Häufig wird die Frage nach der Skalierbarkeit der regenerativen Landwirtschaft gestellt. In der Regel bezieht sich die Antwort auf die Anbaufläche in Hektar. Hektar ist zwar ein nützliches Maß, um die Größe eines landwirtschaftlichen Betriebes zu beschreiben, die Zahl allein sagt aber wenig über die angebauten Feldfrüchte, die Weiterverarbeitung der Produkte sowie das gesamte Geschäftsmodel des Betriebes aus.
Betriebe, die wir besucht haben, unterscheiden sich stark in den Fruchtarten, die sie anbauen, und den Methoden, mit denen sie ihre Kulturen pflegen, weiterverarbeiten und vermarkten und somit auch in ihren Geschäftsmodellen. Außerdem sehen sich die Landwirtinnen und Landwirte mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die ihren Betrieb beeinflussen. Wegen des Mangels an einer klaren Definition von regenerativer Landwirtschaft wissen Interessenvertretende häufig nicht, wie sie sich z. B. von der Biolandwirtschaft unterscheidet. Fehlende Zertifizierungen machen es Einzelhändlern schwer, einen angemessenen Preis festzulegen, und die häufig hohen Arbeitsintensivität erfordert zeitweise viele Arbeitskräfte.
Nachhaltigkeit bedeutet auch ‚People Care, Fair Share‘ (Fürsorge, gerechter Anteil). Man muss Geld einnehmen, um nachhaltig sein zu können.
Howard Koster, De Biesterhof
In diesem Artikel schauen wir uns die komplexen und vielseitigen Geschäftsmodelle verschiedener Betriebe genauer an. Egal ob klein oder groß, jeder Betrieb hat seinen eigenen einzigartigen und ganzheitlichen Betriebsansatz.

Regenerative Landwirtschaft im großen Stil in der Wüste
Sechzig Kilometer nordöstlich von Kairo, am Rand der ägyptischen Wüste, liegt Sekem. Als wir mit unseren Fahrrädern das Haupttor passieren, werden wir von Wind und Schatten willkommen geheißen, die uns eine bitter nötige Pause von der Hitze gönnen. Wir sehen Menschengruppen, die zu verschiedenen Gebäuden auf dem Gelände laufen, wo sie bei einem von zehn Unternehmen arbeiten, die gemeinsam 150 unterschiedliche Bioprodukte produzieren, von Lebensmitteln und Kräutertees bis zu Textilien und Arzneimitteln.
Vor ca. fünfundvierzig Jahren machten sich Ibrahim Abouleish und eine Gruppe von Beduinen daran, 70 ha Wüstenfläche zu bewirtschaften. Damit bewiesen sie, dass eine nachhaltige Landwirtschaft mit Hilfe regenerativer und biodynamischer Ansätze an diesem Standort möglich ist. Während unseres Besuchs konnten wir die Integration von ökonomischem, sozialem und kulturellem Leben innerhalb eines ganzheitlichen und naturfreundlichen Ansatzes miterleben. Sekem verfügt über 473 ha Anbaufläche sowie zusätzliche 7487 ha, die von zuliefernden Betrieben bewirtschaftet werden. Im Jahr 2022 hatte Sekem insgesamt 1954 Mitarbeitende, und einen Unternehmensumsatz von 21,21 Mio. €. Durch die Weiterverarbeitung seiner Produkte und die vielen Zulieferbetriebe kann sich Sekem eine große Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leisten.
Wir können unsere Produktionskosten niedriger halten als konventionell wirtschaftende Betriebe, da wir keine externen Betriebsmittel benötigen. Außerdem arbeiten wir mit großen Produktionsmengen und sind stark diversifiziert, wodurch wir wettbewerbsfähig bleiben.
