Über 50 Jahre lang war Ed Dillinger in seiner Heimat Kansas Schiedsrichter für High-School-Basketball und Football. Für den 87-Jährigen war dies eine Übung in Disziplin. Er musste das Spielgeschehen verfolgen und gleichzeitig alles um ihn herum im Blick behalten.
So ähnlich ist es auch in der Bisonzucht. „Wenn Sie sich in der Nähe von Bisons oder anderen wilden Tieren aufhalten, hängt Ihr Überleben zu einhundert Prozent davon ab, dass diese sich Ihrer Anwesenheit voll bewusst sind“, erklärt Dillinger, dessen Ranch in der Nähe von Westmoreland, Kansas, im Herzen der Tallgrass-Prärie liegt. „Bei fast jeder Sportart haben Sie als Schiedsrichter zwei Aufgaben. Erstens: Konzentration auf den Ball bzw. den Ort, an dem gerade die Aktion stattfindet. Zweitens: Konzentration auf das, drum herum geschieht. Erst dann wird ein Schuh draus.“
Mit einem Gewicht von fast einer Tonne und einer Körpergröße von fast zwei Metern sind die Bisonbullen die größten Säugetiere Nordamerikas. Bisonkühe wiegen etwa halb so viel. Die Tiere können mit einer Geschwindigkeit von fast 55 km/h rennen und über zwei Meter hoch springen.
Man muss ihnen mit Respekt begegnen, betont Dillinger. Zusammen mit seiner Frau Susan, seinem Sohn Kyle und seiner Schwiegertochter Kellie bewirtschaftet er die Lazy Heart D Ranch, wo sie Bisons, Beefmaster-Rinder und Morgan-Pferde aus einer fast 100 Jahre alten Blutlinie halten.
Dillinger hat eine abwechslungsreiche berufliche Laufbahn hinter sich. Unter anderem war er Sport- und Fahrschullehrer in Wichita, Kansas, sowie strategischer Berater und Vermittler für das Institute of Cultural Affairs in Taiwan, Indien und Sambia. Nach zehn Jahren im Ausland kehrte Dillinger nach Kansas zurück, um als Sonderpädagoge zu arbeiten. 1993 kaufte er die Ranch und benannte sie in Lazy Heart D Ranch um.
Ich wusste rein gar nichts über Büffel – ich wusste gerade mal, wer Buffalo Bill war. Also besuchte ich einige Ranches und entwickelte einen Plan.
Ed Dillinger
„Während meiner Arbeit mit behinderten Kindern kam mir der Gedanke, ich nenne es einmal eine Opa-Farm, zu gründen“, erinnert sich Dillinger. „In meiner Kindheit hatte jeder jemanden mit einem Bauernhof in der Familie, den man besuchen konnte. Heute gibt es sowohl Kinder als auch Erwachsene, die noch nie in ihrem Leben auf einer Farm waren.“
Deshalb begann er, Führungen anzubieten. „Und dann dachte ich: Wäre es nicht cool, wenn ich hier draußen ein paar Bisons hätte?“, erklärt er rückblickend. Bisons waren einst in ganz Nordamerika verbreitet, lebten jedoch vorwiegend in den Prärien der High Plains. „Ich wusste rein gar nichts über Büffel – ich wusste gerade mal, wer Buffalo Bill war. Also besuchte ich einige Ranches und entwickelte einen Plan.“ 1995 kaufte er die ersten drei Färsenkälber, im Jahr darauf drei weitere – und seitdem hat er nie wieder zurückgeblickt.
Mit Unterstützung seiner Familie führt Dillinger etwa 100 Führungen pro Jahr durch. Während einer Fahrt auf einem Heuwagen über seine 160 ha Weideland in den Flint Hills, wo die 40-köpfige Herde grast, bringt er seinen Gästen die Geschichte der Bisons in Kansas näher. Hier in der Prärie, wo die Bisons einst in Scharen umherzogen, können die Gäste die Herde mit der Hand füttern. Es ist eine seltene Gelegenheit, den riesigen Tieren so nahe zu kommen.
Im Gästebuch von Lazy Heart D findet man Schüler aus Deutschland, internationale Studentengruppen von der nahegelegenen Kansas State University und viele Familien, Schulgruppen und Bürgerorganisationen. Sstatt Eintritt für seine Führungen zu verlangen, bittet Dillinger die Teilnehmer um Geldspenden für einen örtlichen Sozialdienst oder eine Lebensmittelausgabe. Bei Schulklassen und Jugendgruppen bittet er die Lehrer oder Leiter, die Kinder ein Projekt durchführen zu lassen, mit dem sie anderen Menschen helfen. „Ich möchte die Gemeinde stärker vernetzen“, erklärt er. „Einige Kinder führen so ein Projekt für eine Einrichtung durch, die sie sonst vielleicht nie kennengelernt hätten.“
Tiere aus der Eiszeit. Laut des Kansas Geological Survey endeten die Gletscher aus der Eiszeit nicht weit südlich der Lazy Heart D Ranch. Dort bildeten sich auch die beiden Flüsse Kansas River und Big Blue River. In der Eiszeit nutzten Bisons die Gletscher als Landbrücke in das heutige Amerika. Diese sogenannten Steppenbisons haben laut Paläontologen des Australian Center for Ancient DNA die gleiche DNA wie moderne amerikanische Bisons.
„Ich vermittle den Besuchern gerne den historischen Kontext, bevor wir uns die Herde ansehen“, sagt Dillinger. „Ich möchte, dass sie eine neue Erfahrung machen – eine Erfahrung, die ihre Erwartungen übertrifft“ Beim jährlichen Herbstmarkt der Kansas Buffalo Association werden sowohl tiefgefrorenes Bisonfleisch als auch lebende Tiere verkauft. Trotzdem misst Dillinger den Wert der Bisonzucht nicht am Geld, sondern an dem befriedigenden Gefühl, anderen etwas beizubringen und ihnen zu helfen. „Ich weiß nicht, wie viel diese Führungen für die Gemeinde bedeuten. Aber wenn man mit dem, was man tut, zufrieden ist, braucht man es nicht zu messen oder zu bewerten. Viele von uns sind sehr materialistisch eingestellt, hauptsächlich um ihr Ego zu stärken. Für mich ist es Belohnung genug, wenn mir am Ende einer Führung jemand sagt: Das war toll. Wir kommen wieder.‘“