Gegen Pestizideinsatz regt sich viel Widerstand. Für eine regenerative und nachhaltige Landwirtschaft wird Integrierter Pflanzenschutz (auch IPM genannt) daher immer wichtiger.
Der Druck kommt dabei von vielen Seiten, einschließlich der Verbraucher. Das Ergebnis sind strengere Umweltauflagen und Verbote von Pflanzenschutzmitteln. Es kommen nur wenige neue Mittel auf den Markt, um die Lücken zu schließen, und an die Entwicklung neuer ist gar nicht zu denken. Schlimmer noch: Viele Schädlinge sind mittlerweile gegen einige Wirkstoffe resistent und die Produkte somit unwirksam.
Eine Lösung für die Zukunft scheint der umsichtige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu sein – idealerweise nur im äußersten Fall – in Kombination mit einer umfassenden IPM-Strategie.
Auch viele konventionell wirtschaftende Landwirte nutzen bereits einige IPM-Methoden, wie beispielsweise schädlingsresistente Sorten und weitere Fruchtfolgen. Aus der Wissenschaft kommen zudem vermehrt Empfehlungen, auf natürliche Schädlingsbekämpfung durch nützliche Insekten zu setzen. Forschungsergebnisse geben Hinweise darauf, dass durch diese Praktik keine Erntegutverluste entstehen. Im Gegenteil sogar.
Wissenschaftler des UK Centre for Ecology & Hydrology (UKCEH) und von Rothamsted Research arbeiten mit Landwirten an einer Vermehrung von Nützlingen, die mitten in großen Feldern Ernteschädlinge vertilgen. Finanziert wird diese Forschung teilweise durch das staatlich geförderte Programm Achieving Sustainable Agricultural Systems (ASSIST).
Ohne räuberische Insekten zur Eindämmung von Schädlingen überleben landwirtschaftliche Ökosysteme nicht, so Professor Richard Pywell, Leiter der Forschung für Biodiversität bei UKCEH. „Effizientere Anbaumethoden haben zu einem Verlust des Lebensraums der Fauna, wie beispielsweise Hecken, Büsche, Bäume und Wildblumen, geführt.“

Wissenschaftler wollen die Population von räuberischen Insekten erhöhen. (Foto | Adobe)
DER VERLUST AN NÜTZLINGEN
Moderne landwirtschaftliche Praktiken haben zu einem Rückgang bestäubender Insekten, Blattläuse fressender Marienkäfer und Spinnen sowie Schnecken oder anderer Larven angreifenden Laufkäfer geführt.
Im Boden sorgen Regenwürmer normalerweise für eine verbesserte Fruchtbarkeit, Struktur, Wasserabführung und Bearbeitbarkeit. Durch übermäßige Bodenbearbeitung, den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel und einem geringeren Gehalt an organischem Material gibt es auch von den Würmern immer weniger. „Der Verlust dieser Nützlinge führt zu einer größeren Abhängigkeit von chemischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Ein Teufelskreis“, so Professor Pywell.
Doch die Forschung hat gezeigt: Werden Wildblumen ausgesät, die den Nützlingen als Lebensraum dienen, dann lässt sich die Lage zum Positiven verändern – und das in kurzer Zeit.
LOHNENDE LEBENSRÄUME
Solche neuen Lebensräume müssen keine Gewinneinbußen nach sich ziehen. Auf jedem landwirtschaftlichen Betrieb gibt es Vorgewende, Masten, Bäume oder Stellen mit geringem Ertrag. Werden solche Flächen sinnvoll genutzt, kann die Gesamtrentabilität sogar steigen.
Hier können Wildblumen oder Grasflächen Lebensraum für Nützlinge wie Laufkäfer, Spinnen, parasitische Wespen, Parasitoide, Florfliegen und Marienkäfer bieten. Auch Bestäuber profitieren davon.