Helmy Abouleish, CEO bei Sekem
Im Jahr 2008 gründete Sekem einen zusätzlichen Betrieb in Wahat 300 km südwestlich von Kairo. Dieses Projekt soll die Selbstversorgung und langfristige Lebensmittelsicherheit der örtlichen Gemeinden verbessern. Dazu ist es wichtig Wüstengebiete zu erschließen und die verfügbaren Wasserressourcen effizient zu nutzen. In Wahat wird auf 315 ha Landwirtschaft betrieben. Der Fokus liegt momentan auf dem Anbau von biodynamischer Pfefferminze und grüner Minze, Kamille, Erdnüssen, Jojoba, Moringa, Hibiskus und Kakteen. Außerdem wird die Anbaufläche für Kräuter vergrößert.
Heute ist Sekem der größte Teeproduzent in Ägypten und exportiert seinen Tee nach Deutschland, Österreich, in die Niederlande, Italien, Island und ins Vereinigte Königreich. Außerdem exportiert Sekem seine Biobaumwolle, Naturmedizin und Gesundheitsprodukte. Tee, Medizin und Textilien sind nicht die einzigen Güter, die von Sekem hergestellt werden. Andere Produkte, wie z. B. Erdnussbutter, Postkarten und Kerzen, werden im Onlineshop und in den Läden auf dem Gelände angeboten. Bei unserem Besuch des Kleidungsgeschäfts auf dem Gelände finden wir eine Vielzahl an verschiedenen Artikeln, vor allem Kinderkleidung sowie einiges an COP-27-Merchandise, wie Hüte, Oberteile und Taschen mit dem Motiv eines ägyptischen Landwirts und den Worten „climate heroes“ (Klimahelden). Alle Artikel bestehen aus Biobaumwolle und wurden mit natürlichen Farben eingefärbt.
Für die Förderung einer nachhaltigen Zukunft hat Sekem die Wissensvermittlung priorisiert. Dieses Ziel wird über eine eigene Universität (Heliopolis University) sowie verschiedene Schulen, in denen eine ganzheitliche Ausbildung mit Fokus auf Kunst und Eurythmie, einer expressiven Bewegungskunstform, und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung für Mitarbeitende angeboten werden, erreicht. Darüber hinaus weitet Sekem sein Bildungsangebot auf ein breiteres Publikum aus. Während unseres Besuchs trafen wir auf Personen aus der ganzen Welt, die den Betrieb über Feldbesuche und Vorträge kennenlernten.
Über Cycle to Farms

Die Reise von Aisha und Lukas begann im Mai 2022 in den Niederlanden und führte sie durch Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Albanien, Griechenland, Jordanien, Ägypten, Kenia, Uganda, Ruanda und Tansania. Auf ihrer Radtour durch diese Länder gewannen sie verschiedene Einblicke in regenerative landwirtschaftliche Praktiken, die sie in einer Reihe von Artikeln behandeln.
Wir haben bereits viele regenerativ wirtschaftende Betriebe besucht und wertvolle Erkenntnisse und Einblicke zur Umstellung auf eine klimaresiliente Landwirtschaft gewonnen. So konnten wir Praktiken kennenlernen, mit denen Landwirte ihrer Flächen regenerieren. Außerdem haben wir erfahren, wie Landwirte bestmöglich unterstützt werden und wie andere dazu inspiriert werden können, ebenfalls auf regenerative Landwirtschaft umzustellen.
Die besuchten Betriebe sind unterschiedlich groß – von einigen wenigen bis zu mehreren Tausend Hektar – und weisen unterschiedliche Bodentypen auf, deren Spektrum von Tonböden über felsige bis hin zu sandigen Böden reicht. Außerdem kommen unterschiedliche Produktionssysteme zum Einsatz, zu denen neben Ackerbau, Obstgärten, Agroforstwirtschaft und Gartenbau häufig auch Mischformen treten.
