falt aller land­wirt­schaft­li­cher Nutz­pflanzen bewahren. Das Saatgut lagert in einem gigan­ti­schen Tresor in einem Berg der norwe­gi­schen Insel Spitz­bergen. Im Inter­view erklärt der Geschäfts­führer Stefan Schmitz, wem das nützt.

Herr Schmitz, was ist die Aufgabe von Crop Trust?

In fast jedem Land gibt es mindes­tens einen Ort, an dem Menschen das Saatgut von allen Nutz­pflanzen-Sorten dieses Landes sammeln, bewahren und damit erhalten – das sind soge­nannte Saatgut-Bänke. Mit diesen Stellen arbeiten wir zusammen und lagern im Tresor in Spitz­bergen Siche­rungs­ko­pien dieses Saat­guts. Das muss man sich vorstellen, wie wenn jemand seine digi­tale Arbeit nicht nur auf seinem PC sichert, sondern zusätz­lich auf einer sehr robusten Fest­platte in einem Bank­safe lagert.

Stefan Schmitz ist geschäfts­füh­render Direktor der inter­na­tio­nalen Orga­ni­sa­tion Global Crop Diver­sity Trust.

Warum ist es wichtig, einen Saatgut-Tresor zu haben?

In dem Tresor können wir das Saatgut wirk­lich sicher aufbe­wahren und hoffen so, dass dieser Schatz unserer Kultur nicht verloren geht. Er liegt im Inneren eines Berg­mas­sivs und ist bei konstanten -18 Grad Celsius verschlossen. Nehmen wir mal an, in einem Land bricht ein Krieg oder ein Vulkan aus. Dann ist mögli­cher­weise die Saatgut-Bank dieses Landes zerstört und die dortigen Pflan­zen­züchter können auf keine gela­gerte Viel­falt heimi­scher Nutz­pflanzen mehr zurück­greifen. Im Tresor haben wir für solche Fälle einen guten Grund­stock an Saatgut gesi­chert.

Welche Bedeu­tung hat die Erhal­tung der gene­ti­schen Viel­falt von Nutz­pflanzen für Land­wirte?

Saaten­viel­falt ist etwas, das der Mensch selbst geschaffen hat, seit er vor etwa 12.000 Jahren anfing Ackerbau zu betreiben. Heute gibt es welt­weit mehr als 200.000 Weizen­sorten, über 100.000 Reis­sorten und tausende Kartof­fel­sorten. Ständig bediente sich der Mensch aus dieser wach­senden Viel­falt und entwi­ckelte sie durch spon­tane Kreu­zung oder gezielte Züch­tung weiter, um den sich verän­derten Umwelt­be­din­gungen gewachsen zu sein. Diese Bedin­gungen waren das Klima, Krank­heiten wie Pilze oder auch Schäd­linge oder schlicht und einfach der Standort, der sich ändern sollte.  Was der Mensch sich bis heute geschaffen hat, ist ein schier unend­li­cher Setz­kasten aus Antworten auf jeweils unter­schied­liche natür­liche Heraus­for­de­rungen.

Dann, im Zuge der Indus­tria­li­sie­rung der Land­wirt­schaft, wurde diese Viel­falt weniger benö­tigt. Hoch­er­trags­sorten und stan­dar­di­sierte Produkte waren und sind gefragt. Denn das ist die Grund­lage unseres Wohl­standes und der Ernäh­rungs­si­cher­heit. Heute wissen wir aber auch, dass es immer noch wichtig ist, für Klima­ver­än­de­rungen, neue Pflan­zen­krank­heiten oder Schäd­linge gewappnet sein. Deswegen erhalten wir diese Viel­falt in Saat­gut­banken. In Zukunft wird diese Viel­falt als Rohma­te­rial für weitere Züch­tung noch wich­tiger werden.

Wer kann Saatgut abgeben und wer hat Zugang zu dem Saatgut?

In der Regel geht das über die natio­nalen Saat­gut­banken. Diese sind die lokalen Anlauf­stellen für Saatgut, das lang­fristig aufbe­wahrt werden soll. Von dort aus werden Siche­rungs­ko­pien nach Norwegen geschickt. Das Eigentum bleibt aber bei denen, die es einge­sendet haben. Wer bei uns einla­gert, muss das Saatgut aber nach dem inter­na­tio­nalen Saat­gut­ver­trag anderen Forschern und Züch­tern auf der Welt zur Verfü­gung stellen. Das Prinzip ist also: Freier Zugang welt­weit auf diese gene­ti­schen Ressourcen.