„Viele Landwirte säen bereits Wildblumensamen gemäß der sogenannten Stewardship Agreements aus. Doch es muss sich noch mehr tun“, mahnt Prof. Pywell. Bereits rund 50 m von den Blumenwiesen entfernt sinkt die Wirksamkeit der natürlichen Schädlingsbekämpfung enorm. Das heißt: In der Mitte eines Feldes können sich noch viele Schädlinge tummeln.
ASSIST hat hierzu Wildblumenstreifen im Feldinneren integriert, um Schädlinge maximal bekämpfen zu können. Sie liegen an Fahrgassen und sind nicht mit dem Vorgewende verbunden. Somit behindern sie die Arbeit auf dem Feld nicht, und es entstehen keine zusätzlichen nicht nutzbaren Bereiche.

Grasflächen und Blumen sind wichtig für Bestäuber und verbessern die Bodenqualität. (Foto | Adobe)
MISCHKULTUREN
Daneben werden auch andere Methoden untersucht: So wird Raps in langem Getreidestroh mit Begleitpflanzen wie Buchweizen oder Alexandriner-Klee ausgesät. Durch solche Kombination können Schäden am Erntegut durch den Großer Rapserdfloh potenziell verringert werden.
Prof. Pywell rät: „Konventionell wirtschaftende Landwirte können sich auch Praktiken zur besseren Boden- und Nährstoffnutzung von Biolandwirten abschauen.“ Weideflächen mit stickstoffbindenden Leguminosen in der Fruchtfolge sorgen für mehr organisches Material, Stickstoff im Boden sowie Blumen für Bestäuber und andere Nützlinge. Währenddessen zersetzen Würmer das organische Material: Das wiederum belüftet den Boden und verbessert seine Struktur. So wird Feuchtigkeit besser gespeichert, aber auch abgeführt.
„Dürrezeiten machen dem Pflanzenbestand dann weniger zu schaffen und die Arbeit auf dem Feld ist weniger belastend. Das spart Zeit.“
BLUMENSTREIFEN
- Mindestens 6 m breit
- Drei Spritzgestänge-Breiten Abstand (96-108 m) passend zu den Fahrgassen
- Aussaat Ende August
- Mähen zur Unkrautreduzierung
- Saatgutmix
- 4 kg/ha Wildblumen
- 10 kg/ha Gras
- Blumenarten: Wilde Möhre, Schafgarbe, Magerwiesen-Margerite
- Klee: Gewöhnlicher Hornklee und Wiesenklee
- Hohes Gras: Knäuelgräser am den Streifenrändern für am Boden lebende räuberische Insekten und zum Schutz der Wildblumen in der Mitte der Streifen
ORGANISCHE METHODEN
Große Erfolge mit Direktsaat und organischer Landwirtschaft kann Ackerbauer Tom Sewell vorweisen.

Ackerbauer Tom Sewell
Sewell bewirtschaftet rund 567 Hektar in Medway Valley, Kent, die insgesamt 15 Grundeigentümern mit unterschiedlichen Landnutzungsverträgen gehören. Auch ein kleines Stück eignes Land gehört dazu.
Seit vier Jahren wurden hier keine Insektizide mehr eingesetzt und in den vergangenen beiden Jahren wurde keine Saatgutaufbereitung mehr durchgeführt. Trotzdem liegt der Getreideertrag zwischen 10 und 12 t/ha.
2013 studierte Sewell regenerative Anbau- und Direktsaatmethoden. Er hinterfragte die langjährigen Anbaupraktiken und konzipierte eine neue Strategie für seinen Betrieb. Alle nicht notwendigen Bodenbearbeitungsschritte wurden aus dem Betriebsablauf entfernt. Es gibt keinen Anbau von Weizen nach Weizen und auf jede Ernte folgt eine Zwischenfrucht. Die Fruchtfolge umfasst auch Gerste, Hafer, Bohnen und Gras. Dabei hat sich die richtige Sortenwahl als besonders entscheidend für den Erfolg erwiesen. Die Winterweizensorte Extase beispielsweise bietet gute krankheitsresistente Eigenschaften und einen hohen Ertrag.
