Precision FarmingNach­hal­tige Milch: „Nicht schätzen, sondern Messen und Wiegen“

Politik und Nahrungs­mit­tel­in­dus­trie verlangen nach einer Tier­hal­tung mit redu­zierten Treib­haus­gas­emis­sionen. Grund genug für die Partner des Projekts „Nach­hal­ti­gere Milch“ der Frage nach­zu­gehen, wie sich durch moderne Tech­no­logie und Daten­nut­zung die CO2-Äqui­va­lente (CO2e), hier Methan, Stick­oxide und Kohlen­di­oxid, aus der Milch­er­zeu­gung verrin­gern lassen. Erfah­rungen von einem teil­neh­menden Praxis­be­trieb.

Obst­bäume blühen und das erste zarte Laub zeigt sich an den Ästen der Bäume. Es ist ein milder Früh­lingstag, hier im Südwesten Deutsch­lands. Niemand würde vermuten, dass in dem etwas abge­le­genen Seitental in der Nähe der fran­zö­si­schen Grenze auf flach­grün­digen Böden ein Milch­vieh­be­trieb 200 Kühe mit einem Stall­durch­schnitt von fast 11.500 kg/Kuh und Jahr hält, deut­lich über dem Durch­schnitt im Bundes­land Rhein­land-Pfalz mit 9.125 kg/Kuh.

Hier bewirt­schaften Inse-Marie Stalter mit ihrem Mann Fried­helm Meyer zur Capellen gemeinsam mit ihrer Nichte Sabrina und ihrem Ehemann Tobias Zarth sowie zwei Lehr­lingen und einer Voll­zeit- sowie drei Teil­zeit­kräften den Wahl­erhof. Der ursprüng­lich in den 1980er Jahren erbaute Boxen-Lauf­stall wurde 2015 nach den Richt­li­nien der Tier­hal­tungs­stufe 3 umge­baut und auf eine Kapa­zität von 200 Kühen erwei­tert. Fried­helm und Tobias stammen eigent­lich aus Nord­deutsch­land. Im Zucht­ver­band ihrer Heimat liegt die Durch­schnitts­leis­tung bei über 11.000 kg/Kuh und Jahr, Spit­zen­be­triebe schaffen dort auch deut­lich mehr. Diese Voraus­set­zungen machen die expe­ri­men­tier- und disku­tier­freu­digen Bewirt­schafter und den Wahl­erhof zu einem idealen Praxis­partner im Gemein­schafts­pro­jekt „Nach­hal­ti­gere Milch“.

In dem Projekt werden Methoden entwi­ckelt, um Milch produk­tiver und nach­hal­tiger zu erzeugen. In der Projekt­gruppe betei­ligen sich Praxis­be­triebe wie der Wahl­erhof, der Schmiedhof, die Lehr- und Versuchs­an­stalt Hofgut Neumühle, die RPTU Kaisers­lau­tern sowie die Molkerei Hoch­wald Foods, John Deere und die BASF SE. Eine Grund­vor­aus­set­zung für das Projekt ist eine möglichst genaue und lücken­lose Daten­er­fas­sung und -weiter­gabe über sämt­liche Arbeits­schritte der Milch­er­zeu­gung. „Nicht schätzen, sondern messen und wiegen“ ist ein Spruch, den Inse-Marie immer wieder bei Bespre­chungen in den projekt­be­glei­tenden Arbeits­gruppen hört, und der dem gesamten Wahl­erhof-Team mitt­ler­weile in Fleisch und Blut über­ge­gangen ist.

Für die Gras­si­la­ge­ge­win­nung wird die gesamte Fläche inner­halb eines Tages gemäht. Um die Konser­vie­rung zu opti­mieren, werden Silier­mittel einge­setzt.