Trotz aller Unterschiedlichkeit verfolgen die Betriebe ein gemeinsames Ziel: den Kampf gegen den Klimawandel durch Verbesserung der Bodengesundheit, ein intelligentes Wassermanagement und die Erhöhung der Biodiversität. Sämtliche Landwirte, die wir besucht haben, arbeiteten lösungsorientiert und konzentriert nach gemeinsamen Grundsätzen, während sie gleichzeitig ihre individuellen Praktiken und spezifischen Geschäftsmodelle beibehielten.
Mehr zu Aisha und Lukas auf www.cycletofarms.com
Jordanien: Vom Betrieb auf den Tisch
In Jordanien besuchten wir die Carob Farm und das Carob House, einer von Rakan Mehyar gegründeten kreativen Initiative, in der er sein Interesse an Bewirtung und nachhaltiger Landwirtschaft vereint hat. Rakan wollte ursprünglich einen landwirtschaftlichen Betrieb aufbauen, um nahrhafte Lebensmittel für seine Familie herzustellen. Allerdings wurde ihm schnell bewusst, dass nahrhafte Lebensmittel in der ganzen Gemeinde verfügbar sein sollten. Daher gründete er Carob House, ein Restaurant mit dem Ansatz „Vom Betrieb auf den Tisch“, das die Art der Produktion und des Konsums von Lebensmitteln in Jordanien neu gestalten soll.
Das Restaurant richtet sich an die örtliche Gemeinde, indem sein Angebot die Bedeutung von Gemeinschaft sowie nahrhaften und nachhaltig produzierten Lebensmitteln unterstreicht. Rakan arbeitet mit gleichgesinnten örtlichen Landwirtschafts- und Handwerksbetrieben zusammen und sichert so eine stetige Versorgung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln für die Gäste des Carob House.
Ich fand es wichtig, ein innovatives Geschäftsmodell auf Basis von Zusammenarbeit, Diversität und Inklusion zu schaffen, welches der Art, auf die unsere landwirtschaftsbasierten Gesellschaften seit Jahrtausenden leben, ähnelt. Daher habe ich als Verbindungspunkt und Vermittler Carob gegründet.
Rakan Mehyar
Rakan glaubt, dass es für sei Gäste wichtig ist, die Herkunft und Verarbeitung ihrer Lebensmittel zu kennen. Um dieses Wissen zu vermitteln, gibt es ein Vom-Betrieb-auf-den-Tisch-Führung, die seine Gäste vor ihrer Mahlzeit im Restaurant buchen können. Während der zweistündigen Führung erfahren die Besuchenden mehr über Rakans Motivationen und wie sich seine Methoden von der gewöhnlichen Landwirtschaft unterscheiden. Rakans Ziel ist es, die Methoden der regenerativen Landwirtschaft so vielen Menschen wie möglich nahezubringen. Er möchte die örtliche Gemeinschaft aufklären und sie überzeugen, spürbare Veränderungen herbeizuführen, um den Zugang zu einer gesunden Lebensmittelversorgung für zukünftige Generationen zu erhalten.



Verkauf von Mehrwertprodukten auf dem Betriebsgelände
In Kenia, im Laikipia Permaculture Center (LPC), treffen wir Joseph Lentunyoi. 2014 hat er begonnen, mit verschiedenen Frauengruppen zusammenzuarbeiten, um natürliche Ressourcen in Laikipia zu nutzen und Einnahmequellen für ihre Haushalte zu schaffen. Die Menschen in der Gegend leiden sehr unter den starken Auswirkungen des Klimawandels. Ihre ursprüngliche Lebensform, die Weidewirtschaft, wird immer schwieriger und ist kaum noch aufrecht zu erhalten. In einem Wechsel zu nachhaltigeren Landwirtschaftspraktiken sieht Joseph den einzigen Weg, die Lebensmittelsicherheit dieser lokalen Gemeinschaft zu sichern. Deshalb arbeitet er engagiert mit den örtlichen Gruppen zusammen, um ihnen regenerative Praktiken zu vermitteln.
