In einer Welt, in der Verbraucher weniger als 10 % ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, stellt Niels, Landwirt und engagierter Anhänger der regenerativen Landwirtschaft, eine kritische Frage: „Wie können wir Verbraucher dazu motivieren, Lebensmittelen eine höhere Wertschätzung entgegenzubringen?“ Niels ist ein Pionier in Litauen, der die Verbindung zwischen Verbrauchern und ihren Nahrungsquellen wiederbelebt. Er glaubt, dass die Antwort in dem Boden liegt, den er bewirtschaftet, und in den fesselnden Geschichten, die er über die Herkunft gesunder und schmackhafter Lebensmittel zu erzählen hat.
Um Niels zu treffen und seine Geschichte zu erfahren, fuhren wir durch endlose Weizenfelder in Ukmergė, Litauen, wo die Zeichen des Klimawandels unübersehbar sind. Während sich die Landwirte in Litauen auf ihre Hauptanbausaison vorbereiten, haben sie zunehmend mit unvorhersehbaren Wetterlagen und unregelmäßigen Regenfällen zu kämpfen (Der trockene Frühling dieses Jahres (10–35 mm Niederschlag statt 50–60 mm) mit dem zweitwärmsten Mai seit 1961 ist nur der jüngste Schlag).
Mein Ziel mit dem Hof ist nicht nur, Lebensmittel anzubauen, sondern auch eine engere Verbindung zu den Verbrauchern herzustellen.
Niels Peter Pretzmann
Niels ist sich der Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft bewusst und hat sich daher der regenerativen Landwirtschaft zugewandt, die ihren Fokus auf die Bodengesundheit legen. Für ihn bedeutet sie die Grundlage für ein widerstandsfähiges und robustes System. In seinem Heimatland Dänemark hat er einen Aufschwung des ökologischen und regenerativen Landbaus erlebt und möchte diese Praktiken auch in Litauen anwenden, wo die regenerative Landwirtschaft noch in den Kinderschuhen steckt. Er erwähnt zwar, dass es etwas dauern wird, bis sich der Boden vollständig erholt hat, er erklärt aber auch, dass er sich dafür verantwortlich fühlt, einen Ansatz zu verfolgen, der sich positiv auf das Klima auswirkt.
Der Schwerpunkt bei der Diskussion über regenerative Landwirtschaft liegt auf der Entwicklung eines ganzheitlichen Umweltansatzes. Dieser sollte sicherstellen, dass der Boden gesund bleibt, damit keine Zufuhr von Nährstoffen erforderlich ist und das Ökosystem eigenständig funktioniert, wodurch das Land jedes Jahr fruchtbarer wird. Darüber hinaus hat die regenerative Landwirtschaft einen sozioökonomischen Aspekt, der genauso wichtig ist wie der Umweltaspekt. Landwirte wie Niels sind sich bewusst, dass sie mit der Gemeinschaft um sie herum zusammenarbeiten müssen, um mit ihrer Arbeit erfolgreich zu sein. Regeneration ist keine Aufgabe für eine Person, sondern eine gemeinschaftliche Anstrengung.
Niels’ Reise: Vom traditionellen Landwirt zum regenerativen Unternehmer
Niels, ein gebürtiger Däne, stammt aus einer Familie konventioneller Landwirte. Er begann seine eigene Karriere als Landwirt im Alter von 14 Jahren, als er auf dem 12 Hektar großen Feld seiner Nachbarn arbeitete. Mit 23 Jahren hatte Niels sein eigenes 30 Hektar großes Stück Land gekauft und sich der konventionellen Landwirtschaft zugewandt, einer Anbaumethode, die den Einsatz chemischer Mittel zur Steigerung der Ertragsleistung fördert. Lachend erklärt er, dass diese Zeit auch als „Grüne Revolution“ bekannt war.