Düngung mit Gülle und Mine­ral­dünger

Der Wahl­erhof bewirt­schaftet insge­samt 200 ha, aufge­teilt in 80 ha Dauer­grün­land, 20 ha Acker­gras, 40 ha Mais und 60 ha Markt­früchte. Wegen der flach­grün­digen Kalk­ver­wit­te­rungs­böden ist es schwierig, auf diesem Standort Höchs­ter­träge zu erzielen. Gedüngt wird sowohl mit Gülle als auch mit Mine­ral­dünger. Die Inhalts­stoffe der Gülle werden im Moment noch mit einem NIR-Sensor beim Befüllen des Gülle­fasses ermit­telt. Zur Vali­die­rung der Messungen werden Kontroll­proben ins Labor geschickt. Um den Stick­stoff aus der Gülle bei frühen Gaben möglichst effi­zient nutzen zu können, werden im Mais Nitri­fi­ka­ti­ons­hemmer einge­setzt. Im Rahmen des weiteren Projekt­ver­laufs ist es in diesem Jahr vorge­sehen, mit Hilfe von Boden­proben und Ertrags­karten Appli­ka­ti­ons­karten zu erstellen, um eine noch genauere Gülle­dün­gung mit Hilfe der Inhalts­stoff­mes­sung durch einen NIR-Sensor während der Ausbrin­gung zu ermög­li­chen.

Effi­zi­ente Grund­fut­ter­pro­duk­tion

Mit einem trag­baren NIR-Sensor misst Tobias Zarth die Inhalts­stoffe seiner Mais­silage, bevor eine Ration ange­mischt wird.

Die Gewin­nung von quali­tativ hoch­wer­tiger, gut fermen­tierter und schmack­hafter Gras­si­lage ist für den Wahl­erhof von höchster Bedeu­tung. „Die Ernte fängt mit der Bestim­mung des opti­malen Ernte­zeit­punktes an“, so Fried­helm. Dazu werden Frisch­gras- bzw. Frisch­mais­proben gezogen. Bei der Gras­si­la­ge­ernte wird die gesamte Fläche an einem Tag mit der Unter­stüt­zung eines Lohn­un­ter­neh­mers gemäht. Dabei wird die Schnitt­höhe auf 8 bis 10 cm einge­stellt, um Verun­rei­ni­gungen in der Silage zu vermeiden und das Nach­wachsen des Grases für den nächsten Schnitt zu begüns­tigen. Um die Effi­zienz der Silage-Konser­vie­rung und -Lage­rung von der Ernte bis zur Fütte­rung zu verbes­sern, werden Silier­mittel einge­setzt.

Sowohl während der Gras- als auch während der Mais­ernte mit dem Häcksler werden der Ertrag und die Inhalts­stoffe mit Hilfe eines NIR-Sensors konti­nu­ier­lich gemessen. Zur Kontrolle werden auch bei diesem Arbeits­schritt Proben ins Labor geschickt. Dies liefert wert­volle Infor­ma­tionen der Teil­flä­chen für die Bestands­füh­rung z. B. Düngung oder Nach­sähen. Außerdem wird über den Trocken­mas­se­ge­halt im Erntegut die opti­male Schnitt­länge des Häck­sel­gutes bestimmt und vom Häcksler entspre­chend ange­passt.

Wich­tige Einfluss­fak­toren auf den CO2e-Fußab­druck der Milch­pro­duk­tion

  • Einsatz von Neben­pro­dukten in der Futter­ra­tion
  • Effi­zi­ente Nutzung vorhan­dener Pflan­zen­nähr­stoffe (N und P) aus Wirt­schafts­dünger
  • Opti­mie­rung des Ernte­zeit­punkts durch Frisch­gras- und -mais­proben
  • Erzeu­gung quali­tativ hoch­wer­tiger und schmack­hafter Silagen
  • Regel­mä­ßige Messung der TM-Gehalte der Silage mit mobilem NIR-Sensor zur Rati­ons­an­pas­sung