Man kann sagen, es gibt nur zwei Gründe, aus denen aus dem Tresor in Norwegen Mate­rial entnommen wird: Erstens, wenn die „Origi­nale“ am Heimat­standort durch Feuer, Kriege oder Erdbeben verloren gegangen sind und zwei­tens, wenn die einge­la­gerte Saat nicht mehr keim­fähig ist.

Das Bauwerk reicht 120 Meter in den Berg hinein, nur der Eingang liegt über der Erde.

Die Lager­hallen, 130 Meter über dem Meeres­spiegel, sind zudem durch Stahl­türen geschützt, damit sie auch einem Atom­krieg oder einem Flug­zeug­ab­sturz stand­halten.

Wie bleibt das Saatgut keim­fähig?

Die Mitar­bei­tenden der natio­nalen Saat­gut­banken nehmen etwa alle zwei Jahre einen Teil aus dem Saat­gut­proben heraus, sähen die Körner im jewei­ligen Heimat­standort aus und schauen dann, ob sie keimen. Wenn 95 % der Saat­körner keimen, dann gehen wir davon aus, dass auch die auf Spitz­bergen einge­la­gerten Körner noch keim­fähig sind. Lässt aber die Keim­fä­hig­keit am Heimat­standort nach, dann müssen nicht nur die Proben dort, sondern auch die Dupli­kate auf Spitz­bergen ausge­tauscht werden. Denn was nützt Ihnen ein Saatgut, das biolo­gisch tot ist?

Damit das Saatgut lange hält, muss es vor der Einla­ge­rung gut getrocknet und vaku­um­iert sein. Dann kann es bei -18 Grad Celsius je nach Pflan­zenart und Sorte seine Keim­fä­hig­keit bis zu 50 Jahre halten.  

Wie sieht der Saatgut-Tresor in seinem Inneren aus?

Wer wissen möchte, wie der Tresor im Berg aussieht, kann sich hier selbst umschauen:

Zur virtu­ellen 360° Tour

Warum sind diese konser­vierten Samen rele­vant, um den Heraus­for­de­rungen des Klima­wan­dels zu begegnen?

Im Wesent­li­chen erfolgt Evolu­tion nicht dadurch, dass sich ein einzelnes Indi­vi­duum anpasst, sondern über gene­ra­tio­nen­über­grei­fende Muta­tion und Selek­tion. Bei 20 bis 30 verschie­denen Sorten wird mit hoher Wahr­schein­lich­keit eine dabei sein, die für einen bestimmten Boden geeignet ist. Durch das Prinzip „Survival of the fittest“ kann sich dann eine Pflanze durch­setzen und vermehrt sich. Umso besser ist es, mehr Sorten zu bewahren, anstatt weniger.

Es ist wichtig für Klima­ver­än­de­rungen, neue Pflan­zen­krank­heiten oder Schäd­linge gewappnet sein.

Stefan Schmitz, Global Crop Diver­sity Trust

Welche Beispiele für die erfolg­reiche Koope­ra­tionen mit Land­wirten oder der Züch­tung gibt es?

Marokko hat zum Beispiel mit Hilfe eines wilden Verwandten von Hart­weizen eine neue Weizen­sorte gezüchtet, die sehr gut mit Trocken­heit umgehen kann. In Peru ist es gelungen, mit wilden Artver­wandten eine neue Sorte Kartof­feln zu züchten, die weit­ge­hend resis­tent gegen Kraut- und Knol­len­fäule ist. Dadurch ist es möglich, weniger Pesti­zide einzu­setzen.

Im Jahr 2024 schauen Sie auf eine 20-jährige Geschichte des Crop Trust. Was wird in Zukunft wichtig sein?

Ich denke, es wäre wichtig, wenn wir Menschen ein brei­teres Verständnis für die Wich­tig­keit der Erhal­tung der Viel­falt von Nutz­pflanzen bekämen. Glück­li­cher­weise haben wir mit dem Saatgut-Tresor schon einen guten Anfang machen können. Den sicheren Ort gibt es jetzt. Und da er bisher nur zu einem Drittel gefüllt ist, haben wir noch Platz für viel mehr Sorten.

Zahlen und Fakten rund um das Saatgut auf unserer Erde

1.700
Saat­gut­banken
gibt es auf der ganzen Welt

1,2 Mio
Saatgut-Muster befinden sich derzeit im Tresor, Platz wäre aller­dings für 4,5 Mio

500
Körner Saatgut befinden sich in einem einzigen einge­la­gerten Tütchen

600 Mio
Samen sind derzeit sicher im Tresor einge­la­gert.