Auf unserem Spaziergang durch den Agroforst des LPC, umgeben von grünen Feldern so weit das Auge reicht, erwähnte Joseph Folgendes:
Unser Fokus liegt auf Produkten mit einem zusätzlichen Wert, denn in Afrika sind die meisten Produkte kurzlebig.
Joseph Lentunyoi, Laikipia Permaculture Center
Die örtlichen Gemeinschaften in dieser Gegend nutzen traditionelle Methoden, um länger haltbare Produkte herzustellen. Beispielsweise verarbeiten sie Kaktusfrüchte zu Mus, um daraus Kaktusfruchtmarmelade, -wein und -saft herzustellen. Das Gleiche tun sie mit der Aloe secundiflora, deren Saft sie für verschiedene kosmetische Produkte, wie Cremes, Seifen, Shampoo und Duschgel für den örtlichen Markt verwenden. Ihre Überschüsse verkaufen sie sogar an Einzelhändler, wie beispielsweise ihren Kunden Lush Cosmetics. Zusätzlich werden in dem kleinen Laden auf dem Gelände weitere Produkte, darunter Honig, Moringapuder und Auferstehungsbuschtee, welche örtliche Frauengruppen herstellen, verkauft.
Das Geschäftsmodell des LPC besteht in der Vermittlung von Wissen über Permakultur und regenerativen Anbaumethoden. Dazu werden wissbegierigen Personen Workshops angeboten. Außerdem gibt es Unterkünfte, in denen die Gäste entweder auf dem Campingplatz oder in Gasthäusern aus Strohlehm übernachten können. Die Gäste können bei der landwirtschaftlichen Arbeit mithelfen, um so die angewandten Praktiken zu erlernen. Das LPC betreibt darüber hinaus ein Biorestaurant, in dem Mitarbeitende und Gäste verpflegt werden.
Diversifizierung ist der Schlüssel zu erfolgreichen regenerativen Geschäftsmodellen
Für eine erfolgreich betriebene regenerative Landwirtschaft gibt es keinen allgemeingültigen Ansatz. Der Erfolg dieser Systeme hängt stark von den regionalen Begebenheiten und den Feldfrüchten, die dort am besten wachsen, ab. Eine Anpassung an die Herausforderungen und Möglichkeiten in der örtlichen Umgebung ist daher für den Erfolg unverzichtbar.
Zu einer erfolgreichen regenerativen Landwirtschaft gehört auch die Nutzung ganzheitlicher Geschäftsmodelle, die durch Diversifizierung mehrere Einkommensquellen umfassen. Erfolgreiche Betriebe verlassen sich nicht ausschließlich auf die Lebensmittelproduktion. Stattdessen bieten sie häufig zusätzliche Produkte an, hauptsächlich Artikel, die einen Mehrwert bieten. Mit der Ausweitung des Sortiments über die reine Lebensmittelproduktion hinaus können diese Betreibe auf vielfältige Weise zusätzliches Einkommen erzielen und sind damit weniger abhängig von Marktpreisschwankungen. Regenerativ wirtschaftende Landwirtinnen und Landwirte betrachten sich häufig als Ausbildende und versuchen in ihrer Region die Bedeutung regenerativer Praktiken zu vermitteln.
In vielen Fällen, die wir kennengelernt haben, spielt soziales Engagement eine Schlüsselrolle zum Verständnis der Arbeit, die sie in die regenerative Landwirtschaft investieren. Eine breitere und allgemeinere Kenntnis regenerativer Praktiken solle dabei helfen, regenerative Produkte zu fairen Preisen auf den Markt zu bringen.
Traditionelle Geschäftsstrategien fokuszieren häufig auf ein einziges Produkt oder eine einzige Dienstleistung, um so Skaleneffekte zu erzielen. Die regenerative Landwirtschaft setzt dagegen auf Diversifikation. Landwirtinnen und Landwirte sowie Unternehmen können robuste Systeme aufbauen, die sich an wechselnde Bedingungen anpassen können und langfristig erfolgreich sind, indem sie sich eine Vielzahl von Einkommensquellen erschließen.