Niels baute hauptsächlich Getreide in Monokultur an. Diese Art der Landwirtschaft galt zu jener Zeit als innovativ. Niels hatte keinerlei Bedenken bezüglich dieser Art der Landwirtschaft. Diese zeigten sich erst später. 1989 gab er seinen Beruf als Landwirt auf und wurde Schreiner, als er eine bankrotte Fabrik für industrielle Fensterrahmen kaufte. In den folgenden 20 Jahren leitete er dieses Unternehmen, das durch seine Partnerschaft mit dem Forest Stewardship Council (FSC) Nachhaltigkeit in den Vordergrund rückte – eine Premiere in Dänemark. Damit wurde er zum Pionier der nachhaltigen Fensterrahmen Herstellung in Dänemark. Durch die Partnerschaft erfuhr er immer mehr über den Klimawandel und Nachhaltigkeit sowie über die Bedeutung und Verantwortung, nachhaltige Methoden in sein Unternehmen zu integrieren.
Während einer Geschäftsreise nach Litauen nahm sein Leben eine Wendung. Er verliebte sich in Vilnius, war fasziniert von der charmanten Atmosphäre und Architektur. Im Jahr 2005 verkaufte Niels sein Unternehmen an einen größeren schwedischen Mischkonzern und nutzte den Erlös, um Immobilien in Vilnius zu kaufen, darunter „Senatorių Pasažas“, ein Gebäude mit einem Restaurant im Herzen der Altstadt. Dies markierte seinen Einstieg in das Lebensmittel- und Gastgewerbe. Heute ist Senatorių Pasažas ein lebhafter Ort, der sich auf nachhaltig angebaute Lebensmittel spezialisiert hat, mit 9 Fachgeschäften und zwei Restaurants, dem Nineteen18, das einen Michelin-Stern erhielt, und dem 14Horses, das mit einem Michelin Bib Gourmand ausgezeichnet wurde.
Es ist wichtig, dass mein Unternehmen einen positiven Einfluss auf die Gesundheit unseres Planeten und seiner Menschen hat.
Niels Peter Pretzmann
Niels‘ Restaurants bieten Bio-Lebensmittel an, eine Idee, die aus Dänemark stammt, wo Bio-Lebensmittel gerade Fuß fassten. Aber im Gegensatz zu Dänemark wurden Bio-Produkte in Litauen noch nicht als etwas Besonderes angesehen. Niels war entschlossen, Biobauern zu finden, die ihn mit Rohwaren beliefern würden. hm gelang es zwar Biobauern zu finden, aber keine , die ihn regelmäßig mit frischen Bio-Produkten beliefern konnten, um diese in seinem Restaurant zu verwenden. Da er keinen geeigneten Betrieb fand, mit dem er zusammenarbeiten konnte, kam er auf die Idee, selbst wieder Landwirtschaft zu betreiben und einen eigenen regenerativen/biologischen Bauernhof mit einem dazugehörigen Restaurant namens „Red Brick“ in Litauen zu gründen. Seine Mission ist es, die Qualität der Produkte so hoch wie möglich zu halten. Seiner Meinung nach haben biologisch angebaute, regenerative Lebensmittel die beste Qualität, was sich auch auf den Geschmack der Gerichte auswirkt.
Kundenbindung durch Verkürzung der Lieferkette
Niels‘ Unternehmen stellt die Kunden in den Mittelpunkt und erzeugt gleichzeitig nachhaltige, lokale und schmackhafte Lebensmittel. Auf diese Weise berühren seine Aktivitäten alle drei Aspekte der Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft: Die ökologischen, die wirtschaftlichen und die sozialen.
Niels ist sehr daran gelegen, die Verbraucher mit seinem Hof in Kontakt zu bringen. Er ist fest davon überzeugt, dass die Verbraucher bereits am Anfang der Lieferkette einbezogen werden sollten und nicht erst am Ende. Deshalb arbeitet er aktiv mit Verbrauchern zusammen und setzt dabei eine Vielzahl von Methoden und Aktivitäten ein, um das Gemeinschaftsgefühl auf seinem Hof zu fördern und für seine regenerativen Praktiken zu werben.