Sewell nutzt Kompost von Obstbetrieben statt abgepacktem Dünger und pflanzt Untersaaten und Zusatzfrüchte an, um die Bodenfruchtbarkeit zu fördern und das Unkraut zu unterdrücken. Die Bodennährstoffe hat er dabei genau im Blick. Er düngt nur was dem Boden fehlt. Seit 20 Jahren hat er kein abgepacktes Kalium oder Phosphor mehr aufgebracht.
Auch flüssigen Stickstoff setzt er nur spärlich ein, denn laut Sewell führt das dadurch angeregte Wachstum zu dünneren und schwächeren Zellwänden und somit sind die Pflanzen anfälliger für Krankheiten und Schädlinge.
Erst 24 Stunden vor dem Einsatz der Sämaschine häckselt er die Getreidestoppel und sorgt so für eine gute Bedeckung des Bodens bis zum letzten Moment. Dabei experimentiert er damit die Stoppel rund 30 cm lang zu lassen, was zahlreiche Vorteile bietet: Die längeren Stoppeln bieten Schutz vor Wind, der die Oberfläche austrocknen und zu Erosion führen kann. Mit Hilfe dieser Methode bleibt die Feuchtigkeit im Boden.
Wenn man so will, sind wir zu Tierhaltern geworden: Insekten über und Würmer unter der Erde.
Tom Sewell
„Selbst in Trockeperioden bleibt der Boden feucht und gut strukturiert, also mulchig und bröckelig“, sagt Tom Sewell.
Ein weiterer entscheidender Vorteil: Im gesamten Feld fühlen sich Insekten pudelwohl. Die Resultate sind bemerkenswert: „Morgens schimmert das gesamte Feld silbern durch den Tau auf den Netzen der Wolfsspinnen“, sagt Sewell. Die Achtbeiner kümmern sich um Blattläuse und halten die Population weit unterhalb der Schadschwelle, ab der gespritzt werden müsste.
„Wenn man so will, sind wir zu Tierhaltern geworden: Insekten über und Würmer unter der Erde“, sagt er. „Laufkäfer halten Schnecken und Larven im Boden in Schach, also benötigen wir auch keine Saatgutaufbereitung.“

Tom Sewell nutz die Direktsaatmethode mit Erfolg.
REGENWÜRMER
Eine kürzliche Zählung ergab: Pro Hektar leben 12 Millionen Regenwürmer! „Die Würmer leisten hervorragende Arbeit. Sie bringen organisches Material tiefer in den Boden und halten den Nährstoffkreislauf in Gang. Der Boden bleibt krümelig genug die Aussaat und das Wasser kann versickern, während gleichzeitig noch genug Feuchtigkeit verbleibt“, erklärt Sewell.
Trotz des geringen Spritzmitteleinsatzes wird einmal pro Jahr Glyphosat aufgebracht, damit der Boden für das Erntegut vorbereitet wird. „Ganz ohne Chemie geht es nicht. Aber man muss sie sparsam einsetzen“, so Sewell. Das ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für den Geldbeutel.
SMARTPHONE-TOOLS
Das UKCEH hat kürzlich ein kostenloses, webbasiertes Tool, welches sich E-Planner nennt, veröffentlicht. Damit kann für sämtliche Felder Großbritanniens bestimmt werden, wie gut sie für das Anlegen von neuen Lebensräumen mit Wildblumen, Grasflächen usw. geeignet sind. Mithilfe der kostenlosen App „E-Surveyor“ von UKCEH können Landwirte dann den Erfolg dieser neuen Bepflanzungsbereiche ermitteln. Die App nutzt Bilderkennungstechnologie zur Ermittlung der Pflanzenarten und vergleicht sie mit dem Saatgutmischungen.