Rati­ons­be­rech­nung und Fütte­rung

Da die Inhalts­stoffe während der Ernte mit dem NIR-Sensor erfasst wurden, wissen Inse-Marie, Fried­helm und Tobias ziem­lich genau, wieviel Futter mit welchen Nähr- und Inhalts­stoffen sie in ihren Silos einge­la­gert haben. Trotzdem gibt es Konser­vie­rungs­ver­luste, die für eine Nähr­stoff-Nutzungs-Betrach­tung und Bestim­mung der Treib­haus­gas­emis­sionen (CO2e), nämlich CO2, Methan und Stick­oxide zu berück­sich­tigen sind. Die Bewirt­schafter streben einen Trocken­mas­se­ge­halt von 35 bis 38 % in der TMR an. Dies sorgt für eine gleich­mä­ßige TM-Aufnahme und weniger Selek­tion. Damit können sie sicher­stellen, dass die opti­male Futter­zu­sam­men­stel­lung auch in der Kuh ankommt. Dies gewähr­leistet eine hohe Futter­auf­nahme und dadurch bei hoher Milch­leis­tung pro Kuh eine emis­si­ons­re­du­zierte Milch­er­zeu­gung. Um Schwan­kungen in der Feuchte des Grund­fut­ters auszu­glei­chen, wird mit Hilfe eines trag­baren NIR-Sensors wöchent­lich der TM-Gehalt der einzelnen Futter­mittel nach­ge­messen und das Rezept der Ration entspre­chend ange­passt.

Ange­mischt wird das Futter in einem Futter­misch­wagen. Derzeit enthält die Ration Silagen aus Gras, Mais, Luzerne, Klee­gras, Trocken­schnitzel sowie Biert­reber und Ausgleichs­futter. Die Trocken­schnitzel und der Biert­reber stammen aus einer Zucker­fa­brik bzw. Brauerei in der Nähe. Auch beim Ausgleichs­futter werden möglichst viele Neben­pro­dukte einge­setzt, um die Trans­port­wege aus Klima­gründen kurz zu halten und möglichst viele Produkte zu verwerten, die sonst unge­nutzt blieben. Dies dient eben­falls dem Klima.

Die Gesamt­emis­sionen der Milch­pro­duk­tion auf dem Wahl­erhof wurden mit dem Cool Farm Tool berechnet und betragen 1,17 kg CO2-Äqui­va­lent pro kg FPCM (fett- und prote­in­kor­ri­gierte Milch). Dieser gute Wert wird beson­ders durch die sehr hohe Milch­leis­tung auf dem Wahl­erhof erreicht.

Durch ihre Teil­nahme an dem Projekt „Nach­hal­ti­gere Milch“ wissen Inse-Marie Stalter und ihr Team bereits, dass sie die Mich mit einem vergleichs­weise nied­rigen CO2e-Fußab­druck produ­zieren. Aller­dings gibt es noch viel zu lernen und zu opti­mieren. Durch die Ertrags- und Inhalts­stoff­er­fas­sung während der Ernte „wissen wir, was wir im Haufen haben“, so Fried­helm. Da inzwi­schen auch eine Fütte­rungs­ma­nage­ment Soft­ware im Einsatz ist, „lassen sich auch die Konser­vie­rungs- und Lager­ver­luste berechnen“, sagt Tobias. Und Inse-Marie möchte in Zukunft gerne die Fütte­rungs­ef­fi­zienz und den IOFC (Income Over Feed Cost) genau ausrechnen.

Der Wahl­erhof

200
Milch­kühe
plus Nach­zucht

Herd­buch­zucht­be­trieb
Zwischen­kal­be­zeit: 433 Tage
Abgangs­leis­tung: 52.500 kg

800 mm
Nieder­schlag pro Jahr

Das Wahl­erhof-Team: (von l. nach r.) Sabrina und Tobias Zarth mit ihren Kindern, Inse-Marie Stalter, Fried­helm Meyer zur Capellen bewirt­schaften gemeinsam mit zwei Lehr­lingen einer Voll­zeit- und drei Teil­zeit­kräften den Wahl­erhof.

200 ha
davon 80 ha Dauer­grün­land,
20 ha Acker­gras,
40 ha Mais,
60 ha Markt­früchte

11.450 kg
Milch
4,00 % Fett, 3,99 % Eiweiß,
FEkg: 846