Der Kontakt zu seinen Kunden findet hauptsächlich in seinen Restaurants und Geschäften statt. Das Restaurant „The Red Brick“ ist in diesem Zusammenhang besonders erwähnenswert. Es befindet sich direkt auf dem Bauernhof und ist das einzige biozertifizierte Restaurant in Litauen. In diesem Jahr wurde es mit dem renommierten Grünen Michelin-Stern ausgezeichnet. Diese Auszeichnung ist ein Beleg für die herausragenden nachhaltigen und umweltfreundlichen kulinarischen Praktiken des Unternehmens und setzt einen hohen Standard, an dem sich andere orientieren können. Die Verkürzung der Lieferkette beinhaltet die Herstellung von Mehrwertprodukten, die Nutzung des Hofladens und anderer Geschäfte in der Umgebung, die auf dem Hof erzeugtes Bio-Gemüse und Bio-Kräuter verkaufen. Diese Geschäfte bieten nicht nur frische Produkte, sondern auch eine Vielzahl hausgemachter Marmeladen, Eingelegtes und Soßen an, die aus der Ernte des Bauernhofs hergestellt werden. Der Verkauf anderer Produkte, die von örtlichen, nachhaltig wirtschaftenden Landwirten hergestellt werden, unterstützt die lokale Wirtschaft, indem er Kunden mit den Erzeugnissen lokaler Landwirte in Kontakt bringt. Außerdem reduziert die lokale Vermarktung auch Transportemissionen, die mit dem Versand von Lebensmitteln über weite Strecken verbunden sind, erheblich.
Außerdem ziehen die von Niels organisierten Betriebsführungen eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen an. Diese reichen von Landwirten, die von Niels‘ innovativen Geschäftspraktiken lernen möchten, bis hin zu Schulkindern, die im Rahmen von Exkursionen zu Besuch kommen. Die Unterkünfte auf dem Bauernhof sind ein bedeutender Anziehungspunkt für den lokalen Agrotourismus und bieten Besuchern ein einzigartiges und intensives Erlebnis des Landlebens. Darüber hinaus erfreuen sich das jährliche „Farm on Fire“-Festival und die Konferenz, die auf dem Bauernhof stattfinden, immer größerer Beliebtheit. Das Festival zieht etwa 2000 Menschen an, die sich vielleicht nicht für Landwirtschaft interessieren, aber kommen, um sich zu amüsieren, Musik zu hören und das köstliche Essen zu genießen, das vor Ort produziert und zubereitet wird. Während des Festivals werden die Teilnehmer dazu ermutigt, sich durch die Teilnahme an Konferenzgesprächen über nachhaltige Landwirtschaft zu informieren und diese zu unterstützen. So erweitern sie ihr Verständnis und ihre Wertschätzung für die regenerative Landwirtschaft.
Geschäftsmodell
Für Niels‘ Hof ist die Produktion von Angus-Rindfleisch von entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung. Niels hat eine Herde von 400 Angus-Rindern auf seinem 600 ha großen Betrieb, von denen 570 ha als Weideland genutzt werden. Die Rinder werden mit Gras gefüttert, was zur Verringerung der Treibhausgasemissionen beiträgt und ein gesünderes Ökosystem fördert. Während die Rinder grasen, beeinflussen ihre Hufe und ihr Kot bei Bodenstruktur, so dass Kohlenstoff leichter aufgenommen und im Boden gespeichert werden kann. Dieser natürliche Prozess verbessert die Bodenfruchtbarkeit und bindet mehr Kohlenstoff, was sich positiv auf die Umwelt auswirkt.
Wir gestalten die Zukunft des ökologischen Landbaus, indem wir jeden Tag von den bewährten Verfahren lernen.
Liudas Gaivelis
Gras dient als Futter für die Rinder und wird kombiniert mit regenerativen landwirtschaftlichen Praktiken wie der minimalen Bodenbearbeitung ohne Pflug. Darüber hinaus wenden der Betrieb eine vielseitige Fruchtfolge an, die den Wechsel zwischen Deckfrüchten, Grasweide und jungem Weizen (der den Kühen Vollkornfutter liefert) umfasst. Diese Praktiken tragen dazu bei, die Bodengesundheit zu fördern, die Erosion zu verringern und die Artenvielfalt zu erhöhen.
Als wir Niels nach den Auswirkungen dieser Praktiken fragten, erzählt er von einer Beobachtung: „Gestern Abend besuchte ich eine unserer Weiden und traf zu meiner Überraschung auf fünfzig Angus-Rinder, die von etwa fünfzig Störchen begleitet wurden. Ich denke, das ist ein Zeichen dafür, dass eine ganze Reihe von Mikroorganismen sowie Würmer, Schnecken und Käfer zurückkehren, was unsere Weiden zu einem guten Jagdrevier für Störche macht.“
Er erwähnte jedoch auch, dass die Erträge der Feldfrüchte noch nicht optimal sind. Sie erwarten, in den nächsten zwei Jahren die gewünschten Ertragsniveaus zu erreichen. Langsame, aber stetige Fortschritte sind bereits sichtbar.
Um auch die Lieferkette für das Angus-Rindfleisch zu verkürzen, hat Niels, nach langem Warten auf die Betriebsgenehmigung der Gemeinde, ein eigenes Schlachthaus auf dem Bauernhof errichtet. Diese wird dazu beitragen, die Lieferkette der Fleischproduktion in der Region zu verkürzen. Zudem steht das Schlachthaus anderen Landwirten zur Verfügung, wodurch das Gemeinschaftsgefühl und die gemeinsame Nutzung von Ressourcen gefördert werden. Die vielfältige Ausrichtung des Betriebs erfordert ein starkes Team, das nach den gleichen Grundsätzen arbeitet. In einem Gespräch mit dem Leiter des Bereichs Ökolandbau erwähnt er:
„Ich bin zufrieden mit meiner Arbeit bei Farmers Circle, die Arbeitsbedingungen sind gut: Ich habe die Freiheit, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, und fühle mich außerdem als Teil einer Gemeinschaft mit einer Mission. Wir gestalten die Zukunft des ökologischen Landbaus, indem wir jeden Tag von den bewährten Verfahren lernen.“
Fazit
Niels‘ Geschichte zeigt, dass der Aufbau eines regenerativen landwirtschaftlichen Betriebs ein vielschichtiges Unterfangen ist. Er zeigt, dass echte Nachhaltigkeit über die Bodengesundheit hinausgeht. Es erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die Umwelt als auch das Wohlergehen der Gemeinschaft in den Vordergrund stellt. Durch die Konzentration auf regenerative Praktiken und lokales Engagement hat Niels ein Modell geschaffen, das das Land nährt, die Gemeinschaft stärkt und sich für gesunde, lokale Lebensmittel einsetzt.
Über Cycle to Farms
Unsere Reise begann im Mai 2022 in den Niederlanden und erstreckte sich über 15 Länder auf drei Kontinenten und dauerte 1,5 Jahre. Im Laufe der Reise gewannen wir wertvolle Einblicke in regenerative landwirtschaftliche Praktiken, die wir in einer Reihe von Artikeln behandeln.
Wir besuchten mehr als 25 regenerative Bauernhöfe in verschiedenen Kontexten und sammelten Erfahrungen und Erkenntnisse über den Übergang zu klimaresistenten landwirtschaftlichen Praktiken. Diese Erfahrung vermittelte uns ein tieferes Verständnis dafür, wie Landwirte ihr Land regenerieren, wie man regenerative Landwirte am besten unterstützt und wie man andere zur Umstellung auf regenerative Landwirtschaft inspirieren kann.
Die von uns besuchten Bauernhöfe waren unterschiedlich groß – von wenigen Hektar bis zu Tausenden – und wiesen verschiedene Bodentypen auf, von lehmhaltigen Feldern bis zu felsigen und sandigen Wüstenböden. Wir haben verschiedene Produktionssysteme beobachtet, darunter Ackerbau, Obstplantagen, Lebensmittelwälder und Gemüsegärten. Viele Betriebe integrierten mehrere Produktionssysteme, was die Anpassungsfähigkeit der regenerativen Landwirtschaft unter Beweis stellt.
Trotz ihrer Vielfalt hatten alle Betriebe ein gemeinsames Ziel: die Bekämpfung des Klimawandels, die Stärkung der Bodengesundheit, die Verbesserung des Wassermanagements und die Erhöhung der Artenvielfalt. Die Landwirte, die wir trafen, waren lösungsorientiert und ließen sich von gemeinsamen Grundsätzen leiten, während sie gleichzeitig einzigartige Praktiken und Geschäftsmodelle entwickelten, die an ihren jeweiligen Kontext angepasst waren.
Nun, da unsere Reise mit dem Fahrrad abgeschlossen ist, tritt Cycle to Farms in eine neue Phase der akademischen Arbeit am MIT ein.